ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

behagt habe, und daß besonders dies der Grund gewesen, warum. er, im Gegensatz zu den gegebenen geschichtlichen Thatsachen, ihn in einen Charakter verwandelte, der solche Eigenschaften besaß, die einem Jüngling besser ziemen als einem Mann von Jahren, einem Unbeweibten besser als einem Hausvater, einem Unabhängigen mehr als einem, der, noch so frei gesinnt, durch mancherlei Verhältnisse begrenzt ist. „Als ich ihn“, fährt Goethe fort, „nun so in meinen Gedanken verjüngt und von allen Bedingungen losgebunden hatte, gab ich ihm die ungemessene Lebenslust, das grenzenlose Zutrauen zu sich selbst, die Gabe alle Menschen an sich zu ziehen und so die Gunst des Volks, die stille Neigung einer Fürstin, die ausgesprochene Liebe eines Naturmädchens, die Theilnahme eines Staatsklugen zu gewinnen, ja selbst den Sohn seines größten Widersachers für sich einzunehmen."

[ocr errors]

Ein Bild schönster und liebenswürdigster Menschlichkeit, wie es nur ein Dichter erfinden und gestalten konnte, der in allen diesen Zügen warmer und stolzer Jugendlust sein eigenstes Selbst gab! Es ist der große tapfere Egmont, auf den alle Augen gerichtet sind und für den alle Herzen des Volks schlagen. Hochherzig, ritterlich, von Ruhm und Glück umstrahlt, ist er ein heiteres Weltkind, das rasch und fröhlich im frischen Genuß des Augenblicks lebt, ohne nach dem Morgen und Gestern zu fragen. Sind uns die kurzen bunten Lappen zu mißgönnen, die ein jugendlicher Muth um unseres Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn Ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran?" Feinsinnig erinnert Körner in einem Briefe an Schiller vom November 1788 an Fieldings Tom Jones; Egmont ist Tom Jones in den großen geschichtlichen Stil überseßt. Er geht seinen freien Schritt, als wenn die ganze Welt ihm gehöre; es ist keine falsche Ader an ihm und jede Anwandlung von Sorglichkeit dünkt ihm ein fremder Tropfen in seinem Blut. Und an dieser leichtlebigen Unbekümmertheit hält er auch dann noch fest, da sich bereits ringsum immer dichter und dichter die drohenden Wolken über ihn zusammenziehen. „Egmont", sagt der Spanier Silva zum Herzog von Alba, „ist der Einzige, der,

seit Du hier bist, sein Betragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd aufs andere, ladet Gäste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel, würfelt, schießt und schleicht Nachts zum Liebchen. Die Anderen haben dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht, sie bleiben bei sich, vor ihrer Thür sieht's aus als wenn ein Kranker im Hause wäre.“

Die Zeitgenossen nannten Heinse's Ardinghello den Werther der Genußsucht. Auch auf Egmont ist dieser Ausdruck anzuwenden. Egmont wird ein Opfer seiner ungezügelten Lebenslust wie Werther ein Opfer seiner ungezügelten Empfindungsseligkeit.

Neben Egmont steht Clärchen; in ihrer holden Naturfrische und Herzensreinheit einzig Gretchen im Faust vergleichbar. Glücklich allein ist die Seele, die liebt. Es ist ein meisterhafter Zug des Dichters, daß er an Clärchens Seite den schlicht tüchtigen, ehrbar bürgerlichen Brakenburg gestellt hat, der nicht von ihr läßt, auch nachdem er längst gesehen, daß sie ihm für immer verloren ist. Das Bild Clärchens, das durch ihr Verhältniß zu Egmont leicht Einbuße erleiden könnte, erhält dadurch erst die richtige Beleuchtung.

Welche unendliche Fülle von Anmuth und Lieblichkeit in diesem heiteren Liebesidyllion!

Und die Schönheit dieser poesievollen Sinnenwelt wirkt um so mächtiger, je bedeutender der dunkle Hintergrund der großen politischen Stimmungen und Ereignisse ist.

