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dungsharmonie, oder, wie die Schulsprache sagt, des Ideals vollendeter und reiner Humanität. Nach jahrhundertelanger willkürlicher Selbstentfremdung hatte sich der Mensch endlich selbst wiedergefunden.

Aber das Verhängnißvolle war, daß mit dieser stetig fortschreitenden inneren Bildung die äußere Gestaltung der Dinge nicht Schritt hielt. Im schneidenden Gegensatz zu diesem hohen und reinen Menschheitsideal blieb die Außenwelt nach wie vor eine idealitätslose, kleinliche und philisterhafte, schwungloje, oft sogar unvernünftige. Und die Einwirkungen der französischen Revolution waren nur eine Verschlechterung der Zustände. Es rächte sich, daß die deutschen Aufklärungskämpfe nicht, wie die englischen und französischen, zugleich politische, sondern nur einseitig religiöse und sittliche gewesen. Selbst die Besten und Größten, nicht blos Goethe, jondern auch Schiller, fühlten sich zurückgeschreckt. Die politische Reaction wurde immer mächtiger und mächtiger. Nur allzu treffend sagte Madame Staël in dem geistvollen Buch über Deutschland, in ihrem Privatleben seien die Deutschen von erstaunlicher Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit; ihre Schmiegsamkeit gegen die öffentliche Gewalt aber mache einen um so peinlicheren Eindruck, da doch ihre ganze Philosophie und Bildung auf die Vertheidi= gung und Pflege der unverbrüchlichen Menschenwürde gehe. Was naturnothwendig sich in innigster Einheit und Wechselwirkung durchdringen und bedingen, was einander heben und tragen soll, Theorie und Praris, die Idee reiner und schöner Menschlichkeit und das staatliche und gesellschaftliche Dasein derselben, stand sich fremd gegenüber, war durch eine jähe unüberbrückbare Kluft getrennt.

„Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Thaten, die Lyra
Freudig zu wecken.“

Niemand hat diesen tragischen Widerspruch tiefer empfunden und tiefer und mannichfaltiger ausgesprochen als Schiller. Die Kleinen und Zurückgebliebenen verfielen der schlechtern Wirklichkeit;

ihre Kunstschöpfung blieb eine roh naturalistische. Die Besten und Höchsten sezten ihr ganzes Denken und Empfinden und ihre ganze sittliche Kraft daran, der sie umgebenden ungünstigen und formlosen Natur zum Troß sich nichtsdestoweniger den tiefsten geistigen Gehalt und die schönste künstlerische Form zu gewinnen.

Die gesammte Entwicklung unserer großen Literaturepoche ist durch diesen Widerspruch des neugewonnenen Menschheitsideals und der widerstrebenden Wirklichkeit bedingt.

Hier einzig und allein liegt der Grund, warum Goethe und Schiller auf der höchsten Höhe ihres großartigen Bildungsganges mit so tiefer innerer Wahlverwandtschaft zu den Griechen gezogen In jenem denkwürdigen Briefe vom 23. August 1794, in welchem Schiller das Wesen und Streben Goethe's mit so meisterhafter Klarheit und Schärfe gezeichnet hat, schreibt Schiller an Goethe: „Wären Sie als ein Grieche, ja nur als ein Italiener geboren worden, und hätte schon von der Wiege an eine auserlesene Natur und eine idealisirende Kunst Sie umgeben, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, vielleicht ganz überflüssig gemacht worden. Schon in die erste Anschauung der Dinge hätten Sie dann die Form des Nothwendigen aufgenommen, und mit Ihren ersten Erfahrungen hätte sich der große Stil in Ihnen entwickelt. Nun, da Sie ein Deutscher geboren sind, da Ihr griechischer Geist in diese nordische Schöpfung geworfen wurde, so blieb Ihnen keine andere Wahl als entweder selbst zum nordischen Künstler zu werden oder Ihrer Imagination das, was ihr die Wirklichkeit vorenthielt, durch Nach= hülfe der Denkkraft zu ersehen und so gleichsam von innen heraus und auf einem rationalen Wege ein Griechenland zu gebären.“ Und dies tiefsinnige Wort gilt nicht blos von Goethe, sondern mit geringer Einschränkung auch von Schiller selbst. Weil Goethe und Schiller die Entfaltung und Bethätigung der reinen und schönen Menschennatur, die ihr sittliches und künstlerisches Ideal, der Gewinn und das Ziel ihrer Bildung war, in ihrer eigenen Gegenwart und Wirklichkeit nicht fanden, suchten sie sich von dieser Gegenwart und Wirklichkeit möglichst loszulösen und auf die schöne Menschlich=

