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kommen". Daher sein krankhaftes Schwelgen in den Verheißungen der Offenbarung Johannis, sein Harren auf die Wiederkunft Christi und auf die Errichtung des tausendjährigen Reiches, seine Visionen aus der hereinragenden unsichtbaren Geisterwelt.

Claudius, der Wandsbecker Bote (1740-1815), stellte sich ebenfalls in die Zahl der frommen Erweckten. Aus dem Fußboten wurde, um mit Goethe zu sprechen, ein Evangelist oder, wie Jacobi sich ausdrückt, ein Bote Gottes. Seit 1775 ließ Claudius seine Werke unter dem Namen Asmus omnia sua secum portans erscheinen, und schon im dritten Theil, der im Jahr 1778 herauskam, tritt die Wendung zum Religiösen hervor; noch entschiedener 1783 im vierten Theil. Obgleich Claudius die religiösen Schriften SaintMartin's und Fénelon's überseßte und sich in seinen späteren Jahren immer mehr und mehr in die Welt Hamann's, Tauler's, Pascal's und Angelus Silesius' versenkte, so hat er sich doch nie in die trübe Phantastik Lavater's und Jung-Stilling's verloren. Ihm gelang es, im einfältigen Kinderglauben zu bleiben, weil er sich im Grunde nie von demselben entfernt hatte. „Bleibe der Religion Deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannegießer“ (Bd. 7, S. 68).

Und um diese Zeit kämpfte Graf Friedrich Leopold Stolberg seine bangen Kämpfe, die ihn zuletzt zum Katholicismus führten.

Aus Friedrich Perthes' Leben wissen wir, wie tief damals faft der gesammte Holstein'sche Adel, der sich noch bis auf den heutigen Tag durch Feinheit und Tiefe der Bildung auszeichnet, von diesen wichtigsten Fragen und Gegensäßen bewegt und erfüllt war.

Obgleich über die verschiedensten Gegenden deutscher Zunge weit verstreut, und obgleich zum Theil in ihren Richtungen weit auseinandergehend, standen diese neuen Gläubigen doch unter sich in innigster Gemeinschaft, ja sogar in engster persönlicher Beziehung.

Besonders wurde diese gegenseitige persönliche Annäherung vermittelt durch die Fürstin Galligin. In deren Hause verkehrten sie Alle; Hamann fand in ihrem Garten seine lezte Ruhestätte.

Diese hochgestimmte feinsinnige Frau ist eine der eigenthüm= lichsten und denkwürdigsten Erscheinungen. Eine Tochter des preußi

schen Generalfeldmarschalls Grafen von Schmettau, war sie in ihrem zwanzigsten Jahre (1768) die Gemahlin des russischen Fürsten Galligin (richtiger: Golizyn) geworden. Sie lebte im Trubel der vornehmen Welt, mit Voltaire und Diderot und Grimm stand sie in persönlicher Verbindung. Aber ihre tiefe Seele blieb in diesem Treiben ohne Glück und Ruhe. Da studirte sie im Haag unter dem Philosophen Hemsterhuys die Tiefen der Platonischen Philosophie; zugleich versenkte sie sich, wie ihre Briefe an Sömmerring zeigen, in die Naturwissenschaft, sogar in die Anatomie. Doch ihr eigenstes Leben fand sie erst, als sie im Sommer 1779 nach Münster kam, um sich für die Erziehung ihres Sohnes den Rath Fürstenbergs einzuholen, des edlen, um die Hebung des Unterrichtswesens hochverdienten Ministers des Bischofs von Münster. Angezogen von der machtvollen Persönlichkeit Fürstenbergs, nahm sie fortan in Münster ihren bleibenden Aufenthalt. Unter diesen Einwirkungen wurde sie, die freigeistige Gefühlsphilosophin, allmählich gläubige Christin, gläubige Katholikin. Sie hat fortan bei gar manchen Bekehrungen ihre Hände im Spiel gehabt; der Uebertritt Stolberg's ist zum großen Theil ihr Werk. Aber Milde und Herzensseinheit, ja in gewissem Sinne sogar die innere Hoheit freier Weltbildung ist ihr immer geblieben. Goethe, der im November 1792 auf seiner Rückkehr aus dem französischen Feldzug bei ihr einige Wochen in Münster zubrachte, sagt von ihr: „Sie war eines der Individuen, von denen man sich gar keinen Begriff machen kann, wenn man sie nicht gesehen hat, die man nicht richtig beurtheilt, wenn man sie nicht in Verbindung sowie im Conflict mit ihrer Zeit betrachtet. Ihr Leben füllte sich aus mit Religionsübung und Wohlthun; Mäßigkeit und Genügsamkeit war in ihrer ganzen häuslichen Umgebung; innerhalb dieses Elements aber bewegte sich die geistreichste herzliche Unterhaltung, ernsthaft durch Philosophie, heiter durch Kunst."

