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Kosmologische Kuriosa der altchristlichen Gelehrtenwelt.

Von W. J. Beckers.

Die Geschichte der Erdkunde hat nicht minder wie die aller anderen Wissenschaften, wie auch die Kultur- und Weltgeschichte, ihre bevorzugten und ihre vernachlässigten Teile. Man zieht es vor, sich bunte Bilder wunderbarer Reisen vor Augen führen oder seltsame, schauerliche oder gar pikante Abenteuer erzählen zu lassen, und tut gern die Zeiträume, die arm an Trägern bahnbrechender Fortschritte sind, mit wenigen absprechenden Worten ab. Zweifelsohne ist es interessanter, im lebendigen Buche der Natur als in den Blättern alter Folianten zu blättern, aber auch dies hat für den Freund der Geschichte seine eigenen Reize; reifen doch nicht selten gerade in den wenig gekannten, dunkeln Zeiten die ersten Keime der großen Fortschritte, auf die der Glanz der bekannten klarliegenden Epochen reichlich fällt. Keine Zeit aber dürfte vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus so stiefmütterlich behandelt und daher so wenig gekannt sein wie die altchristliche Periode, die nur wenige Kenner aufweist und sonst vorwiegend nur der Domäne der Theologen untersteht. Darum glauben die folgenden Ausführungen, die für die meisten Leser eine Terra incognita sein dürften, und die vor unsern Augen ein ganz eigenartiges Kulturgemälde entrollen, auf Interesse rechnen zu können.

Wer eine Entdeckungsfahrt in das alte romantische Land des frühen Mittelalters zu machen gewillt ist, der muß eine gewisse Resignation mitbringen. Aber es ist keineswegs eine reizlose, noch viel weniger eine mühelose Tätigkeit, in der ersten christlichen Periode wertvolle Bindeglieder zur Herstellung der Kontinuität zwischen antiker und moderner Wissenschaft aufzusuchen und in dieser Episode der Literaturgeschichte der eigenartigen Verkettung von alten und neueren Gedanken nachzuspüren. Es ist nicht zu leugnen, daß mit dem von den Alten überkommenen Pfunde viel zu wenig gewuchert ward, doch fehlt es auch nicht an einzelnen freundlicheren Zügen, die doch wohl den melancholischen Hintergrund des Gesamtbildes einigermaßen mildern können.

Die Vorstellung der Hellenen von der Welt hatte bei den Homerischen Dichtern die erste poetische Weihe erhalten. Homers Weltanschauung,

die wie ein Traumbild anmutet, war noch nicht sehr verschieden von der bei den meisten Naturvölkern herrschenden, und der Augenschein, der alle Gestirne um die Erde kreisen, die Sonne in den Ozean versinken und aus demselben erfrischt emporsteigen läßt, übte auch noch in späteren Zeiten auf Denker, die nicht von Natur mit mathematischen Anlagen begabt waren, seinen täuschenden Zauber. Daher nahm das Altertum in fast allgemeiner Übereinstimmung die Erde als ruhenden Mittelpunkt des Weltsystems an. Aber schon in früher Zeit eröffneten spekulative Gründe dem griechischen Geist den ersten tiefen Blick in das wahre System des Weltgebäudes. Scharfsinnige hellenische Denker, die man als die Vorläufer des Kopernikus bezeichnet hat, bauten ein Weltsystem auf heliozentrischer Basis auf. Es wäre ein Irrtum, aus der Vergessenheit, in die dieses System später wieder geriet, schließen zu wollen, es sei nicht bekannt genug geworden. Plato bedauerte nach dem Bericht Theophrasts, eines Schülers des Aristoteles, noch im Alter, daß er früher der Erde die ihr gar nicht zukommende Stellung im Mittelpunkt des Universums zuerkannt habe. Aber abgesehen davon, daß die genannte Vorstellung dem Eindruck der Sinnenwelt widersprach, widersprach sie auch den aprioristischen Ideen der meisten damaligen Philosophenschulen, indem sie die Erde zum bedeutungslosen Trabanten der Sonne erniedrigte, dadurch den menschlichen Stolz beugte und schließlich die Grundlagen der astrologischen Bestrebungen oder besser gesagt Betrügereien zu zerstören drohte. So waren sowohl Volk wie Gelehrtenwelt dem heliozentrischen System durchaus abgeneigt.

