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anschauung hingab, welche vom entschiedenen Pantheismus nicht weit entfernt war, so sehr er sich auch noch scheute, dies verfehmte Wort offen auszusprechen. Bayle's Wörterbuch, das in die Bildungsgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts so tief eingreifende, wurde auch ihm ein fleißig benüßtes Nachschlagebuch; und es ist höchst bedeutsam, aus jenen Straßburger Studienheften zu ersehen, wie warm er sich des pantheistischen Giordano Bruno gegen die Einwürfe Bayle's annimmt. Ja, schon steht Goethe nicht an, die inhaltsschwere Aeußerung zu thun, daß es völlig verkehrt sei, Denker, die Gott und Welt als von einander untrennbar bezeichnen, der Verkehrtheit zu zeihen; man könne Gott und Natur ebensowenig von einander getrennt denken wie Leib und Seele; Alles, was ist, müsse nothwendig zum Wesen Gottes gehören, weil Gott das einzig Wirkliche sei und Alles umfasse. Wie begreiflich also, daß Goethe, als er einige Jahre nachher durch Jacobi in die Welt Spinoza's eingeführt wurde, aus dieser sogleich die reichste Nahrung zu ziehen verstand!

Und es fehlt ein sehr erheblicher und wirksamer Zug in der Fülle und Tiefe dieser Straßburger Eindrücke und Bestrebungen, beachtet man nicht zugleich auch scharf und eingehend die gewaltige Macht, mit welcher Rousseau, wie damals alle jungen Gemüther, so auch das rastlose Bildungsstreben Goethe's beherrschte. Goethe hat in Wahrheit und Dichtung diesen Einfluß nicht genügend hervorgehoben, wenn er nur ganz kurz und flüchtig berichtet, Rousseau habe ihm wahrhaft zugesagt. Nicht nur, daß jene Studienhefte zustimmende Auszüge aus Rousseau bieten; es ist auch ganz unverkennbar, daß Goethes's Straßburger Doctordissertation, welche die Nothwendigkeit einer einheitlichen allgemeinverbindlichen öffent= lichen Staatsreligion durchzuführen versuchte, unmittelbar auf die gleichlautenden Schlußfäße des Contrat social gebaut ist. Ebenso enthält der „Brief eines Landgeistlichen", dessen Abfassung bereits in diese Zeit fällt, deutlich Rousseau'sche Anklänge. Wir wissen, wie Kestner, als er Goethe in Wezlar kennen lernte, denselben ausdrücklich als einen, wenn auch nicht blinden, Anhänger Rousseau's

bezeichnet. Und wie wäre es auch anders möglich gewesen, da ja Herder damals noch ganz und gar in seinem Rousseau lebte und webte und gewiß nicht versäumt hat ausführlich darzulegen, wie seine Ansichten über das Wesen der Dichtung und seine Untersuchungen über den Ursprung der Sprache, welche er seinem jungen Freunde stückweise vortrug, mit den Anschauungen und Gesinnungen Rousseau's in innigster Uebereinstimmung seien! Schon in Straßburg sann Goethe auf die Dramatisirung des Göz von Berlichingen und schon jetzt klang und summte in ihm gar vieltönig die bedeutende Puppenspielfabel des Doctor Faust, welcher in allem Wissen sich heiß umhertreibt und zuletzt doch am Wissen verzweifelt. Wenn Goethe in Wahrheit und Dichtung erzählt, daß es in Göz die Gestalt eines rohen wohlmeinenden Selbsthelfers in wilder anarchischer Zeit war, welche seinen tiefsten Antheil erregte, so ist klar, daß wir bei Göz nicht blos an Shakespeare, sondern nicht minder an Rousseau zu denken haben. Und das stürmende zornmüthige Kämpfen Faust's gegen alles todte Buchstabenwesen, sein ungestümes Drängen nach der freien Entfaltung der vollen und ganzen Menschennatur, nach Entfesselung der Leidenschaft und Thatkraft von allen hemmenden Schranken eitler Aeußerlichkeit, was ist es, wenn nicht die schöpferische Umbildung und Fortbildung der fruchtbaren Keime, welche Rousseau in die Brust des jungen Dichters gelegt, freilich die unendlich vertiefte und urkräftig eigenartige?