Einerseits der bunte Trubel der derbkräftigen Volksscenen, deren packend individuelle Lebendigkeit und Naturtreue selbst an Schiller, der für die Schwächen des Stücks ein so scharfes und unbestechliches Auge hatte, den begeistertsten Bewunderer fand. Und andererseits die kalte Strenge und Rücksichtslosigkeit der berechnenden Kabinetspolitik; der finstere starre gewaltthätige Alba, die feinverständige Herzogin von Parma, der ernste staatskluge Oranien, ganz und gar der wirksame Gegensatz der leichtfertigen Sorglosigkeit Egmont's, die öffentlichen Dinge warm im Herzen tragend und jeden scheinbar noch so unbedeutenden Zug der Gegner fest beobachtend, weil er es als den unverbrüchlichen Beruf seiner fürstlichen Stellung

erachtet, die Gesinnungen und die Rathschläge aller Parteien zu kennen.

Offenbar stammt die Liebesidylle Egmont's und Clärchen's und das tumultuarische Leben der Volksscenen bereits aus der ersten Bearbeitung; dagegen gehört wohl die volle Ausgestaltung der männlich ernsten Charaktere, so wie die in den letzten Akten hervor= tretende Umbeugung Egmont's und Elärchen's in das Pathetische und Heroische, erst der letzten römischen Bearbeitung an.

In der Kunst der dramatischen Charakterzeichnung ist Egmont sicher eines der unvergleichlichsten Meisterwerke. In keinem anderen. jeiner Dramen hat Goethe wieder so schauspielerisch dankbare Rollen geschrieben. Was nach dem maßgebenden Vorgang Lessing's das offene und klar ausgesprochene, freilich bei unzulänglichen Dichterkräften oft seltsam verzerrte Streben der gesammten jungen Dichterschule der Sturm- und Drangperiode war, im regen Wetteifer mit Shakespeare einen neuen, eigenartig und volksthümlich deutschen dramatischen Stil zu schaffen, der sich durch seine schärfere Natur-= wahrheit und Individualisirung von der hergebrachten Schablone der französischen Art und Kunst auf's bestimmteste unterscheide, kam im Egmont noch mehr als im Göz und Clavigo zu glänzendster künstlerischer Erfüllung und Vollendung.

Zu derselben Zeit, als Goethe in der antikisirenden Hoheit der Iphigenie einen Weg einschlug, der von dem durch Shakespeare vorgezeichneten Weg weit ablag, schuf er im Egmont, durch die Norm des ersten, aus früherer Zeit stammenden Entwurfs gebunden, eine der herrlichsten Schöpfungen jener Stilrichtung, die man im Gegensatz zu der idealen Typenhaftigkeit der Antike und der romanischen Renaissance mit Recht den realistisch germanischen Stil genannt hat.

Leider entspricht der Kunst der dramatischen Charakterzeichnung nicht die Kunst der dramatischen Komposition. Dies ist der unwiderlegliche Kern aller jener herben Vorwürfe, welche Schiller in seiner berühmten Recension gegen dieses Stück richtete.

Es rächt sich, daß Egmont kein wirklich tragischer Charakter,

Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

12

daß seine Schuld nur eine Unterlassungsfünde, nicht eine kühn eingreifende That ist.

