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beiseite geschoben, jedes Hindernis niedergetreten, das sich diesem Ziele in den Weg stellt. Ein ruhelos vorwärtsstürmendes Erlisten und Erraffen ist an die Stelle des ruhigen und sichern Strebens nach Besit getreten. Daß dabei auch Ehrlichkeit und Wahrheit und andere sittliche Gewalten nur allzuoft Schaden erleiden, ist leider eine unleugbare Thatsache. Lug und Trug suchen in Handel und Gewerbe den alten ehrenfesten Sinn zu untergraben, mit äußerster Anstrengung sucht sich der gute und tüchtige Kern des Handels- und Gewerbestandes des Eindringens der unsauberen Geister zu erwehren, sein Bemühen ist vergeblich. Und wie widerwärtig sind die Listen und Ränke der politischen Parteien unter einander, in wie geringem Werte steht da die Wahrheit, jedes Mittel, das einen Wahlsieg verheißt, ist willkommen, der Erfolg heiligt alles, auch die Unwahrheit, auch die Lüge, auch die Verleumdung. Ist es da ein Wunder, wenn auch unser Gesellschaftsleben von Lüge und Unnatur durchsezt ist? Da herrscht ein gegenseitiges Überbieten, das nahezu lächerlich wäre, wenn es nicht einen so ernsten Hintergrund hätte. Der eine will den andern übertreffen durch sein Auftreten nach außen und durch den Glanz des Hauses. Und doch ist dieser Glanz in so unendlich vielen Fällen nur ein erborgter, ein leerer, nichtiger Schein, der den Zusammenbruch des Hauses in kürzerer oder längerer Frist unerbittlich mit sich führt. Viele Frauen, und namentlich die sogenannten Königinnen der Gesellschaft, scheinen kein anderes Bewußtsein von ihrem Werte zu haben als das, was sich aus dem Werte der Gegenstände ergiebt, die sie auf ihrem Körper zur Schau stellen. Äußerer, hohler, unendlich verächtlicher Glanz hat den innern Wert und das edlere Teil solcher von Genuß zu Genuß, von Lust zu Lust hastender Frauenseelen bis auf einen geringen Rest vernichtet. Und dabei beruht die vorübergehende, blendende Wirkung solcher Erscheinungen in der Regel auf Unwahrheit und Unnatur. Die besonders von der Fürstin Metternich in Wien im Anfange unsers Jahrhunderts wieder zur Mode erhobene Wespentaille, die nur eine Zeit der Unnatur als eine Schönheit betrachten kann, ist doch im Grunde nichts anderes als eine Verkrüppelung der Gestalt und des Wuchses, die noch dazu die innern Organe, also zugleich die Kraft und Gesundheit, an der Entfaltung hindert. Wer sein Auge an griechischer und altgermanischer Schönheit geschult hat, der muß sich von solcher Entartung mit Abscheu wegwenden. Und oft ist auch hier die Schönheit der Gestalt und des Wuchses nur eine erborgte, wobei jedoch den Trägerinnen als Entschuldigung der Spruch Schillers zur Seite stehen mag:

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Gott nur siehet das Herz". Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht, Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn.

Leider ist diese Unwahrheit aber auch in die Familie eingedrungen. Viele Ehen werden heute aus rein äußerlichen Rücksichten geschlossen, und oft ist eine Heirat heutzutage nur das Ergebnis der niedrigsten Berechnung. Von der echten, allverzehrenden, allüberwindenden, sicher emportragenden Liebe haben viele heute schon kaum eine Ahnung, sie ist ihnen nur ein dunkles Märchen aus längst vergangener Zeit, vergessen, verlacht, verleugnet. Kein Wunder, daß das Band, das die beiden Geschlechter mit heiligen Eiden für das Leben geschlossen haben, in frevelhafter und leichtsinniger Weise zerrissen wird, der ersten Lüge mußte notwendig die zweite folgen. Und wie Gesellschaft und Familie schon von der Unwahrheit und Unnatur ergriffen sind, so ist es auch die Erziehung der Kinder in der Familie. Von Kind auf werden dem Menschen häufig nur die Güter gezeigt, die das Leben vergänglich zieren, der Schein, nicht das Wesen, die Schale, nicht der Kern, immer das Äußere und wieder das Äußere - und das Innere, das Echte, das Wahre, das Natürliche geht dabei verloren. Auf einen Menschen, der sich natürlich giebt wie er ist, der seine eigene Natur zum lebhaften Ausdruck bringt, zeigt man mit Fingern als auf einen schlecht erzogenen. So wird der Mensch erzogen für die Lüge des Lebens, in der viele der Eltern wie in einem unendlichen Taumel sich drehen.