All sein Kämpfen und Ringen war noch zu unruhig und in sich unfertig, als daß es schon jezt zu bedeutender Kunstschöpfung hätte gelangen können. Das alte Kleid war abgeworfen, und in das neue war der junge Dichter noch nicht hineingewachsen.

Wir haben aus dieser Zeit nur die Lieder an Friderike. Es ist dem Dichter nicht immer gelungen, das blos Persönliche und Augenblickliche leidenschaftlicher Verstrickung zu allgemein menschlicher Bedeutung zu steigern; aber überall frisches und ursprüngliches Quellen aus dem tiefsten Innern und infolge der mächtigen Einwirkung des Volksliedes klar bewußtes Streben nach ächter Liedmäßigkeit. Lieder wie das liebliche Lied Kleine Blumen, kleine

Blätter" und das tief innige „Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!" gehören zu den ächtesten Perlen Goethe'scher Lyrik.

Doch trug sich Goethe auch jezt schon viel mit dramatischen Plänen.

Neben Göz und Faust lag ihm besonders eine Cäsartragödie am Herzen. Die Art derselben ist überaus bezeichnend. Man ersieht aus den vorhandenen Aufzeichnungen deutlich, daß es auch hier, ebenso wie im Göz, nach der unter all den jungen Dichtern dieses Zeitalters herrschenden Auffassung der Kompositionsweise Shakespeare's, nicht auf Einheit der Handlung, nicht auf festen tragischen Gegensaß, wie dieser in Shakespeare's Julius Cäsar in so vollendeter Großartigkeit vorlag, abgesehen war, sondern nur auf Einheit der Person, auf eine dramatisirte Lebensgeschichte Cäsar's von seinem ersten herrlichen Aufgang bis zu jenem jähen tragischen Untergang. Das Eigenthümlichste aber war die Auffassung des Charakterbilds selbst. Cäsar war als Kraftgenie neusten Stils ge= dacht; seine eigenste persönliche Erscheinung, seine geheimsten Lebensansichten suchte der junge Dichter in die Gestalt seines Helden zu legen. Sulla jagt von Cäsar: „Es ist was Verfluchtes, wenn so ein Junge neben einem aufwächst, von dem man in allen Gliedern spürt, daß er einem über den Kopf wachsen wird." Und ein an= deres Mal: „Es ist ein Safermentskerl! Er kann so zur rechten Zeit respectuos und stillschweigend dastehen und horchen und zur rechten Zeit die Augen niederschlagen und bedeutend mit dem Kopfe nicken." Dann folgende Scene: Cäsar: „Du weißt, ich bin Alles gleich müde, und das Lob am ersten und die Nachgiebigkeit. Ja, Servius, um ein braver Mann zu werden und zu bleiben, wünsch ich mir bis ans Ende große ehrenwerthe Feinde." Servius niest. Cäsar: „Glück zu, Augur! Ich danke Dir.“

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Und aus einem Briefe Goethe's an Herder (Weimarer Ausgabe Nr. 85) erfahren wir, daß er um diese Zeit auch den Vorjah hatte, das Leben des Sokrates zu dramatisiren. Wie Göz ein Held der mannhaften That war, so sollte Sokrates dargestellt werden als „der philosophische Heldengeist“, als der unerbittliche

Verfolger „aller Lügen und Laster, besonders derer, die keine scheinen wollen", als der Kämpfer gegen „das pharisäische Philister=" thum“. „Ich brauche Zeit“, sezt Goethe hinzu, „das zum Gefühl zu entwickeln. Und dann weiß ich doch nicht, ob ich mich von dem Dienste des Gözenbildes, das Plato bemalt und verguldet, dem Xenophon räuchert, zu der wahren Religion hinaufschwingen kann, der statt des Heiligen ein großer Mensch erscheint, den ich nur mit Liebenthusiasmus an meine Brust drücke und rufe: „Mein Freund und mein Bruder! Und das mit Zuversicht zu einem großen Menschen sagen zu dürfen! Wär ich einen Tag und eine Nacht Alcibiades, und dann wollt ich sterben!"

