ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

ersten dramatischen Dichtungen, von den Räubern bis zum Don Carlos, was sind sie anderes als der kraftvoll dichterische Ausdruck des tiefen revolutionären Grollens, das der nach Natur und Freiheit lechzende Jüngling durch die Schriften Rousseau's in sich genährt und gesteigert hatte? In der Rechtswissenschaft, im Erziehungswesen, überall dieselben tiefgreifenden Einwirkungen. In Rousseau's Namen, sagt Goethe im dreizehnten Buch von Wahrheit und Dichtung, war eine stille Gemeinde weit und breit ausgefäet. Und noch in Niebuhr's Jugendzeit, die doch fast um ein Menschenalter später fällt, war, wie Niebuhr in seinen Vorlesungen über die Geschichte des Zeitalters der Revolution berichtet, Rousseau der Held Aller, die nach Befreiung strebten. Immer zahlreicher wurden in Deutschland die Parkanlagen englischer Art, deren Reize Rousseau in der Neuen Heloise so warm empfindend gefeiert hatte; und bald gab es in Deutschland keinen irgend größeren Park mehr, in welchem nicht eine kleine künstliche Insel oder ein stilles Waldversteck mit der Büste Rousseau's geschmückt war.

Die geschichtliche Stellung der Sturm- und Drangperiode zu den großen Bestrebungen des deutschen Aufklärungszeitalters ist daher genau dieselbe wie die geschichtliche Stellung Rousseau's zu Voltaire und zu den französischen Encyklopädisten.

Wie in Rousseau, so auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode das heiße Hungern und Dürsten nach tieferer Gemüthsinnerlichkeit und das zornmüthige Ankämpfen gegen Alles, was in Leben, Sitte und Denkart, in Wissenschaft und Dichtung, diesem Verlangen nach Natur und Freiheit sich hindernd entgegenstellt; und wie in Rousseau, so auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode zugleich dieselbe Verzerrung dieser tieferen Innerlichkeit in die eitelste Gefühlssophistik, welche oft wieder verwirrte und gefährdete, was durch die Siege der Aufklärung für immer gelöst und errungen jchien.

Aus der verrotteten Gegenwart und Wirklichkeit sollte der Mensch wieder zurückkehren zu dem verlorenen Paradies seines unverlierbar angeborenen Naturzustandes. Aus der herzschnürenden Enge der

herrschenden Aufklärungsbildung sollte der Mensch sich wieder er= heben und erlösen zum unverbrüchlichen Idealismus des Herzens, zur unverkümmerten Erfassung und Erfüllung seiner vollen und ganzen, reinen und ursprünglichen Menschennatur. Doch zunächst trat nur die eine Einseitigkeit an die Stelle der anderen. Die Jahre der Sturm- und Drangperiode sind die Flegeljahre der deutschen. . Bildung; und zwar um so ungebärdiger, je mehr die Enge und Stille des Daseins Phantasie und Gemüth ganz auf sich selbst wies, je mehr bei der Erstorbenheit aller öffentlichen Dinge jedes Gegengewicht einer bedeutenden Wirklichkeit fehlte. Man träumte den holden Traum, auch das Leben poetisch leben zu dürfen; und man verstand unter dieser Poesie des Lebens nur die Eingebungen und Gelüste ungebundener Gemüthswillkür. Man wollte die Philister= haftigkeit bekämpfen; und man verfiel in die trübste Phantastik.

Natur, Natur! „Unter allen Besitzungen ist ein eigen Herz die kostbarste, und unter Tausenden haben sie kaum Zwei.“ „Das Leben soll der lebendige Athem der Natur sein, nicht das schale Lied des gewöhnlichen moralischen Dudeldeis!" „Mögen sie immer Bollwerke vor ihr Herz postiren; wohl uns, daß wir frei athmen!" Erkennt Natur auch Schreibepultgeseze, taugt für die warme Welt denn ein erfrorener Sinn?"

[ocr errors]

„Ueberall ein unbedingtes Streben, alle Grenzen zu durchbrechen; überall unmuthiger Uebermuth." Nur kleine Seelen knieen vor der Regel; die große Seele kennt sie nicht."