Aber auch Wissenschaft und Kunst unserer Zeit sind von der Unwahrheit und Unnatur, die jezt so stolz ihr Haupt erheben, nicht frei. Auch in der Wissenschaft ist ein Zug nach dem Äußerlichen hin zu bemerken, eine Überschäzung des gelehrten Apparates, der leeren Schlagworte, des äußerlichen gelehrten Anstriches, durch die man von dem eigentlichen Kern der Fragen abgeführt wird, und vor allem ein vornehmes Ablehnen der wichtigsten Menschenfragen. Es soll jezt Gelehrte geben, die zuweilen nur deshalb ein Werk loben, weil der unbedeutende Urheber ihnen Weihrauch streut, ebenso wie solche, die nur deshalb eine Arbeit tadeln, weil der Verfasser ihrem Ansehen gefährlich werden könnte. Ja man spricht auch von Gelehrten, die neue Theorien nur zu dem Zwecke aufstellen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, obwohl sie von vornherein von der Unhaltbarkeit ihrer Aufstellungen überzeugt sind. Daß auch die Kunst unserer Zeit der Unnatur und Unwahrheit weit näher steht als der Natur und Wahrheit, wer empfände das nicht mit Schmerz? Wer würde nicht, wenn er moderne Gemälde und Bildwerke betrachtet, abgestoßen von der charakterlosen Anempfindelei, die an Stelle wahrer, großer und tiefer Empfindung leider nur allzuoft aus diesen Werken spricht, von der ungenießbaren Süßlichkeit oder widerwärtigen Häßlichkeit, die uns auf Schritt und Tritt hier entgegenkommt? Auch in der Musik sehen wir

eine wahre Flucht vor dem Einfachen, Wahren, Natürlichen. Das Volkstümliche ist geradezu in Acht und Bann gethan, und der Tondichter, der auf der Höhe der Zeit stehen will, hat eine wahre Angst vor jeder volksmäßigen Wendung; volksmäßig, gemein, niedrig sind ihm gleichgeltende Begriffe. Man atmet oft förmlich auf, wenn man in den geschraubten Fügungen neuerer Tondichtungen plöglich einmal einen natürlichen Gedankengang, einen Ansah zu einer einfachen, edel volksmäßigen Wendung zu vernehmen glaubt, freilich nur, um mit um so größerer Enttäuschung gleich darauf zu bemerken, wie plöglich durch eine sogenannte geistreiche und vornehme Tonführung die Hoffnung des gequälten Ohres schnöde zu nichte gemacht wird.

