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Je gewaltiger die Herrlichkeit dieser Dichtung in den Gemüthern zündete, um so verhängnißvoller wirkten die Mängel. Jene verderbliche Irrlehre, welche sich die gesammte junge Dichterschule der Sturm und Drangperiode aus dem verlockenden Vorbild der eng= lischen Historien Shakespeare's gezogen, daß, wie die Einheit des Orts und der Zeit, so auch die Einheit der Handlung nur eine ganz willkürliche und darum verwerfliche Beschränkung des Genius sei, wäre sicher nicht so allgemein und so nachhaltig zur Geltung gekommen, hätte ihr nicht Goethe mit seinem Göz so wirksamen Nachdruck gegeben. Lessing war völlig im Recht, wenn er diese tumultuarische Ueberstürzung nur als anmaßliche Unreife, nur als schnöden und gefährlichen Abfall von den unvergänglichsten Errungenschaften seiner großen dramatischen und dramaturgischen Befreiungskämpfe betrachtete. Treibt doch selbst heut der dilettantische Wahn, als sei das historische Drama dem unumstößlichsten dramatischen Grundgesez, der Forderung fest in sich geschlossener Einheit der Handlung enthoben, noch immer sein klägliches Wesen!

Clavigo.

Es war ein sehr überraschender Abstand, als unmittelbar auf Göz, im Frühjahr 1774, Clavigo folgte. Dort Alles so neu, so wild und tumultuarisch; hier Alles in den bescheidenen Grenzen des bürgerlichen Trauerspiels, für welche Lessing so eben in Emilia Galotti ein glänzendes Vorbild gegeben. Nicht blos die Gegner jubelten, Goethe sei noch lange nicht der Wundermann, für den man ihn fälschlich gehalten, sondern selbst Goethe's treuer und fürsorglicher Freund Merck hatte für Clavigo nur Härte, höchstens Entschuldigung.

Gleichwohl steht künstlerisch Clavigo weit höher als Göz. Ja Clavigo ist in der Geschichte des deutschen Dramas epochemachend.

Der Stoff ist den Denkwürdigkeiten von Beaumarchais entlehnt; aber das Grundmotiv, in welchem die entscheidende Bedeutung dieser

Tragödie liegt, ist einzig und allein Goethe angehörig. Beaumarchais erzählt in dem Tagebuch seiner spanischen Reise die Geschichte Clavigo's lediglich in der Absicht, um sich gegen die gehässige Anklage zu vertheidigen, als sei sein gewaltsamer Ueberfall nur die Erzwingung eines Heirathsversprechens oder gar nur eine gemeine Gelderpressung gewesen. Nicht auf die Herzensgeschichte zwischen Clavigo und Marie, sondern auf den Ehrenhandel zwischen Clavigo und Beaumarchais, auf Clavigo's feige Zweizüngigkeit und hinterhaltige Ränkesucht, und auf die Genugthuung, welche Beaumarchais endlich von der spanischen Regierung erhält, wird das Gewicht gelegt. Clavigo erscheint als verächtlicher Schurke; über das Mädchen und dessen legtes Schicksal bleiben wir ohne Kunde; der Hauptheld ist Beaumarchais, der aus all den Schlingen, mit welchen man ihn umstrickt, siegreich hervorgeht. Goethe dagegen, mit dem nagenden Wurm im Herzen, den seine schuldvolle Untreue gegen Friderike von Sesenheim in ihm zurückgelassen, erhob Clavigo zum Helden und stellte in diesem den tiefen Kampf dar, welcher im lebendigen Angedenken an die unglückliche Jugendgeliebte noch immer stürmisch in ihm auf- und abwogte.

„Mein Held", schreibt Goethe am 1. Juni 1774 an Schönborn, einen Literaturfreund aus den Klopstock'schen Kreisen, der damals als dänischer Consulatssekretär in Algier lebte, ist ein unbestimmter, halb großer halb kleiner Mensch, der Pendant zum Weislingen im Göz, vielmehr Weislingen selbst in der ganzen Rundheit einer Hauptperson; auch finden sich hier Scenen, die ich im Göz, um das Hauptinteresse nicht zu schwächen, nur andeuten konnte".

