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Es wird nicht immer genügend beachtet, daß in dieser Schrift Herder's die Keime Schelling's liegen; und zwar grade in denjenigen Stellen am meisten, in welchen Herder, ohne daß er es wußte, selbstschöpferisch von dem urkundlichen Wortsinn Spinoza's abging.

Was Wunder, daß sich ob dieser kühnen That Herder's unter den Gläubigen viel lästerndes Geschrei erhob! Mit Jacobi, Lavater, Claudius und deren Kreisen hörte zunächst alle persönliche Verbindung auf, mit Hamann ertaltete sie. Herder war aber Mannes genug, sich durch diese und andere unliebsame Erfahrungen nicht beirren zu lassen. Wie Schiller am 8. August 1787 an Körner schrieb, Herder habe zu ihm geäußert, daß diese Schrift seine voll= ständige überzeugende Idee von Gott enthalte, und wie Schiller in einem anderen Briefe hinzufügt, Herder neige sich äußerst zum Materialismus, ja hänge von ganzem Herzen an diesem, so berichtet Jean Paul noch am 15. Mai 1799 an Jacobi, daß Herder bei seiner Ansicht Spinoza's beharre. Die zweite Auflage im Jahr 1800 tilgte zwar alle persönlichen Seitenblicke gegen die Gegner, in ihrem eigensten Gehalt aber blieb sie durchweg unverändert.

Herder's nächstes Streben war, diese seine neue philosophische Denkweise in die Betrachtung der Geschichte, der Religion und der Sittenlehre einzuführen.

In den Jahren 1784-1791 erschienen Herder's Ideen zur Geschichte der Menschheit.

Sie sind die Fortbildung und Vertiefung seiner früheren Schrift über Philosophie der Geschichte, als deren zweite Auflage die Vorrede sie ausdrücklich ankündigt. Die Betrachtung der ge= schichtlichen Thatsachen ist daher im Wesentlichen dieselbe geblieben. Auch hier dasselbe feine und lebendige Nachempfinden der individuellen Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Völker und Zeitalter, das der unvergängliche Reiz und die geschichtliche Bedeutung jener. genialen Jugendschrift war; und zwar um so geistvoller und anschaulicher, je mehr inzwischen durch umfassende Studien die einzelnen Geschichtsbilder an sinnlicher Fülle gewonnen haben. Halten sich die

Schilderungen des Orients wesentlich in den Grenzen, in welchen. sich Herder's Schriften über die älteste Urkunde des Menschengeschlechts und über den Geist der hebräischen Poesie bewegten, und reichen die Schilderungen des griechischen und römischen Alterthums nicht wesentlich über die Anschauungen Winckelmann's und Montesquieu's hinaus, so ist auch hier wieder, ebenso wie in jenem ersten geschichtsphilosophischen Versuch Herder's, die Schilderung des Mittelalters in ihrer unbefangenen Mitte zwischen der im Aufklärungszeitalter üblichen einseitigen Verdammung und der durch die nachfolgenden Romantiker aufkommenden einseitigen Verherrlichung desselben, von sehr hervorragender Bedeutung, und Niemand wird den großen Einfluß verkennen können, den sie auf die gesammte Geschichtsauffassung geübt hat. Freilich liegen neben diesen hohen Vorzügen des bedeutenden Werks sehr bedenkliche Mängel, welche es erklären, warum dasselbe jezt so sehr in seinem Ansehen gesunken ist. Es ist das Gebrechen und der innere Widerspruch aller sogenannten Geschichtsphilosophie wie aller sogenannten Naturphilosophie, daß sie in ihrem ungestümen Drängen nach den lezten und höchsten Gesezen die Frucht pflücken will, ehe sie reif ist, und daher oft von oben herab aus ungerechtfertigten allgemeinen Begriffen willkürlich phantasirt und orakelt, wo der Ernst der Wissenschaft lediglich ein ruhiges Abwarten der Thatsachen, ein bedächtiges Vorgehen von unten herauf Stufe um Stufe gestattet; Herder's dreist vordringende Geistesart aber war am allerwenigsten geeignet, diese unvermeidlichen Klippen scharf in's Auge zu fassen und vorsichtig vor ihnen Halt zu machen. Diese leidige Vorschnelligkeit hat namentlich den ersten Theil, den naturwissenschaftlichen Unterbau, sehr verderblich beein= trächtigt. So deutlich auch die bekannte Recension Kant's die Spuren persönlicher Verstimmung und Gereiztheit an der Stirn trägt, jedenfalls hatte sie Recht, wenn sie rügte, daß Herder sich oft weit mehr durch gemuthmaßte als durch beobachtete Geseze, mehr durch seine beflügelte Einbildungskraft als durch die behutsame Vernunft leiten lasse.