Wenn wir so auf allen Gebieten Wahrheit und Natur in bedenklicher Weise zurückgedrängt und beiseite geschoben sehen, so darf es uns nicht wunder nehmen, daß sich dieses Gebrechen unseres Zeitalters auch in dem Schrifttum unserer Zeit nachdrücklich geltend macht. Überall begegnen wir hier der Unwahrheit und Unnatur in wahrhaft besorgniserregendem Maße. Die Lyrik ist mit geringen Ausnahmen zu einem Spiele mit erlogenen Gefühlen, zu einer nichtigen, inhaltsleeren Tändelei, zu einer mattherzigen Schwazhaftigkeit herabgesunken, in den Romanen und Novellen strebt man vor allem danach, spannend und prickelnd zu schreiben und durch aufdringliche, starke Wirkungen und unerwartete Wendungen, durch eine abgefeimte Beimischung aufstachelnder Reize Aufsehen zu erregen, im Drama werden uns unwahre Charaktere in unmöglichen Verhältnissen vorgeführt und so vermissen wir überall den Herzenston wahrer Empfindung, der freilich, wenn er einmal erklingt, zu einem Aufschrei der mißhandelten Natur wird, der unsrer Lesewelt gar seltsam in die Ohren schallt. Es hat sich nun freilich eine Schar von Realisten und Naturalisten aufgethan, welche die verloren gegangene Wahrheit wiederzufinden meinen, wenn sie die nackte Wirklichkeit in ihren Schriften einfach wiedergeben. Diese vergessen, daß es sich bei aller Kunst, die ja allerdings auf dem festen Grunde der Thatsachen ruhen muß, doch in erster Linie um die innere Wahrheit handelt, d. i. um die Übereinstimmung des künstlerischen Gedankens in sich selbst, in allen seinen Gliedern und Teilen, und daß erst durch die Gestaltung der äußeren Wahrheit zu einer solchen inneren ein wirkliches Kunstwerk entsteht. Vor allem aber meinen diese sogenannten Realisten und Naturalisten der Wirklichkeit dadurch am nächsten zu kommen, daß sie dieselbe so abschreckend und häßlich als möglich darstellen, und so weichen sie von der Natur und Wahrheit gerade um so viel nach der andern Seite ab als die Schönfärber und falschen Idealisten nach der umgekehrten.

Und wie das Schrifttum unserer Zeit in den Gegenständen der Darstellung von der Wahrheit und Natur abgeirrt ist, so vor allem auch in dem Mittel der Darstellung: in der Sprache. Der angeführte allgemeine Zug der Zeit wirkt auch hier mit, doch liegt diesem Übel= stande zugleich eine grundfalsche Anschauung von dem Wesen des Stiles zu Grunde. Fast allgemein verbreitet ist die Meinung, ein schöner Stil bestünde in sogenannten schönen Redewendungen, in schmückenden Bildern und Figuren, oder, um ein Schlagwort unsrer Zeit zu brauchen, in einer blühenden Diktion. Und diese falsche Meinung hat nun zu jenem Wortgeklingel und zu jenen Redeblumen geführt, die uns so viele Schriften unsrer Zeit vollkommen ungenießbar machen. Nein, die Schönheit des Stils beruht einzig und allein in der vollkommenen Übereinstimmung des Ausdrucks mit der Sache, oder mit andern Worten: in seiner Wahrheit. (Vgl. hierzu Jahrg. I, S. 351 ff.) Der Stil ruht auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis!" Dieses Wort Goethes kann unsern Dichtern und Schriftstellern nicht laut genug in die Ohren gerufen werden. Wenn die ältere Stilistik die Zweckmäßigkeit als das oberste Gesez des Stiles hinstellte, so ergaben sich aus diesem falschen Grundgeseze alle die Irrtümer, die heute noch über das Wesen des Stiles umlaufen. Wenn nämlich die Zweckmäßigkeit als oberstes Gesetz des Stils betrachtet wird, so wird dadurch die Sprache zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt, das dem Zwecke der Mitteilung dient, während in dem Falle, daß wir die Schönheit, d. H. die Übereinstimmung des Ausdruckes mit der Sache, die volle innere Wahrheit als das Grundgesetz des Stiles betrachten, die Sprache als der natürliche, organische Ausdruck des Gedankens erscheint, der zunächst ohne Rücksicht auf jeden Zweck in die Erscheinung tritt und erst dann, weil er da ist, einem Zwecke dienstbar gemacht werden kann, ebenso wie andere Äußerungen des Geistes oder der Sinne. Die Sprache ist also nicht ein zu irgend einem äußern Zwecke erfundenes Mittel, sondern sie ist der notwendige organische Ausdruck des Gedankens. Wie die Blume blühen muß, so muß der Mensch sprechen. Wir müssen also die Sprache zunächst von dem Zweckbegriffe ganz loslösen, sie ruht fest in sich selbst und kann daher nur aus sich selbst und aus den Grundfesten der Gedankenwelt und der Natur, aus denen sie erwächst, sich entfalten und nicht ihre Geseze von einem außer ihr liegenden Zwecke empfangen. Die Sprache steht also vollständig unter dem Gesichtspunkte der Kunst, und das Grundgesez des Stiles, das wir aufgestellt haben, deckt sich vollkommen mit dem Sage: Die Sprache ist eine Kunst. Sie unterliegt daher derselben Beurteilung wie jede andere Kunst, und wie der Zweckbegriff vollständig außerhalb

