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Aber war das Ziel nicht erreicht, so war es doch unverlierbar gezeigt. Wir wissen, mit welcher tiefen und nachhaltigen Gewalt diese Idyllendichtung auf Goethe wirkte. Goethe hat nie ein Hehl gemacht, daß Hermann und Dorothea aus seiner nacheifernden Bewunderung der Voß'schen Luise hervorging.

2. Leisewiz.

Johann Anton Leisewitz, am 9. Mai 1752 zu Hannover ge= boren, trat am Geburtsfeste Klopstock's, am 2. Juli 1774, in den Göttinger Dichterbund. Seine Theilnahme war nur von kurzer Dauer; schon im October desselben Jahres verließ er Göttingen, um sich als Sachwalter in Hannover niederzulassen. Voß berichtet in seinen Briefen, daß Leisewiß schon damals mit der Abfassung seines Trauerspiels Julius von Tarent" beschäftigt war.

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Leisewig reichte dieses Trauerspiel ein, als Schröder am 28. Fc-. bruar 1775 einen Preis für das beste Originalstück" ausgeschrieben hatte. Den Preis erhielt nicht Leisewiß, sondern Klinger für seine „Zwillinge". Aber schon damals widersprach die öffentliche Meinung dieser Entscheidung. Und das geschichtliche Urtheil hat dieser öffent= lichen Meinung Recht gegeben.

Sowohl in der Sprache wie namentlich auch in der Art der dramatischen Komposition sieht man durchaus die Schule Lessing's. Die Einheit der Zeit ist auf's strengste gewahrt. Lessing begrüßte daher dieses Stück, obgleich er es anfänglich für ein Werk Goethe's hielt, mit Freuden, und wurde später dem Dichter auch persönlich auf's herzlichste zugethan. Dennoch ist der durchgreifende Lebensnerv des Stücks der Geist der Sturm- und Drangperiode.

Dies zeigt bereits das Grundmotiv. Das Grundmotiv ist nicht wie in Miß Sara Sampjon nur ein moralischer Fehltritt oder wie in Emilia Galotti das verderbliche Spiel eines Intriguanten, sondern es quillt, ganz in der maßgebenden Weise Shakespeare's, aus der schreckenvollen Tiefe dämonischer Leidenschaft. Der unerläßliche Begriff der tragischen Schuld, welcher bei Lessing noch gänzlich fehlte,

dämmert auf, wie gleichzeitig in Goethe's Clavigo; freilich noch nicht mit der scharfen Klarheit, daß aus dieser Schuld die Katastrophe mit unausbleiblicher, das Mitwirken äußerer Zufälle ausschließender Nothwendigkeit abgeleitet wurde.

Zwei Brüder lieben ein und dasselbe Mädchen. Der ältere Bruder, Julius, will von der Geliebten nicht lassen, weil er sie mit der Gewalt unüberwindlicher Leidenschaft liebt; der jüngere Bruder, Guido, will nicht von ihr lassen, weil er bereits öffentlich um die Geliebte geworben, weil er sie in allen Feldzügen und Turnieren als jeine Geliebte genannt, weil seine Ehre zum Pfand steht. Der Vater der beiden Brüder, der Fürst von Tarent, schickt das Mädchen in ein Kloster. Julius versucht die Entführung. Guido überfällt ihn bei dem Entführungsversuch und tödtet ihn. Der Vater vollzicht mit eigener Hand am Mörder die jühnende Strafe.

Auch in der Charakterzeichnung ist die Nachahmung Shakespeare's deutlich sichtbar. Freilich müssen wir überall nur nach den Absichten urtheilen, denn mit vollem Recht sagt Merck im vierten Heft des Deutschen Merkur von 1776, daß er bei aller Anerkennung des ungemeinen Genies" des jungen Verfassers in den Charakteren Selbständigkeit und Naturwahrheit vermisse, sie jeien wie alle Ge= schöpfe der derzeitigen Dramatifere nur leere Hirngespinnste. Es war im Gegensah der beiden feindlichen Brüder auf den Gegensaz grüblerisch empfindsamer und derbkräftig handelnder Naturen abgesehen; für Julius war zum Theil Werther, noch mehr aber Hamlet das Vorbild. Ebenso erinnert Blanca, die Geliebte, an Ophelia. Auch sie wird zuleht aus gebrochenem Herzen wahnsinnig. Fast jede Tragödie der Sturm- und Drangperiode mußte eine Wahnsinnsscene haben.

Und dazu, ganz im Geist der Sturm- und Drangperiode, in den einzelnen Reflerionen der Handelnden die bittersten, unmittelbar aus Rousseau entlehnten Ausfälle gegen die Uebel des Staats und der Gesellschaft, gegen die Unnatur der kirchlichen Sahungen, wie sie Leisewitz auch in zwei kleineren dramatischen Stizzen „Die Pfändung“ und „Der Bejuch um Mitternacht im Göttinger Musenalmanach von 1775 zu dramatischem Ausdruck gebracht hatte.

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Was Wunder also, daß das gesammte jüngere Geschlecht dieser Dichtung rückhaltslos zujubelte. Namentlich auf Schiller hat Julius von Tarent den nachhaltigsten Einfluß geübt. Er fand, wie er sich in einem Brief an Reinwald ausdrückt, in Leisewig mehr Feuer, mehr Blut und Nerv als in Lessing's Emilia Galotti. Eine später vernichtete Jugendarbeit Schiller's Cosmus von Medicis" war eine Nachahmung. Auch in den Räubern nicht blos derselbe Gegensaz zweier feindlicher Brüder, sondern sogar einzelne wörtliche Reminiscenzen. Und noch unmittelbarer kehrt dasselbe Motiv in einem seiner spätesten Stücke wieder, in der Braut von Messina; allerdings nach dem Begriff der strengen Schicksalsnothwendigkeit griechischer Kunstidealität vertieft und umgewandelt.

