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die Mannigfaltigkeit der möglichen Verwendungen von der althochdeutschen zur mittelhochdeutschen und von da zur neueren Sprachperiode immer mehr verkümmert. Heute sind wir nur noch auf wenige formelhafte Reste beschränkt und selbst eine Wendung wie die von Lessing: Der Zuschauer will vielleicht keine Ohrfeige geben sehen (vgl. Erdmann S. 92) berührt uns fremdartig. Noch fremder freilich die Passivumschreibung in einem Falle wie: er sah die Vorratskammer offen stehen und die Habe herausgetragen werden, aber Menschen sah er keine bei A. Heusler (Uebersetzung der Geschichte vom Hühnerthorir S. 60). Hier ist es die Verbindung mit einem Infinitiv von ausgesprochen aktiver Aktionsart, die die Hervorhebung des Passivs veranlasst, aber der Unterordnung unter das Verbum finitum sehen widerstrebt diese doch.

(3) Neben diesen beiden Hauptformen, in denen sich die Unempfindlichkeit gegen Genusunterschiede bethätigt, macht sich doch auch am Infinitiv frühzeitig das Bedürfnis geltend, in bestimmtem Zusammenhang das Genus zum Ausdruck zu bringen. Ulfilas macht sich unbedenklich von der Vorlage frei 1), wo eine getreue Nachahmung diesem Bedürfnis widerspräche. Er löst den Infinitiv in einen Satz auf oder verwendet ein Verbum, das in seiner Grundbedeutung die passive Aktionsart ausprägt, oder er fügt ein Substantiv an Stelle des Infinitivs ein. Von Bedeutung ist hier namentlich die Stelle Markus 10, 45: Jah auk sunus mans ni gam at andbahtjam (dianovηdýva:) ak andbahtjan (àlλà diaxovñoaι: des Menschen son ist nicht komen, das er jm dienen lasse, Sondern das er diene, Luther). In einer anderen ähnlichen Stelle macht Ulfilas von der Umschreibung mit werden (vairpan) Gebrauch: skal sunus mans manag vinnan jah uskusans vairpan, Lukas 9, 22

1) Vgl. Grimm S. 61.

(Es muss des menschen sun vil leiden und verworffen werden, Augsburger Bibel von 1487, ebenso Luther). Diese Umschreibung findet sich bei Ulfilas sonst nur noch in der sichtlich unter dem Einfluss der Vorlage stehenden Infinitivkonstruktion an Stelle eines Konsekutivsatzes in Matth. 8, 251). Auch bei den älteren deutschen Uebersetzern beruht die Infinitivumschreibung mit werden wesentlich auf dem Einfluss der Vorlage, vgl. hweo dher sunu mahti fona fater chiboran werdhan, Isidor 2, 10 (quomodo potuit a patre filius generari) Hench u. a.; vgl. Grimm S. 59. 60. Erleichtert wurde diese Fügung durch die Ausbreitung der Passivumschreibung überhaupt, und sie zeigt sich schon bei Notker im wesentlichen durchgeführt, ohne dass dieser jedoch darum auf die guten deutschen Freiheiten im Gebrauch des Infinitivs Verzicht leistet (vgl. Beiträge zum Boethius s. 125). Den zwanglosen Stilformen unserer Schriftsprache liegt die Passivumschreibung beim Infinitiv auch heute noch nicht nahe.

7) Das Genus an den Partizipialformen.

Wenn sich beim Infinitiv die Unempfindlichkeit gegen das Genus wesentlich als eine alte Freiheit erwies, die in vereinzelten Wendungen bis auf die heutige Zeit erhalten ist, so tritt beim Partizip neben ähnlichen Spuren alter Fügeweise 2) ein sehr aktuelles Moment gegen die Genusunterscheidung auf, die Notlage, die unsere deutsche Entwickelung gerade für dieses Gebiet mit sich gebracht hat. Wir verfügen nur über zwei Partizipialformen, an deren

1) Mit dem Adjektiv verbindet sich vairƑan auch sonst, um einen Inf. des Passivs zu ersetzen, vgl. Lukas 15, 14. Zu der Umschreibung mit wesan, sîn vgl. S. 139 ff.

2) Verbindungen wie in diesen sterbenden läuffen (D. Städtechroniken 23, 151 Anm.) zeigen deutlich, wie auch beim Partizip die Unempfindlichkeit für die syntaktische Gliederung zur Verschleierung der Genusunterschiede beiträgt, vgl. S. 124.

jeder sich eine nach Zeit und Genus engbegrenzte Bedeutung herausgebildet hat, das Participium Praesentis mit aktiver Bedeutung, das Participium Praeteriti, das bei den transitiven Verben nur passive Bedeutung besitzt. Wir haben also kein Participium Praeteriti für das Aktiv transitiver Verben und haben kein Participium Praesentis für das Passiv. In dieser Notlage greift der kühnere Sprecher, der raschere Darsteller gerne zu Mitteln, die den Dienst nur halb leisten, den er von ihnen fordert. Wo er das Praeteritum betonen will, verwendet er, wenn er Umschreibungen vermeidet, das Part. Praet. gelegentlich auch in aktivem Sinne, und wo er das Praesens hervorhebt, lässt er auch einmal ein aktives Partizip für passive Aktionsart eintreten.

Wir sehen so Altes und Neues nebeneinander und es ist nicht immer möglich, die Grenzlinie rein zu ziehen.

(1) Das Participium Praesentis.

