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heiten seien die Schlaube, in welcher die Frucht gewachsen. Wie ganz anders, fährt Herder fort, war der Ursprung des englischen Dramas! Shakespeare fand keinen griechischen Chor vor, sondern Staats- und Marionettenspiele; er bildete also aus diesen Staatsund Marionettenspielen, dem so schlichten Lehm, das herrliche Geschöpf, das da vor uns stehet und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Ständen, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten; er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, Könige und Narren. Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung; er nahm die Geschichte, wie er sie fand, er sezte mit Schöpfergeist das Verschiedenartigste zusammen. Und hatte Shakespeare den Göttergriff, eine ganze Welt der disparatesten Auftritte zu einer Begebenheit zu erfassen, so gehörte es natürlich zur Wahrheit seiner Begebenheiten, auch Ort und Zeit jedesmal zu individualisiren, daß sie mit zur Täuschung beitrugen. „Nimm dieser Pflanze ihren Boden, Saft und Kraft, und pflanze sie in die Luft: nimm diesem Menschen Ort, Zeit, individuelle Bestandheit Du hast ihm Athem und Seele genommen, und ist ein Bild vom Geschöpf“ (S. 225). Die antike und moderne, oder wie Herder in seiner, später auch von Jean Paul beibehal= tenen Sprechweise zu sagen pflegte, die griechische und die nordische Tragödie mußten verschieden sein, weil die Entwicklungsbedingungen, aus welchen eine jede hervorging, so durchaus verschieden waren.

Betrachten wir den nächsten Thatbestand, so hatte Herder wohl nur die Absicht, hauptsächlich gegen Diejenigen Einspruch zu erheben, welche troh ihrer Verehrung Shakespeare's noch immer an seiner Verletzung der sogenannten drei Einheiten Anstoß nahmen; wenig= stens hat Herder Diese vor Augen, wenn er am Eingang seiner Betrachtungen klagt, daß selbst die kühnsten Freunde Shakespeare's sich meist nur begnügten, ihn zu entschuldigen und zu retten, seine Schönheiten nur immer gegen seine vermeintlichen Verstöße zu wägen und ihn desto mehr zu vergöttern, je mehr sie über Fehler die Achseln ziehen müßten. Gleichwohl hat Herder aus dieser

scharfen Gegenüberstellung der Entwicklungsbedingungen antiker und moderner Tragik zugleich eine Reihe anderer Folgerungen gezogen, welche über die Auffassungsweise Lessing's hinaus ein sehr bedeutender Fortschritt waren. Obwohl auch Herder noch ebensowenig wie Lessing sich zum Bewußtsein gebracht hatte, daß der eigenste und tiefste Unterschied der antiken und modernen Tragödie vor Allem in dem tiefgreifenden Gegensatz liege, daß die moderne Tragödie mit ihrem gesteigerten und verinnerlichten Freiheitsgefühl die Katastrophe, den Untergang des Helden, nicht wie die antike Tragödie aus einem äußeren unentrinnbaren Götterverhängniß, sondern vielmehr aus der verantwortlichen tragischen Schuld des Handelnden selbst ableite, so war doch Herder in der That der Erste, welcher, mehr als es Lessing jemals vermocht hätte, die Größe und Eigenthümlichkeit Shakespeare's auf ihre geschichtlichen Grundlagen zurückführte und ihn rein aus sich selbst erklärte. Nimmt es Wunder, daß Lessing niemals irgendeine Tragödie Shakespeare's einer genaueren Zergliederung unterworfen hat, wie er in seiner Jugend doch selbst mittelmäßige Trauerspiele der römischen Kaiserzeit im Einzelnen betrachtet und zergliedert hatte, so ist es eine sehr bedeutsame Thatsache, daß uns in dieser kleinen Abhandlung Herder's solche Zergliederungen in reichster Fülle entgegentreten; noch jezt wird Niemand Herder's Worte über Lear, Othello, Macbeth und Hamlet ohne die innigste Befriedigung lesen. Und glaubte Lessing, wie Philotas und besonders einzelne seiner unausgeführten dramatischen Entwürfe beweisen, Sophokles noch ganz unmittelbar nachahmen und für die moderne Bühne nußbar machen zu können, so predigte Herder in jeder Zeile, daß einzig und allein in Shakespeare das maßgebende Muster des modernen Dramatikers liege, und daß jede einseitige Anlehnung an die Antike ihn von dem einzig möglichen Wege ablenken müsse. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, daß andererseits diese Abhandlung Herder's an einer Schwäche krankte, welche von Lessing's genialem Kunstverstand längst überwunden war. Herder hatte keine Einsicht in die unverbrüchlichen. Stilunterschiede des Epischen und des Dramatischen. Uneingedenk