Dagegen brach sich schon früh die Erkenntnis Bahn, daß der Umlauf der Sonne einen kugelförmigen Himmel und eine kugelförmige Erde zur Voraussetzung haben müsse. Aristoteles ist als der eigentliche Begründer der Kugellehre anzusehen, für die er auch unmittelbare Beweise anzugeben wußte. Theoretisch machte nach seiner Ansicht schon der Begriff der Schwere und die Gleichgewichtslage aller Teilchen um das Zentrum die Kugelgestalt notwendig (De caelo II, 4, 10 u. 14, 8). Hervorgehoben zu werden verdient, daß er schon damals die Möglichkeit aussprach, daß man von den Säulen des Herkules (Gibraltar) in westlicher Fahrt nach Indien gelangen könne (De caelo II, 14, 15), ein Gedanke, den achtzehnhundert Jahre später ein Kolumbus in die Tat umsetzte. Nach Aristoteles hat kein Geograph und Philosoph der alten Zeit mehr Zweifel gegen die Kugellehre erhoben.

Mit dem Untergang der klassischen Welt schlossen sich die Pforten zum alten Wissen. Die Resultate weiterer Gelehrsamkeit waren durchaus an die Arbeit der sogenannten „Kirchen-Väter" geknüpft, die in jenem eisernen Zeitalter sich allein an geistigen Bestrebungen beteiligten, oder sie empfingen doch von ihnen ihren spezifischen Charakter, so auch die

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Betrachtungen aus dem Reiche der Natur. Diese Seite der „Geisteswissenschaft" im ersten Zeitabschnitt des Mittelalters dürfte den meisten Lesern eine Terra incognita sein. Es sind eigenartige kosmische Ansichten, denen wir da begegnen, aber sie tragen kein uninteressantes Gepräge, das seinen Grund in dem romantischen Charakter jener Zeit hat. Zwei Faktoren vor allem sind es gewesen, die auf das kosmische Wissen der „Väter"-Zeit einen bestimmenden Einfluss ausübten, die Bibel und das Altertum. Die Kirche übernahm von den Griechen das geozentrische System, das fortan unter ihrem Schutze anderthalb Jahrtausend die Welt beherrschen sollte: sie betrachtete Erde und Mensch als Mittelpunkt aller Dinge. Manche Väter traten nur ungern an die Untersuchung kosmischer Fragen heran. Sie sahen sich zwar veranlaßt, in ihren Hexaëmeron-Exegesen, die das Sechstagewerk (Genes. c. I) zum Gegenstand hatten, dazu Stellung zu nehmen, gaben aber ihrer Abneigung offen Ausdruck. Von den zahlreichen Belegstellen hierfür sei nur das Urteil eines der größten lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Bischofs von Mailand, im 4. Jhrh. erwähnt. Von der Natur oder der Position der Erde zu handeln, nützt nichts zum zukünftigen Leben, da zur Wissenschaft genügt, was die hl. Schrift enthält, daß er die Erde in Nichts aufhängt. Was sollen wir also darüber diskutieren, ob sie in der Luft hängt oder über dem Wasser?" „Nicht also", fährt er etwas später fort, weil die Erde in der Mitte sei, schwebt sie wie in einer gleichen Wage, sondern weil die Majestät Gottes durch das Gesetz seines Willens sie nötigt über dem Unbeständigen und Leeren feststehend sich zu behaupten1)." Damit war für ihn die Frage nach Stellung und Stützpunkt der Erde abgetan. Ähnlich urteilen über den Wert naturwissenschaftlicher Untersuchungen Eusebius von Caesarea, Basilius der Große und besonders der christliche Cicero Lactanz († 330), der sogar alle Naturphilosophen für blödsinnig erklärte 2). Trotzdem von der Alexandrinischen Schule lange vor Beginn unserer Zeitrechnung die elementaren Begriffe der Astronomie, trotzdem die wahre Erdgestalt vollkommen aufgeklärt und zum Gemeingut der Gebildeten geworden waren, benutzte man doch sogar Erd- und Himmelsgloben, die in ganz ähnlicher Weise wie die jetzt gebräuchlichen nach Meridianen und Parallelkreisen eingeteilt waren, fielen die Kirchenväter, von einigen Ausnahmen wie Clemens von Alexandrien, Origines, Basilius u. a. abgesehen, wieder in die Anschauungen der ionischen Schule zurück. Nicht ein einziger bedeutender astronomischer

