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Noch nach Jahren bekannte Goethe, an dem Mißverhältniß des engen und langjam bewegten bürgerlichen Kreises zu der Weite und Geschwindigkeit seines Wesens wäre er sicher zu Grunde ge= gangen.

Um so lockender war die Einladung des Herzogs von Weimar. Obgleich Goethe zunächst nur als Gast ging, ohne sich irgend zu binden, so war doch bereits von beiden Seiten die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit festen Zusammenbleibens in Aussicht genommen. Schon bei den ersten flüchtigen Begegnungen in Frankfurt und Mainz hatte die unwiderstehliche Liebenswürdigkeit Goethe's ganz und gar die Seele des jungen Fürsten erobert. Ueberdies war durch einen glücklichen Zufall die eben erschienene Sammlung der Patriotischen Phantasieen von Justus Möser der hauptsächlichste Gegenstand ihrer ersten Unterhaltungen gewesen; es hatte sich gezeigt, daß der gefeierte Dichter des Göz und des Werther nicht blos Schauspielen und Romanen, sondern auch solchen Schriftstellern seine Aufmerksamkeit zuwende, deren Talent vom thätigen Leben ausgeht und in dasselbe unmittelbar nüglich wieder zurückkehrt. Welcher vielversprechende Gewinn für einen fürstlichen Jüngling, der erstrebte und wagte, auch als Fürst vor Allem ein voller und ganzer, reiner und natürlicher Mensch zu sein, und der den besten Willen und den festen Vorjah hatte, an seiner Stelle entschieden Gutes zu wirken !<

Am 7. November 1775, früh um fünf Uhr, traf Goethe in Weimar ein. Es ist einer der denkwürdigsten und bedeutungsvollsten Tage der deutschen Geschichte.

Wie mit Friedrich dem Großen der Geist des Aufklärungszeitalters, so war mit Karl August der Geist der deutschen Sturmund Drangperiode auf den Thron gestiegen. Vom ersten Tage waren daher Goethe und sein junger fürstlicher Herr auf's innigste miteinander verbunden. Ein neuer Stern war über Weimar aufgegangen. Bald wurde Goethe die belebende Seele nicht blos des Hofes, sondern auch der Landesverwaltung. Ueber die Art, wie Goethe die unerwartete wichtige Aufgabe ergriff, hat Wieland das

treffliche Wort: „Goethe lebt und regiert und wüthet und giebt Regenwetter und Sonnenschein und macht uns Alle glücklich, er mache, was er wolle."

Ein fröhlicheres und unbefangen menschlicheres Hofleben ist niemals geführt worden als in diesen ersten Regierungsjahren Karl August's. Alle in der blühendsten Jugend. Der Herzog achtzehn Jahre alt; Goethe sechsundzwanzig, Einsiedel fünfundzwanzig, Knebel einunddreißig; die Herzogin Amalia, Karl August's Mutter, eine Frau von sechsunddreißig Jahren, von der zwanglosesten Heiterkeit und ausgesprochensten Lebenslust. Nach Goethe's eigenem Ausdruck, eine tolle Compagnie, wie sie sich auf so einem kleinen Fleck nicht wieder zusammenfindet, und in die nur die achtzehnjährige Herzogin Luise, eine Frau von zartester weiblicher Feinheit, sich nicht hineinzufinden wußte. Daher allerdings zuerst noch viel geniale Ungebundenheit und Leichtfertigkeit, viel Ausgelassenheit, Derbheit und Thorheit, viel halsbrechende Jagden und Wettritte, lustige Wanderungen, unermüdliche Schlittschuhfahrten, gesellschaftliche Schwänke und Neckereien, heitere poesieverklärte Festlichkeiten in den Gärten von Tiefurt und Ettersburg, viel Redouten und Maskeraden. Es war gehässige Uebertreibung, wenn Wieland einmal ärgerlich sagte, man wolle die bestialische Natur brutalisiren; aber geschichtliche Wahrheit war es, wenn er Goethe, der, um Goethe's eigene Worte zu gebrauchen, meist der Anstifter all dieses Teufelszeugs war, mit einem Füllen verglich, das vorn und hinten ausschlage. Der rücksichslose Naturdrang der Sturm- und Drangperiode entfesselte sich um so übermüthiger und tumultuarischer, in je bewußterem Gegensaß er sich gegen das lästige abgezirkelte Hofceremoniell fühlte. Aber es war die jugendfrische Heiterkeit großer und reiner Menschen. Die wohl zu beachtende ausschlaggebende andere Seite dieser vielverschrieenen Genialitäten ist eine Einfachheit und Gesundheit des Denkens und Empfindens, des Lebens und der Zustände, die wir jezt kaum noch zu begreifen vermögen und die zumal in der Geschichte der Fürsten und Höfe völlig unerhört ist. Man denke an jenen unvergleichlichen Brief, welchen Karl August als regierender