der unumstößlichen Lessing'schen Lehre, daß das Drama nicht dialogisirte Geschichte sei, ließ sich Herder durch die aus Shakespeare's Jugendzeit stammenden Dramen aus der englischen Geschichte, welche noch in der episirenden Unreise seiner nächsten Vorgänger befangen sind und daher zu der vollen dramatischen Geschlossenheit der späteren Meisterwerke in entschiedenem Gegensatz stehen, leider verlocken, das Wesen der dramatischen Handlung wieder mit dem Wesen der epischen Begebenheit, oder, wie wir vielleicht bezeichnender sagen können, die Einheit der Handlung wieder mit der Einheit der Person zu verwechseln. Das Drama Shakespeare's erscheint Herder als: „Historie! Helden- und Staatsaction zur Illusion mittlerer Zeiten!" oder als „ein völliges Größe habendes Ereigniß einer Weltbegebenheit, eines menschlichen Schicksals“ (S. 230). Eine Verirrung, die für das deutsche Drama der Sturm- und Drangperiode und für das Drama der Romantiker von den verhängnißvollsten Folgen wurde.

Und diese großartigen geschichtlichen Anschauungen und Studien Herder's waren der Boden, aus welchem seine kritischen Schriften. erwuchsen.

Herder's Kritik ist lediglich die werkthätige Anwendung der leitenden Grundsätze, welche er sich aus seiner neuen und eigenthümlichen Betrachtung der Geschichte der Dichtung gezogen hatte.

So fühlbar die Kritik Herder's an fester Einsicht in die künst= lerischen Formgeseze hinter Lessing zurücksteht, so ist doch auch sie, sowohl in ihrem Verhalten zu den dichterischen Bestrebungen der nächsten Gegenwart wie in der Feststellung der zu erstrebenden Ziele, eine im höchsten Sinn schöpferische. Wer so tief und innig wie Herder von dem unauflöslichen Zusammenhang der Dichtung mit dem eigensten Leben und Weben des schaffenden Zeit- und Volksgemüths erfüllt und durchdrungen war, der mußte in dem großen Kampf für eine volksthümlich deutsche Kunst, welchen Lessing soeben zum glänzenden Sieg führte, auch seinerseits ein gewaltiger, den Feind von ganz neuen Angriffsstellungen bekämpfender Mitkämpfer und Vorkämpfer sein. Und wer so innig wie Herder von dem

Zauber und dem inneren Gehalt ursprünglicher Volksdichtung und von dem tiefen Gegensaß derselben zu der gelehrten Kunstdichtung erfüllt und durchdrungen war, der mußte auch die letzten Schranken. der vorwaltenden Reflexionsdichtung, welche Lessing niemals durchbrochen hatte, von Grund aus durchbrechen.

Ist zu sagen, daß die Abwendung von den Franzosen zu den stammverwandten Engländern, welche seit den berühmten Streitig= keiten zwischen Gottsched und den Schweizer Kritikern Bodmer und Breitinger die gesammte deutsche Literaturbewegung unablässig be= dingt und beschäftigt hatte, in ihrem geschichtlichen Ursprung und Wachsthum wesentlich die Auflehnung des erstarkten germanischen Volksnaturells gegen die erdrückende Uebermacht der romanischen Formenwelt war, so war es eine sehr wirksame Ergänzung dieser Bestrebungen, wenn Herder auf die Wurzel dieser romanischen Renaissancekunst selbst, d. h. auf die Frage nach dem Recht und der Grenze der Nachahmung der Alten zurückgriff.