Seitdem verstummte Leisewitz. Im Juliheft 1776 von Boie's Deutschem Museum finden sich zwei Scenen beabsichtigter Tragödien „Konradin“ und „Alerander und Hephästion“; sie sind Bruchstücke geblieben; ebenso ein Lustspiel „Der Sylvesterabend oder die Weiber von Weinsberg“, welches G. Kutschera 1876 aus dem Nachlaß veröffentlicht hat.

Im November 1775 war Leisewig nach Braunschweig übergesiedelt. Dort gelangte er zu hohen Verwaltungsämtern. Er starb am 10. September 1806.

Es ist nicht stichhaltig, wenn man gesagt hat, die Niederlage, welche Leisewitz bei jener Preisbewerbung erlitten, habe ihn von der Fortsegung seiner dichterischen Thätigkeit zurückgeschreckt; das Aufsehen, das sein Drama erregte, und der Bühnenerfolg, den es überall hatte, entschädigte ihn für diese Unbill hinlänglich. Auch der Vorwurf der Trägheit, welchen seine Freunde oft wiederholen, ist kein genügender Erklärungsgrund. Der tiefere Grund ist wohl, daß Leisewih, verständig und bescheiden, und fest in Lessing'scher Tradition wurzelnd, seine Kräfte dem Wettkampf mit Goethe und Schiller nicht gewachsen fühlte.

Für dieses Gefühl williger Unterordnung liegt ein sehr bestimmtes Zeugniß vor. Schon während seiner Göttinger Studienzeit hatte sich Leisewig eine Geschichte des dreißigjährigen Krieges

zur Aufgabe gestellt und die Vorarbeiten auch späterhin sorgsam weitergeführt. Er vernichtete die Handschrift, als Schiller's berühm= tes Geschichtswerk erschien.

Nach seinem Tode mußten laut testamentarischer Verfügung seine sämmtlichen Papiere verbrannt werden.

Neuntes Kapitel.

Schiller.

Bis zu seiner ersten Uebersedelung nach Weimar 1787.

1. Die Räuber.

Fiesco. Kabale und Liebe.
Die Anthologie.

Was Goethe von Klinger berichtet, daß dieser sich um so inniger an Rousseau geschlossen, je quälender der Widerspruch zwischen seinem stolzen Unabhängigkeitssinn und seiner bekümmerten äußeren Lage an ihm genagt habe, das wiederholte sich in Schiller's ersten Entwicklungsjahren in verstärkter Bedeutung.

Friedrich Schiller, am 10. November 1759 zu Marbach ge= boren, verlebte seine Kindheit in engen und kleinen Verhältnissen. Auf dem Jüngling lastete der Druck harter und despotischer Erziehung. Täglich umgab ihn die wüste Tyrannenwirthschaft des Herzogs Karl Eugen, welcher Männer wie Moser und Schubart jahrelang schuldlos und unverhört im scheußlichsten Kerker hielt, seine Landesfinder für schnödes Blutgeld nach Amerika verkaufte, den üppigen Hofhalt von Versailles zu überbieten trachtete, und welcher, nachdem er im Alter plöglich eine reumüthige Sinneswandlung in sich er

fahren hatte, selbst die Güte und Menschenfreundlichkeit immer nur in der Weise unbeschränkter Herrscherlaune zu erfassen und zu verwirklichen wußte. Ja, zu diesem Gewaltherrscher stand Schiller in nächster persönlicher Berührung, erlitt von ihm den unmenschlichsten Zwang, mußte sich vor ihm drücken und bücken bis zur Selbsterniedrigung und Heuchelei; er, der freiheitglühende selbstbewußte Jüngling, der in seinen vertraulichen Aeußerungen von nichts lieber spricht als von dem unbeugsamen Stolz edler Seelen, und von dem einer seiner Jugend- und Leidensgenossen treffend sagt, daß, wäre er nicht ein großer Dichter geworden, er sicher ein großer Mensch_im_handelnden öffentlichen Leben geworden sein würde, dessen Loos freilich leicht die Festung hätte werden können. Und dies Alles in einer Zeit, da die Großthaten der nordamerikanischen Freiheitskriege allmählich auch in Deutschland den erstorbenen politischen Sinn wieder zu wecken begannen, und in einem Lande, wo die Spöttereien des geschickten Journalisten Wethrlin und die flammenden agitatorischen Gedichte Schubart's lebendig fortklangen! Christian Friedrich Daniel Schubart, geboren 1739, hatte theils in anspruchsvoller Odenform, theils in volksthümlichem Liederton mannhaft und freisinnig gedichtet, hatte eine Ausgabe von Klopstoc's kleineren Schriften veranstaltet, und durch seine „Deutsche Chronik“ Einfluß auf das geistige Leben seiner schwäbischen Heimath gewonnen, als 1777 sein Leben durch die jähe und nie gerechtfertigte Verhaftung grausam zerschnitten wurde. Aus der Zeit der zehnjährigen Gefangenschaft stammen noch bedeutende Gedichte; wie „die Gruft des Fürsten“. Aber allmählich erschlaffte dennoch die Spannkraft seines Geistes. Als er 1787, zum Theil auf preußische Verwendung, die wegen seines Hymnus auf Friedrich den Großen erfolgte, freigegeben wurde, erwies sich seine Kraft als gebrochen. Er fügte sich in die Rolle eines Hofdichters, und schrieb sogar Verse wie die folgenden:

„Frei zu denken, frei zu handeln
Ziemt dem großen Haufen nicht;
Besser in der Nacht zu wandeln
Ist ihm als im Mittagslicht!“

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