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Seele als Schmetterling, Seelen und Bäume.

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Aus dem Grabe eines Erschlagenen erwuchs ein Rohrstengel; den schnitt ein Schäfer ab und machte eine Flöte. Aber wie er darauf blies, sang sie: O Schäfer fein, o Schäfer fein, du bläst auf meinem Beinelein, und so kam der Mord an den Tag (vgl. K. H. M. Nr. 28).

Harte Strafen waren den Baumschälern angedroht; denn der Wipfel stellte den Kopf, die deckende Rinde die Haut, der umwickelnde Bast die Eingeweide des Baumes, als eines beseelten, menschenartig empfindenden Wesens dar. Der frevelnde Mensch mußte mit dem entsprechenden Teile seines Körpers gut machen, was er an jenem gesündigt hatte. Heilige Bäume und andere Pflanzen bluten bei Verletzungen, als wären sie leibhafte Menschen. Walther Tell (III, 3) fragt seinen Vater, ob es wahr sei, daß die Bäume bluten, wenn man einen Streich drauf führt mit der Axt, und daß dem Frevler die Hand zum Grabe herauswachse. Allgemein herrscht der Glaube, daß der Hieb in den Baum und in den Leib des Ruchlosen zugleich gehe; ja, daß die Wunde am Leibe nicht eher heile, als der Hieb am Baume vernarbe. Umgekehrt können Gebrechen des Menschen durch den Baum ausgeglichen werden. Schon im 7. Jhd. eifert Eligius (588659) gegen den Brauch, durch einen hohlen Baum zu kriechen oder Tiere zu treiben. So zieht man noch heute ein krankes Kind durch ein Weidenstämmchen und verbindet den Spalt wieder; sobald er verwächst, wird das Kind gesund. Für den so Geheilten ist es fortan gefahrvoll, wenn der mit ihm in Sympathie gebrachte Baum abgehauen wird; sein Leben geht mit dem des Baumes zugrunde. Stirbt der Mensch zuerst, so geht sein Geist in jenen Baum über, und wird der letztere nach Jahren zum Schiffsbau benützt, so entsteht aus dem im Holze weilenden Geiste der Klabautermann, d. h. der Kobold oder Schutzgeist des Schiffes und der Schiffsmannschaft. Ist die Seele des Verstorbenen in den Baum übergegangen und hat sie ihn gleichsam mit menschlichem Leben erfüllt, so daß Blut in seinem Geäder umläuft, so läßt sie sich zugleich aber noch außerhalb des Baumes, in dessen Nähe, als Schatten in Tier- oder Menschengestalt sehen. Ihr Anschauen verursacht Krankheiten und Plagen, wie der un

verhüllte Anblick von Geistern stets Gefahr bringt. Wird sie durch Vernichtung des Baumes frei, so vereinigt sie sich mit dem Winde und tobt in der wilden Jagd daher. Darum nimmt der Schutzgeist des Einzelnen wie der ganzer Geschlechter in einem Baume Wohnung. Dem jungen Paare werden bei der Hochzeit grüne Bäume vorangetragen, und ein grüner Baum prangt auf dem Wagen, der die Aussteuer der Braut in die neue Heimat führt: es ist der Schicksals- oder Lebensbaum der jungen Leute, der aus dem heimatlichen Boden verpflanzt künftig auch in dem neuen Wohnsitze grünen, wachsen und Früchte bringen soll. Der Fortreisende verknüpft sein Leben sympathetisch mit einer daheimbleibenden Pflanze.

Im Märchen von den zwei Brüdern (K. H. M. Nr. 60) stößt der fortziehende sein Messer in den Baum vor der Tür des Vaterhauses: solange es nicht roste, sei das ein Zeichen, daß er selbst gesund sei wie der Baum. Im Märchen von den Goldkindern (K. H. M. Nr. 85) lassen die beiden Jünglinge, als sie ausziehen, um die Welt zu sehen, ihrem Vater ihre beiden Goldlilien zurück: an ihnen kannst du sehen, wie es uns ergeht; wenn sie frisch sind, befinden wir uns wohl; wenn sie welken, sind wir krank; wenn sie abfallen, sind wir tot.

Wiederholt war die Rede davon, daß die Seele, die den Körper verlassen und Tiergestalt angenommen hat, die Zukunft kennt. Noch heute glaubt man z. B., daß der Hund besonders den Tod wittert, den Leichenzug sieht und durch sein Heulen bevorstehendes Unglück des Hauses anzeigt. Wenn das Pferd die Mähne sträubt und ängstlich tut, sieht es einen Leichenzug. Ein über den Weg laufender Hase oder eine Katze bedeutet Unglück, eine begegnende Schafherde Glück.

Ein alter Zug in den Märchen ist, daß die Tiere, besonders die Vögel, sprechen und die Zukunft vorauswissen. Fast unübersehbar ist die Reihe der hierher gehörenden abergläubischen Vorstellungen. Aber das Volk weiß nicht mehr, daß die Seele des Verstorbenen, die in Tiergestalt erscheint, Glück und Unglück bringen kann, sondern schreibt den Tieren selbst den Einfluß auf den Menschen zu.

Auch im Traum erscheint die Seele, die den Leib ver

Seele und Baum. Seele kennt Zukunft. Werwolf.

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lassen hat, dem Menschen in Tiergestalt und offenbart ihm die Zukunft.

Kriemhild träumt, ehe sie noch von Siegfried etwas vernommen hat, wie ein schöner, starker Falke, den sie gezogen, von zwei Aaren (Gunther und Hagen) ergriffen wurde. Ihre Mutter Ute deutet dieses auf einen edlen Mann, den Kriemhild bald verlieren werde (N. L. 13 ff.).

In dem ältesten deutschen Romane, dem Ruodlieb (um 1030), sieht die Mutter des Helden im Traume zwei Eber und eine große Anzahl von Säuen mit ihren Hauern drohend auf Ruodlieb eindringen, doch er tötet sie alle. Dann sieht sie ihn auf einer hohen, breitwipfligen Linde sitzen, umgeben von den kampfbereiten Seinen. Da kommt eine schneeweiße Taube, d. h. die Seele der ihm bestimmten Königstochter, bringt im Schnabel eine kostbare, edelsteingeschmückte Krone und setzt sie Ruodlieb auf das Haupt. Obwohl die Mutter wußte, daß damit Ehre verkündigt wäre, fürchtete sie doch, da sie aufgewacht war, ehe der Traum zu Ende war, daß sie vor seiner Erfüllung sterben müßte (17, 85—128). Die Verkündigung des Geschickes im Traum ist ein beliebtes Motiv der mhd. Dichtung; oft ist es ein Engel, der dem Träumenden Befehle gibt, ihn warnt, an seine Pflicht erinnert und gutes Ende voraussagt. In ganz Deutschland finden sich noch heute auffallend übereinstimmende Traumdeutungen. Läuse und anderes Ungeziefer bedeuten Geld, ein Wagen mit Schimmeln, oder Schimmel überhaupt, weiße Mäuse bringen Tod. Leichen bedeuten eine Hochzeit, eine Hochzeit hingegen Leichen, und zwar sterben die, die man als Brautleute gesehen hat.

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Der Glaube, daß sich gewisse Menschen durch natürliche Begabung oder durch magische Künste auf eine Zeitlang in wilde Raubtiere verwandeln können, ist über die ganze Welt verbreitet. Der Werwolf, das uralte Geschöpf westarischer Phantasie, lebt bis auf den heutigen Tag im europäischen Volksglauben fort. Es ist dieselbe Vorstellung, die wir bei den Naturvölkern Asiens und Afrikas vorfinden, nur daß hier statt des Wolfes das Raubtier ihrer Heimat, meist der Tiger oder die Hyäne eingesetzt ist. Mit dem Glauben, daß eine Seele nur vorübergehend den Menschen verläßt, um in der Zwischenzeit in einem Tiere ihren Sitz zu nehmen, und mit der Meinung, daß die Menschen nicht eingestaltig sind, sondern in Tiere verwandelt werden können, scheint eine Art Geisteskrankheit, die Lykanthropie, zusammen zu hängen. Der von dieser wahnsinnigen Täuschung Ergriffene wähnt sich zum Wolf verwandelt, ahmt tierische Bewe

gungen und Laute nach und fällt mordsüchtig lebende Wesen an.

Ahd. Weriwolf, in Passauer Urkunden des 9. Jhd., ags. werewulf, engl. werewolf bedeutet Mannwolf: der Werwolf ist ein in Wolfsgestalt gespenstisch umgehender Mann. Die neueste Erklärung,,Kleidwolf, Wolf, der es erst durch sein Gewand geworden ist" (ahd. wariwulf, got. wasjan. as. werian, kleiden) ist nicht haltbar. Bonifatius verbietet, an Hexen und Wölfe zu glauben, die nur in der Einbildung leben. Bei Burchard, Bischof von Worms († 1025), heißt es von den Schicksalsgöttinnen, daß man glaube, sie könnten einen Menschen zu dem bestimmen, was sie wollten, daß nämlich ein solcher sich nach Belieben in einen Wolf verwandeln könne, was die Torheit der Menge Werwolf nennt, oder in irgend eine andere Gestalt. Ein oberdeutscher Beleg des 13. Jhd. findet sich bei Berthold von Regensburg, der unter den Vergehen wider das fünfte Gebot auch die Taten des Werwolfes aufzählt. Gervasius von Tilbury sagt: wir haben oft Menschen sich in Wölfe verwandeln sehen, welche Menschen die Gallier,,gerulfi" nennen, die Angeln aber,,werewolf"; denn were bedeutet auf englisch einen Mann, ulf den Wolf; er gibt also bereits eine Erklärung des Namens, und diese älteste Deutung wird auch die richtige sein. In den Gesetzen König Knuts (11. Jhd., Nr. 26) wird den Priestern befohlen, die Herde vor dem Werwolf (gemeint ist der Teufel) zu hüten.

Ein Mann, der aus seinem Erbe vertrieben war, irrte in den Wäldern umher, und wurde aus Verzweiflung zum Wolf, verschlang Kinder und beschädigte auch Alte. Endlich wurde ihm einmal von einem Zimmermanne ein Fuß abgehackt, und sofort bekam er seine menschliche Gestalt wieder. Er versichert darauf öffentlich, daß ihm der Verlust des Fußes vom größten Heile sei, da ihn derselbe vom irdischen Elend und den jenseitigen Folgen seiner Tierverwandlung befreit habe (Gerv. v. Tilb.). Im Jahre 1589 gestand ein Mann aus der Nähe von Köln, zwanzig Jahre lang eine teuflische Buhle gehabt zu haben, diese habe ihm einen Gürtel geschenkt, durch den er zum Wolf geworden sei; in dieser Gestalt habe er fünfzehn Knaben, zwei Weiber und einen Mann gewürgt, jedoch nur das Gehirn von ihnen gegessen. Ein Schäfer wurde von einem Wolfe angefallen und hieb ihm mit dem Beil in die Hüften. Darauf fand er im

nächsten Busch ein Weib aus dem Dorfe, das ihm spinnefeind war, wie sie mit den Fetzen ihres Rockes eine starkblutende Wunde stillen wollte. Die Hexe wurde verbrannt (D. S. N. 213–215). · Einem Bauer in Niederselk begegnete auf dem Felde eine alte Wölfin, die sprang immer auf sein Pferd zu, um es am Halse zu packen. Da kam dem Bauer ihre Stimme bekannt vor und er rief: Büst du dat, min olle Möhm, odder büst du dat nich?" Da stand seine eigene alte Mutter in leibhaftiger Gestalt vor ihm und konnte kein Glied rühren. Der Bauer hob sie auf seinen Wagen und brachte sie nach Hause. Es dauerte aber nicht lange, so starb sie.

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Noch in unseren Tagen sind Sagen vom Werwolf, besonders im Norden und Nordosten Deutschlands, lebendig. Der Gestaltenwechsel ist in naiv sinnlicher Art gedacht als das Hineinschlüpfen in eine andere Hülle, oder die Menschen legen einen Gürtel aus Wolfsfell an und werden zu diesen Tieren mit deren wilden Eigenschaften. Die Verwandlung dauert gewöhnlich neun Tage, die mythische alte Zeitfrist. Wirft man am zehnten Tage Eisen oder Stahl über einen Werwolf, so wird er in seine nackte Menschennatur zurückgewandelt. Er wird auch wieder zum nackten Menschen, wenn man ihn dreimal bei seinem Namen ruft. Diesen Glauben berührt auch Goethes Zigeunerlied in der Bühnenbearbeitung des Götz (5. Aufzug).

Man erkennt einen Menschen, der ein Werwolf ist, daran, daß er Fasern zwischen den Zähnen hat (diese rühren von den zerrissenen Kleidern her) oder an den zusammengewachsenen Augenbrauen, oder er hat am Kreuz ein Wolfsschwänzchen oder auf dem Kopfe zwei Wirbel. Die Werwölfe hausen in den Zwölften; man darf in dieser Zeit den Wolf nicht mit seinem Namen nennen, sondern nur ,,das Gewürm oder Ungeziefer", sonst wird man von Werwölfen zerrissen. Ein Bauer soll einmal sogar seinen Pfarrer, der Wolf hieß, in dieser Zeit,,Herr Ungeziefer" angeredet haben.

Eine Abart des Werwolfs ist der Böxenwolf; das ist ein Mensch, der mit dem Teufel im Bunde steht und durch Umschnallen eines Gürtels ein riesenstarker Wolf wird, um andere Leute zu quälen. Besonders liebt er es, wie die Mare oder der Alp, dem Menschen auf den Rücken zu springen

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