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des unbedingten Ganzen zu sehen wünsche und seine falschen Griffe durch den Vorwand einer unbezwinglichen Originalität und Selbständigkeit beschönige, so ist diese Betrachtung sicher aus dem Rückblick auf diese maßlosen Irrungen und Ueberstürzungen der Sturmund Drangperiode hervorgegangen.

Fast dünkt es uns unbegreiflich, wie es jemals eine Zeitstimmung geben konnte, in welcher so durchaus verschiedenartige Naturen und Richtungen, wie Herder, Goethe, Lavater, JungStilling, Claudius, die Grafen Stolberg, Friedrich Jacobi, Heinse, Lenz, Klinger, und alle die Anderen, welche gewöhnlich als die Vorkämpfer und Vertreter der deutschen Sturm- und Drangperiode genannt werden, arglos nebeneinander standen, ja sich zu innigster Freundschaft und Strebensgemeinsamkeit zusammenschlossen; Goethe selbst hat später über dieses wunderliche Durcheinander bitter gespottet. Aber alle diese jungen Feuergeister, welche feindlich auseinanderstoben und sich in die entgegengesetztesten Parteilager spalteten, als das Werk der Verneinung vollendet war und der Neubau begann, waren in ihrem ersten Ringen und Kämpfen innig eins in dem begeisterten Gefühl, daß, wie sich Jacobi ausdrückt, diese Zeit ein feierliches Ringen zwischen Untergang und Aufgang, zwischen dem Ende einer alten und dem Anfang einer neuen Zeit sei.

Treffend hat man die Sturm- und Drangperiode das deutsche Gegenbild der französischen Revolution genannt. Es ist ungeschichtlich, wenn man, wie es grade neuerdings wieder vielfach geschehen ist, die Sturm- und Drangperiode nur als Abfall von der Höhe der bereits errungenen Bildung, nur als bedauerliche Trübung der großen Aufklärungsziele des achtzehnten Jahrhunderts betrachtet. Die winterliche Eisdecke der alten Satzungen brach; überall Ver= jüngung und Erlösung, Frühlingsluft, Phantasie und Jugendfrische. Aber es war eine Frage auf Leben und Tod, ob sich der gährende Most klären, ob der Kern des neuen gesteigerten und vertieften Lebensideals die trübenden Schlacken von sich abstoßen, ob sich der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen schrankenlosem Unendlichkeitsgefühl und beschränkter Endlichkeit, zwischen der Sophistik des eigen

süchtigen Herzens und den unverbrüchlichen Grundlagen und Gesezen der Wirklichkeit, oder, wie man sich wohl auch auszudrücken pflegt, der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen Ideal und Leben, zwischen Herz und Welt, zu innerer Versöhnung und Selbstbefriedigung, zu Ruhe und Gleichgewicht befreien werde.

Nicht Alle, die den Thyrsus schwingen, sind des Gottes voll. Ein großer Theil dieser Stürmer und Dränger hat sich niemals aus der unklaren Gefühlsüberschwenglichkeit, aus der krankhaften Ueberspannung und Ueberreiztheit zu erheben vermocht. Viele haben sie durch Wahnsinn oder frühzeitigen Untergang gebüßt. Noch die Kränklichkeiten der sogenannten romantischen Dichterschule mit ihren religiösen und politischen Nachwirkungen haben in der Sturm- und Drangperiode ihre Wurzel.

Jedoch den Großen und Auserwählten gelang es, sich aus diesen Klippen und Fährlichkeiten sicher herauszuarbeiten.

Dies ist die zweite große Entwicklungsstufe und der Abschluß dieser gewaltigen Kämpfe. Jene Großen und Auserwählten sind dadurch die unsterblichen Schöpfer des großen klassischen Zeitalters der deutschen Literatur und Bildung geworden.

Ursprung und Wesen dieser entscheidenden Wendung sich zu klarer Einsicht bringen, heißt sich über die Größe und die Schwäche unserer größten deutschen Bildungsepoche Rechenschaft ablegen.