denn

Herr am 17. Juli 1780 an Knebel (vgl. Knebel's Liter. Nachlaß. Bd. 1, S. 118) schrieb. Er lautet: „Guten Abend, lieber Knebel! Es hat neun Uhr geschlagen und ich size hier in meinem Kloster mit einem Lichte am Fenster und schreibe Dir. Der Tag war ganz außerordentlich schön und der erste Abend der Freiheit heut früh verließen uns die Gothaer ließ sich mir sehr genießen. Ich war so ganz in der Schöpfung und so weit von dem Erden= treiben. Der Mensch ist doch nicht zu der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist einem ja nicht größer zu Muth als wenn man die Sonne so untergehen, die Sterne aufgehen, es kühl werden sieht, und fühlt, daß das Alles so für sich, so wenig der Menschen halber; und doch genießen sie's und so hoch, daß sie glauben, es sei für sie. Ich will mich baden mit dem Abendstern und neu Leben schöpfen. Der erste Augenblick darauf sei Dein. Leb wohl so lange.- Ich komme daher. Das Wasser war kalt, denn Nacht lag in seinem Schooße. Es war als tauchte man in die kühle Nacht. Als ich den ersten Schritt hineinthat, war's so rein, so nächtlich dunkel; über dem Berg hinter Oberweimar kam der volle rothe Mond. Es war so ganz stille. Wedel's Waldhörner hörte man nur von Weitem, und die stille Ferne machte mich reinere Töne hören als vielleicht die Luft erreichten." Ganze Sommer verbringt der junge Herzog draußen in der grünen Einsamkeit des Parks im sogenannten Borkenhäuschen, dessen einziger Raum sein Wohn-, Arbeits- und Empfangszimmer und Schlafgemach zugleich war. Und auch Goethe ist es am wohlsten in seinem engen unscheinbaren Gartenhäuschen an den schönen Wiesen der Jlm, das er sechs Jahre lang Sommer und Winter bewohnte. Was ist es für ein entzückendes Bild reinster einfachster Menschlichkeit und ureigenster deutscher Gemüthstiefe, wenn er kurz nach seinem Einzug in dieses Häuschen im Mai 1776 an Auguste von Stolberg schreibt: ,,Den ganzen Nachmittag war die Herzogin Mutter da und der Prinz und waren guten lieben Humors, und ich habe denn so her= umgehausvatert, wie Alles weg war, ein Stück kalten Braten ge= gessen, und mit meinem Diener Philipp von seiner und meiner

Welt geschwäßt, war ruhig und bin's und hoffe gut zu schlafen zu holdem Erwachen." Aehnlich ein Lied aus dem Sommer 1777 an Frau von Stein: „Und ich geh meinen alten Gang, meine liebe Wiese lang, tauche mich in die Sonne früh, bad ab im Mond des Tages Müh, leb' in Liebes-Klarheit und Kraft, thut mir wohl des Herren Nachbarschaft, der in Liebes - Dumpfheit und Kraft hinlebt, und sich durch seltenes Wesen webt."

Bald rief der Herzog seinen Freund auf zur Theilnahme an den öffentlichen Geschäften. Es geschah nicht ohne Schwierigkeiten. Nicht nur der Hofadel grollte, sondern auch die Beamtenwelt.

