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theilte, hat in einem Briefe vom 1. Juni 1776 das Wort: „Goethe selbst ärgert mich nicht, aber seine Nachahmer."

Auch diese Goethianer verdienen die sorgsamste Beachtung. Wie man erst die volle Größe Shakespeare's zu würdigen weiß, wenn man zugleich die Dichter kennt, die rings um ihn wirkten und strebten, so erkennt man auch Goethe und Schiller erst in ihrem eigensten Wesen, wenn man an diesen verzerrten und lärmenden. Jugendgenossen sieht, welche bedenklichen Krankheitsstoffe in dieser denkwürdigen Zeit lagen, und welcher Kraft es bedurfte, aus den Schlacken das reine Erz zu gewinnen.

Jacob Lenz.

Gegen Lenz vor Allem war es wohl gerichtet, wenn Karl August, der Herzog von Weimar, einmal ärgerlich von den Affen Goethe's sprach. Dies harte, aber wahre Wort ist der Schlüssel seines ganzen Seins; der Art seines dichterischen Schaffens sowohl, wie selbst der Geisteskrankheit, welcher er frühzeitig zum Opfer fiel.

Lenz war, was Goethe ein forcirtes Talent nennt. Im ge= waltsamen Wetteifer mit Goethe suchte Lenz sich über seine natürliche Begabung hinaufzuschrauben; so ging er unter in ungezügelter Großmannssucht.

Jacob Michael Reinhold Lenz, am 12. Januar 1751 zu Seßwegen in Liefland geboren, hatte seine Jugend in Dorpat verlebt, wo sein Vater seit 1758 Geistlicher war. Darauf hatte er in Königsberg Theologie studirt; im Sommer 1771 war er als Begleiter zweier junger Adeligen nach Straßburg gekommen. Bisher hatte er durchaus unter den Einwirkungen Klopstock's und Gellert's, Pope's, Thomson's und Young's gestanden; es bezeugen dies seine älteren lyrischen Gedichte, die jezt in Weinhold's Ausgabe gesammelt vorliegen, ebenso wie das Lehrgedicht die Landplagen“ und das kleine dramatische Gelegenheitsstück „der verwundete Bräutigam“, das erst 1845 durch C. L. Blum bekannt gemacht wurde. In Straßburg aber that sich ihm plößlich eine völlig neue Welt auf.

Im regen Verkehr mit Goethe wurde er ergriffen von der Macht des neuen Geistes, der durch Herder in die deutsche Literatur gekommen war und der soeben in Goethe's genialer Jugendkraft nach entsprechender dichterischer That rang. Rousseau und Shakespeare und Ossian wurden auch sein Evangelium. Von Grund aus eitel, träumte Lenz nunmehr den vermessenen Traum, es Goethe gleichthun zu können und mit diesem gemeinsam den Gipfel des deutschen Parnaß zu erstürmen. Und dieses ehrsüchtige Gelüst wurde in ihm zum fraßenhaftesten Dünkel, da unglücklicherweise seine erste größere dramatische Dichtung wegen ihrer an Göz von Berlichingen erinnernden tumultuarischen Manier von den durch die Neuheit und Seltsamkeit dieser Erscheinungen überraschten Zeitgenossen eine Zeitlang dem Dichter des Göz von Berlichingen selbst beigelegt ward.. Was bedurfte es für Lenz weiteres Zeugniß, daß er ein gleich Großer sei?

Goethe erzählt im vierzehnten Buch von Wahrheit und Dichtung, daß Lenz, kurz nachdem Götz von Berlichingen erschienen war, ihm einen weitläufigen Aufsatz zuschickte, welcher den wunder= lichen Titel „Unsere Ehe“ führte. „Das Hauptabsehen dieser Schrift war", fährt Goethe fort, „mein Talent und das seinige nebeneinander zu stellen; bald schien er sich mir unterzuordnen, bald sich mir gleich zu sehen; das alles aber geschah mit so humoristischen und zierlichen Wendungen, daß ich die Ansicht, die er mir dadurch geben wollte, um so lieber aufnahm, als ich seine Gaben wirklich sehr hoch schätzte und immer nur darauf drang, daß er aus dem formlosen Schweifen sich zusammenziehen und die Bildungsgabe, die ihm angeboren war, mit kunstgemäßer Fassung benußen möchte." Und ganz in demselben Sinn ist die kecke Literaturjatire „Pandaemonium germanicum" gehalten, deren Entstehung wahrscheinlich kurz nach dem Erscheinen des Werther fällt. Die Schlußscene allerdings klingt überaus bescheiden. Lenz ruft den Geist der Geschichte an, daß er ihm die neue Zeit, die durch die Wiedererkennung Shakespeare's, der durchdringenden Weisheit der Bibel und des Feuers und der Leidenschaften der Homerischen Halbgötter eingeleitet