des Wesens einer jeden Kunst liegt, so liegt er auch außerhalb des Wesens der Sprache. Wenn man nun die Zweckmäßigkeit als das Grundgesetz des Stiles ansah, so wurde das Wesen der Sprache vollkommen verkannt. Der Zweckmäßigkeit wurden dann andere Erfordernisse des Stiles untergeordnet, z. B. die Verständlichkeit, Bestimmtheit u. s. w. Zu diesen gehörte auch die Schönheit der Rede, oder wie die alte Stilistik sich ausdrückte, die Forderung, die Rede solle gefallen. So kam die Schönheit erst in zweiter Linie gleichsam als etwas Späteres, weniger Wesentliches hinzu, als etwas, das durch besondere ausschmückende Wendungen und Ausdrücke erst nachträglich erzielt und künstlich in die Sprache hineingetragen werden könne. Mit dem Saße des Quintilian: oratio sit ornata, war dieser Irrtum auf Jahrhunderte hinaus befestigt, ja er ist heute noch für viele das A und ihrer stilistischen Erkenntnis. Man kann von hier aus die ganze Rhetorik der Römer begreifen und das Schwülstige und Unnatürliche in ihren reich mit leeren Stilblüten überladenen Reden.

Sieht man aber, wie es der Natur der Sprache einzig und allein entspricht, das Grundgesez des Stiles in der Schönheit, d. h. in der Übereinstimmung des Ausdruckes mit der Sache, in der inneren Wahrheit, so ist diese Schönheit, diese innere Wahrheit, das Ursprüngliche, das notwendig aus dem Wesen der Sprache selbst hervor wächst und niemals äußerlich hinzugebracht werden kann. Und so ver= hält es sich in der That. Alle sprachlichen Darstellungen, die äußerlich zusammengesuchte schmückende Wendungen hinzubringen oder die den Ausdruck nicht in voller Übereinstimmung mit der Sache zeigen, erscheinen uns geschmacklos; sie sind unwahr in sich selbst, und daher stoßen sie uns ab. Am auffallendsten tritt das in denjenigen Sprachen hervor, in welchen jedem Worte eine frische, lebendige Anschauung zu Grunde liegt, die selbst in den abgezogensten Bedeutungen des Wortes noch wie ein Oberton mitklingt, also namentlich in der griechischen, deutschen und russischen Sprache, während im Lateinischen und in den romanischen Sprachen, die mehr eine scharfe äußerliche Bestimmtheit des Ausdruckes herausgebildet haben und dieser anschaulichen Gewalt mehr oder weniger entbehren, das schwerer zu erkennen ist. Daher kommt es, daß das Lateinische und die romanischen Sprachen mehr zu blendenden Tiraden geneigt sind, als das Griechische oder Deutsche, und daraus erklärt es sich auch, daß das Griechische, Deutsche und Russische recht eigentlich als Dichtersprachen bezeichnet werden können. Hieraus folgt auch, daß keine Sprache künstlich gemacht werden kann. Wäre die Zweckmäßigkeit das oberste Gesez, so müßte auch eine Sprache künstlich erfunden werden können; dieser Meinung war in der

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