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Gefühl geworden, noch weniger Lais und Phryne, die er nie mit Augen gesehen. Und wer will außerdem verlangen, daß er an die Generalstaaten holländisch mit griechischen Lettern hätte schreiben sollen? Windelmann vielleicht in seiner Schwärmerei; aber gewiß nicht, wenn er sonst bei guter Laune gewesen. Jeder arbeite für das Volk, worunter ihn sein Schicksal geworfen und er die Jugend verlebt hat, suche dessen Herz zu erschüttern und mit Wollust und mit Entzücken zu schwellen, suche dessen Lust und Wohl zu verstärken und zu veredeln, und helfe ihn weinen, wenn es weinet! Jedes Volk, jedes Klima hat seine eigenthümliche Schönheit, seine Kost und seine Getränke; und wenn ächter milder Rüdesheimer nicht so reizend, so öl, mark- und feuersüß ist, wie der seltene Klazomener, so ist er doch wahrlich auch nicht zum Fenster hinauszuschütten.“ Ja, Heinse griff das Uebel sogleich in der Wurzel an, indem er vor Allem die damals allgemein übliche und leider noch heute nicht ganz aus unseren Kunstschulen verdrängte Art der Künstlererziehung, oder, um seinen eigenen Ausdruck beizubehalten, die verkehrte Art, wie junge Menschen, die Maler werden wollen, zugeritten werden, von Grund aus verwarf. Was wolle das ausschließliche voreilige finn= lose Abzeichnen der Antiken, deren schöne Formen der Schüler doch nicht verstehen und noch weniger sich zu eigen machen könne, bevor er nicht schon etwas Gleiches in der Natur empfunden! Habe doch selbst der erfinderische Poussin in manchen seiner berühmtesten Werke nur die vornehmsten Antiken geistlos zusammengestellt, und wie wenige seien doch Künstler wie Poussin, wie verschlechterten und verhäßlichten die Meisten noch dazu diese von außen entlehnten Marionetten! Die Kunst dürfte nichts Unlebendiges und Zusammengeflictes sein; alle Schönheit müsse aus Art und Charakter entspringen, wie der Baum frei und natürlich aus dem Keime wachse! Wer weiß nicht, daß Dies genau die Gründe sind, mit welchen wenige Jahre nachher die Begründer des sogenannten Wiederauflebens der neuen deutschen Kunst gegen die Akademien und gegen den akademischen Eklekticismus der Mengs und David zu Felde zogen? Und noch weiter werden diese Betrachtungen in den

Reisebriefen aus Italien und im Ardinghello ausgeführt. Und ferner hatten Winckelmann und Lessing auf Grund ihrer ausschließlich antikisirenden Anschauungsweise das Wesen der modernen Landschaftsmalerei verkannt und verachtet, sowie sie die Malerei überhaupt immer nur nach dem Maßstab der weit engeren Geseze und Be= dingungen der Plastik beurtheilten. Heinse, der selbst das wärmste Naturgefühl hatte und ein vollendeter Meister landschaftlicher Schilderungen war, hat mehrfach die Gelegenheit ergriffen, die Berechtigung und Ebenbürtigkeit der Landschaftsmalerei auf's wärmste zu vertheidigen; und seine klassischen Beschreibungen der Meisterwerke Tizian's, Rafael's und Ruben's beweisen in jeder Zeile, wie fein und ausgebildet bei dem liebevollsten Verständniß plastischer Schönheit doch grade sein Sinn für das eigenartig Malerische war. Und ist es der Grundmangel der Winckelmann-Lessing’schen Kunstlehre, daß sie immer nur von der Hoheit der Darstellungsgegenstände und der Ausschließlichkeit der idealen Formen, nie aber von dem geistigen Urgrund alles künstlerischen Schaffens, von dem in seinem Werke sich bethätigenden Innern des Künstlers spricht, so durchschneidet es den tiefsten Nerv dieser Kunstlehre, wenn Ardinghello (Bd. 2, S. 81) sagt: „Das Hauptvergnügen an einem Kunstwerk für einen weisen Beobachter macht immer am Ende das Herz und der Geist des Künstlers selbst, und nicht die vorgestellten Sachen;" ein Wort, das ' auch heut noch unseren Künstlern und Aesthetikern nicht oft genug wiederholt werden kann.

