ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Weil Lenz fast gleichzeitig mit Goethe in die Literatur trat, weil Goethe sein Freund war, weil er mit Goethe denselben Shakespearisirenden Ton hatte, wurde er sogar von Männern wie Herder, Klopstock, Lessing und Wieland immer unterschiedslos mit Goethe zusammengenannt. Lenz, meinte man, sei der Reformator des Lustspiels, wie Goethe der Reformator des Trauerspiels. In einer Besprechung, welche die Frankfurter Gelehrten Anzeigen 1776 von Eschenburg's Shakespeareübersehung bringen, wird der Schatten Shakespeare's heraufbeschworen und dieser begrüßt Lenz als seinen würdigsten Herold. „Lenz“, heißt es dort, „Du wirst ein Feuer in der Seele Deiner Brüder entzünden und wirst meiner Nebenbuhler viele machen." Aber schon das zweite Stück von Lenz, der Neue Menoza, hatte unverkennbaren Mißerfolg gehabt. Wie hätte dies Lenz ertragen können? Die öffentliche Erklärung, mit welcher er sich in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen 1775 über diesen „Kaltsinn“ beschwerte, ist eine erstaunlich naive Enthüllung beleidigter Eitelkeit. Immer geschäftiger drängte er sich an Alle, die er der neuen Richtung günstig wußte; seine Briefe au Lavater und Herder aus dieser Zeit sind ein widerliches Gemisch von kriechender Demuth und maßloser Ueberhebung; und immer tiefer wühlte der Gedanke an Wetteifer und thätiges Zusammenwirken mit Goethe in seiner Seele.

Als Lenz von der glänzenden Lage erfuhr, welche Goethe in Weimar gefunden hatte, beschloß er, dort ebenfalls sein Heil zu versuchen. In Straßburg lebte er kümmerlich und sorgenvoll; überbürdet von Schulden, in fortdauerndem Zerwürfniß mit Vater und Bruder, welche sein fahrendes Literatenleben nicht billigten und auf eine festere Lebensstellung drängten, gepeinigt durch den Verdruß, Diejenige, nach deren Liebe er gestrebt hatte, in seiner nächsten Nähe als die Gattin eines Anderen zu sehen. Nach Weimar schaute er um so hoffnungsreicher, da er den jungen Herzog bereits im Januar 1775 persönlich in Straßburg kennen gelernt hatte und da er der freundlichen Fürsprache Goethe's gewiß sein konnte. Das Schlimme war nur, daß Lenz überall glaubte, ernten zu können,

ohne zu säen, und daß sein ärgster Feind seine leichtfertige Haltungslosigkeit war.

Unmittelbar vor seiner Abreise aus Straßburg klagt Lenz in einem Briefe an Merck, daß seine Gemälde alle noch ohne Stil seien, sehr wild und nachlässig aufeinandergekleckst, daß ihm zum Dichter Muße und warme Luft und Glückseligkeit des Herzens fehle; aber er vergißt nicht, bedeutungsvoll hinzuzufügen, daß er sich für die ersten Augenblicke wahrer Erholung schon neue Pläne reiferen Schaffens zurechtgelegt habe. Und wie sich bei Lenz immer sogleich das Abstruse und Närrische einmischt, so schreibt er den Tag darauf einen Brief an Zimmermann, in welchem er prahlt, daß die Folgen dieser Reise für sein Vaterland wichtiger sein würden als für ihn selbst. Es ist nach Allem, was wir über seine damaligen Stimmungen und Absichten wissen, mit Bestimmtheit zu sagen, daß unter diesen wichtigen Folgen nicht bloß die Hoffnung auf das Aufblühen seiner Dichterkraft gemeint war, sondern noch mehr der Wunsch, eine von ihm verfaßte Denkschrift, in welcher er die in seinen ,Soldaten" vorgeführte Idee als feste gesetzliche Staatseinrichtung empfahl, dem Herzog und durch diesen den anderen deutschen Fürsten vorzulegen.