[ocr errors]

Zwei hochragende Genien waren die Führer der Sturm- und Drangperiode, Herder und Goethe.

Herder übertrug das Naturevangelium Rousseau's auf die Forderungen des dichterischen Empfindens und Schaffens. Er ist dadurch wesentlich der Vorkämpfer der jungen Dichterschule geworden; es fielen die lezten Schranken moralisirender Absichtlichkeit, in welche selbst noch Lessing gebannt gewesen. Und durch die wissenschaftliche Erforschung und Erkenntniß der naturwüchsigen menschlichen Bildungsanfänge und deren allmählicher folgerichtiger Entwicklung wurde er der Begründer einer neuen Sprach-, Religions- und Geschichts

wissenschaft, auf deren Bahnen wir noch heute fortwandeln, wenn auch unendlich bereichert und vorwärtsgeschritten.

Am tiefsten und mächtigsten aber gährte und wühlte die neue Zeitrichtung in Goethe, dem genialen Dichterjüngling, der nur darum ein so großer und gewaltiger Dichter wurde, weil er ein so großer und gewaltiger Mensch war. Was der Grundgedanke und die treibende Kraft seines ganzen Lebens ist, das Verlangen nach voller und ungetrübter Entfaltung und Bethätigung der vollen und ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschenthums auf dem Grunde vollendeter harmonischer Bildung, das keimte und knospete schon jezt in ihm, wenn auch zunächst nur als unbestimmter dunkler Drang, als überschäumendes Unendlichkeitsgefühl. Einerseits daher im Göz, im Prometheus und in der Fausttragödie, deren erste Conception schon in diese Zeit fällt, das trozige ungestüme Titanenthum, das ungebändigte Stürmen und Drängen nach einer besseren und kraftvolleren Menschenart, nach schrankenloser Erkenntniß und Thatkraft; und andererseits im Werther die tiefe Klage über den Verlust des erträumten Naturzustandes, das leidenschaftliche Murren und Grollen gegen die Härte und Kälte der widerstrebenden Wirklichkeit, die dem drängenden Geist die Flügel beschneidet und jein kühnes Emporstreben gewaltsam herabbeugt, der selbstquälerisch brütende Weltschmerz, das empfindsame und schönselige Schwelgen des Herzens in sich. „Warum so grenzenlos an Gefühl und warum so eingeengt in der Kraft des Vollbringens? Warum diese füße Belebung meiner aufkeimenden Ideen und deren dumpfes Dahinsterben unter der Chnmacht der Menschen? Daß ich mich so hoch droben fühle, und doch nicht sagen soll, du bist Alles, was du sein kannst; hier, hier steckt meine Qual!"

Ein Jahrzehnt darauf lenkte Schiller dies revolutionäre Grollen auf Staat und Gesellschaft; einer der Wenigen, in denen auch die politische Seite zu leidenschaftlichem Ausdruck kam.

Und rings um diese großen Führer die gesammte deutsche Jugend, von denselben Stimmungen und Empfindungen getragen; aber krankhafter und unreifer.