sei, noch erleben lasse. Klopstock und Herder und Lessing, welche dieses Gebet gehört haben, sprechen: „Der brave Junge! Leistet er nichts, so hat er doch groß geahnt!" Goethe tritt hinzu und sagt: „Ich will's leisten!" Aber täuschen wir uns nicht über diese Bescheidenheit! In den innersten Kern seines Meinens und Hoffens führt uns Lenz in der ersten Scene. Sie lautet: Goethe: „Was ist das für ein steil Gebirg mit so vielen Zugängen?" Lenz (im Reisekleid): „Ich weiß nicht, Goethe, ich komme erst hier an." Goethe: Ist's doch so herrlich, dort eben zuzusehen, wie die Leutlein ansehen und immer wieder zurückrutschen. Ich will hinauf." (Geht um den Berg herum und verschwindet.) Lenz: „Wenn er hinaufkommt, werd' ich ihn schon zu sehen kriegen. Hätt' ihn gern kennen lernen, er war mir wie eine Erscheinung. Unterdessen will ich den Regen von meinem Reijerock schütteln und selbst zusehen, wo hinaufzukommen." (Erscheint eine andere Seite des Berges, ganz mit Busch überwachsen. Lenz kriecht auf allen Vieren.) Lenz (sich umkehrend und ausrufend): „Das ist böse Arbeit. Seh' ich doch Niemand hier, mit dem ich reden könnte. Goethe, Goethe! Wenn wir zusammengeblieben wären! Ich fühl's, mit Dir wär' ich ge= sprungen, wo ich jezt klettern muß. Wenn mich einer der Kunstrichter sähe, wie würd' er die Nase rümpfen! Was gehen sie mich an, kommen sie mir doch nicht nach.“ (Klettert weiter.) Goethe (springt auf eine andere Seite des Berges, aus dem ein kahler Fels hervorsticht): „Lenz, Lenz, welch' herrliche Aussicht!“ Da! da steht Klopstock!... Lenz (wieder auf einer andern Seite, versucht zu stehen): Gottlob, daß ich wieder einmal auf meine Füße kommen. darf; mir ist das Blut vom Klettern so in den Kopf geschossen. , so allein! Daß ich stürbe! Hier seh' ich wohl Fußtapfen, aber alle herunter, keine hinauf! Gütiger Gott, so allein!" (In einiger Entfernung Goethe auf einem Felsen, der ihn gewahr wird; mit einem Sprung ist er bei ihm.) Goethe: „Lenz, was Deutscher machst denn du hier?" Lenz (ihm entgegen): „Bruder Goethe!" (Drückt ihn an sein Herz.) Goethe: „Wie Henker, bist Du mir nachgekommen?" Lenz: „Ich weiß nicht, wo Du gegangen bist,

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aber ich hab' einen beschwerlichen Weg gemacht." Goethe: Bleiben wir zusammen!" Die Pointe ist, daß nun Goethe und Lenz, miteinander im innigsten Bunde, mit ihren Nachahmern, die wie Ameisen haufenweise den Berg hinankriechen, aber alle Augenblicke wieder herunterrutschen und die possirlichsten Capriolen machen“, ihren Spaß treiben. Goethe zu Lenz: „Die Narren!" Lenz: „Ich möchte fast hinunter und sie bedeuten!" Goethe: Laß sie doch! Wenn keine Narren auf der Welt wären, was wäre die Welt?“

Dieser hochgespannten Meinung, welche Lenz von sich hegte, entsprachen jedoch seine dichterischen Leistungen keineswegs. Neuerdings haben Falck und Froigheim ihn wieder als großen Dichter herauszustreichen sich bemüht; dagegen haben Erich Schmidt und Weinhold bei lebhaftem und verständnißvollem Interesse doch ein maßvolles Urtheil festgehalten.

