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ein Ideal für die Theologie sei, daß ihr die Eigenthümlichkeiten der vier Evangelien im Gegensaß zu der Einheit derselben verschwinden, oder daß sie ihr nur in den dürftigsten Gestalten erscheinen, so daß etwa Matthäus als ein Chronikenschreiber dasteht, Markus als ein Epitomator, Lukas als ein Sammler, und Johannes endlich als ein Ergänzer. Diese Anschauungsweise ist schon dagewesen; sie war nur ein besonderes Symptom einer allgemeinen gefeßlichen Auffassung des Christenthums, welche das Menschliche gleichermaßen in Christo wie in seinen Jüngern verkannte, eben darum aber auch nicht zu dem Reichthum der Erkenntniß seiner Gottheit kommen konnte, da sich ihre Fülle nur in der Gliederung seiner Menschheit vor uns ausgebreitet hat. Eben so wenig aber wird man den Zustand einer Theologie als blühend betrachten können, worin die schulmeisterlichen Geister immer mehr angefangen haben, die Einheit des Lebens und Geistes Chrifti hinter den Anscheinen des Widerspruchs und den Widersprüchen des Anscheines (der Darstellungsweise) zu verlieren. Dort wurde das Geheimniß in eine verkümmerte Førmel aufgelöst, hier wird es zu einem düstern, Räthsel gestempelt*); während es seine Bestimmung ist, zur gottesmenschlichen ächt christlichen, gläubigen und freien Anschauung des Gottmenschen einzuladen.

Aber auch in seiner Verdunkelung übt dieses Geheimniß noch seine wesentliche Macht aus. So wie das ganze Christenthum pädagogisch wirkt in der Sphäre, worin das christliche Leben noch nicht zur Entscheidung gekommen ist, so auch diese Thatsache. Sie ist der große Zuchtmeister, der tausend kleine Meister ohne Aufhören in den Dienst der Geschichte des Lebens Jesu hineinzwingt, der fie nöthigt, sich unaufhörlich mit einer Geschichte zu befassen, welche für sie wohl viel weniger anzie= hende Kraft hätte, wenn sie ihnen in einer einzigen möglichst

*) Es ist eine ganz billige These, wenn man behauptet, eine Kritik von solcher Art, welche sich die literarische Thätigkeit, aus der die vier Evangelien hervorge gangen, in einen leichenhaften geistigen und sittlichen Zustand versunken denkt (Compilation, Pseudoautorschaften, fire Ideen, weder im poetischen Styl noch im historischen, sondern in einem sonst unerhörten genus der Erdich. tung Evangelien produzirend) — eine solche Kritik muß sich selber in einem lei chenbaften Zustande befinden.

deutlich geschriebenen Biographie übergeben wäre, und der sie zu tausend Handlangerdiensten für die Erklärung der Evangelien, wie sie selbst in den schlimmsten Ausgeburten einer vom christlichen Geiste verlassenen Kritik liegen, veranlaßt.

Ebenso aber leitet diese Thatsache alle christlichen Geister dazu an, den wahren Genuß des Lebens Jesu zum Heil nicht in den vereinzelten Aeußerlichkeiten der Anschauung, sondern in dem einfachen Eindruck seines Wesens, in den wesentlichen Grundzügen seines Wandels und feines Wortes zu suchen.

Auf der einen Seite ist diese Thatsache der Erscheinung von vier Evangelien für das Eine Evangelium ganz geeignet, den unfreien Buchstabenglauben zu bekämpfen, und das Recht der lebendigsten Subjektivität im Christenthum auszusprechen. Denn sobald sich der Buchstabenglaube auf die vier Urkunden stüßen will in seinem Sinne, kommt der Kritiker, um ihm seinen faulen Frieden ohne Geist und Leben zu rauben. Und sobald er dis subjektive Gestaltung des Christenthums anfechten will, treten ihm die vier Evangelien als vier große Schußgeister der wahren christlichen Subjektivität gegenüber. Sie sind die ersten großen Typen einer Lebensanschauung und Geschichtsbetrachtung, in welcher sich das göttliche Objektive ganz in dem Genuß der freien Individualität, diese dagegen ganz in der Hingebung an die objektive Kundgebung Gottes verklärt, das heißt aber, der spezifisch christlichen Weltanschauung, wie sie einerseits über den abstrakt objektiven Empirismus, andererseits über den abstraki subjektiven (fabulirenden) Idealismus erhaben ist.