Zunächst war es nur eine kleine Gemeinde, die sich unter der Fahne dieser neuen strengeren Christlichkeit zusammenfand. Aber die Zeitumstände fügten es wunderbar, daß dieser religiöse Rückschlag

gegen die Errungenschaften der Aufklärung bald mächtiger und allgemeiner wurde. Es kamen in Preußen die Religionsedicte Wöllner's, in Oestreich der Umsturz der Josephinischen Reformen. Weitgreifender jedoch als diese befohlene Kirchlichkeit wirkten die Schrecken der französischen Revolution. Das deutsche Gemüth wurde nur um so tiefer in sich zurückgeworfen. Die Großen und Freien flüchteten in die stille Idealwelt der künstlerischen Schönheit, in die freie Ho= heit der Wissenschaft; wer so ernster Arbeit nicht gewachsen war, suchte Trost und Halt in religiöser Erhebung und Verinnerlichung. Hier ist der Grund und der Anfang der religiösen Romantik der unmittelbar folgenden Jahrzehnte.

Achtes Kapitel.

Der Göttinger Dichterbund.

1. Boie. Bürger. Hölty. Christ. und Fr. Stolberg.

BoB.

Frühling überall. Zu derselben Zeit, als Goethe mit seinen ersten gewaltigen Werken auftrat, erstand in Göttingen jener Kreis junger Dichter, der in der deutschen Literaturgeschichte unter dem Namen des Göttinger Hainbundes bekannt ist.

Im Sommer 1769 hatten sich Gotter und Boie, Beide als junge Hofmeister in Göttingen lebend, mit einander verbunden, einen deutschen Musenalmanach herauszugeben, der dem 1765 in Paris gegründeten Almanac des Muses nachgebildet war. Der erste Jahrgang erschien unter dem Titel „Musenalmanach für das Jahr 1770. Göttingen bei Johann Christian Dietrich." Der zweite Jahrgang, der Musenalmanach für das Jahr 1771, wurde, da