keit der alten Welt und deren einfach hohe Kunst und Dichtung zurückzugehen. Es ist eine der wunderbarsten Thatsachen, in welcher großartig freien und lebendigen Weise diese beabsichtigte künstlerische Wiedergeburt hellenischer Art und Kunst ihnen gelang. Vor Allem Iphigenie, Tasso, die römischen Elegieen, Hermann und Dorothea und die gleichzeitigen kleineren Idyllen Goethe's sind die unver= gänglichen Denkmale dieses gewaltigen Strebens. Schiller stellt sich mit seinen Elegieen und Epigrammen und mit seiner großen Wallensteintragödie würdig zur Seite. Goethe und Schiller sind in der Geschichte der Dichtung, was Rafael und Michelangelo und die großen Italiener der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in der Geschichte der bildenden Künste sind. Hier wie dort ist die Reinheit und Hoheit der alten Kunst höchstes Muster; aber hier wie dort behält der lebendige Herzschlag des eigensten heimischen. Denkens und Empfindens seine unverbrüchlichen Rechte und führt zu den reizvollsten Erfindungen. Die Dichtung Goethe's und Schiller's ist Renaissance im höchsten und schönsten Sinn. Wer hier von willkürlichem und gewaltsamem Abfall von der Macht und Frische des Volksthümlichen spricht, ahnt und weiß nicht, daß in der vollendeten Kunst Gehalt und Gestalt unbedingt eins sind. Aber fühlbar macht es sich doch, daß diese hohe Idealität unserer größten Geister nicht, wie es naturgemäß sein soll, von der Welt, in welcher sie lebten und wirkten, gehoben und getragen, sondern unaufhörlich von derselben gehemmt und durchkreuzt wurde. Die naive Sicherheit des Stilgefühls wurde beirrt. Es war schwer und fast unvermeidlich, daß, was zuerst tief innerliche lebendige Nachbildung gewesen, allmählich in äußerliche Nachahmung und in allerlei blos philologische Experimente und Spielereien entartete. Goethe ließ auf das neuschöpferische Epos von Hermann und Dorothea in der Achilleis" eine strenge und genaue Nachahmung der Ilias folgen; er steigerte in der „Natürlichen Tochter“ die Darstellung des Typischen bis zum Symbolischen, in dem sich das Individuelle verlieren mußte; in den dramatischen Festspielen aus dieser Zeit hevorzugte er die Allegorik mit bewußter Entschiedenheit, so daß

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Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

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seine dramatische Gestaltungskraft dadurch eine Einbuße erlitt, die selbst in der „Pandora“ und im zweiten Theil des Faust bemerklich ist. Schiller räumte in seinen späteren Dramen, absichtlich nach der Tragödie des Alterthums zurücklenkend, dem Schicksalsglauben ein Gewicht ein, welches dem modernen Bewußtsein nicht entspricht, und fand erst im Tell wieder die sichere Bahn des unmittelbar Volksthümlichen.