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1) Ambrosius: Hexaëmeron in Cursus complet. Patrol. ed. Migne. Paris seit 1843 lat. t. 14 lib. I, c. 6, 22.

2) Lactant.: Divinarum instit. ed. Cellarius 1698, III, 4 ... qui naturalia, quae sciri ab homine non possunt, scire se putant: furiosi dementesque sunt iudicandi etc.

Vorgang wurde in seiner äußeren Erscheinung, viel weniger also in seinem Wesen verstanden; und nicht ein einziges Gesetz wurde geahnt, geschweige denn entdeckt. Sie brachten es in ihrer überwältigenden Mehrheit fertig, einen halbkugelförmigen Himmel ohne jede Schwierigkeit mit einer ebenen Erde zu vereinbaren. Unter dem Himmelsgewölbe bewegen sich nach patristischer Anschauung die Sonne und die Sterne von Ost nach Süd und gehen über Westen und Norden um die Erde herum zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Diese Vorstellung schloß sich streng an die betreffenden Stellen beim Psalmisten „extendens coelum sicut pellem“, und bei Jesaias 40, 22 an, der von Gott sagt, daß er den Himmel gleich einem Gewölbe eingerichtet und ihn selbst wie ein Zelt über der Erde ausgespannt habe. Buchstabengläubigkeit und peinliche Anlehnung an die Bibel ist das Merkmal insbesondere der syrisch-morgenländischen Väter wie Ephraem, Diodorus, Chrysostomus und last not least Severianus, des Bischofs von Gabala († 407). Eine spezifisch syrische Lehre läßt die Maschinerie der Himmelskörper durch Engel besorgt werden. Bald sind sie als Lasttiere von Fleisch und Bein an den Sternen angespannt, bald stoßen sie diese herum wie Handelswaren, bald setzen sie die Himmelslichter auf beide Arten zugleich in Bewegung, bald endlich tragen sie dieselben auf ihren Schultern, wie schon der Atlas der Mythologie die Erde trug1). Es fehlte nur noch ein Aristophanes, um diese phantastischen Ideen mit Erfolg zu persiflieren.

Eine ausführliche Darstellung des Weltalls, durch die uns die mangelhaften Fragmente der anderen Syrer verständlich werden, finden wir bei dem vorhin genannten Severianus. Besonders eigenartig berührt der Gedanke, daß der Himmel in zwei Hälften geteilt sei, einen oberen und einen unteren Himmel. Gleichwie in einem zweistöckigen Hause eine Zwischendecke die Etagen scheidet, so machte auch Gott die Welt wie ein Haus und fügte als trennendes Zwischenglied den sichtbaren Himmel ein. Über demselben lagert das Genes. I, 7 erwähnte Wasser, das die mittelalterlichen Kosmographen, um dem Bibelbericht gerecht zu werden, stets in ihre Systeme einzufügen sich gezwungen sahen. Den Grund und Boden dieses Welthauses bildet unsere bewohnte Erde, die durch die vier Wände des ganzen Gebäudes als viereckig (!) abgesteckt gedacht wurde). Hierdurch war die Rotation des Himmels von selbst ausgeschlossen und daher eifert Severian gegen die Philosophen, die ihn sich. als eine sich drehende Kugel" vorstellen. „Niemand aber von uns ist so gottlos, jenen törichten Schwätzern zu glauben," brüstet er sich noch.