Die ersten Anregungen dieser Richtung hatte Herder von Young und Klopstock überkommen; es ist ganz im Ton der bardischen Epoche Klopstocks, wenn Herder in seiner schon erwähnten Abhandlung über die de die deutschen Dichter von der Ceder Libanons, von dem Weinstock Griechenlands und dem Lorbeer Roms zu den Holzäpfeln ihrer eigenen heiligen Wälder, oder, wie Herder ausdrücklich hinzusezt, neben Shakespeare's Schriften zur nordischen Edda und zu den Gesängen der Barden und Skalden ruft. Die Fragmente über die neuere deutsche Literatur" aber geben diesen Gedanken schon eine Ausführung und Anwendung, welche die Grundlegung und Erweckung einer völlig neuen Epoche wurde. Warum die alttestamentlichen Dichtungen, die Griechen, die Römer so äußerlich und eintönig nachahmen, da doch unsere Psalmisten, Epiter, Dithyramben-, Oden- und Idyllendichter sattsam beweisen, daß solche Nachahmungen immer mißlingen und schlechterdings mißlingen müssen, weil unsere landschaftliche Natur, unsere Geschichte, unsere Mythologie, unsere ganze Religion, unsere Begabung, unsere Sprache eine so durchaus andere ist als die Natur, Geschichte,

Mythologie, Religion, Begabung und Sprache der Urbilder? Warum nicht statt der elenden Nachahmungen lieber Erklärungen und Ueber= segungen, damit wir, wie Herder noch immer von dieser Zeit sagen konnte, die Griechen, bevor wir sie nachahmen, auch wirklich kennen. lernen? Eine Summe dieser Betrachtungen gipfelt im dritten Fragment, dessen Inhalt Herder in einem gleichzeitigen Briefe (Lebensbild, Bd. 1, 2. S. 270) in den Sag zusammenfaßt: „Wir sind schiefe Römer in Sprache, Philosophie, Mythologie, Ode, philosophischem Lehrgedicht, Elegie, Satire, Beredtsamkeit, wenn wir nichts als Römer, nichts als Horaze, Lucreze, Tibulle, Cicerone sein wollen.“ Mit so unzweifelhaftem Recht Herder am Schluß dieses Fragments sagen konnte, daß, wer da meine, er wolle ihn von der Kenntniß der Alten abhalten oder ihn im Studium derselben ermüden, sein Buch ins Feuer werfen solle, so scharf und nachdrücklich betont er, daß es unsere unerläßliche Aufgabe sei, den noch immer vorwaltenden lateinischen Zuschnitt unserer Bildung und also auch unserer Dichtung endlich abzuwerfen und die Fäden unserer eigenen, naturwüchsigen, ächt volksthümlichen Bildung, welche die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts gewaltsam durchschnitten, wieder aufzunehmen und mit aller Kraft fortzuführen. Statt, daß man die Alten hätte erwecken sollen, um sich nach ihnen zu bilden. und sich von ihnen den Geist einhauchen zu lassen, den man brauche, um nach seiner Zeit und in seinem Lande wahre Größe zu erreichen, sei man bei der äußeren Schale geblieben; man habe nur gelernt, was die Alten gedacht, nicht aber, wie sie denken; man habe die Sprache gesprochen, in der sie gesprochen, nicht die Art, wie sie sprachen. In Deutschland habe Luther auch in diesem Gesichtspunkt großes Verdienst. Er sei es gewesen, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebunden, der die scholastische Wortkrämerei wie jene Wechslertische verschüttet; er habe durch seine Reformation die ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Nachher aber sei Alles wieder verdorben worden, und nicht blos unsere naiv förnigte Sprache, sondern unsere ge= sammte Bildung sei von Latium gefesselt. Sei es denn nicht

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