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Irrtum hinein studieren. Was mich also versichert, daß mir dergleichen nicht begegnet sei, daß ich das Wesen der dramatischen Dichtkunst nicht verkenne, ist dieses, daß ich es vollkommen so erkenne, wie es Aristoteles aus den unzähligen Meisterstücken der griechischen Bühne abstrahiert hat. Ich habe von dem Entstehen, von der Grundlage der Dichtkunst dieses Philosophen meine eigenen Gedanken, die ich hier ohne Weitläufigkeit nicht äußern könnte. Indes steh' ich nicht an zu bekennen (und sollte ich in diesen erleuchteten Zeiten auch darüber ausgelacht werden!), daß ich sie für ein ebenso unfehlbares Werk halte, als die Elemente des Euklides nur immer sind. Ihre Grundsäße sind ebenso wahr und gewiß, nur freilich nicht so faßlich, und daher mehr der Chicane ausgesezt als alles, was diese enthalten. Besonders getraue ich mir von der Tragödie, als über die uns die Zeit so ziemlich alles daraus gönnen wollen, unwidersprechlich zu beweisen, daß sie sich von der Richtschnur des Aristoteles keinen Schritt entfernen kann, ohne sich ebenso weit von ihrer Vollkommenheit zu entfernen." Ich habe diese Worte des großen Denkers nie ohne Rührung lesen können; sie bekunden eine so innige, ich möchte sagen kindliche Hingebung an den griechischen Philosophen, daß man daraus die ganze Größe Lessings begreifen, aber auch seine Schwäche ahnen kann. Für seine Zeit bedeutete ja der Standpunkt Lessings einen außerordentlichen Fortschritt, und es sei ferne von mir, die unendlich großen Verdienste dieses genialen Geistes verkleinern zu wollen. Aber heute läßt es sich doch klar erkennen, daß der Standpunkt Lessings im wesentlichen nur einen notwendigen Durchgangspunkt der Entwicklung darstellt, ich sage einen notwendigen, denn der Schritt, den Lessing that, mußte früher oder später einmal gethan werden. Aber wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben, wir müssen, wenn wir zur vollen Wirklichkeit und Wahrheit durchdringen wollen, auch den weiteren Schritt thun: wir müssen über Aristoteles hinweg an die Thatsachen der Poesie selbst herantreten, wie sie uns in so reicher Fülle aus den verschiedensten Völkern und Zeiten vorliegen; von diesen Thatsachen müssen wir ausgehen, nicht von einer Theorie über diese Thatsachen, und von diesen abstrahierend müssen wir die Poesie und ihre Geseze zu erkennen suchen. Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, zu wirklichen Ergebnissen zu gelangen, die der Natur der Dichtung und Dichtkunst voll entsprechen. Uns steht eine ganz andere Fülle von poetischen Thatsachen zur Verfügung als dem Aristoteles, der auf die griechischen Meisterwerke beschränkt war. Der einseitige Begriff des „Klassischen“, wie er sich auf der Grundlage der aristotelischen Poetik bei uns entwickelt und eingebürgert hat, bedarf dringend der Berichtigung, wenn er nicht geradezu zum Unheil für die Entwicklung unserer Poesie

werden soll. Hindert doch z. B. jezt dieser Begriff unzählige Gebildete, die wunderbare Größe und Schönheit der altdeutschen Dichtung oder des Volksliedes zu erkennen, ja auch nur zu ahnen, obwohl sie uns von berufenen Forschern geradezu zum Greifen genau vor Geist und Sinn gestellt worden ist.