Es ist ein wunderbares Gefühl in solche Größe zu schauen, die sich mit den gewaltigsten Ahnungen trägt und sich und Anderen noch ein unauflösbares Räthsel ist!

Tiefrührend schreibt Goethe, kurz nach seiner Rückkehr in's Vaterhaus, an seinen alten Straßburger Freund, Aktuar Salzmann: „Was ich mache, ist nichts! Desto schlimmer! Wie gewöhnlich mehr gedacht als gethan; deswegen wird auch nicht viel aus mir werden!" In einem anderen Briefe aber vom 3. Februar 1772, in welchem er demselben alten Freunde eine Bearbeitung des Göz schickt, spricht er das beglückte Gefühl aus, daß, obgleich die Jugendunreise sich nicht überspringen lasse, er doch freudig gewahre, wie die Intentionen seiner Seele immer dauernder und bestimmter würden und wie seine Ansichten sich täglich erweiterten. Und noch heller spiegelt sich dies ringende zwiespältige Wesen Goethe's in den Aeußerungen Herder's. Wie oft verspottet Herder den geistspru= delnden, übermüthig kecken, liebenswürdigen, offen zuthulichen Gesellen, der sich allen augenblicklichsten Launen und Einfällen rück= haltslos hingab, und den daher die Freunde des Straßburger Kreises wohl auch den „närrischen“ Goethe zu nennen pflegten, ob seines „spechtischen“ und „spaßenmäßigen“ Wesens; und wie fest glaubt er troy aller dieser Neckereien an die Zukunft Goethe's ! In den Schlußworten seiner Abhandlung über Shakespeare ruft Herder dem damals der Welt noch völlig unbekannten Jüngling

öffentlich zu, er, den er vor Shakespeare's heiligem Bilde mehr als einmal umarmt habe, möge von seinem edlen Streben nicht ablassen, bis der Kranz erreicht sei.

Von Mitte Mai bis zum 11. September 1772 lebte der dreiundzwanzigjährige Jüngling in Wezlar. Kestner sagt treffend: nach seines Vaters Absicht, um am Reichskammergericht sich in der Praris umzusehen, nach der seinigen, um Homer und Pindar zu studieren und was sein Genie, seine Denkungsart und sein Herz ihm weiter für Beschäftigungen eingeben würden.

Dieser Aufenthalt in Weylar nimmt in der Bildungsgeschichte Goethe's eine sehr bedeutende Stelle ein. Das Abspringende und Zerfahrene, das so oft der Fehler grade der genialsten Jugend ist und das Herder offenbar meinte, wenn er von dem Specht- und Spazenhaften Goethe's sprach, empfand sich in seiner Unzulänglichkeit und begann sich zu sammeln und zu vertiefen.

Michael Bernays hat in seinem trefflichen Buch über Goethe's Briefe an Friedrich August Wolf (1868. S. 122) eine aus dieser Weglarer Zeit stammende Uebersetzung der fünften Olympischen Ode mitgetheilt. Besonders denkwürdig aber ist ein Brief, welchen Goethe im Juli von Wezlar aus an Herder schrieb. Er erzählt von dem gährenden Durcheinander seines stürmenden Herzens, das zwischen Muth und Hoffnung und Furcht und Ruh rastlos auf und abwogt, und er erzählt von seinem Lesen der Alten, das sich zuerst auf Homer eingeschränkt habe, dann wegen der beabsichtigten Sokratestragödie zu Xenophon und Plato übergegangen und zulet an Theokrit und Anakreon und an Pindar gerathen sei. Darauf heißt es in diesem Brief weiter: „Auch hat mir endlich der gute Geist den Grund meines spechtischen Wesens entdeckt. Ueber den Borten inbar's ἐπικρατεῖν δύνασθαι (erlangen fönnen) ift es mir aufgegangen. Wenn Du kühn im Wagen stehst und vier neue Pferde wild unordentlich sich an Deinen Zügeln bäumen, Du ihre Kraft lenkst, den austretenden herbei-, den aufbäumenden hinabpeit= schest, und jagst und lenkst, und wendest, peitschest, hältst, und wieder ausjagst, bis alle sechzehn Füße in Einem Tact ans Ziel tragen

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