Daher das Lockere und Lose der Handlung. Selbst in Shakespeare's Hamlet kann man es sehen, wie sehr der zwingenden Einheit und dem raschen Fortschritt Abbruch geschieht, wenn dem Helden die den Gang der Ereignisse bestimmende Thatkraft fehlt; auch in der legten, jezt vorliegenden Fassung Hamlet's sind noch gar manche Scenen und Motive zurückgeblieben, die noch höchst störend an den Ursprung aus dem alten episirenden Historienstil erinnern. Wie also erst hier, wo der Held sich nicht wie Hamlet zulezt doch zu entschlossener That aufrafft, sondern bis ans Ende seine ganze Natur darin sucht und findet, mit offenen Augen nicht sehen zu wollen? Wie also erst hier, wo der Dichter noch unter den Nachwirkungen der in der Sturm- und Drangperiode allgemeingeltenden und von ihm selbst im Göz bethätigten Anschauung steht, daß das Drama nicht Einheit der Handlung, sondern nur Einheit der Person verlange? Schiller spricht dieses Gebrechen scharf, aber treffend aus, wenn er sagt, daß im Egmont keine Verwicklung und kein eigentlich dramatischer Plan sei, sondern nur eine äußerliche Nebeneinanderstellung mehrerer einzelner Handlungen und Gemälde, die beinah durch nichts zusammengehalten würden als durch die Person des Helden; die Einheit des Stücks liege weder in den Situationen noch in irgend einer Leidenschaft, sondern lediglich im Menschen. In dieser Hinsicht ist Egmont gegen Clavigo ein ganz entschiedener Rückschritt.

Und daher vor Allem auch das Untragische der Katastrophe. Egmont geht lediglich durch seine Sorglosigkeit zu Grunde. In argloser Unbefangenheit, voll übertriebenen Vertrauens zur gerechten Sache des Volks, wandelt er, wie Schiller sich ausdrückt, gefährlich wie ein Nachtwandler auf jäher Dachspitze. Der Gegner stört und überrascht ihn. Wehrlos fällt er in dessen Schlingen. Das ist traurig, nicht tragisch. Der Dichter hat im Gefühl dieser Schwäche seines Grundmotivs Alles gethan, um am Schluß den Helden noch möglichst zu heben und seinem Untergang jene tiefere und allgemeinere

Bedeutung zu sichern, die die unverbrüchliche Bedingung ächter Tragit ist. Es ist nicht gelungen. Ferdinand, der Sohn Alba's, kommt in Egmont's Gefängniß, getrieben von der begeisterten Bewunderung des Helden, der seinen Jugendidealen wie ein Stern des Himmels vorgeleuchtet. Die ganze Scene ist unwahr und phrasenhaft. Und danach die Traumerscheinung Clärchen's als Göttin der Freiheit. Schiller nennt dies allegorische Schlußtransparent einen jähen Saltomortale in die Wunderwelt der Oper. Und die schönen Schlußworte Egmont's, welche die Befreiung vorausverkünden und den eigenen Tod als das nothwendige Opfer freudig begrüßen, vermögen nicht darüber zu täuschen, daß dies nicht die treibenden Motive Egmont's, und nicht die Lebenswurzeln des ganzen Drama's gewesen sind.

Den eigensten Gehalt des gewählten Stoffes, das große politische Pathos der niederländischen Freiheitskämpfe, hatte der Dichter von sich gewiesen, weil dieses Pathos seinem Denken und Empfinden fremd war; er modelte seinen Helden einzig nach seinem Ebenbild. Die Folge war, daß er nicht eine große historische Tragödie schuf, sondern nur ein historisches Charaktergemälde.

Gewiß ist, daß uns nicht blos eine trotz aller ihrer Schwächen ewig bewunderungswürdige Dichtung, sondern auch ein sehr wesentlicher Zug im Jugendbild Goethe's fehlen würde, fehlte uns die hochherzige, leichtlebige, liebenswürdige Heldengestalt Egmont's.

3. Die ersten zehn Jahre in Weimar.

Dem jungen Titanen wurde das enge Leben in Frankfurt auf die Dauer unerträglich. Goethe ließ es geschehen, daß sein Vater ihn täglich mehr in Rechtsgeschäfte und einflußreiche Verbindungen einzuspinnen suchte; aber nur darum, weil er, wie er an Kestner schreibt, Kraft genug in sich fühlte, jeden Augenblick mit einem ge= waltsamen Riß alle diese siebenfachen Bastseile durchreißen zu können.

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »