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Erster Theil.

Und hätt' er sich auch nicht dem
Teufel übergeben,

Er müßte doch zu Grunde geh'n."

1. Einleitung.

(V. 1512 f.)

122. Die Zusammenstellung des „Parzival“ und namentlich der „Göttlichen Komödie“ mit der Fausttragödie ist hergebracht. Alle drei gelten ja als große Welt- und Zeitgedichte, welche die Cultur und die Geistesströmungen ganzer Völker und Jahrhunderte abspiegeln. Die beiden ersten sind freilich nicht so weit der Zeit, aber desto weiter dem Geiste nach von einander getrennt, so daß sie doch zwei ganz verschiedene Welten darzustellen scheinen; das romantische Nitterthum und der theologisch-ascetische Geist haben ihnen ihre Eigenthümlichkeit aufgeprägt. Fernab liegt nach Zeit und Geist der "Faust". Die ungläubige Strömung der Neuzeit liest in ihm ihr Evangelium. Aber auch tausend andere Stimmen preisen den Tiefsinn und die Ideenfülle, zum Theil zugleich die dichterischen Vorzüge der Ausführung als unerreicht. Von dem Standpunkte des christlichen Glaubens und der christlichen Sitte betrachtet, kann hingegen die Grundrichtung desselben nur auf das Schärfste gerügt und ver

urtheilt werden, während Dante der entschiedenste Herold der scholastisch-kirchlichen Denkweise und Wolfram von Eschenbach mindestens durchaus gläubiger Christ ist. Eben dieser Gegensatz gibt nun einen neuen Anlaß zur Vergleichung von Schöpfungen, welche seit ihrem Entstehen die Aufmerksamkeit von Millionen auf sich gezogen haben. Unser Jahrhundert aber hat nicht nur über den „Faust" eine fast unüberschaubare Anzahl von Schriften an's Licht gefördert, sondern sich auch dem Studium jener mittelalterlichen Meisterwerke mit vorzüglichem Eifer zugewandt. Da es nun unsere Absicht ist, Aufgabe und Ziele des Lebens in dichterischer Beleuchtung vor Augen zu stellen, so liegt es uns ob, die gefeierte Göthe'sche Dichtung einer eingehenden Besprechung zu unterziehen und sie ihren großen Vorgängerinnen gegenüberzustellen. Selbstverständlich kann die Vergleichung erst weiter unten (Nr. 196-198, 273-285, 289-291, 297, 314, 316) angestellt werden.

Die Würdigung der Fausttragödie schwankt nicht nur nach der Verschiedenheit des religiösen Standpunktes zwischen unbedingter Huldigung und gänzlicher Verwerfung; auch die Mannigfaltigkeit der hier vorgetragenen oder angedeuteten Ideen, die unverkennbaren Vorzüge und greifbaren Mängel, die Vielheit der mit einander verbundenen Dichtformen, die Verschiedenheit in Stil und Sprache erzeugen ganz widersprechende Urtheile. Den größten Anstoß erregt der zweite Theil des Werkes, der sich aus mehr als einem Grunde zum ersten nicht fügen will. Fr. Vischer, ein großer Bewunderer des Dichters, schreibt bei einem Rückblick auf die Göttliche Komödie: „Göthe's Faust, noch in ganz anderem Sinne ein Weltgedicht, weltfrei, ein stürmendes Drama, den alten Himmel stürmend, der auch Dante's Himmel war, und zugleich gegen veralteten classischen Geschmack mit genialen Stößen und Würfen vorstürmend, hat in seinem zweiten

Theil gegen seine innerste Natur den Himmel Dante's wieder herabgeholt und mit dem gothischen Zirkel des Florentiners sich abgerundet. Wir denken uns diese Art von Vollendung lieber hinweg und kehren, vom Ende zum Anfang umlenkend, zu unserem Motto, zu Fausts eigenem Worte zurück:

O daß dem Menschen nichts Vollkomm❜nes wird,
Empfind' ich nun!“

Darnach hätte denn Göthe im zweiten Theil bis in die Fundamente, nämlich bis in die Grundanschauung und das innerste Wesen des Stiles, alles wieder zerstört, was er im ersten aufgebaut hatte. Wie Vielen aber Sprache, Darstellungsweise und Gehalt von Faust II gleich zuwider sind, daran braucht nicht erst erinnert zu werden. Andere hingegen suchen die Arbeit des alternden Dichters vor dem Jugendwerke wieder zu Ehren zu bringen. Loeper urtheilt: „Der zweite Theil hat vor dem ersten eine größere Gleichmäßigkeit und Einheit des Stils voraus. Das Ganze ist mehr aus Einem Guß, aus derselben Altersstufe des Dichters, aus derselben Lebens- und Weltanschauung hervorgegangen An die Stelle der nach Art des ältern deutschen Schauspiels nur ideell verbundenen Scenenreihe des ersten Theils ist hier eine strengere Gliederung, an Stelle der lockern, fragmentarischen und mehr skizzenhaften Behand lung Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Darstellung getreten. Hier erhält die Phantasie aus der Hand des Dichters die ausgeführten Bilder, dort nur die Motive zu den Bildern, aber freilich auch die Anregung zu deren eigener Vervollständigung Nur das Temperament, die Lebhaftigkeit der Darstellung ist eine andere geworden, die dichterische Spontaneität von der künstlerischen Ueberlegung mehr zurückgedrängt, die sinnliche Freude von der Reflexion. . . . . Liebevolle Hingabe an einen Theil hat

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dann leicht Abneigung gegen den andern zur Folge, und wer sich distributiver Gerechtigkeit befleißigt, wird verdächtigt." Heine ging noch viel schärfer gegen den ersten Theil vor, da dieser 1790 als „Fragment“ erschien: „Im Faust sind schöne Stellen, aber nebenbei kommen Dinge, die nur der in die Welt schicken konnte, der alle neben sich für Schafsköpfe ansah." Als Ganzes betrachtet, bietet die von vielen als größtes Meisterwerk unserer Literatur und vielleicht noch überschwenglicher gepriesene Dichtung zu ähnlichen Angriffen Stoff in Fülle. Man kann ja die seltsame Verquickung epischer und dramatischer, ernster und komischer, didaktischer und lyrischer, allegorischer und phantastischer Bestandtheile zu einer Tragödie" unleidlich finden; man kann die Buntscheckigkeit des Stiles tadeln, der das Gedicht einem Gebäude ähnlich macht, an welchem zehn Jahrhunderte, ein jedes nach seiner Weise und seinem Plane und je nach den augenblicklichen Umständen gebaut haben; man kann in der Handlung die Einheit, in den Charakteren die Stetigkeit, in den Reden die Klarheit, in der Haltung des Dramas die bewußte Sicherheit, in der Entwicklung den nöthigen Fortschritt, im Ausgang die Lösung vermissen, und wenn einige von dem deutschesten“ aller Gedichte voll Bewunderung sprechen, so hören wir andere die „ächt deutsche“ Nebelhaftigkeit und jene Unverständlichkeit rügen, welche man der deutschen Philosophie nicht zu ihrem Ruhme nachsagt.. Göthe selbst nannte den ersten Theil schon einmal eine „barbarische Composition" und hoffte von dem Ausbau des zweiten nicht gerade das Höchste: „Ich werde sorgen, daß die Theile anmuthig und unterhaltend sind und etwas zu denken lassen; bei dem Ganzen, das immer Fragment bleiben wird, mag mir die neue Theorie des epischen Gedichtes zu statten kommen." Ein anderes Mal sprach er dann wieder fast im

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