Die Lust und Freude an der Musik war Heinse von Kindheit an in's Herz gewachsen; sein Vater war Organist, musikalische Bildung ging durch seine ganze Familie. Es ist eine tief ergreifende Scene, wenn wir in einem seiner Briefe sehen, wie Heinse als dreiundzwanzigjähriger Jüngling von einer Reise zurückgekehrt, mit den Bauern, deren Hab und Gut soeben durch eine furchtbare Feuers= brunst vernichtet war, an den Feierabenden Geige und Flöte spielte, um ihnen über Trübsal und Hunger hinüberzuhelfen. Er war ein ausgezeichneter Klavierspieler; eine Zeitlang dachte er sogar an eigene Opernkompositionen. Die musikalischen Urtheile, welche Heinse in

seinen Briefen und besonders in seinem musikalischen Roman Hildegard von Hohenthal ausspricht, sind zwar nicht frei von manchen Nachgiebigkeiten gegen die späteren Italiener, über welche wir jezt strenger zu urtheilen gewohnt sind; gleichwohl hat Heinse auch in der Musik einen durchaus reformatorischen Zug. Heinse ist einer der Ersten in Deutschland gewesen, welche wieder auf den alten ernsten italienischen Kirchenstil zurückgingen; seine eingehenden Besprechungen Palestrina's, Allegri's, Leo's und Pergolese's sind Meisterstücke feiner und sittlich ernster Charakteristik. Und ebenso ist Heinse einer der Ersten gewesen, welche die großartige geschichtliche Bedeutung Gluck's erkannten, und die Revolution, welche dieser in der Oper herbeiführte, als mustergiltige That priesen; was in Hildegard von Hohenthal über Armida, Orpheus und Eurydice, Alceste, Iphigenia in Aulis und Iphigenia in Tauris ausführlich verhandelt und erwogen wird, verdient auch heut noch, obgleich grade über Gluck eine sehr reichhaltige Literatur vorliegt, gelesen und beachtet zu werden. Nur selten ereignet es sich, daß ein so feiner Sinn für bildende Kunst und ein so tiefes musikalisches Verständniß miteinander verbunden sind.

Mit der Betrachtung Ardinghello's und Hildegard's von Hohenthal ist die Betrachtung Heinse's abgeschlossen.

Anastasia, ein Roman, welcher 1803 erschien, ist nichts als eine geistvolle Anweisung zum Schachspiel in romanhafter Einkleidung. Der Roman „Fiormona“ und die „Musikalischen Dialogen“ sind untergeschoben.

Heinse konnte nach seiner Rückkehr aus Italien sich in Deutschland nicht mehr recht einleben. „Mich reut es, so viel mir Haare auf dem Kopfe stehen, daß ich Rom verließ", schrieb er am 15. März 1785 an Gleim. Und in einem anderen Briefe vom 30. Januar 1784 sagt er: „Ich bringe meine Zeit hin mit den großen Werken von Jomelli, Gluck, Trajetta und Majo am Klavier und im Lesen der hohen Griechen, die mich allein für Rom, Neapel, Florenz, Venedig und Genua schadlos halten, und spiele Schach und Billard mit unserm theuren Friz Jacobi, solange bis das Schicksal anders will."

Von 1783-1786 lebte Heinse wiederum in Düsseldorf, wo er den Ardinghello schrieb. Im Jahr 1786 wurde er durch Jacobi's und Johannes von Müller's Vermittlung Vorleser und Bibliothekar Karl Friedrichs von Erthal, des lebensfrohen Kurfürsten von Mainz. Unter dessen Nachfolger, dem Coadjutor von Dalberg, der ihn mit unausgesezter Gunst und Freundschaft beehrte, siedelte er 1795, nach Vollendung der „Hildegard“, als Bibliothekar nach Aschaffenburg über.

