Drang". Es ist mir wieder so taub vor'm Sinn, so gar dumpf. Ich will mich über eine Trommel spannen lassen, um eine neue: Ausdehnung zu kriegen. Mir ist so weh wieder! könnte ich in dem Raume einer Pistole eristiren, bis mich eine Hand in die Luft knallte! Unbestimmtheit, wie weit, wie schief führst Du den Menschen!" Und ein anderes Mal sagt Wild: „Bin Alles gewesen! War Handlanger, um was zu sein, lebte auf den Alpen, weidete die Ziegen, lag Tag und Nacht unter dem unendlichen Gewölbe des Himmels, von den Winden gekühlt und von innerem Feuer gebrannt. Nirgends Ruh, nirgends Raft! — Seht, so strog ich voll Kraft und Gesundheit und kann mich nicht aufreiben. Ich will die Campagne hier mitmachen, da kann sich meine Seele ausrecken, und thun sie mir den Dienst und schießen sie mich nieder, gut dann! Ihr nehmt meine Baarschaft und zieht!" Ebenso fad und unerquicklich ist die Fabel und Handlung dieser Stücke. Die Motive schwirren wirr durcheinander; die Charaktere erwachsen und steigern sich nicht in innerer Nothwendigkeit, sondern sind meist carrikirte Reminiscenzen aus Shakespeare, Goethe und Lessing. „Die Zwillinge" (1776), welche Klinger's Namen begründeten und bei der Bewerbung um einen von Schröder für das beste Trauerspiel ausgesezten Preis über „Julius von Tarent“ von Leisewiß siegten, sind eine Ausmalung sittlicher Gräuel, noch peinigender und unerträglicher als die Ausmalung der körperlichen Hungerqual in Gerstenberg's Ugolino. Ein Wüthrich, Guelfo, ersticht seinen Zwillingsbruder, nur weil er neidisch auf dessen Recht der Erstgeburt ist. Selbst Bürger, dem man wahrlich nicht allzu große Scheu vor roher Kraft vorwerfen wird, schreibt 1780 (Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe und Merd; herausgegeben von K. Wagner 1847. S. 165): „Wie könnt Ihr, liebe Leute, Euch von der übertriebenen Sprache hintergehen lassen, das Stück schön zu finden! Ich weiß wohl, es geschieht mehreren gescheuten Leuten; aber beherzigt das Ding einmal recht! Es ist kein einziger natürlicher Charakter darin. Der Guelfo ist eine Bestie, die ich mit Wohlgefallen für einen tollen Hund todtschießen sehen könnte. Von Lisboa bis zum kalten Oby, wie Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1. 15 Ramler singt, ist außer dem Tollhause kein solcher Charakter. Es giebt freilich wohl noch boshaftere Buben; allein, wenn sie anfangen, so toll und rasend zu werden, wie Guelfo, so sorgt gewiß die Polizei, sie an Ketten zu legen." Aehnlich Sturm und Drang". Lord Berkley ist voll unersättlicher Rachlust gegen Lord Bushy, von dem er sich um Hab und Gut und Weib und Kind gebracht wähnt. Gleicherweise hasssen sich die Söhne, aber ohne Grund, in wildem Naturtrieb. Nun fügt es sich jedoch, daß der Sohn Bushy's (Wild) in Amerika die Tochter Berkley's findet, ohne zu wissen, wer sie ist; er liebt sie und findet Gegenliebe. Bunte Verwicklungen. Kriegsabenteuer, Zweikämpfe. Darauf allgemeine Versöhnung. Selbst Berkley und Bushy versöhnen sich; sie überzeugen sich, daß ihr Haß auf falschem Verdacht ruhte. Zum Schluß Heirath. Ein wüstes Durcheinander von Geist und Unsinn! Was Wunder, daß die Männer der Aufklärungsbildung einen solchen neuen Propheten ärgerlich abwiesen? Es schien, als habe Nicolai nicht Unrecht, wenn er 1776 an Merck schrieb, Klinger sei ein sehr mittelmäßiger Bursch, der nur Goethe's Manier aufschnappe, aber selbst nicht viel in sich habe. Auch Lessing meinte Klinger weit unter Lenz stellen zu müssen. Er habe Klinger's leztes Stück (Sturm und Drang), sezt er hinzu, unmöglich auslesen können. Aber