Viel thörichtes Singen und Sagen von der Urkraft und Göttlichkeit des Genies, dessen Recht und Pflicht es sei, sich selbst voll und ganz auszuleben; und dabei die naiv komische Gewißheit eines Jeden, selbst ein solch göttliches Genie zu sein, das kein anderes Lebens- und Sittengesetz anzuerkennen habe als einzig die ungebundene Eigenmacht des angeborenen Jch, wie es ging und stand, wie es nackt aus der Hand der Natur kam, ohne Zucht und Maß, mit allen Schrullen und blinden Leidenschaftlichkeiten. Die Spielereien der Lavater'schen Physiognomik, aus diesem Glauben an die Macht und Berechtigung aller zufälligsten und persönlichsten Eigenheiten und aus dem Suchen und Jagen nach Menschen von Genie und Herzenstiefe hervorgegangen, bemächtigten sich aller Kreise und galten als eines der wichtigsten Bildungsanliegen. Der Ruf nach Genialität wurde der Freibrief für alles Absonderliche und Verschrobene. Die scharf betonte Kraftfülle wurde prahlerische Schaustellung studentenhafter Roheit und wüste Orgie der Liederlichkeit; die in sich_ver= sunkene Gefühlsinnerlichkeit wurde verzehrende Empfindelei und haltlose Selbstverhätschelung. Und es ist nur ein neuer und anderer Zug derselben überreizten Geniesucht, wenn in den meisten Jünglingen dieser Zeit eine Theatermanie herrscht, wie sie in solcher Ausdehnung wohl niemals vorgekommen. Schwerlich würde in der Bildungsgeschichte eines Deutschen der Gegenwart dem Theater ein so breiter Raum eingeräumt werden, wie ihm Goethe in der Bildungsgeschichte Wilhelm Meisters eingeräumt hat. K. Ph. Moriz sagt im Lebensroman Anton Reisers das lösende Wort. Die Bühne, als die gefeite Phantasiewelt, erschien als die rettende Zuflucht gegen die Widerwärtigkeiten und Bedrückungen der Wirklichkeit, als der einzige Ort, wo der ungenügsame Wunsch, alle Scenen des Menschenlebens selbst zu durchleben, Befriedigung finden konnte.

Lenz spricht diese gefühlsschwelgerische Starkgeisterei treffend in den bekannten Versen aus: „Lieben, Hassen, Fürchten, Zittern, Hoffen, Zagen bis ins Mark, kann das Leben zwar verbittern, aber ohne sie wär's Quark!" Friedrich Müller, der sogenannte Maler Müller, einer der Begabtesten dieser jungen Dichter, rühmt an der

alten Sagengestalt des Doctor Faust, daß dieser gegen das verlahmte vermatschte Menschengeschlecht als ein fester, ausgebackener, fir und fertiger Kerl stehe, aus dem ein Löwe von Unersättlichfeit brülle.

In der Wissenschaft und Dichtung derselbe phantastische Taumel. Je leidenschaftlicher man nach dem Vollen und Ganzen, nach dem Unmittelbaren und Urwüchsigen trachtete, je tiefer und ungeduldiger man sich nach des Lebens Bächen, ach! nach des Lebens Quelle sehnte, um so verachtender meinte man auf die Bedächtigkeit und Langsamkeit kaltblütiger ruhiger Forschung herabsehen zu dürfen. Was die trockene und nüchterne Verständigkeit der Aufklärungsbildung nur ungenügend beantwortete, was die schneidende Kritik Kant's verneinte oder wenigstens als über das menschliche Erkenntnißvermögen hinausragend vorsichtig umging, das sollte ergänzt und unfehlbar beantwortet werden durch die dämonische Kraft und Weihe des Genies, durch die Göttlichkeit des unmittelbaren Fühlens, Ahnens und Schauens. Von Lavater und Genossen wurde der Pietismus neu zugestußt. Hamann und Jacobi, gleich Kant von den Zweifeln Humes ausgehend, aber vor der leberwindung der= selben durch die Strenge wissenschaftlich folgerichtigen Vorschreitens weichlich zurückschreckend, verlieren sich in eine matte Glaubens- und Gefühlsphilosophie, die schlagend das unvergleichliche Wort bewährt, daß der Mysticismus die Scholastik des Herzens ist. Zumal in der Dichtung, dem eigensten Gebiet der Gefühls- und Phantasie= thätigkeit, erhob sich bei den Meisten, namentlich im Dramatischen, eine so wüste Lust am Rohen und Gräßlichen, ein so tumultuarisches Ueberspringen aller überspringbaren Kunstformen und Kunstgeseze, daß es wahrlich nicht. Wunder nimmt, daß Lessing von diesen ungeheuerlichen Erscheinungen, welche die ganze Arbeit seines Lebens wieder in Frage stellten, verlegt und unmuthig sich abwendete, so daß er in diesem gerechten Aerger sogar die großartige Bedeutung der gewaltigen Jugenddichtungen Goethe's verkannte.

Wenn Goethe einmal in den Wanderjahren sagt, daß nur das Halbvermögen gern seine beschränkte Besonderheit an die Stelle

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »