Vorrede. Wenn gleich die geschichtlichen Verhältnisse, die das vorliegende Buch darstellen möchte, so weit dieselben mit dem Leben Jesu zusammenhängen, in neuester Zeit vielfach und eingehend behandelt worden sind, so wird sich doch der Versuch rechtfertigen, die neutestamentliche Zeit auch ein Mal nach ihrem eigenen Conner und nicht blos als Hintergrund des Lebens Jesu zu beschreiben. Dazu liegt es in der Absicht dieser Darstellung, sich dann weiterhin über die Zeit der Apostel und die nachapostolische Zeit zu verbreiten, welche bis jest weniger berücksichtigt worden ist. Was wir die heilige Geschichte nennen, ist die Darstellung der höchsten Spißen eines breiteren geschichtlichen Lebens. Die des alten Testamentes wird von jeher im Zusammenhang der israelitischen Geschichte abgehandelt. Wenn dagegen erst Dr. Mth. Schneckenburger den Versuch gemacht hat, eine zusammenhängende Darstellung aller derjenigen geschichtlichen Zustände zu geben, die die Vorausseßung der neutestamentlichen Geschichte und Literatur bilden, so liegt das an dem disparaten Charakter des Stoffs. Die neutestamentliche Geschichte ist nämlich keineswegs, wie die alttestamentliche, Glied einer einzigen nationalen Entwickelung, sondern sie spielt sich Es handelt sich dabei in keiner Weise um den nichtigen der wirklichen Geschichte und unter den lebendigsten Wechselwirkungen mit den gegebenen Zeitverhältnissen entwickelt, wenn auch wir uns gewöhnt haben, sie losgelöst von ihrem ursprünglichen Zusammenhang, als einen über alle historischen Begebenheiten, wie über das Leben des damaligen Geschlechts wegschreitenden Gang der göttlichen Offenbarung zu betrachten. So erwächst uns denn die Aufgabe, diese neutestamentliche Geschichte wieder einzugliedern in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, in dem sie stand, als sie Gegenwart war; sie zu betrachten, zwar nicht als Product, wohl aber als Theil eines allgemeineren historischen Processes; sie darzustellen, wie die Mithandelnden sie erlebten, vermischt und verworren mit durchaus profanen Ereignissen. In dieser Fassung der Aufgabe nun liegt eine doppelte Beschränkung. Nicht Alles, was in den zwei Jahrhunderten sich zutrug, die wir mit dem Namen der neutestamentlichen Zeit bezeichnen, kann Gegenstand unserer Betrachtung sein, sondern nur das, was mit der neutestamentlichen Geschichte in Beziehung steht. Auch diese aber ist nicht an und für sich das Object, das wir beschreiben, sondern nur mit ihrer zeitgeschichtlichen Seite haben wir es zu thun. Die Geschichte des sittlichen und religiösen Processes, d. h. die Heilsgeschichte liegt außerhalb unserer Aufgabe. Nehmen wir ein Beispiel. Jesus hat eine weltgeschichtliche Bedeutung, die sich in der Geschichte von achtzehn Jahrhunderten offenbart, er hat eine heilsgeschichtliche Stellung, die Millionen Herzen kennen, eben so aber hatte er für die Zeit, von der wir handeln, auch eine zeitgeschichtliche Stellung, die nur dem damaligen Geschlechte galt. Im Zusammenhang unserer Aufgabe nun haben wir ihn nicht als der Welt Heiland, nicht als der Herzen Seligmacher, sondern als den Unterthanen des Antipas, als den X Gegner der Rabbinen, als den Angeklagten des Synedriums zu betrachten. Daß auch diese Seite des Gegenstands ein Interesse beanspruchen darf, wird Niemand beabreden. Ein solcher Versuch verhält sich nun freilich von Haus aus ablehnend gegen die magische wie gegen die mythische Ableitung des Christenthums. Für die poetische Welt der religiösen Sage ist innerhalb einer rein historischen Darstellung kein Raum; ihre Gebilde verbleichen vor einem geschichtlich hellen Hintergrund. Je schärfer die Umrisse der irdischen Dinge erkennbar werden, um so weniger haben dazwischen gute und böse Engel Plaz. Aber auch jene Auffassung, die das concrete Leben der neutestamentlichen Geschichte als mythische Phantasiegebilde einer späteren Zeit auffaßt, findet dabei nicht ihre Rechnung. Wenn wir die heilige Geschichte als Bruchstück einer allgemeinen Geschichte nachweisen und zeigen können, wie die Ränder passen, wenn wir die abgerissenen Fäden, die sie mit der profanen Welt verbanden, wieder aufzufinden vermögen, dann ist die Meinung ausgeschlossen, diese Geschichte sei der schöne Traum eines späteren Geschlechts gewesen. An Material zur Lösung dieser Aufgabe fehlt es nicht. Wie die Dinge von oben her sich ausnahmen, konnte Josephus im Palais der Flavier am Septizonium am besten beschreiben. Wie der gemeine Mann sie empfand, geht aus den Aeußerungen der ersten christlichen Gemeinden hervor. Die Aufgabe ist daher, die durch Josephus geschilderten Zustände mit den Augen der Evangelien zu sehen und aus ihren Erfahrungen zu ergänzen, die Erzählungen der Evangelien aber im Zusammenhang der von Josephus gezeichneten geschichtlichen Verhältnisse zu verstehen. Soweit der Fluß der Erzählung es irgend gestattete, ist es dabei die Absicht des Verfassers gewesen, die Quellen selbst reden zu lassen. Die Aufgabe, wie der Verfasser sich dieselbe gestellt, ist ihrer Natur nach eine positive. Nicht nur werden, geschichtlich genommen, die Thatsachen fester begründet, indem man sie im Zusammenhang historisch sicherer Daten begreift, sondern die Bilder der heiligen Geschichte heben sich auch in schärferen Umrissen heraus, wenn wir den blassen Hintergrund der Zeitverhältnisse mit den satteren Farben ausmalen, die vor Allem Josephus an die Hand gibt. Eine Freude an negativen Resultaten wird Niemand in diesem Buche verspüren. Dem Auge des Verfassers pflegen sich die negativen Bilder der Kritik sofort wieder positiv zu beschlagen; vielleicht oft nur zu schnell. Jedenfalls hat ihm die Kritik nur als Berichtigung Werth, als Negation gar keinen. Das wird nicht hindern, daß die Seite, die den Fleiß und die sauere Arbeit unserer theologischen Richtung überhaupt nur als die Zähigkeit begreift, mit der die Sünde an sich selber hängt, oder höchstens als einen hißigen Wettlauf der Eitelkeiten, die Schale ihres Zorns auch über dieses Buch ausgießen wird. Man verkennt dort, daß die dermalige wissenschaftliche Lage nicht das willkürliche Product einiger wenigen Individuen ist, und daß sich an derselben nichts ändern wird, wenn man sich bemüht, einigen Theologen das Leben sauer zu machen. Die Theologie ihrerseits hat diese Lage gar nicht geschaffen. Zu der genaueren Kenntniß der Zeit und Heimath des Urchristenthums haben Orientalisten, classische Philologen und Palästinareisende die werthvollsten Beiträge geliefert, und so ist es gekommen, daß jezt Vieles im Zusammenhang zeitgeschichtlicher Vorstellungen und Verhältnisse sich darstellt, was vordem als specifische Offenbarung gegolten hat. Was |