in ihrer krampfhaften, sich überstürzenden Leidenschaftlichkeit waren diese Dichtungen nur um so mehr der entsprechende wirkungsvolle Ausdruck der gährenden unruhigen Erregung, die durch die gesammte Jugend dieser denkwürdigen Zeit hindurchging. Es ist sehr bedeutsam, daß grade der Titel eines Klinger'schen Dramas, Sturm und Drang, der Epoche den Namen gegeben hat. Für Goethe's helles Gestirn hatte diese ringende Jugend nur staunende Bewunderung; in Klinger's niederer Nebelwelt, welche doch auch von der leuchtenden Sonne der Idealität berührt und durchglüht war, wenn auch trüb und gebrochen, fand sie sich selbst, ganz wie sie war, mit ihrem vordringenden instinctiven Freiheitsgefühl und mit allen ihren Ungebärdigkeiten und Ueberspannungen. Als am 2. Juni 1777 in Frankfurt am Main Sturm und Drang von der Seyler'schen Schauspielergesellschaft aufgeführt wurde, sagten die von L. Wagner herausgegebenen „Briefe, die Seyler'sche Schauspielergesellschaft betreffend" (Frankfurt 1777. S. 131): „Wer fühlt oder auch nur ahnt, was Sturm und Drang sein mag, für den ist das Drama geschrieben; wessen Nerven aber zu abgespannt, zu er= schlafft sind, vielleicht von jeher keinen rechten Ton gehabt haben, wer die drei Worte anstaunt, als wären sie chinesisch oder malabarisch, der hat hier nichts zu erwarten." Am deutlichsten aber sehen wir an dem autobiographischen Bildungsroman Anton Reiser von Philipp Morih, wie tief Klinger in alle Empfindungen der Zeit eingriff. Anton Reiser (Bd. 3, S. 179) sagt von Klinger's Zwillingen: „Guelfo glaubte sich von der Wiege an unterdrückt, und nun fielen Reiser alle die Demüthigungen und Kränkungen ein, denen er von seiner Kindheit an beständig ausgesezt gewesen; Guelfo schlug in der Verzweiflung über sich eine „bittere Lache“ auf, Reiser erinnerte sich dabei aller der fürchterlichen Augenblicke, in denen er sein eigenes Wesen mit Verachtung und Abscheu betrachtete und oft mit schrecklicher Wonne in ein lautschallendes Hohngelächter über sich ausbrach; der Charakter des Guelfo erschien ihm so wahr, daß er sich ganz in dessen Rolle hineindachte und mit allen seinen Gedanken und Empfindungen in ihr lebte." Und noch im Jahr 1803 schrieb Schiller an seinen Schwager Wolzogen nach Petersburg: „Sag dem General Klinger, wie sehr ich ihn schäße. Er gehört zu denen, die vor fünfundzwanzig Jahren zuerst und mit Kraft auf meinen Geist eingewirkt haben; diese Eindrücke der Jugend sind unauslöschlich." Aus dieser ersten Zeit Klinger's haben sich auch noch einige Lieder erhalten, welche er 1776 an seinen Freund und Landsmann Kayser nach Zürich zur Komposition schickte; sie sind wieder abgedruckt im ersten Bande von Sauer's Ausgabe der „Stürmer und Dränger" 1883. Es ist mehr Zartheit und Innigkeit der Empfindung, und mehr ächte Liedmäßigkeit in ihnen, als man von dem Verfasser jener wilden dramatischen Phantasien erwartet. Unreif und abenteuerlich wie sein Dichten, war in diesen Jahren auch Klinger's Leben. Es ist nicht zu verkennen, daß die Schilde= rung, welche Goethe in Wahrheit und Dichtung von Klinger's Persönlichkeit giebt, durch die Eindrücke der späteren Entwickelung Klinger's bedingt und verschoben ist. Wenn ihn Wieland in einem Briefe an Merck einen Löwenblutsäufer nennt, so ist dies zwar ein Ausdruck, der aus Klinger's Drama Simsone Grisaldi auf den Dichter selbst übertragen wurde, aber er beweist doch, wie Klinger nur den ungezügelten Natur- und Kraftmenschen spielte. Merck sagt um diese Zeit von Klinger, er betrage sich ganz und gar wie ein Mensch aus einer anderen