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Die Wanderung der Mythen.

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die Wanderungslehre sich festigt. Oft lagern auch in der höheren Mythologie ältere und jüngere Schichten über einander; diese zu scheiden, ihre Herkunft zu bestimmen, dünkt uns eine schier unmögliche Aufgabe. Die sprachlichen Grenzen fallen natürlich bei der Wanderungslehre, wieder wie zur Zeit der Symboliker muss der Mythologe die Religion der ganzen Welt übersehen, aber nicht auf allgemeine Ähnlichkeiten, sondern auf Einzelheiten und immer mit strengster Quellenkritik. Das Ziel ist noch sehr ferne und wird vielleicht nie erreicht.

In seiner geistvollen Schrift: Sæledyrkelse og naturdyrkelse, 1. Band, Kopenhagen 1890, gelangt der Däne Vodskov1) zu ganz andern, Gruppe schnurstracks entgegengesetzten Ergebnissen. Wir übergehen hier die höchst anziehenden ethnographischen Abschnitte des Werkes, wo die Lehre von der allmäligen Ausbreitung des Menschengeschlechtes über die Erde, von der örtlichen Gebundenheit aller Kultur derjenigen von der Wanderung der einzelnen oft sehr hoch kultivierten Völker gegenüber gestellt wird, und weisen nur kurz auf die mythologischen Anschauungen des Verfassers hin. Er unterscheidet drei Hauptrassen, Arier, Mongolen, Semiten. Wie ihre ganze Anlage, so ist auch ihre Religion grundverschieden. Die Mongolen und Semiten haben es nicht über den Seelenkult gebracht (vgl. S. CII die Abfertigung des jüdischen Jehova, dieses „ächten Semiten "). Der Seelenkult ist des reinen, erhabenen Gottesbegriffes unfähig, er bleibt immer in dumpfer Beschränkung, indem der Mensch der alleinige Maassstab des Göttlichen ist. Wol schreitet der Seelendienst zum Ahnendienst, zur Naturbeseelung. Die Naturgegenstände sind die Äusserungen der Seelengeister. Aber der Begriff der Seele bleibt stets ein niedriger, erbärmlicher. Demgegenüber schwingt sich arischer Idealismus zum Gottesbegriff auf. Wol kennen die Indogermanen auch alle Abstufungen des Seelenglaubens, aber neben und über ihm den Götterglauben. Die Natur ist das Göttliche und alles Sein dem göttlichen Walten unterworfen. Gewiss ist ein grosser Unterschied, ob geglaubt wird, in der Natur wirken Gespenster oder lichte mächtige Götter. Die Seelenverehrung geht natürlich als die niederere Glaubensform der Naturverehrung voraus. Ansätze zur Vergötterung der Natur zeigen zwar auch die andern Rassen, zur vollen Entwicklung gedieh sie nur bei den Indogermanen.

1) Vgl. die Besprechung Kauffmanns im AnzfdA. 18, 21 ff.

Vodskov hat bis jetzt seine Lehre nur allgemein ausgesprochen, prüfen lässt sie sich erst, wenn sie im einzelnen am Stoffe nachgewiesen sein wird.

So ist kein Mangel an Lehren, aber so vielseitig auch die Fragen beleuchtet wurden, befriedigend gelöst sind sie noch nicht. Für unsern nächsten Zweck ist aber auch die Entscheidung über Vorgänge, welche der Überlieferung zum Teil weit vorausliegen, nicht unentbehrlich. Wir haben es zu thun mit dem germanischen, deutschen und nordischen Heidentum vom Beginn der Quellenzeugnisse bis zur Bekehrung, also etwa mit dem ersten Jahrtausend. Es soll annähernd bestimmt werden, welche niedere und höhere Mythologie in diesem Zeitraume vorhanden war. Soweit auf dem Gebiete der höheren Mythologie Einwanderung und Entlehnung fremder, antiker oder christlicher Bestandteile, also,,Adaptationismus" damals stattfand, soll diese Thatsache thunlichst in den Vordergrund treten. Dagegen haben wir auch mit einem Bestand von hieratischen Kulten und Mythen zu rechnen, mit einem Grundstock höherer Mythologie, in dessen Besitz die germanischen Stämme um Christi Geburt sich befanden, den sie mit andern Indogermanen gemein hatten. Denn man darf die Germanen Caesars doch nicht götterlos, nur als Anbeter von Sonne, Mond und Feuer denken, während zur Zeit des Tacitus bereits ein ausgedehnter Götterglaube aus dem reinen Nichts entstanden wäre. Wie die Germanen zu ihren vorgeschichtlichen Göttern kamen, braucht nicht entschieden zu werden. Immerhin ist es noch wahrscheinlich, dass die Germanen mit den übrigen Indogermanen von Urzeiten her die Vorstellungen von lichten, himmlischen, waltenden Göttern gemein hatten, dass diese Götterbegriffe an den Naturerscheinungen insbesondere von Licht, Sonne, Gewitter sich entfaltet hatten. 1) Die Persönlichkeiten der Göttergestalten, die wir erblicken, gehören aber gerade in ihren besten und schönsten Zügen den Germanen eigentümlich zu.