Vergleichen wir aber die philosophische Grundanschauung der

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Philosophie der Geschichte aus dem Jahre 1774 und der Ideen zur Geschichte der Menschheit aus dem Jahre 1784, so ist der Gegensag ein sehr augenfälliger und tief bedeutsamer. In der Wurzel sowohl wie in der Krone. Warum stellen die Ideen die astronomischen und geographischen Bedingungen und Verhältnisse der Erde, die Beschaffenheit des menschlichen Körpers und dessen Vorzüge vor der Thierwelt, die Abhängigkeit der geistigen Entwicklung von Boden und Klima, in so breiter Ausführlichkeit an die Spize ihrer Betrachtung, und warum betonen sie auf diese Weise die Naturseite des Menschen mit einer Nachdrücklichkeit, die noch durchaus außerhalb des Gesichtskreises jener ersten Schrift lag? Es ist die inzwischen gewonnene Einsicht in die Naturnothwendigkeit und innere Gesezmäßigkeit des menschlichen Handelns. „Der Gott, den ich in der Geschichte suche“, sagt Herder, muß derselbe sein, der er in der Natur ist, denn der Mensch ist nur ein kleiner Theil des Ganzen, und seine Geschichte ist wie die Geschichte des Wurms mit dem Gewebe, das er bewohnt, innig verwebt; auch in ihr müssen also Naturgeseze gelten, die im Wesen der Sache liegen, und deren sich die Gottheit so wenig überheben mag, daß sie eben in ihnen, die sie selbst gegründet, sich in ihrer hohen Macht mit einer unwandelbaren weisen und gütigen Schönheit offenbart." Und warum dieses scharfe Betonen der Humanität als des legten Endzwecks und der höchsten Blüthe der Menschennatur, so daß das Christenthum nur darum als die beste Religion gepriesen wird, weil es nach der Absicht des Stifters, der sich mit Vorliebe Menschenjohn nannte, die Religion der ächtesten Humanität ist? Herder antwortet (Theil 3, S. 386 der ersten Ausgabe): „Der Zweck einer Sache, die nicht blos ein todtes Mittel ist, muß in ihr selbst liegen; wären wir dazu geschaffen, um, wie der Magnet sich nach Norden kehrt, einem Punkt der Vollkommenheit, der außer uns ist, und den wir nie erreichen könnten, mit ewig - vergeblicher Mühe nachzustreben, so würden wir als blinde Maschinen nicht nur uns, sondern selbst das Wesen bedauern dürfen, das uns zu einem Tantalischen Schicksal verdammte, indem es unser Geschlecht blos zu seiner schadenfrohen

ungöttlichen Augenweide schuf. Wollten wir auch zu seiner Entschuldigung sagen, daß durch diese leeren Bemühungen, die nie zum Ziele reichen, doch etwas Gutes befördert und unsere Natur in einer ewigen Regsamkeit erhalten würde: so bliebe es immer doch ein unvollkommenes, grausames Wesen, das diese Entschuldigung verdiente: denn in der Regsamkeit, die keinen Zweck erreicht, liegt kein Gutes, und es hätte uns, ohnmächtig oder boshaft, durch Vor= haltung eines solchen Traums von Absicht seiner selbst unwürdig getäuschet. Glücklicherweise aber wird dieser Wahn von der Natur der Dinge uns nicht gelehret. Betrachten wir die Menschheit, wie wir sie kennen, nach den Gesezen, die in ihr liegen, so kennen wir nichts Höheres als Humanität im Menschen; denn selbst wie wir uns Engel oder Götter denken, denken wir sie uns als idealisirte, höhere Menschen. Zu diesem offenen Zweck ist unsere Natur orga= nisirt, zu ihm sind unsere feineren Sinne und Triebe, unsere Vernunft und Freiheit, unsere zarte und dauernde Gesundheit, unsere Sprache, Kunst und Religion uns gegeben. Ueberall finden wir die Menschheit im Besiz und Gebrauch des Rechts, sich zu einer Art von Humanität zu bilden, je nachdem sie solche erkannte. Irrten die Menschen oder blieben sie auf halbem Wege einer ererbten Tradition stehen, so litten sie die Folgen ihres Irrthums und büßten ihre eigene Schuld. Die Gottheit hatte ihnen in nichts die Hände ge= bunden, als durch das, was sie waren, durch Zeit, Ort und die ihnen einwohnenden Kräfte; sie kam ihnen bei ihren Fehlern auch nirgends durch Wunder zu Hilfe, sondern ließ diese Fehler wirken, damit die Menschen solche selbst bessern lernten. So einfach dieses Naturgesez ist, so würdig ist es Gottes, so zusammenstimmend und fruchtbar an Folgen für das Geschlecht der Menschen.“

Herder, der Geistliche, bestrebte sich, das pantheistische Geheimniß seiner Geschichtsbetrachtung zu verbergen. In der Vorrede mahnt er sorgsam, Niemand solle sich daran stoßen, daß er zuweilen den Namen Natur personificirt gebraucht habe; er habe den hochheiligen Namen Gottes, den kein erkenntliches Geschöpf ohne die tiefste Erfurcht nennen sollte, durch einen öfteren Gebrauch nicht

mißbrauchen wollen. Und oft ist auch nach dem Vorgang von Lessing's Erziehung des Menschengeschlechts von bewußten Plänen und Zwecken des göttlichen Schöpfers und Leiters gesprochen, wo folgerichtig nur von den nothwendigen Wirkungen und Ergebnissen des in sich thätigen Lebens und Webens der Natur zu sprechen. war. Nichtsdestoweniger war die Stellung der verschiedenen Parteien zu diesem Buch in Haß und Liebe sogleich klar und entschieden. Hamann rügte bitter, daß es nicht vom Himmel, sondern von der Naturwissenschaft beginne; und der Jacobi'sche und Lavater'sche Kreis überbot sich in den lästerlichsten Schmähungen. Goethe aber, der Gesinnungsgenosse, nannte es in seinen Briefen aus Italien ein Büchlein voll würdiger Gottesgedanken, das liebenswertheste Evangelium, und in einem anderen Briefe sezte er hinzu, daß es der Verfasser nie hätte schreiben können, ohne jenen Begriff von Gott zu haben, welcher in seinen Spinozistischen Gesprächen dargelegt sei; denn eben das Aechte, Große, Innerliche, was es habe, habe es in, aus und durch jenen Begriff von Gott und Welt.

In einer Reihe kleiner Abhandlungen, welche Herder in den Jahren 1796-1799 unter dem Namen „Christliche Schriften“ herausgab, wendete er sich von seinem neuen Standpunkt aus an die Betrachtung des Christenthums selbst.

Wie nah berühren sich Lessing und Herder immer und überall! Cbgleich Herder zunächst ganz unabhängig von Lessing zu seiner pantheistischen Denkweise gekommen war, und obgleich er sich in der Art seiner Taktik die vollste Selbständigkeit wahrte, sind Lessing und Herder doch auch hier wie im Ausgangspunkt, so im lezten Ziel durchaus übereinstimmend.

An Lessing konnten wir bemerken, daß er sich zum Befremden seiner Freunde eine Zeitlang zum Anwalt der alten Rechtgläubigkeit machte; wie Leibniz vor ihm und Hegel und die sogenannte speculative Theologie nach ihm, schmeichelte sich Lessing mit der Täuschung, er schlage nur Feuer aus dem Kiesel, d. h. er entbinde und entwickle nur die in der Kirchenlehre gebunden und unentwickelt liegenden Keime der Wahrheit zu ihrer naturgemäßen Blüthe, wenn

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