An den großen Bewegungen, welche die französische Revolution über die Rheinlande brachte, nahm Heinse nicht theil. Er spottet über Georg Forster, daß er sich von den Stürmen der Revolution habe verschlingen lassen. Die Zeit der Mainzer „Freiheitsfarce“ brachte er bei Jacobi in Aachen und Düsseldorf zu. Doch blieb sein Inneres nicht unberührt von diesen großen Erschütterungen. Die hinterlassenen Papiere Heinse's, im Besig der Familie Sömmerring in Frankfurt am Main befindlich, bezeugen, daß die herben. Schläge der Wirklichkeit sein politisches Denken zu einer Reife führten, die bei dem Dichter des Ardinghello wahrhaft überraschend ist. Sein Streben war, wie er sich ausdrückt, Rousseau durch Aristoteles zu vertiefen.

Den Bewegungen der Literatur vermochte er nicht mehr zu folgen. In den hinterlassenen Papieren sind Angriffe auf Goethe und Schiller, die nicht frei sind von neidischer Verbitterung.

Seit seinem Aufenthalt in Mainz verband ihn die hingebendste Freundschaft mit Sömmerring, dem berühmten Anatomen. Es ist eine Männerfreundschaft von seltener Herzlichkeit. Eben war er mit dem Abschluß „Vermischter Schriften" beschäftigt, welche Abhandlungen über Aristoteles und über Geschichte der Musik bringen sollten, als ihn im März 1803 plöglich ein Schlaganfall traf. Am 22. Juni desselben Jahres starb er. Auf dem Agathenkirchhof zu Aschaffenburg ist er begraben.

In einer seltsamen Testamentsbestimmung vermachte er seinen Schädel seinem Freund Sömmerring. Dieser Schädel ist jezt im Senckenberg'schen Institut zu Frankfurt.

Heinse's Tod ging unbeachtet vorüber. Das Geschlecht, welches jezt lebte, war den Wirren der Sturm- und Drangperiode ent= wachsen. Es ist das Schicksal unfertiger Naturen, vorzeitig vergessen zu werden. Heinse verdient dies Schicksal nicht. Er ist ein so reichbegabter und vielseitiger Geist, daß es sich wahrlich lohnt, in ihm die Spreu und den Weizen zu sondern.

Siebentes Kapitel.

Die Gefühlsphilosophen und die pietistischen Schwärmer.

Wenn Goethe Diejenigen aufzählte, welche am tiefsten auf sein Jugendleben einwirkten, nannte er jederzeit mit liebevollster Verehrung Hamann. Und unter all seinen Jugendfreunden standen seinem Herzen am nächsten Jung-Stilling, Lavater und Friz Jacobi. Auch Herder fühlte sich von diesen Geistern auf's mächtigste angezogen. Es war ein bitterer Schmerz für Goethe und Herder, als sie in der Mitte der achtziger Jahre, nachdem sie aus ihren ersten ringenden Jugendwirren sich zu fester männlicher Klarheit herausgearbeitet hatten, erleben mußten, daß ihre Wege von den Wegen der alten Freunde fortan durch eine unüberbrückbare Kluft geschieden sei.

Es ist die religiöse Seite der Sturm- und Drangperiode, die uns hier bedeutsam entgegentritt.

Die Freunde fühlten sich innig eins in ihrem gemeinsamen Gegensaz gegen die Enge und Kahlheit des herrschenden Ratio= nalismus. Und sie wurden Gegner, als sich im Lauf der Zeit immer schärfer herausstellte, wie durchaus verschiedenartig, ja wie einander auf's schroffste entgegengesezt die Ziele waren, die sie von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt aus erstrebten.

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