[ocr errors]

In den ersten Tagen des April 1776 traf Lenz in Weimar ein. Goethe kam ihm in treuster Anhänglichkeit entgegen und sorgte für ihn in rührendster Weise. Auch der Herzog empfing ihn mit Liebe. Am 14. April schreibt Lenz an Lavater, er sei verschlungen vom angenehmen Strudel des Hoses, der ihn fast nicht zu Gedanken kommen lasse, weil er den ganzen Tag oben beim Herzog sei. Aehnlich lautet ein Brief vom 16. April an Maler Müller. Aber Lenz verdarb sich sogleich Alles. Um ähnliche Gunst wie Goethe zu gewinnen, wollte er sich auch seinerseits als Genie zeigen; Genialität war ihm aber nach der Auffassung der Sturm- und Drangperiode vornehmlich nur die ungenirte Ausführung sogenannter Geniestreiche. Gewiß ist Vieles übertrieben, was Böttiger und Falk lästernd von Lenz berichtet haben; aber auch in den Briefen Goethe's und Wieland's liegen hinreichend Zeugnisse vor, welche es völlig

rechtfertigen, wenn Goethe, obgleich er noch immer in den liebevollsten Ausdrücken von ihm spricht, ihn als seltsame Komposition von Genie und Kindheit bezeichnet und ihn mit einem kranken Kinde vergleicht, das man wiegen und tänzeln und dem man vom Spielwerk geben und lassen müsse, was es wolle, ein anderesmal aber mit Anspielung auf seine kleine Statur ihn ein kleines Ungeheuer nennt, ja in einem Briefe an Frau von Stein sogar schon die bedeutsame Aeußerung thut, daß seine Seele zerstört sei. Am 26. November that Lenz eine That, welche ihm vom Herzog die plögliche Ausweisung zuzog. Es liegt über diesem Vorfall noch immer ein Schleier; es scheint, daß sich die Wissenden das tiefste Schweigen gelobten. Goethe, dem, um seinen in einem Briefe an Frau von Stein gebrauchten Ausdruck beizubehalten, die Sache tief an seinem Innersten riß, ist seitdem nie wieder mit Lenz in Berührung getreten, obschon Lenz später einmal brieflich den Versuch machte, nicht blos an Goethe, sondern auch an Frau von Stein sich wieder anzudrängen.

Derselbe ehrsüchtige böse Dämon, welcher Lenz zu Friderike von Sesenheim geführt hatte, hatte ihn auch nach Weimar geführt. Es ist immer dieselbe fire Idee, der Schauspieler eines fremden Lebens, der Wettkämpfer und Doppelgänger Goethe's sein zu wollen.

Alle seine hochfliegenden Pläne waren gescheitert, er sah sich wieder der drückendsten Noth des Lebens preisgegeben. Seine Ehre hatte einen unauslöschlichen Makel. Er war gebrochen in seinem innersten Wesen.

Zuerst rastlos unstetes Herumschweifen im Elsaß, bei Schlosser in Emmendingen, bei Sarasin in Basel, bei Lavater in Zürich, in den Alpen des Berner Oberlandes. Im August 1777 schreibt Lavater spottend an Sarasin: „Lenz lenzelt noch bei mir.“ Kurz darauf der volle Ausbruch des offenen Wahnsinns. Ein Brief Pfeffel's vom 24. November sagt: „Lenzen's Unfall weiß ich seit Freitag; ich gestehe Dir, daß diese Begebenheit weder mich noch Lerse sonderlich überraschte; ich hoffe aber doch, der gute Lenz werde