Für passive Verwendungen des Participium Praesentis kann Grimm (S. 68) aus dem Gotischen so wenig Belege beibringen, als aus den älteren Uebersetzern 1), um so deutlicher sprechen aber Fügungen, die durch Sitte und Brauch aus älterer Zeit in spätere Perioden überführt worden sind. Hierher gehört wohl schon die fahrende Habe 2), vgl. mobilia, varanter scaz (Münchner Glossen),

1) Aus dem althochdeutschen Matthäusevangelium wäre hierher zu ziehen: in demo galidontin enti weralti, in consummationem saeculi 13, 49, vgl. Hench.

2) Grimm S. 68 macht mit Recht darauf aufmerksam, dass man dem varen hier auch intransitiven Sinn zuerkennen könnte, dass aber die Art und Weise der fahrenden Habe gegen diese Annahme spreche. Noch entschiedener wird die letztere bestritten durch die Analogie von getregide = fahrender Habe, vgl. D. W. B. 4, 1, sp. 4455. Dagegen wird man am besten auch hier von einer Unempfindlichkeit gegen Genusaktion überhaupt ausgehen.

Steinmeyer-Sievers 2, 135; inmobiles unraranta scaza, ebendort 137.

welt ir und diu muoter min
mir teilen iwer varnde habe,
so stige ich úf und ninder abe.

Wolfram, Parzival 9, 21.

diu zwei sint ére und varnde guot,

daz dicke ein ander schaden tuot.

Walther 8, 14 u. a.

Aus der mittelhochdeutschen Dichtersprache bringt Grimm einige hervorstechende Redensarten bei: ane sehendes leides han ich vil (Minnes. Frühl. 33, 5 u. a.), lebende tage (vgl. 180, 31 u. a.), klagende swaere (Barlaam 28, 31 u. a.), von sagenden dingen (Mai 157, 17 u. a.). Reichlicher strömen die Belege in der neuhochdeutschen Periode, wo die Quellen nach der stilistischen Seite mannigfaltiger sich verzweigen. Die Volkssprache, wie der Kanzleistil bevorzugen diese Wendungen, und aus beiden Stilformen werden sie in die Gemeinsprache herübergetragen. Die essende Speise tritt aus dem Bereich der fahrenden Habe hervor, ebenso wie die anziehenden Kleider 1): die almussen an essender speisse, welche verderblich, Luther (Ordnung eines gemeinen Kasten) 12, 222). Zahlreich sind die Beispiele in J. Ayrers Processus juris, vgl. in Krafft beihanden habender Commission (II, 2. cap.); und ist an E. kön. W. tragenden Ampts halben mein gebürlichs begeren, sonsten für meine Person unterthänigstes bitten ebendort u. a.

Beide Partizipien tragend und habend sind bevorzugte Träger dieses Gebrauches auch ausserhalb der Kanzlei

1) Vgl. auch zu förderst und antritt desselbigen hatt es ein auffziehend Brück. Amadis 1, 12 Keller (S. 114).

2) Vgl. auch H. U. Krafft, Reisen S. 22.

sprache: ir zeit das tragend1) kind czegeberen komen was . . nicht lang vergieng einen schönen knaben gebar (Ulmer Dekameronübersetzung 604, 11 Keller). Dazu vgl. aus tragender Freundschaft, dies tragende Mitleiden, tragende Sorgen, die am Halse tragende Kette bei Grimm s. 69. Von habend sind neben dem einfachen Partizip 2) namentlich auch Komposita belegt: bei meinem habenden Kummer, Schweinichen 3, 342; bei sich habende Tochter, Simplicissimus 3, 852 Keller. Da.. mir überhaupt an einem vollkommeneren Genusse meines Schauspiels unendlich viel liegt, ich auch mit desto grösserem Vorteil bei meinem wirklich unter Handen habenden Stück zu Werk gehen würde, Schiller (an Dalberg 24. 5. 1782), Briefe 58 Jonas; der vorhabende Fall, Lessing 2, 67 (vgl. Lehmann S. 213); die Baronesse sagte schnell zu Eduard: er möchte von dieser vorhabenden Herbstreise 3) ja nicht reden; denn gewöhnlich geschähe das nicht, worauf man sich so lange voraus freue, Goethe (Wahlverwandtschaften 1, 10), 20, 122. Ich wusste von Ihrer vorhabenden Spazierfahrt auf der Brenta, Schiller (Geisterseher) 4, 225. Garantien.. welche uns Besonnenheit und Ausbildung für vorhabende Zwecke bei unsern Vertretern verbürgen, Bismarck, Reden 1, 146 Kohl. Weniger geläufig ist anhabend (mein anhabendes ledernes Koller, Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier 1763 s. 319), während innehabend besondere Verbreitung erlangt hat (vgl. D. W. B. 4, 2, 2124). So spricht Kant von einer Störung im innehabenden Besitze, was an die habende gewere erinnert. Jetzt ist das Wort ganz auf die innehabenden Orden beschränkt.

1) Vgl. ein stillendes, säugendes Kind bei Grimm S. 69; ebenda melkende Kuh.

2) Vgl. hier den Rechtsausdruck: habende gewere; z. B. in rechter hebbenden were. Richtsteig Lehnrechts 15, 8.

3) Vgl. H. U. Krafft, Reisen: als ich.. den getrewen Gott zu meiner vorhaben de weitte raisz umb glücklichen beistand ersucht. s.6.

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