Wenn man die wahre Natur der Poesie einzig aus Aristoteles zu erkennen bestrebt ist, so erinnert mich das lebhaft an den Irrweg, den in früheren Zeiten die Naturwissenschaft ging. Man glaubte da auch die Natur am besten aus den Schriften der Alten und den aus den Alten abgeschriebenen Büchern der Italiener zu erkennen, während die wahre Naturerkenntnis doch erst dann begann, als man diese Schriften beiseite warf und von der kopierten Natur zu den Thatsachen der Natur selbst überging. Man muß sich nur hier über den Begriff „,Thatsachen“ vollkommen klar sein. Es wird sich bei einer Poetik, wie ich sie mir denke, weniger um das Studium der physiologischen Bedingungen handeln, wie das W. Dilthey in einem ausgezeichneten Aufsaße über Lessing in den Preußischen Jahrbüchern 1867 einmal ausgesprochen hat, sondern die Thatsachen, von welchen die wissenschaftliche Erkenntnis der Dichtfunft auszugehen hat, sind die Dichtungen, die poetischen Erzeugnisse des Menschengeistes, wie sie in der Geschichte der Völker vorliegen. Mit anderen Worten: Wir bedürfen einer historischen Poetik. Wie die wirkliche Erkenntnis unsrer Sprache erst von dem Augenblicke an beginnt, als man sie historisch zu erforschen anfing, so wird auch die wirkliche Erkenntnis des Wesens der Poesie und ihrer Geseze aus der historischen Erforschung derselben erwachsen. Wie an Stelle der philosophischen Grammatik die historische getreten ist, so muß auch an die Stelle der philosophischen Poetik die historische treten. Die große That Jakob Grimms wird auch diese Umgestaltung als notwendige, ganz unabwendbare Folge nach sich ziehen. Mit ästhetischen Schlagworten wird die Erkenntnis der Wahrheit nicht gefördert. Die Worte des Aristoteles (Mimesis, Pathos, Ethos, Praxis, Katharsis, Pathema u. a.) sind vielfach zu toten Schalen herabgesunken, die jeder Erklärer mit einem andern Inhalte, nämlich mit seiner Überzeugung anfüllt. den meisten derartigen Erklärungsschriften des Aristoteles muß man unwillkürlich an die Worte des Mephistopheles in Goethes Faust denken: Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten, an Worte läßt sich trefflich glauben, von einem Wort läßt sich kein Jota rauben." Die Worte werden eben gar nicht mehr als Worte behandelt, sondern sie sind zu philosophischen Formeln geworden, die je nach dem Standpunkte des philosophischen Dolmetschers ihren Inhalt ändern. Daß viele Gelehrte an solchen Formeln mit unglaublicher Zähigkeit festhalten, hat seinen Grund wohl auch in der irrigen Meinung,

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Irrtum hinein studieren. Was mich also versichert, daß mir dergleichen. nicht begegnet sei, daß ich das Wesen der dramatischen Dichtkunst nicht verkenne, ist dieses, daß ich es vollkommen so erkenne, wie es Aristoteles aus den unzähligen Meisterstücken der griechischen Bühne abstrahiert hat. Ich habe von dem Entstehen, von der Grundlage der Dichtkunst dieses Philosophen meine eigenen Gedanken, die ich hier ohne Weitläufigkeit nicht äußern könnte. Indes steh' ich nicht an zu bekennen (und sollte ich in diesen erleuchteten Zeiten auch darüber ausgelacht werden!), daß ich sie für ein ebenso unfehlbares Werk halte, als die Elemente des Euklides nur immer sind. Ihre Grundsäge sind ebenso wahr und gewiß, nur freilich nicht so faßlich, und daher mehr der Chicane ausgesezt als alles, was diese enthalten. Besonders getraue ich mir von der Tragödie, als über die uns die Zeit so ziemlich alles daraus gönnen wollen, unwidersprechlich zu beweisen, daß sie sich von der Richtschnur des Aristoteles keinen Schritt entfernen kann, ohne sich ebenso weit von ihrer Vollkommenheit zu entfernen." Ich habe diese Worte des großen Denkers nie ohne Rührung lesen können; sie bekunden eine so innige, ich möchte sagen kindliche Hingebung an den griechischen Philosophen, daß man daraus die ganze Größe Lessings begreifen, aber auch seine Schwäche ahnen kann. Für seine Zeit bedeutete ja der Standpunkt Lessings einen außerordentlichen Fortschritt, und es sei ferne von mir, die unendlich großen Verdienste dieses genialen Geistes verkleinern zu wollen. Aber heute läßt es sich doch klar erkennen, daß der Standpunkt Lessings im wesentlichen nur einen notwendigen Durchgangspunkt der Entwicklung darstellt, ich sage einen notwendigen, denn der Schritt, den Lessing that, mußte früher oder später einmal gethan werden. Aber wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben, wir müssen, wenn wir zur vollen Wirklichkeit und Wahrheit durchdringen wollen, auch den weiteren Schritt thun: wir müssen über Aristoteles hinweg an die Thatsachen der Poesie selbst herantreten, wie sie uns in so reicher Fülle aus den verschiedensten Völkern und Zeiten vorliegen; von diesen Thatsachen müssen wir ausgehen, nicht von einer Theorie über diese Thatsachen, und von diesen abstrahierend müssen wir die Poesie und ihre Geseze zu erkennen suchen. Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, zu wirklichen Ergebnissen zu gelangen, die der Natur der Dichtung und Dichtkunst voll entsprechen. Uns steht eine ganz andere Fülle von poetischen Thatsachen zur Verfügung als dem Aristoteles, der auf die griechischen Meisterwerke beschränkt war. Der einseitige Begriff des „Klassischen", wie er sich auf der Grundlage der aristotelischen Poetik bei uns entwickelt und eingebürgert hat, bedarf dringend der Berichtigung, wenn er nicht geradezu zum Unheil für die Entwicklung unserer Poesie