1) Philoponus: Commentar. in Mosaicam mundi creationem ed. Corderius Wien 1630. 7. I, 12 p. 25.

2) Sever. Gabal. orat. in mundi creat. Migne graec. t. 56, 433.

Viel Schwierigkeit machte es, mit der flachen Erde die Bahn der Sonne in Zusammenhang zu bringen. Da sie eine Erweiterung des Weltraumes unterhalb der Erde, durch den die Sonne zur Nachtzeit ihren Weg hätte nehmen können, für ausgeschlossen hielten, so blieb nur der eine Ausweg übrig, die Sonne von ihrem Untergangspunkte an nordwärts längs der Berührungslinie des Himmels mit der Erde entweichen und so nach dem Aufgangspunkte zurückkehren zu lassen. Und richtig läuft nach Severian die Sonne am unteren Rande des Himmels, aber doch noch im Meere, nach Norden gleichwie hinter einer Mauer verborgen", indem das Wasser die Sichtbarkeit ihres Laufes verhindert, und wenn sie die nördlichen Gegenden durchwandert hat, wendet sie sich nach Osten. Daß von einer kreisförmigen Rotation um die Erde keine Rede sein könne, ergibt sich nach Severians Meinung aus der Schrift; so heißt es in der Genesis, daß Lot gen Zoar kam, als die Sonne aufging, an der besagten Stelle aber stehe nicht „emporstieg" arder, sondern „ausging“ ¿5ñader, und der Psalmist rede von einer Spitze des Himmels. Wenn aber der Himmel in Wirklichkeit eine Kugel wäre, so könnte er keine Spitze haben. Denn wo hat das nach allen Seiten hin Abgerundete seine Spitze?1) Über der Erde ist also der Himmel ebenso wenig eine Kugel als unter derselben, und der Lauf der Sonne um die Erde, wie ihn die Heiden lehren, ein Ding der Unmöglichkeit.

Auch die Ursache für das Eintreten der langen bezw. kurzen Tage hatte den Exegeten von jeher viel Schwierigkeiten bereitet, besonders vermochten sie diese nur schwer mit einer flachen Erde in Zusammenhang zu bringen. Severian machte darauf aufmerksam, daß die Sonne im Winter sich nicht mitten im Osten erhebt, sondern ihr Aufgangspunkt sich schon mehr dem Süden genähert hat. Während dadurch ihr Tageslauf nur ein kurzes Bogenstück ist, hat sie dagegen in der Nacht den ganzen Westen, Norden und Osten zu umkreisen, und daher wird die Nacht lang. Wenn sie aber gleiche Länge und gleichen Kurs hat, so tritt das Äquinoktium ein. Wiederum aber nach Norden sich wendend, wie im Winter nach Süden, steigt sie zum höchsten Nord empor und bewirkt so einen langen Tag, aber um den Nordrand der Erde herum einen kleinen Kreis beschreibend, bewirkt sie eine kurze Nacht. „Nicht aber haben uns das die Söhne der Griechen gelehrt, und sie wollen dies auch nicht, sondern sie behaupten vielmehr, daß Sonne und Sterne unter der Erde sich fortbewegen." Und doch beruht zweifellos der geschilderte Sonnenlauf auf antiker Anschauung, wenn Severian sich auch auf Prediger Salomo I, 5 beruft. Wie schon bei Homer, der den Sonnengott im Osten aus dem Sonnenteiche aufsteigen und im Westen wieder untertauchen läßt, diese Ansicht zugrunde liegt,

1) Migne gr. t. 56, 452.

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