Clavigo durchkämpft den schweren Kampf zwischen der Forderung der Selbsterhaltung und unverkümmerten Entwicklung, und zwischen der Pflicht der angelobten Treue, deren Verlegung der armen Verlassenen das Herz bricht. Mit großer Kunst hat der Dichter diese innere Zwiespältigkeit des Helden an zwei selbständige gesonderte Persönlichkeiten vertheilt; nur so konnte sich der lyrische Monolog zum dramatischen Dialog, das schwankende Hin und Her

der Gründe und Gegengründe zu greifbarem plastischem Leben ge= stalten. Clavigo spricht die Sprache des Herzens, sein Freund Carlos die Sprache des weltklugen Verstandes. Carlos, zu welchem offenbar Merck die hervorstechendsten Züge geliehen, ist einer der meisterhaftesten Charaktere, die Goethe geschaffen. Wohl erinnert er an Marinelli; aber der Unterschied ist, daß er nicht ein feiler Intriguant ist wie dieser, sondern berechtigte Zwecke verfolgt, wenn auch herzlos und gewissenlos in der Wahl der Mittel. Clavigo verläßt die Geliebte. Marie siecht dahin in Liebesgram. Beaumarchais, ihr Bruder, übernimmt die Rache des verlegten Familiengeistes. Neues Schwanken Clavigo's, dessen Herz aufs tiefste er= griffen wird, da er die schrecklichen Folgen seiner Unthat gewahrt. Erneutes Aufstacheln von Seiten des Freundes Carlos, der den Freund vor der Wiederaufnahme des alten Verhältnisses zu behüten sucht, in welchem er von seinem Standpunkt aus nur einen „dummen Streich" erblickt. Rückkehr Clavigo's zu Marie. In der Seele Clavigo's nur vertieftes Gefühl der Entfremdung und auf Grund dieses Gefühls erneuerter Abfall. Die Folgen der Schuld treten verderblich zu Tage, Um Beaumarchais unschädlich zu machen, muß Clavigo abscheulichen Verrath spinnen; Marie stirbt an gebrochenem Herzen. Zweikampf zwischen Clavigo und Beaumarchais. Tod Clavigo's.

Wenn man gesagt hat, daß ein Zurückgehen auf Lessing ein Fortschreiten sei, so gilt dies von Goethe's Clavigo im wörtlichsten Sinn. An die Stelle der völlig undramatischen Kompositionsweise des Göz, der, weil er nur die Einheit der Person, nicht die für jedes Drama unerläßliche Einheit der Handlung hat, nicht sowohl ein Drama als vielmehr nur eine dramatisirte Biographie ist, sett die Clavigotragödie wieder die ächt dramatische Einheit der Handlung, den fest und straff gegeneinandergespannten dramatischen Kampf und Gegensatz. Zugleich aber ist die Clavigotragödie ein sehr bedeutsames und tief eingreifendes Hinausgehen über die Schranken der Lessing'schen Tragik. Unter allen deutschen Dramen wird in der Clavigotragödie zuerst wieder das eigenste Lebensgeheimniß

Shakespeare'scher Tragik, der Begriff der tragischen Schuld und deren nothwendige Ableitung aus dem Charakter des Helden, wiederentdeckt und künstlerisch verwirklicht. Emilia Galotti ist Intriguen= tragödie, Clavigo ist in ächt Shakespeare'scher Art Charaktertragödie. In Emilia Galotti wird die Verwicklung rein äußerlich und zufällig durch das Anstiften oder wenigstens durch die dienstfertige Mithilfe eines böswilligen Intriguanten herbeigeführt; die Katastrophe ist daher peinigend, die Tugend unterliegt und das Laster triumphirt oder geht doch sehr leichten Kaufes aus. In Clavigo entspringt die Verwicklung aus der tragischen Schuld des Helden selbst; die Katastrophe ist daher in ächt tragischem Sinn erhebend und reinigend, der Untergang des Helden ist die Bestätigung und die Sühne der gestörten sittlichen Weltordnung.