werden soll. Hindert doch z. B. jezt dieser Begriff unzählige Gebildete, die wunderbare Größe und Schönheit der altdeutschen Dichtung oder des Volksliedes zu erkennen, ja auch nur zu ahnen, obwohl sie uns von berufenen Forschern geradezu zum Greifen genau vor Geist und Sinn gestellt worden ist.

Wenn man die wahre Natur der Poesie einzig aus Aristoteles zu erkennen bestrebt ist, so erinnert mich das lebhaft an den Irrweg, den in früheren Zeiten die Naturwissenschaft ging. Man glaubte da auch die Natur am besten aus den Schriften der Alten und den aus den Alten abgeschriebenen Büchern der Italiener zu erkennen, während die wahre Naturerkenntnis doch erst dann begann, als man diese Schriften beiseite warf und von der kopierten Natur zu den Thatsachen der Natur selbst überging. Man muß sich nur hier über den Begriff „Thatsachen“ vollkommen klar sein. Es wird sich bei einer Poetik, wie ich sie mir denke, weniger um das Studium der physiologischen Bedingungen handeln, wie das W. Dilthey in einem ausgezeichneten Auffaße über Lessing in den Preußischen Jahrbüchern 1867 einmal ausgesprochen hat, sondern die Thatsachen, von welchen die wissenschaftliche Erkenntnis der Dichtkunst auszugehen hat, sind die Dichtungen, die poetischen Erzeugnisse des Menschengeistes, wie sie in der Geschichte der Völker vorliegen. Mit anderen Worten: Wir bedürfen einer historischen Poetik. Wie die wirkliche Erkenntnis unsrer Sprache erst von dem Augenblicke an beginnt, als man sie historisch zu erforschen anfing, so wird auch die wirkliche Erkenntnis des Wesens der Poesie und ihrer Gesetze aus der historischen Erforschung derselben erwachsen. Wie an Stelle der philosophischen Grammatik die historische getreten ist, so muß auch an die Stelle der philosophischen Poetik die historische treten. Die große That Jakob Grimms wird auch diese Umgestaltung als notwendige, ganz unabwendbare Folge nach sich ziehen. Mit ästhetischen Schlagworten wird die Erkenntnis der Wahrheit nicht gefördert. Die Worte des Aristoteles (Mimesis, Pathos, Ethos, Praxis, Katharsis, Pathema u. a.) sind vielfach zu toten Schalen herabgesunken, die jeder Erklärer mit einem andern Inhalte, nämlich mit seiner Überzeugung anfüllt. den meisten derartigen Erklärungsschriften des Aristoteles muß man unwillkürlich an die Worte des Mephistopheles in Goethes Faust denken: ,,Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten, an Worte läßt sich trefflich glauben, von einem Wort läßt sich kein Jota rauben." Die Worte werden eben gar nicht mehr als Worte behandelt, sondern sie sind zu philosophischen Formeln geworden, die je nach dem Standpunkte des philosophischen Dolmetschers ihren Inhalt ändern. Daß viele Gelehrte an solchen Formeln mit unglaublicher Zähigkeit festhalten, hat seinen Grund wohl auch in der irrigen Meinung,