Auf der andern Seite aber zeigt dieselbe Erscheinung des Einen Evangeliums in den vieren, wie die höchste Freiheit des einzelnen Menschen in der Anschauung und Darstellung Christi fich immer dadurch als ächte christliche Geistesfreiheit bewähren muß, daß sie eine Auffaffung Christi zur Folge hat, welche sich mit allen Auffassungen anderer Christen im Wesentlichen zu Einem klaren und harmonischen Lebensbilde zusammenschließt. Der ächte christliche Geist kann sich nicht ablösen vom Wort des Evangeliums, denn das Wort ist sein Leben und Lebensorgan; er kann nicht Evangelium mit Evangelium in Widerspruch sezen, denn sie find alle Gebilde der Einen Wirkung Chrifti; am Wenigsten

aber kann er ein neues Evangelium produziren wollen, das den alten widerspricht: darin müßte es vielmehr offenbar werden, daß hier eine menschliche Kraft geschäftig wäre, die sich selber losgerissen hätte von dem göttlichen Leben in Christo. Die vier Evangelisten sind uns ein Beweis dafür, daß die wahre Freiheit des Geistes von dem wahren Geiste der Freiheit kommt, dem Geiste Christi, der die Geister in der großen Frage ihrer Beziehung zu ihm nicht auseinanderführt, sondern vielmehr in Einer Erkenntniß und Verkündigung seines Wesens vereinigt.

So stehen die vier Evangelisten da; nicht als vier ungenaue Zeugen, durch deren Berichte die Einheit und Klarheit des Lebens Jesu verdunkelt würde, sondern als vier freie und treue Zeugen, in deren eigenthümlicher einfacher Anschauung fich für uns der Reichthum des Lebens Jesu auseinander legt.

Das Leben des Gottmenschen ist die Offenbarung eines unendlichen Reichthums, der Fülle des Lebens schlechthin. Denn in ihm hat sich eben so die Fülle der Gottheit wie die Fülle der Menschheit vor uns ausgebreitet, und darum ist uns in der Einheit seines Lebens die Fülle des gottmenschlichen Lebens in seiner Herrlichkeit erschienen, in einer unendlichen Strömung der Wahrheit (des wesentlichen Lichtes), und der Gnade (der fündetilgenden Liebe). Aus diesem Grunde war aber auch das Leben Jesu zu reich, als daß es von irgend Einem Menschen in seiner Fülle dargestellt, oder auch nur nach allen seinen wefentlichen Grundzügen hätte gezeichnet werden können *). Der Herr bedurfte zwölf Apostel von der verschiedensten Geistes und Gemüthsart, um den ganzen Inhalt seines Lebens der Welt mitzutheilen durch die Stiftung seiner Kirche; er berief vier Evangelisten, welche miteinander einen rein gestimmten Doppelgegensatz (ein geistiges Quadrat) bilden, um den vollen Gehalt seiner Lebensgeschichte seiner Gemeine fand zu thun. Die Zahl Vier ist die Zahl der Welt, die Zahl Drei ist die Zahl des Geistes, die Zahl Zwölf endlich ist die Zahl der vom Geiste Gottes bewegten, durchwirkten und erneuerten Welt. Der Apostel mußten Zwölfe sein, weil sie nicht nur die Welt,

*) S. o. B. 1, S. 236.

sondern auch den Geist Christi, der die Welt durchwirken soll, zu vertreten hatten. Der Evangelisten dagegen brauchten nur Viere zu sein, weil sie die Empfänglichkeit der Welt in ihrer vierfachen Gestalt in ihrem Verhältniß zu dem Leben Jesu, oder die vierfache Beziehung des Lebens Jesu in seinen Grundzügen auf das Eine Leben der Welt zu vertreten hatten, während der Geist Christi selber sich bei ihrer Wirksamkeit in der Thatsächlichkeit der evangelischen Geschichte darstellte. Das Eine Evangelium, welches durch die vier Evangelien hindurchgeht, repräsentirt die Dreifaltigkeit des Geistes Gottes, und übt ̧ somit in Verbindung mit den vier Evangelisten eben sowol eine zwölffache Wirkung auf die Welt aus, wie die zwölf Apostel.

Die Anschauung, welche in der Zahl Vier die Zahl der Welt in ihrer Totalität erblickt, ist eine sehr allgemein verbreitete; sie spricht sich z. B. darin aus, wenn von den vier Winden oder von den vier Himmelsgegenden die Rede ist. In der Schrift wird aber die Welt nicht bloß nach ihrer äußeren Ausdehnung, sondern nach den Grundideen, von denen sie getragen ist, nach den wesentlichsten Offenbarungsformen Gottes als eine viergestaltige betrachtet*). Diese vier Grundideen kehren in mannigfachen Variationen wieder, ihre allgemeinsten Gestalten aber find wohl die Formen der Bedingtheit oder der Leidentlichkeit, und der Ursprünglichkeit oder der freien Kraft; des Bildungstriebes, oder des Humanisationstriebes, der Humanität im weiteren Sinne, und des Unendlichkeitstriebes, oder der Idealität im engeren Sinne.

Da nun der Mensch das Bild des sich offenbarenden Gottes, und ebenso als Mikrokosmus das Spiegelbild der Welt ift, so müssen auch diese Grundzüge in seinem Leben in ihrer bestimmtesten Gestalt wieder erscheinen **).

Hier erscheint uns nun die erste Idee wieder als die Ord

*) S. o. V. I, S. 235.

**) In der Thatsache, daß die Humanität als ein besonderer Charakterzug des Menschen in seiner Totalität neben andern Charakterzügen erscheinen kann (wie dieß auch in den Cherubimgestalten der Fall ist), spricht sich der wesentliche unter. schied zwischen dem bloß humanen Menschen und dem eigentlichen Gottesmenschen (dem Christen) aus.

nung des geschichtlichen Zusammenhangs aller Menschen. Jeder Mensch ist ein geschichtliches Wesen, das einzelne Glied einer großen Kette von persönlichen Verhältnissen, und darum in ganz eigenthümlicher Weise bedingt durch sein ganzes Geschlecht, so daß er die Einwirkung des ganzen Geschlechtes erfahren muß, wie wenn er das jüngste Kind desselben wäre. Ihr gegenüber stellt sich die zweite Idee dar in der Thatsache, daß jeder Mensch ungeachtet seiner geschichtlichen Bedingtheit in seiner Individualität auf den Schauplag des Lebens tritt als ein freies Wesen mit einer urfrischen Kraft, mit welcher er zum Organ einer göttlichen Wirkung wird, welche unwiderstehlich die ihr gegenüberstehenden Hindernisse niederwirft; und daß er so als ein ganz neuer Faktor in der Weltgeschichte auftritt. Dieser Ge= gensaß scheint seine Ausgleichung zu finden in der dritten Idee, wie sie in der eigentlichen Menschlichkeit des Menschen, in seiner bedingten Freiheit oder freien Bedingtheit ihren eigentlichsten Ausdruck findet, mit welcher sein Bildungstrieb, sein Maaß, seine Bestimmtheit und Schönheit ausgesprochen ist, wie sie sich also in der Idee der Humanität im engeren Sinn verwirklicht. Der Mensch entspricht seiner Bestimmung, indem er ganz Mensch wird, indem er in seinem leidenden Verhalten sein ganzes Geschlecht in sich fühlt, und in seinem thätigen Verhalten für die ganze Menschheit wirksam ist. Wenn er aber also mit freier Hingebung für sein Geschlecht lebt, so kann er sich doch nicht an die Bedürftigkeit desselben verlieren, vielmehr verlangt es der tiefste Zug seines Wesens, daß er immer wieder über alle gegebenen Verhältnisse hinausgehe auf ihre Idee, auf ihre Begründung im Reiche des Geistes. Der Idee der Humanität des Lebens stellt sich somit als die vierte Grundidee des Lebens, die der Idealität gegenüber, wie sie in ihrer bestimmteren Gestalt in der menschlichen Sphäre sich kund gibt als der Trieb, das ganze Leben im Lichte des ewigen Geistes aufzufaffen. Der Mensch geht über das äußerlich Wirkliche vorwärts, rückwärts und geradezu überwärts hinaus in das Reich des Idealen, ja er verwandelt sich das Wirkliche selbst durch das Licht des Geistes in das Symbol einer idealen höheren Wirklichkeit. In dem ersten Gegensaß, dem der beiden ersten Ideen, ist die Realität oder Geschichtlichkeit

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