Das auf urkundliche Aufzeichnungen gestützte Buch von C. v. Beaulieu - Marconnay „Anna Amalia, Carl August und der Minister von Fritsch. 1874." bezeugt, daß es besonders der Minister von Fritsch war, welcher sich Goethe's amtlicher Anstellung sehr ent= schieden entgegenstellte; er drohte sogar mit einem Entlassungsgesuch. Und wer kann es dem geschulten und gewissenhaften Beamten, der seit langen Jahren an der Spize der gesammten Verwaltung stand, verübeln, daß er Bedenken trug, einen jungen Mann, der sehr entfernt von büreaukratischer Gemessenheit war und der kein anderes Anrecht hatte als der persönliche Freund des Herzogs zu sein, mit der wichtigen Stellung eines Mitgliedes der höchsten Behörde betraut zu sehen? Aber der Herzog blieb unbeugsam. Am 10. Mai 1776 erließ er an den Minister die hochherzige Erklärung: „Wäre der Dr. Goethe ein Mann eines zweideutigen Charakters, würde ein Jeder Ihren Entschluß billigen, Goethe aber ist rechtschaffen, von einem außerordentlich guten und fühlbaren Herzen; nicht allein ich, sondern einsichtsvolle Männer wünschen mir Glück, diesen Mann zu besigen. Sein Kopf, sein Genie ist bekannt. Sie werden selbst einsehen, daß ein Mann wie dieser nicht würde die langweilige und mechanische Arbeit, in einem Landescollegio von unten auf zu dienen, aushalten. Einen Mann von Genie nicht an dem Orte zu ge= brauchen, wo er seine außerordentlichen Gaben gebrauchen kann, heißt ihn mißbrauchen. Was aber den Einwand betrifft, daß durch den Eintritt viele verdiente Leute sich für zurückgesezt erachten würden,

so kenne ich erstens Niemand in meiner Dienerschaft, der meines Wissens darauf hoffte, und zweitens werde ich nie einen Plah, welcher in so genauer Verbindung mit mir, mit dem Wohl und Wehe meiner Unterthanen steht, nach Anciennität, sondern nach Vertrauen vergeben. Was das Urtheil der Welt betrifft, welche mißbilligen würde, daß ich den Dr. Goethe in mein wichtigstes Collegium seze, ohne daß er zuvor weder Amtmann, Professor, Kammerrath oder Regierungsrath war, dieses verändert gar nichts. Die Welt urtheilt nach Vorurtheilen; ich aber und Jeder, der seine Pflicht thun will, arbeitet nicht, um Ruhm zu erlangen, sondern um sich vor Gott und seinem eigenen Gewissen rechtfertigen zu können, und sucht auch ohne den Beifall der Welt zu handeln.“ Die Vermittlung der Herzogin - Mutter vermochte den Minister umzustimmen. Das Decret, welches Goethe unter dem Titel eines Legationsrathes Sitz und Stimme „im geheimen Consilio" gab, ist vom 11. Juni 1776; am 25. Juni wurde Goethe durch den Herzog selbst in sein Amt eingeführt. Es ist ein schönes Zeugniß für Goethe, daß er sich durch seinen reinen Willen, durch uneigennüßiges Streben und durch tüchtige Leistungen bald Achtung und Anerkennung zu erzwingen wußte, obgleich Fritsch eine rauhe Natur und, wie Goethe in seinen Tagebüchern sagt, oft fatalen Humors war. Am 3. September 1779 erfolgte die Ernennung Goethe's zum Geheimenrath.

Das nahe Verhältniß zum Herzog gab Goethe den wichtigsten Einfluß auch in den Geschäften. Und Goethe war sich der schweren Verantwortlichkeit, welche ihm die bedeutende Stellung auferlegte, voll bewußt. Man sieht sein inneres Zagen, wenn er um diese Zeit an Lavater schreibt, daß er nun ganz auf der Woge der Welt schiffe; treu entschlossen, zu entdecken, zu gewinnen, zu streiten, zu scheitern oder auch mit aller Ladung sich in die Luft zu sprengen. Aber war es dem großen Menschen, der mit Recht von sich sagen konnte, daß er auch im geringsten Dorf und auf einer wüsten Insel von der unverbrüchlichsten Betriebsamkeit sein würde, weil ihn das Bedürfniß seiner Natur zu vermannichfaltigter Thätigkeit zwinge, zu verargen, wenn er seine reinen und hohen Menschheitsideale auch

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