daß die Arbeit erst durch diesen gelehrten Apparat echt wissenschaftlichen Anstrich erhielte. Man scheut sich, in das uns umgebende Leben, in die alltägliche Welt herabzusteigen und daraus mit eignem Ausdruck für das Gefundene die Geseze zu suchen. Es klingt nicht gelehrt, nicht wissenschaftlich genug. Die Griechen aber, die gerade von jenen so sehr als Muster gerühmt werden, besaßen diesen Mut. Sie traten mit rücksichtsloser Wahrheitsliebe, mit einer bewunderungswürdigen Geradheit an die Dinge selbst heran und suchten das reine Verhältnis zu diesen zu finden. Daraus vor allem erklärt sich ihre große Wirkung, die sie noch heute üben, und darum sollten sie auch uns in diesem Punkte vor allem Muster und Vorbild sein.

Unter dem oben berührten Übelstande leidet auch die vorliegende Schrift. Man fühlt es förmlich, wie in derselben frisches Leben pulsiert, das gern hervorquellen möchte, aber die philosophischen Formeln aus Aristoteles treten überall hemmend in den Weg, das Leben verkümmert unter der aufgezwungenen toten Schale. Daß es dem Wesen der Poesie durchaus nicht entspricht, wenn man dasselbe mit Aristoteles als Nachahmung (Mimesis) bezeichnet, hat der Verfasser wohl gefühlt. Statt nun aber das Wort zu verwerfen, füllt er es einfach mit einem Inhalte, der, wenn man das Wort unbefangen als Wort betrachtet, gar nicht in ihm liegt. Was Baumgart sagt, ist vorzüglich, aber warum müssen diese Gedanken durchaus in das aristotelische Schema eingepreßt werden? Wenn die ersten Anfänge des Kunsttriebes wirklich aus der Freude an der Nachahmung entstanden wären, so wäre das noch lange kein ausreichender Grund, das Wesen der Kunst in die Nachahmung zu sehen. Angenommen die ersten Anfänge wissenschaftlichen Denkens wären aus der Freude an der Befriedigung der Neugierde oder des Vorwizes hervorgegangen, würde man nun das Wesen der Wissenschaft als Neugierde oder Vorwiz bezeichnen dürfen? Ich glaube, das Irrige einer solchen Bezeichnung liegt auf der Hand. Baumgart gebraucht daher ganz richtig statt des Wortes Nachahmung auch andere Bezeichnungen, z. B. S. 35: Der eine Gegenstand aller Kunst ist: Leben und Wirksamkeit"; S. 39:,,Alle Kunst hat die Aufgabe, seelische Vorgänge im weitesten Sinne darstellend hervorzubringen oder, wie die Alten sagten, sie nachzuahmen"; S. 36: „unmittelbar die Seele bewegende Darstellung des lebensvoll Wirklichen" u. s. w. Aber diese Bezeichnungen zwängt er immer und immer wieder unter das aristotelische Schlagwort: Nachahmung.

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Noch deutlicher tritt der Übelstand, den solche philosophische Formeln mit sich bringen, hervor bei der Erörterung des Begriffes Ethos auf S. 57 flgg. Hier wird das Wort Ethos mit einem so vielseitigen Inhalte

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