wieder zurechtkommen und dann sollte man ihn nach Hause jagen oder ihm einen bleibenden Posten ausmachen; Singularitäten oder Parodorien machen immer physisch oder moralisch unglücklich." Im December schreibt Lavater an Sarasin: „Lenzen müssen wir nun Ruhe schaffen; das einzige Mittel, ihn zu retten, ist, ihm alle Schulden abzunehmen und ihn zu kleiden." Doch hatte er wieder lichte Zwischenzeiten. Es ist für den Ursprung und die Natur seiner Krankheit überaus bezeichnend, daß Lenz sogleich eine solche Zwischenzeit benußte, die arme Friderike von Sesenheim wieder aufzusuchen, sie mit erneuten Liebesanträgen zu quälen und Goethe auf's ärgste bei ihr zu verunglimpfen. Dann gesteigerter Wiederausbruch am 20. Januar 1778 bei Pfarrer Oberlin zu Waldbach im Steinthal mit wilden Selbstmordversuchen und tobenden Fieberphantasien, in denen die Namen Friderike's und der Frau von Stein wirr durcheinanderschwirrten. Von hier wurde er zu Schlosser nach Emmendingen gebracht und von diesem zu einem Schuhmacher in Pflege und behufs körperlicher Thätigkeit in die Lehre gegeben; die Kosten bezahlte der Herzog von Weimar. In der treuen An= hänglichkeit, welche, wie aus seinen erhaltenen Briefen erhellt, er hier seinem Mitlehrling Conrad Süß widmete, spricht sich seine ursprünglich gutherzige Art in rührendster Weise aus, sowie in seiner unablässigen Schreibsucht der Nachklang seiner alten schriftstellerischen Gewohnheiten und Zukunftshoffnungen. Später wies man ihn auf Ackerbau und Jagd. (Vgl. Hagenbach, Sarasin und seine Freunde, S. 41 ff., und H. Dünzer, Frauenbilder aus Goethe's Jugendzeit, S. 88 ff.)

Scheinbar genesen wurde er im Sommer 1779 von seinem Bruder nach Riga abgeholt, wohin in diesem Jahr sein Vater als Generalsuperintendent versezt worden war. Lenz bewarb sich um eine Professur der Taktik in Petersburg, dann um die Rectorstelle in Riga; beidemal vergeblich. Zulezt finden wir ihn in Moskau wieder, geistig und körperlich verkommen.

Eine Zeitlang trug sich jetzt Lenz mit der Absicht, seine zerstreuten Werke zu sammeln. Im Jahr 1787 erschien von ihm die

Uebersehung eines russischen Buchs über die Verfassung Rußlands. Und ohne Zweifel hat er in dieser Zeit auch noch viele eigene schriftstellerische Versuche unternommen. Aber das Wenige, was sich erhalten hat, ist wirr und krankhaft. Das Bruchstück „Ueber Delicatesse der Empfindung oder Reise des berühmten Franz Gulliver", das Tieck, wie er selbst sagt, nur als psychologische Merkwürdigkeit in seine Ausgabe aufgenommen hat, ist nur insofern beachtenswerth, als die Ausfälle auf Goethe's Werther, den Lenz einst so sehr bewundert hatte, beweisen, wie in dem erlöschenden Geist der bitterste Haß und Neid gegen Goethe sich festgesezt hatte.

Lenz starb am 24. Mai 1792 zu Moskau, im zweiundvierzig= sten Lebensjahr. Das Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung meldete am 18. August seinen Tod mit folgenden Worten, die der lutherische Prediger in Moskau dem Unglücklichen gewidmet hatte: Er starb von Wenigen betrauert, von Keinem vermißt. Von Allen verkannt, gegen Mangel und Dürftigkeit kämpfend, entfernt von Allem, was ihm theuer war, verlor er doch nie das Gefühl seines Werthes. Er lebte von Almosen, aber er nahm nicht von Jedem Wohlthaten an, er wurde beleidigt, wenn man ihm unge= fordert Geld oder Unterstüßungen anbot, da doch seine Gestalt und sein ganzes Aeußere die dringendste Aufforderung zur Wohlthätigkeit waren. Er wurde auf Kosten eines großmüthigen russischen Edelmanns, in dessen Hause er auch lange Zeit lebte, begraben!"

Das Unglück pflegt zu versöhnen. Es ist sicher kein günstiges Zeugniß für Lenz, daß auch nach dem schweren Mißgeschick, das über ihn hereingebrochen war, selbst Diejenigen, die einst freundlich mit ihm verkehrten und die Lenz seine Freunde nannte, nur Worte des Tadels und der Anklage für ihn hatten. Milder muß sich das Urtheil gestalten, seitdem vieles, was in seinem Leben abgeschmackt erschien, als Vorstufe geistiger Erkrankung seine traurige Erklärung findet. Lenz selber hatte von diesem Verhängniß, das über ihn hereinbrach, eine tief schmerzliche Empfindung, die sich am schönsten in den Versen ausspricht:

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »