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seiner Seele empfunden und geweissaget, ja von dem er meint, daß es sein halbes Dasein mitnehme, und bleiben werde, auch nachdem Jahrhunderte über seinen armen Schädel verachtungsvoll fortgeschritten seien? Mit empörender Schamlosigkeit werden alle niederträchtigsten Wüstheiten des Garnisonlebens geschildert und zuletzt wird daraus folgende saubere Moral gezogen: „Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen; ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.“ In diesem Stück ist auch die Regellosigkeit, die Verachtung jedes dramatischen Gesezes wie jeder theatralischen Forderung auf den höchsten Gipfel gesteigert; wenn uns im vierten Akt auf zwei Seiten sechs Scenen in drei verschiedenen Städten vorgeführt werden, so wirkt das unfreiwillig komisch.

Nicht günstiger lautet das Urtheil über eine zweite Reihe von Dichtungen, welche ebenso unter der Einwirkung Werther's stehen wie jene erste Reihe unter der Einwirkung Göz von Berlichingen's. Wir wissen, daß Lenz Briefe über Werther's Moralität schrieb, deren beabsichtigte Veröffentlichung Fr. Jacobi unterdrückte.

Diesen Dichtungen liegt persönliches Erlebniß zu Grunde; daher der wärmere Ton, welcher sie auszeichnet. Zuerst hatte Lenz, kurz nachdem Goethe von Straßburg geschieden war, sich in das Herz Friderikens von Sesenheim zu stehlen gesucht. Man braucht nur die Briefe zu lesen, welche Lenz um diese Zeit an den Actuar Salzmann gerichtet (vgl. Der Dichter Lenz und Friderike von Sesenheim. Von A. Stöber, 1842, S. 48 ff.), um klar zu erkennen, daß hier viel verlogene Schauspielerei unterlief; es dünkte dem neidischen Freund groß, in einem liebenswürdigen Mädchenherzen über Goethe den Sieg zu gewinnen. Aber Friderike blieb abweisend; „denn“, wie Lenz in einem seiner schönsten Gedichte sagt, „immer, immer, immer doch, schwebt ihr das Bild an Wänden noch, von einem Menschen, welcher kam, und ihr als Kind das Herze nahm". Darauf wendete sich Lenz Goethe's längst verheiratheter Schwester zu und

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träumte sich in eine Neigung hinein, die natürlich unerwidert blieb. Die „Selbstunterhaltungen“ des „Poeten“, die Weinhold im zehnten Bande des Goethe-Jahrbuchs veröffentlicht hat, sind ein Denkmal dieser Verirrung. Noch vor Ende des Jahres 1775 zog eine andre. Frauengestalt den unglücklichen Dichter an, Henriette Louise von Waldner Freundstein; aber bereits im Frühjahr 1776 verheirathete sich dieselbe mit einem Baron Siegfried von Oberkirch, einem verabschiedeten Offizier, welcher in Straßburg eine Senatorstelle innehatte. Die von Dorer-Egloff 1857 in seinem Buche „Lenz und seine Schriften" veröffentlichten Briefe, in welchen Lenz seinen Freund Lavater zu seinem Vertrauten und Rathgeber machte, beweisen, daß auch hier wieder viel kindische Phantasterei im Spiel war; Lenz hatte seine vermeintliche Geliebte nur wenig gesehen, kaum jemals gesprochen. Das Romanfragment „Der Waldbruder“, welches Goethe aus Lenz'schen Papieren 1797 in Schiller's Horen abdrucken ließ, ist eine fast photographische Spiegelung der erlebten Umstände und Stimmungen. Mit Recht schrieb Schiller an Goethe am 2. Februar 1797, daß dieses Fragment sehr tolles Zeug enthalte, trotzdem aber biographischen und pathologischen Werth habe. Jede Zeile verräth, daß hier der Dichter, wie schon der Titel ankündigt, „ein Pendant zu Werther's Leiden" beabsichtigt; aber jede Zeile verräth leider auch, daß Lenz niemals ein Verständniß für das eigenste Wesen des Goethe'schen Werther gehabt hat. Nicht ein Zurückgehen auf die schreckenvollen Tiefen menschlicher Leidenschaft, die, an sich berechtigt, nur dadurch sich in tragische Schuld verstrict, daß sie sich einseitig überstürzt und kein anderes Recht als das Recht ihres eigenen Daseins anerkennen will, sondern die Geschichte eines albernen Phantasten, der sich einbildet, eine junge Gräfin zu lieben, welche er kaum ein- oder zweimal gesehen hat, und, weil dieselbe nicht sogleich auf seine Träume eingeht, sich grollend in die Einsamkeit zurückzieht und zulezt sich als Soldat nach Amerika anwerben läßt. Aehnlich ist die dramatische Phantasie „Der Engländer“, welche in das Jahr 1777 gesezt wird. Und ebenso gehört das Drama, Die Freunde machen den Philosophen“ (1776), in diesen Kreis.

Hier aber verirrt sich des Dichters liederliche Phantasie wieder zu der aberwißigen Wendung, daß die Heldin dem Vornehmeren zwar äußerlich vor dem Altar die Hand reicht, in Wahrheit aber die Gattin Dessen ist, den sie liebt, aber nicht heirathen durfte. Wo ist eine ärgere Carricatur der Werthertragödie als diese Verherrlichung des Cicisbeats?

Wohin wir blicken, das Naturevangelium, der Kampf gegen die Schranken der Sitte und Sittlichkeit, zur wüstesten Libertinage verzerrt, ohne jedes Verständniß für die unzähligen feinen Verwachsungen, durch die unser Wesen an diese gewohnten Schranken ebenso fest wie an die Natur gefesselt ist, und daher ohne Kenntniß des wirklichen Seelenlebens und der thatsächlichen Konflikte innerhalb der modernen Gesellschaft.

Einzig im Derbkomischen war Lenz ursprünglich und schöpferisch. Unter allen Gesellen, welche sich in Straßburg um den jungen Goethe schaarten, war Lenz, dessen Sinnesart Goethe nicht besser zu bezeichnen weiß, als daß er das englische Wort whimsical auf ihn anwendet, am fähigsten, sich die Possenjacke der Shakespeare'schen Clowns anzupassen. Wir hören einen Nachklang jener fröhlichen Unterhaltungen, in denen die Freunde sich ganz und gar in Shakespear'schen Wendungen und Wortwigen ergingen, in seiner Uebersehung von Shakespeare's Love's Labour's Lost (1774). Die Nachbildungen der Plautinischen Lustspiele, im selben Jahr erschienen, sind für ausgelassene Komik der Sprache eine unvergängliche Fundgrube; Goethe knüpfte, wie aus einem Briefe an den Actuar Salzmann vom 6. März 1773 erhellt, an diese Nachbildungen die Hoffnung, daß sie wieder Munterkeit und Bewegung auf das Theater bringen und das deutsche Lustspiel endlich von den lezten Resten des Gottschedianismus erlösen würden. Der Schulmeister Wenzeslaus im Hofmeister ist eine Figur aus dem Kern ächtesten Humors geschnitten. Das Pandaemonium germanicum und einige andere kleinere Stücke ähnlicher Art sind voll von den wigsprudelndsten Aristophanischen Zügen. Es war in Lenz Etwas von einem deutschen Holberg. Aber ach hier ver

liederlichte Lenz sein Talent und ist niemals über geistvolles Skizziren hinausgekommen.

Fast scheint es, als habe Lenz seine Stärke mehr in der Theorie und Kritik gehabt als in der dichterischen Ausübung. Die „Anmerkungen über's Theater“, die Lenz seiner Uebersetzung von Shakespeare's Verlorener Liebesmühe vorausschickte, obgleich sehr breit und affectirt geschrieben, sind eine der wichtigsten Urkunden der Poetik der Sturm und Drangperiode. Zwar ist auch diese Abhandlung, wie die Shakespeareabhandlungen von Gerstenberg, Herder und Goethe, besonders gegen die von Lessing in der Dramaturgie be= hauptete Unverrückbarkeit und Allgemeingiltigkeit der Aristotelischen Lehren gerichtet. Ja, der verderbenschwere Irrthum, daß die dra= matische Einheit nicht Einheit der Handlung, sondern nur Einheit der Person, d. h. nur eine dialogisirte Biographie zu sein brauche, wird hier mit einem Eifer gepredigt, der es sehr begreiflich macht, daß Lessing, wie Boie am 10. April 1775 an Merck berichtet, grade gegen diesen Angriff sehr aufgebracht war. Aber zu übersehen ist nicht, daß vorher noch keiner den Grundunterschied antiker und moderner Tragik so klar und fest erfaßt hatte als es hier von Lenz geschah. Hier zuerst wird die antike Tragödie als Schicksalstragödie, die moderne Tragödie als Charaktertragödie bezeichnet. In der antiken Tragödie gehe wegen ihres gottesdienstlichen Ursprungs Alles auf das Fatum; die Hauptempfindung, welche erregt werden solle, sei nicht Hochachtung für den Helden, sondern blinde und knechtische Furcht vor den Göttern. In der modernen Tragödie Shakespeare's dagegen, die man daher auch Charakterstücke nennen müßte, wenn dieses Wort nicht so gemißbraucht wäre, sei der Held allein die Hauptsache, als der Schöpfer aller Begebenheiten, die sich auf ihn beziehen, als der Schlüssel zu allen seinen Schicksalen. Und in einer anderen Abhandlung „Ueber die Veränderung des Theaters bei Shakespeare", die zuerst Kayser 1776 in der Sammlung „Flüchtige Aufsäge von Lenz“ herausgab, eifert Lenz sogar, in merkwürdigem Gegensatz zu der Art seiner jungen Strebensgenossen, ja zu der Art seiner eigenen Dramen, gegen das wild Tumultuarische unaufhörlichen.

Scenenwechsels, gleich als beständen Shakespeare's Schönheiten blos in seiner Unregelmäßigkeit. „Das Interesse“, sagt er hier (Ausgabe von Tieck II, 336), „ist der große Hauptzweck des Dichters, dem alle übrigen untergeordnet sein müssen; fordert dieses, die Ausmalung gewisser Charaktere, ohne welche das Interesse nicht erhalten werden kann, unausbleiblich und unumgänglich Veränderungen der Zeit und des Ortes, so kann und muß ihm Zeit und Ort aufgeopfert werden, und Niemand als ein kalter Zuschauer, der bloß um der Decoration willen kommt, kann und wird darüber murren. Fordert dieses es aber nicht, welcher ächte Dichter wird seinen Schauspielern und Zuschauern mit Veränderungen der Scenen beschwerlich fallen, da die Einheit der Scene ihm so offenbare Vortheile zur Täuschung an die Hand bietet. Der große Werth einer dramatischen Ausarbeitung besteht also immer in Erregung des Interesses, Ausmalung großer und wahrer Charaktere und Leidenschaften und Anlegung solcher Situationen, die bei aller ihrer Neuheit nie unwahrscheinlich noch gezwungen ausfallen.“

Wir haben endlich noch Lenz als Lyriker zu betrachten. Sein hohes und wahres Talent kann Niemandem verborgen bleiben, der die von Karl Weinhold 1891 veranstaltete chronologische Sammlung seiner Gedichte durchgeht; aber freilich wird Jeder auch hier wahrnehmen, daß nur selten ein wirklich befriedigendes und vollendetes Lied Lenz gelungen ist. Auch hier Unfertigkeit und Willkür. Es ist gewiß ein gewichtiges Zeugniß für Lenz, daß man bei den Liedern des Sesenheimer Liederbuchs, das Heinrich Kruse herausgab, noch heute schwankend ist, wo Lenz und wo Goethe als Autor zu gelten habe. Aber andererseits wird auch Niemand die flüchtigen Lieder dieses Buchs Goethe's gereiften Erzeugnissen vergleichen wollen. Im Fortgang der Jahre wurden Lenz' Dichtungen immer seltsamer und werthloser.

Eine schwere Katastrophe brachte endlich seinem Schaffen ein jähes Ende.

Schritt vor Schritt kann man das Hereinbrechen dieser Katastrophe verfolgen.

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