Wissenschaftlich wurde die Läuterung durch Kant vollzogen. Im Jahr 1781 erschien die Kritik der reinen Vernunft, die Untersuchung und Begrenzung des menschlichen Erkenntnißvermögens, deren Grundzüge Kant bereits 1766 in der geistvollen Schrift über die Träume eines Geisterschers angedeutet und vorgezeichnet hatte. Es war der Todesstoß der eitlen Glaubens- und Gefühlsphilosophie, die dem Forschen und Denken die Träume und Phantasien des Herzens unterschob. Und für die nächste Zeit noch unmittelbarer griff die Kant'sche Sittenlehre ein. Man pflegt meist zu erzählen, Kant habe gar keinen Antheil an den Bewegungen der gleichzeitigen deutschen Dichtung genommen; die geschichtliche Wahrheit ist, daß

seine Sittenlehre ganz ausdrücklich gegen deren Thorheit und Krankheit gerichtet war. Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturmund Drangperiode, wenn Kant in der Kritik der Urtheilskraft sagt: ,Da die Originalität des Talents ein wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht, so glauben seichte Köpfe, daß sie nicht besser zeigen können, sie wären aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen, und glauben, man paradire besser auf einem kollerichten Pferde als auf einem Schulpferde." Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode, wenn es in der Kritik der praktischen Vernunft heißt, es sei Steigerung des Eigendünkels und eine windige überfliegende phantastische Denkungsart, wenn man sich nur immer mit der Gutartigkeit des Gemüths, das weder Sporn noch Zügel bedürfe und für welches gar nicht einmal ein Gebot nöthig sei, schmeichle und darüber seine Pflicht und Schuldigkeit vergesse; solche Gesin= nung sei nicht Sittlichkeit, sondern nur eigenwillige Tändelei mit pathologischen Antrieben; und es komme darauf an, diese ihre Grenzen verkennende Eitelkeit und Eigenliebe zu den Schranken der Demuth, d. h. der Selbsterkenntniß zurückzuführen. Und unver= kennbar geht es auf Werther, was ebenfalls in der Kritik der praktischen Vernunft gesagt wird: Leere Wünsche und Sehnsuchten nach unersteiglicher Vollkommenheit bringen nur Romanhelden hervor, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das überschwenglich Große viel zu gute thun, sich dafür von der Beobachtung der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdann ihnen nur unbedeutend klein. scheint, freisprechen." Daher der scharfe Gegensatz Kant's gegen die herrschende eudämonistische Sittenlehre, die nur Wohlbehagen und Glückseligkeit kannte und sich in Wieland sogar bis zum leersten Epicuräismus verirrt hatte; daher sein scharfes Dringen auf das Sollen der Pflicht, auf das Handeln um des Gesezes willen. Und ist es auch unstreitbar, daß Kant, der völlig Leidenschaftslose, der bereits im hohen Alter Stehende, auch seinerseits nicht frei blieb von Einseitigkeit und Uebertreibung, so daß Schiller, der begeisterte Anhänger Kant's, grade gegen diese mürrische Möncherei

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und Entsagung tiefen und berechtigten Kampf führte, so war doch die Einwirkung Kant's auch nach der sittlichen Seite hin eine wahrhaft unermeßliche. Sokrates unter den Sophisten.

Und noch unmittelbarer und tiefgreifender wirkte das großartig fortschreitende Leben und Schaffen Goethe's und Schiller's, der beiden großen Dichterheroen.