Und mit sicherem Kunstgefühl hatte der junge Dichter nicht blos erkannt, daß die moderne Tragödie ihrem innersten Wesen nach Charaktertragödie sein müsse, sondern auch, daß sie um so tiefer und reiner sei, je mehr die tragische Schuld des Helden in sich selbst Berechtigung habe und nur erst dadurch zur Schuld werde, daß sich ein an und für sich Berechtigtes einseitig auf Kosten und mit Verlegung anderer berechtigter sittlicher Mächte und Forderungen geltend machen und durchsetzen will. Das Aristotelische Gesetz, daß keine der dargestellten Hauptpersonen niedrig schlecht sein dürfe, hat lediglich den Grund, daß die Tragödie nicht ein Kampf der Tugend mit dem Laster, sondern der Kampf zweier berechtigter, ja möglichst gleichberechtigter Gegensätze ist. Goethe spricht dieses tiefe Kunstgefühl fast allzu bescheiden aus, wenn er in Dichtung und Wahrheit sagt, der Bösewichter müde, die aus Rache, Haß oder kleinlichen Absichten sich einer edlen Natur entgegensehen und sie zu Grunde richten, habe er in Carlos den reinen Weltverstand gegen Leiden= schaft, Neigung und äußere Bedrängniß wirken lassen, um auch einmal auf diese Weise eine Tragödie zu motiviren. Der Mangel der Clavigotragödie ist nur, daß der Begriff der tragischen Schuld und des tragischen Gegensazes in ihr zwar richtig erfaßt ist, daß aber das gewählte Grundmotiv diesen Begriff nicht völlig deckt. Jeder

ächt tragische Fall ist von Hause aus unversöhnbar. Treffend schreibt Schiller einmal an Körner: „Wenn eine Tragödie nicht ganz unausbleiblich geschehen sein muß, sobald ihre Voraussetzungen Realität erhalten, so ist sie ein Unding." So tief aber ist hier die Spannung der Gegenfäße nicht, daß der tragische Ausgang unabwendbar ge= wesen wäre. Goethe hat seine Schuld gegen Friderike von Sesenheim überlebt; der Spanier Clavigo, das Urbild, kam zu hohen Ehren, und lächelte, als er hörte, wie oft er auf der deutschen Bühne er= mordet werde. Die Herbeiführung der Katastrophe ist daher loser und äußerlicher als die ächte Kunst gestattet; sie entspringt aus der Schuld nicht mit unbedingter Nothwendigkeit. Es ist lediglich Zufall, daß Clavigo der Leiche Mariens begegnet; und ebenso ist es lediglich Zufall, daß, als es zum Zweikampf kommt zwischen Clavigo und Beaumarchais, Clavigo der Unterliegende ist. Es ist immer ein · schlechtes Zeugniß für die tragische Tauglichkeit des Grundmotivs, wenn es dem Dichter Mühe macht, den Helden schließlich von der Bühne zu bringen.

In Dichtung und Wahrheit erzählt Goethe, der Schluß sei einer englischen Ballade entlehnt. Dies ist ein Irrthum. Goethe's Vorbild war zum Theil ein altes Volkslied, „das Lied vom Herren und der Magd", das unter den auf Herder's Anregung von Goethe im Elsaß gesammelten Volksliedern sich findet, die Schöll herausgegeben hat, zum Theil die Scene zwischen Hamlet und Laertes am Grabe Ophelia's.

Werther.

Merd schreibt in einem Briefe vom 14. Februar 1774 an seine Gattin: Der große Erfolg, den Goethe mit seinem Göz gehabt, habe ihm ein wenig den Kopf bethört; er jondere sich von allen seinen Freunden ab und lebe nur in seinen Dichtungen. Merc sezt hinzu: „Es muß ihm Alles gelingen, was er unternimmt; und ich sehe voraus, daß ein Roman, der von ihm zu Ostern erscheint, ebenso gute Aufnahme finden wird wie sein Drama."

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