Gotter inzwischen Göttingen verlassen hatte, von Boie allein besorgt. Beide Jahrgänge, zum Theil Blumenlesen bereits gedruckter Gedichte, gehörten noch durchaus der alten Schule an; außer Boie und Gotter, die fast nur kleine Nachbildungen aus dem Englischen und Französischen brachten, waren Klopstock, Ramler, Kästner, Gerstenberg, Denis, Kretschmann, Willamov, Gleim, Claudius, die Karschin, Thümmel am meisten vertreten. Bald aber schaarten sich um Boie alle Göt= tinger Studenten, die Beruf zur Dichtung zu haben meinten. Und unter diesen waren Talente, die dem Führer schnell über den Kopf wuchsen und ihn nun ihrerseits unter ihre Führung nahmen. Seit dem Herbst 1770 Bürger; von ihm brachte bereits der Musenalmanach für das Jahr 1771 das Trinklied „Herr Bacchus ist ein braver Mann“. Dann im Sommer 1771 Friedrich Hahn aus Zweibrücken, Ludwig Hölty, Johann Martin Miller; seit Ostern 1772 Karl Friedrich Cramer und Johann Heinrich Voß, seit dem Herbst desselben Jahres die beiden Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg. Die Rückwirkung auf den Musenalmanach blieb. nicht aus. Schon im Jahrgang 1772 erscheint von dem jungen Geschlecht nicht blos Bürger, sondern auch Voß und Claudius. Besonders aber die Jahrgänge 1773 und 1774 haben die unvergängliche Bedeutung, die wichtigste Urkunde der neu erstehenden deutschen Lyrik zu sein. Hier erschienen zum ersten Mal die schönsten Lieder von Hölty, Miller und Frizz Stolberg, hier erschien zuerst Bürger's Lenore, ja hier stellte sich Goethe selbst ein, mit Beiträgen, unter denen wir besonders „Der Wanderer“, „Adler und Taube" und den Gesang zwischen Ali und Fatema" hervorheben. Gleim und Ramler fehlen. Der Gegensatz gegen die alte Zeit war scharf ausgesprochen. Und Niemand täuschte sich darüber, weder Freund noch Feind. Es ist überaus bezeichnend, daß Nicolai im fünfundzwanzigsten Bande der Allgemeinen Deutschen Bibliothek am Musenalmanach von 1774 „einen gewissen Neologismus“ rügte, von welchem er die jungen Dichter nicht genug warnen könne, weil derselbe den wahren. Charakter und das Wesen der Poesie, vorzüglich aber die Reinigkeit unserer Sprache, auf das Spiel setze.

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Neben Goethe haben diese Göttinger am meisten dazu beigetragen, daß die deutsche Lyrik endlich aus dem verderblichen Jagen nach dem Fremden und künstlich Angelernten heraustrat und in Empfindung und Gestaltung wieder schlicht und innig, natürlich und ursprünglich, ächt deutsch und volksthümlich wurde!

Seit dem 12. September 1772 hatten sich die jungen Göttinger Dichter zu einem Kränzchen zusammengeschlossen, dem sie den anspruchsvollen Namen „Hain“ gaben; nach dem Vorgang Klopstock's, welcher in mehreren seiner Oden und namentlich in der Ode „Der Hügel und der Hain“ im Gegensaz zum Parnaß den Hain als das Sinnbild bardischer Dichtung und Gesinnung gefeiert hatte. Die Briefe von Voß an Brückner und an seine Braut Ernestine Boie bezeugen, welch überschwengliche Klopstockbegeisterung in diesem Bund herrschte. Bald traten die jungen Dichter mit Klopstock in nahe persönliche Berührung, zumal Cramer und die beiden Stolberge von Jugend auf persönlicher Beziehungen zu Klopstock sich rühmen durften; und auch Klopstock seinerseits, der in diesen Jünglingen wesentlich nur seine Jünger erblickte, brachte ihnen in seinem seltsamen Buch von der Gelehrtenrepublik öffentlich seine Anerkennung und Huldigung. In den Gedichten sowohl wie in den Sahungen und geselligen Formen des Bundes spreizte sich viel bardische Ueber= spannung und Thorheit. Doch ist über diesem lärmenden Klopstockcultus eine andere sehr gewichtige Thatsache nicht zu übersehen. Von Anbeginn waltete in diesen jungen Dichtern zugleich auch der klar bewußte und warmgehegte Zug nach unmittelbar volksthümlicher Dichtung, wie er so eben durch Herder's mächtige Hinweisung auf das Wesen ächter und ursprünglicher Volkspoesie geweckt und durch Goethe's Göz von Berlichingen und seine ersten Jugendlieder zu siegreicher Erscheinung gekommen war. In jener berühmten Klopstockseier, in welcher das Bildniß Wieland's verbrannt wurde, erklangen die Gläser nicht blos zur Ehre Klopstock's, sondern auch zur Ehre Herder's und Goethe's. Schon im Musenalmanach von 1773 hatte Bürger seinen Gedichten „Minnelied" (Der Winter hat mit kalter Hand 2c. 2c.) und „Die Minne" (Ich will das Herz

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