Je leidenschaftlicher und ungestümer das Jugendleben Goethe's von dem Kampf und Widerspruch zwischen dem überschwellenden Unendlichkeitsgefühl des heißblütigen Herzens und der undurchbrechbaren Enge der Wirklichkeit bewegt und durchglüht war, um so mehr wurde ihm die zunehmende Lebenserfahrung und der Eintritt in bedeutende Weltverhältnisse der Grund ernster Selbstprüfung und Selbstbesinnung. Die ersten Jahre in Weimar beginnen diese Entwicklung, die italienische Reise bringt sie zum Abschluß. Der dunkle Drang, den vollen und ganzen Menschen aus sich herauszubilden, begrenzte und vertiefte sich zu einer umfassenden Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung, wie kein anderer Mensch sie jemals erreicht hat, und zugleich zu einer sittlichen Maßbeschränkung und inneren Harmonie, zu einer Sophrosyne und Kalokagathie im schönen antiken Sinne des Wortes, die ihn, was die unverständige Menge auch jagen mag, zu einem der Größten und Weisesten aller Menschen, zu einem Urbild und Vorbild schönsten und reinsten Menschenseins macht. Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet." Die Fortbildung und Versöhnung des Werther ist Tasso und Wilhelm Meister. Der willenskräftige und flar bewußte Künstler seines Lebens wird auf der heiteren und flaren Höhe seines sittlichen Ideals der Dichter der modernen Bildungskämpfe und, wie er sich gern selbst nennt, der Dichter der Herzensirrungen. Goethe kommt Shakespeare nicht gleich an fester Sicherheit und elementarer Kraft des dichterischen Gestaltens; aber an Tiefe und Weite des geistigen Gehalts, an Hoheit und Reinheit des Seelenlebens überragt er ihn, wie die neue deutsche Philosophie die Philosophie Bacon's überragt.

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Aehnlich die Entwicklung Schiller's. Was für Goethe die

bedeutende äußere Lebensstellung, die Anschauung der alten Kunst, die erziehende Kraft Italiens war, das wurde für Schiller das Studium der alten Dichter, besonders Homers und der Tragiker, das Studium der Geschichte, das Studium Kant's. Das Ergebniß war dieselbe innere Vertiefung und Begrenzung, dasselbe hohe und reine Menschheitsideal.

Daher fortan das tiefe und innige, in der gesammten Geschichte beispiellose Freundschaftsbündniß Beider. Es war der Gewinn und der Ausdruck der innigsten Gesinnungseinheit und Strebensgemeinschaft.

Es giebt eine bedeutungsvolle Sage des Alterthums, daß die wilden Titanen gestürzt wurden und den heiteren Göttern des Lichtes und der Ordnung weichen mußten. Die jungen Dichtertitanen hatten diesen schweren Kampf in sich selbst durchgekämpft. Die Besiegten waren zugleich die Sieger.

Goethe und Schiller sind nicht blos die dichterischen Befreier der Deutschen, sondern weit mehr noch die sittlichen. Die Ueberwindung der Sturm- und Drangperiode war die Zügelung der entfesselten dunklen Gemüthsmächte zu freier Selbstbeherrschung, der Uebergang von der Sophistik zur Sophrosyne, von der Freigeisterei der Leidenschaft zur versöhnten und in sich befriedigten Besonnenheit. Indem diese Dichter sich selbst erzogen, haben sie die Menschheit erzogen. Und ist vielleicht, wie es Menschenschicksal ist, die eigene Persönlichkeit zuweilen hinter diesem höchsten Ziel zurückgeblieben, der Begriff des reinen und freien Menschenthums war wiedererobert. Die Natur, welche Rousseau und die jungen Stürmer und Dränger so nachdrücklich gewollt und erstrebt hatten, ist gerettet; aber nicht die rohe und ungebärdig selbstsüchtige, sondern die geläuterte, die mit Freiheit sich selbst beherrschende, die mit den Gesegen und Forderungen der sittlichen Vernunft übereinstimmende. Die Einseitigkeit des Zeitalters der Aufklärung und die Einseitigkeit der Sturm- und Drangperiode sind in einer höheren gemeinsamen Einheit versöhnt.

Es war die Eroberung des hehren Ideals vollendeter Bil

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