Welt; der Teufel aber solle die ganze Poesie holen, die die Menschen von Anderen abziehe und sie in= wendig mit der Betteltapezerei ihrer eignen Würde und Hoheit ausmöblire. Bedrängt in seiner äußeren Lage und ohne feste Ziele im Innern, führte Klinger viele Jahre ein unstetes Wanderleben. Es war damals noch kein ausgebildetes Zeitungswesen vorhanden, bei welchem jezt meist junge Leute dieser Art ihr erstes Unterkommen finden. Goethe's rasches Emporkommen in Weimar war den jungen Geniemenschen jener Zeit eine verführerische Lockung, ihr Glück ebenfalls am Hofe Karl August's zu suchen. Wie kurz vorher Lenz, so traf auch Klinger unerwartet und ungeladen am 24. Juni 1776 in Weimar ein. Der erste Empfang Klinger's war warm und herzlich. „Am Montag kam ich hier an“, schreibt Klinger am 26. Juni an Kayser nach Zürich, „lag an Goethe's Hals und er umfaßte mich mit inniger, mit alter Liebe; „Närrischer Junge!“ und kriegte Küsse von ihm: Toller Junge!" und immer mehr Liebe, denn er wußte kein Wort von meinem Kommen, so kannst Du denken, wie ich ihn überraschte. O was von Goethe zu sagen ist; ich wollte eher Sonne und Meer verschlingen! Gestern brachte ich den ganzen Tag mit Wielanden zu; er ist der größte Mensch, den ich nach Goethe gesehen habe, den Du nie imaginiren kannst als von Angesicht zu Angesicht. Hier sind die Götter! Hier ist der Siz des Großen! Lenz wohnt unter mir und ist in ewiger Dämmerung. Der Herzog ist vortrefflich und ich werde ihn bald sehen. Es geht Alles den großen simplen Gang; sie werden mich hier ruhig machen; wo ich hinseh, ist Heilbalsam für meinen Geist und für mein Herz.“ Aber bald erhob sich zwischen Goethe und Klinger Verstimmung. Schon am 24. Juli schrieb Goethe an Merc (Erste Sammlung, S. 940): „Klinger kann nicht mit mir wandeln, er drückt mich; ich hab's ihm gesagt, darüber er außer sich war und's nicht verstand und ich's nicht erklären konnte und mochte." Und ebenso am 16. September (ebend. S. 98): „Klinger ist uns ein Splitter im Fleisch, seine harte Heterogeneität schwürt mit uns und er wird sich herausschwüren;" Worte, die Goethe in einem Brief an Lavater von demselben Tage fast wörtlich wiederholt. Unter solchen Umständen war kein Bleiben für Klinger. Offenbar war es die Grundverschiedenheit ihrer Naturen, welche Goethe und Klinger von einander trennte. Dazu scheinen aber allerlei böswillige Zwischenträgereien gekommen zu sein, welche Christoph Kaufmann, der berüchtigte Missionär des Lavater'schen Christenthums, zwischen ihnen ausstreute. Wenigstens schreibt Klinger fast vierzig Jahre später am 26. Mai 1814 an Goethe: „Das lezte Mal, da ich Sie sah, war in Weimar während des ersten Sommers Ihres dortigen Aufenthalts. Ich schrieb damals im Drang nach Thätigkeit ein wildes Schauspiel, dem der von Lavater zur Bekehrung der Welt abgesandte Gesalbte oder Apostel mit Gewalt den Titel Sturm und Drang aufdrang, an dem später mancher Halbkopf sich ergözte. Indessen versuchte dieser neue Simson, da er weder den Bart mit dem Messer schor noch Gegohrenes trank, auch an mir vergeblich sein Apostelamt. Er rächte sich dafür. Hätte ich mich bei meiner Abreise mehr als durch Blicke des Herzens gegen Sie erklärt, ich wäre Ihnen gewiß werther als je geworden!" Uebrigens traten seit 1789 zwischen den alten Freunden wieder die alten freundschaftlichen Gesinnungen und Beziehungen hervor, im höheren Alter spann sich der Briefwechsel wieder an, und Beide sprachen in ihren Schriften fortan von einander nur mit der aufrichtigsten Liebe und Verehrung. (Vgl. Goethe-Jahrbuch Bd. III.) |