Insbesondere gilt dies von seinen bekanntesten Dramen, von seinen Dramen aus der ersten Straßburger Zeit. Es fehlt nicht an glücklichen Ansäßen trefflicher dramatischer Charakterzeichnung, nicht an lebenswarmen einzelnen Zügen lieblicher Zartheit, ja sogar nicht an Bligen ächtesten Genies; aber es fehlt an durchschlagendem tiefem innerem Gehalt, ohne welchen nach Goethe's unumstößlichem Ausspruch niemals ein großer Dichter sein kann, an überzeugender und folgerichtiger Durchführung der Charaktere, an festem Formund Kompositionsgefühl. Statt Tiefe der Empfindung und Leidenschaft verwilderte Frechheit; statt lebensvoller packender Charaktere dilettantisches Zusammenwürfeln der verschiedenartigsten, oft einander grell widersprechenden Motive und geflissentliches Aufsuchen des Un= geheuerlichen und Häßlichen; statt sicheren und raschen Fortschreitens der Handlung das wildeste Durcheinander der Scenenfolge, welches den Dichtern der Sturm- und Drangperiode nun einmal als das Höchste Shakespeare'scher Genialität galt.

Mit Recht ist von jeher das erste Stück von Lenz „Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung" für seine merkwürdigste und hervorragendste Schöpfung gehalten worden. Es ist in den Jahren 1772 und 1773 geschrieben; in unverkennbarer Nachahmung

des Göz von Berlichingen, dessen erste Bearbeitung Goethe den Straßburger Freunden übersendet hatte. Die Anlage der Charaktere ist von einer individuellen Kraft und Lebendigkeit, wie sie Lenz später nie wieder erreichte. Schröder hat darum dies Stück sogar auf die Bühne gebracht; ein Wagniß, das uns freilich heute unbegreiflich dünkt, und das auch schon damals, wie Plümicke in seiner Berliner Theatergeschichte (S. 227) berichtet, nur sehr getheilten Anklang fand. Was ist die Fabel? Der Hofmeister verführt seine Schülerin, entmannt sich aus Reue und heirathet gleichwohl ein derbes Bauer= mädchen; die Verführte aber wird von ihrem Jugendverlobten heimgeführt. Die ausdrücklich ausgesprochene moralische Nuzanwendung ist eine doppelte; erstens, daß die Privaterziehung mehr Gefahren in sich berge als die öffentliche, und zweitens, daß ein starker Geist auch über Dinge hinwegkomme, von denen später Hebbel in seiner Maria Magdalena behauptete, daß kein Mann über sie hinwegkommen könne. Das zweite Stück „Der neue Menoza oder Ge= schichte des cumbanischen Prinzen Tandi“ (1774) ist bereits matter, und zugleich noch weit verworrener und geschmackloser. Auch hier wieder die tollste Kreuzung völlig unzusammenhängender Motive. Sowohl die Hinweisung des Titels auf den damals allgemein bekannten dänischen Roman von Erich Pontoppidan „Menoza, ein asiatischer Prinz, welcher die Welt umhergezogen, Christen zu suchen, aber des Gesuchten wenig gefunden", wie die Selbstrecension, mit welcher Lenz in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen von 1775 dem Verständniß der Leser zu Hilfe zu kommen suchte, bekunden, daß Prinz Tandi, der Held, einen Rousseau'schen Naturmenschen darstellen sollte, der das Wesen und Treiben der sogenannten Bildung beobachtet und sich von deren Gebrechen und Naturwidrigkeiten verlezt abwendet; andererseits aber wird grade durch die hervorstechendsten Situationen das peinigende Motiv der Geschwisterehe vorgedrängt, das allerdings schließlich heiter gelöst wird. Was aber vollends soll man zu dem dritten Stück, zu den „Soldaten“ sagen? Was ist die Idee dieses Stückes, welches Lenz (vgl. Aus Herder's Nachlaß Bd. 1, S. 226) eine Geschichte nennt, in den innersten Tiefen

Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

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