8. Die Verschiedenheit der einzelnen germanischen Kulte. Über einzelne verschiedene Kulte in der heidnisch-germanischen Zeit ist bei der Mangelhaftigkeit der Überlieferung wenig zu erfahren. Doch haben einige Gelehrte besonders darauf geachtet

1) Vgl. Oldenberg, Religion des Veda S. 34 ff. über die indogermanische Götterwelt.

Nordische und deutsche Mythologie.

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und Ergebnisse gewonnen, welche für die Entwicklungsgeschichte der germanischen Religion von Wichtigkeit sind. Müllenhoff suchte nachzuweisen, dass Tiuz ursprünglich Hauptgott der Germanen war, jedoch in Niederdeutschland bald vor Wodan zurückwich. Uhland hatte den Unterschied des norwegischen Thorskultes und des schwedischen Freyskultes, endlich auch das Eindringen Odins im Norden hervorgehoben. Weinhold (Berliner Sitzungsberichte 29, 611 ff.) wies nach, dass diese verschiedenen Kulte zwischen ihren Anhängern zu Kämpfen führten, die mit einem Vergleiche endigten. Die mit dem Ackerbau verknüpften Bräuche wurden sorgsam gesammelt, um daraus verlorene germanische Kultformen zu erschliessen. Solche Untersuchungen lieferten H. Pfannenschmid, Germanische Erntefeste im heidnischen und christlichen Kultus 1878, worin Mannhardts mythologische Anschauungen gelten, und Ulrich Jahn, Die deutschen Opferbräuche 1884, worin die erschlossenen Kultformen nicht nur auf die Wald-, Feld- und Wachstumsgeister, sondern auch auf die Hauptgottheiten des Heidentums, deren Spuren übereifrig aufgesucht wurden, zurückgeführt sind.

9. Die nordische Mythologie, ihr Verhältniss zur deutschen und gemeingermanischen.

Eine der schwierigsten Fragen betrifft das Verhältniss zwischen deutscher und nordischer Mythologie. Voreilig wurde eine Lösung versucht, ehe nur die einfachsten und nötigsten Vorfragen aufgeworfen, geschweige denn erledigt waren. Derselbe Trugschluss, dieselbe unbewusste Geschichtsfälschung, die auf ein par Ähnlichkeiten hin eine hochentwickelte urindogermanische oder urmenschliche Religion ausbauten, haben lange Zeit ebenso das wirkliche Verhältniss deutschen und nordischen Götterglaubens entstellt. Die nordische Mythologie muss zunächst für sich allein gründlich erforscht werden, es gilt, die älteren und jüngeren Bestandteile aus einander zu lösen, die Entwicklung innerhalb der nordischen Mythologie selber festzustellen, vor allem aber die Quellen auf ihr Alter, auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, ihren Inhalt mit Hilfe der nordischen Kulturgeschichte zu untersuchen, ehe man die Überlieferung auf Treu und Glauben hinnimmt und zu den kühnsten Kombinationen missbraucht. Im Zusammenhang mit der nordischen

Altertumskunde betrachtet muss die nordische Mythologie richtiger beurteilt werden, als wenn frischweg nach Lust und Laune ihr Inhalt ausgedeutet und mit fernliegenden Dingen zusammengestellt wird.

Angeregt von Grimms Deutscher Mythologie unternahmen nordische Gelehrte zusammenfassende Darstellungen der nordischen. N. M. Petersen's nordisk mythologi 1849 sucht den grossartigen, einheitlichen Aufbau der Eddaüberlieferung vorzuführen; gelegentlich wird nach verschiedenen Arten ausgelegt. In R. Keyser's nordmændenes religionsforfatning i hedendomen 1847 (vgl. auch samlede skrifter 1, 249 ff.), P. A. Munch's nordmændenes ældste gude- og heltesagn 1853, K. Maurer's Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christentum 1855/6 treten die reichlichen Nachrichten der Geschichtsquellen dem Inhalt der Edda ergänzend zur Seite, ohne dass jedoch der grosse Unterschied vollauf gewürdigt und richtig erklärt worden wäre.