Auch in Maximilian Klinger, einem der wenigen Stürmer und Dränger, die gleich Goethe und Schiller durch Größe und Ernst des Charakters sich zu fester und männlicher Klarheit herausarbeiteten, und in Jean Paul ist dieser klaffende Widerspruch zwischen dem unverbrüchlichen Menschheitsideal und der idealitätslosen Wirklichkeit das stete Thema; nur daß bei ihnen die Lösung nicht eine freie und harmonische Versöhnung ist, sondern in dem Einen herbe menschenverachtende stoische Entsagung, in dem Andern das bunte Farbenspiel humoristischer Weltbetrachtung.

Und in demselben tiefgreifenden Widerspruch haben wir auch den Schlüssel für die Entwicklungskämpfe der gleichzeitigen bildenden Kunst. In innigster Uebereinstimmung mit den großen dichterischen Bestrebungen Goethe's und Schiller's und von diesen auf's tiefste angeregt und gefördert, erblüht die bildende Kunst in Carstens und sodann in Thorwaldsen und Schinkel zur wunderbarsten Wiedergeburt reinsten und schönsten Hellenenthums, wie so geniales und lebendiges Antikisiren nur dem Zeitalter der Goethe'schen Iphigenie möglich war. Aber gar bald zeigte sich, daß diese hohe und ideale Formenwelt, weil nicht aus dem eigensten Geist der Zeit herausgeboren, in ihrer strengen Ausschließlichkeit dem modernen Gefühl und Bedürfniß zu eng und zu fremd war. Die einseitigste Anlehnung an die mittelalterliche Kunst stellte sich zu der antikisirenden Richtung in erbittertsten und erfolgreichen Gegensaz. Und noch heut haben wir keinen allgemein bindenden Stil gefunden, und werden ihn nicht finden, bevor nicht die Wirklichkeit selbst wieder eine künst= lerisch schöne geworden.

Nur die Musik in der Tiefe ihres elementaren Gefühls

Lebens bleibt von diesen Schwankungen und Befangenheiten un= berührt. Es ist die Zeit Mozart's und Beethoven's.

Es kann und wird dereinst gelingen, diesen Zwiespalt zwischen Poesie und Leben, diesen traurigen Bruch zwischen den inneren Bildungsidealen und dem äußeren Dasein aufzuheben.

Die hohen Ideale und Ziele ächter harmonischer Menschenbildung, wie sie unsere große klassische Literaturepoche in ernsten und unablässigen Bildungsmühen gefunden und in unsterblichen. Dichtungen in Aller Herzen geschrieben hat, sind unverlierbar. Sind wir Deutschen in unserem Fühlen und Denken, in unserem Verhalten gegen die Sagungen der Kirchenlehre und der äußeren Sitte, freier und unerschrockener als die Engländer und die romanischen Völkerschaften, so haben wir dies lediglich der großen Erbschaft zu danken, welche wir von Kant und von Goethe und Schiller empfangen haben.

Und endlich sind wir in eine neue Epoche unserer Volksentwickelung getreten. Die gewaltigen Ereignisse der lezten Jahre haben die Thaten der Väter vollendet. Aus Privatmenschen sind wir politische Menschen geworden, dem Geist haben wir den ent= sprechenden Körper, der Freiheit und Schönheit höchster Bildung haben wir den naturnothwendigen Grund und Abschluß eines mächtigen und freien Volkslebens, einer schönen und lebenswerthen Wirklichkeit gegeben.

Gewiß war es einseitig und nur ein Zeugniß der politischen Unreise der Zeit, wenn Schiller in seinen inhaltsvollen Briefen „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen“ den allgemeinen politischen Lehrsag aufstellen wollte, daß man, um das politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das ästhetische den Weg nehmen müsse, weil es die Schönheit sei, durch welche man zu der Freiheit wandere; Schönheit und Freiheit stehen in unauflöslichster Wechselwirkung. Aber Thatsache ist, daß die deutsche Geschichte seltsamerweise diesen Gang genommen hat.

Wir haben wahrlich nicht Ursache, über diesen scheinbaren Umweg, der uns zum ersten Bildungsvolk der Welt gemacht hat,

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