Schon vorher war ein beachtenswerter Versuch gemacht worden, die Entwicklungsgeschichte im überlieferten Stoffe nachzuweisen. Martin Hammerich legte 1836 in seiner trefflichen Schrift,,om ragnaroksmythen" zuerst den kritischen Maassstab an die bisher nur bewunderte und mystisch ausgedeutete nordische Mythologie. Er hebt den Widerspruch zwischen der lebensfreudigen Götterwelt Odins und dem zukünftigen Friedensreiche des ungenannten Gottes, der in der neuen Welt herrschen wird, hervor. Unmöglich könne von Anfang an die Götterwelt dem Untergang durch Feuer geweiht gewesen sein. Es gab eine Zeit, da die Asen ewig und unsterblich waren. Erst spät, als der Heidenglaube sich innerlich überlebt hatte, erhub sich das zukünftige Reich des ewigen Gottes über dem endlichen Reiche Odins. Die ,,Götterdämmerung" wird als letzte Entwicklungsstufe der Mythologie aufgefasst, ausschliesslich den Nordleuten und den letzten Zeiten des Heidentums zugewiesen. Der Schluss, die Götterdämmerung und das Friedensreich aus den Strömungen des 9./10. Jahrhunderts, d. h. aus fremden Einflüssen zu erklären, wird aber noch nicht gewagt.

Jedoch aus der blossen. Betrachtung des Inhaltes der nordischen Mythologie waren keine festen Ergebnisse zu gewinnen, dazu bedurfte es eingehender Prüfung der einzelnen Quellen. Die nordischen Denkmäler erschienen in stetig sich verbessernden Ausgaben. Auf der Grundlage guter Texte nahm die nordische Ge

Das Alter der sog. Eddalieder.

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schichte und Litteraturgeschichte einen gewaltigen Aufschwung. Für die sog. ältere Edda, die Sammlung altnordischer Lieder sehr verschiedenartigen Ursprungs, Inhalts und Alters bildet die Ausgabe Bugges 1867 den Beginn erneuten, gründlicheren Studiums. Die wachsende Kenntniss der nordischen Sprache und Verskunst ergab Anhaltspunkte zur genaueren Altersbestimmung der überkommenen Lieder, der erweiterte und vertiefte Einblick in die geschichtlichen Zustände zeigte den Hintergrund, auf dem die Gedichte sich abheben. Auf ganz allgemeine Erwägungen hin wurde anfangs das Alter der Lieder überschätzt.

So rechnet z. B. W. Müller, Altdeutsche Religion, S. 26, den Hauptbestandteil der Eddalieder mit Sicherheit dem 8. Jahrhundert oder Anfang des 9. Jahrhunderts zu. Die Form und Färbung dieser Dichtungen lässt erkennen, dass sie wegen ihrer grösseren Einfachheit und Natürlichkeit noch vor die künstlichere Skaldendichtung des 9. Jahrhunderts zu stellen sind. Zwar einige Heldenlieder wurden schon früher richtig ins 10./11. Jahrhundert gesetzt. Im allgemeinen aber galt die bereits von P. E. Müller vertretene Ansicht, dass der Grundstock der Sammlung, insbesondere die meisten Götterlieder, ins 8. Jahrhundert fallen. Lüning in seiner Eddaausgabe 1859, S. 7 f. erachtet die Lieder für noch älter, vor dem 8. Jahrh. entstanden. Die dänischen Altertumsforscher erklärten die Eddalieder für urnordisch, aber meist in Dänemark gedichtet und verlegten sie ins,,mittlere" (450-700) oder gar ins,,ältere Eisenalter" (250-450). Gegen diese leeren Meinungen wandte sich E. Jessens vortreffliche Abhandlung über die Eddalieder (ZfdPh. 3, 1871, 1-84), welche den Beginn der wahrhaft kritischen Eddaforschung bildet und auch in ihren kühnen Behauptungen (christlicher Einfluss in der Volospó, Unechtheit der Bragilieder) immer mehr Bestätigung findet. Nach Jessen gehören die Götterlieder dem norrönen Stamm, den Norwegern und Isländern, und sind im 10. Jh., ja noch später, doch mit Verwendung älterer Bestandteile gedichtet. Die Mythologie steht auf spätester norröner Entwicklungsstufe. Die Geschichte der nordischen. Sprachen hat dieses Ergebniss vollauf bekräftigt. Urnordisch können die Lieder nicht sein, ihre metrische und sprachliche Form erlaubt frühestens den Ausgang des 9. Jahrhunderts anzunehmen.

Die neueste, gründlichste Darstellung der altnordischen Litteratur, den oldnorske og oldislandske litteraturs historie von Finnur Jónsson Bd. 1, 1893, S. 65 ff., wo sicherlich immer lieber zu alt

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