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als zu jung geschätzt wird, stellt 875 als äusserste Grenze fürs älteste Eddalied, die Hóvamól, auf, während die hochberühmte Volospó, die Hauptquelle nordischer Mythologie, auf 935/40 angesetzt wird. Nur also wer den Inhalt völlig von den Denkmälern trennt und den nordischen Dichtern des 10. Jahrhunderts ein zähes Festhalten an uralter Sagenüberlieferung beimisst, mag ein weit höheres Alter des Stoffes behaupten, wie es Finnur Jónsson auch thut.

Henry Petersen, om Nordboernes gudedyrkelse og gudetro i hedenold 1876 suchte die längst erkannten und namentlich von Uhland hervorgehobenen Unterschiede des nordischen Thors-, Freys- und Odinskultes zu erklären. Er kam auf Grund umfassender Betrachtung der Skaldendichtung, der geschichtlichen und archäologischen Quellen zum Schluss, dass Thor der Volksund Landesgott der Norweger sei, während Odin bei den Skalden und am Fürstenhofe als oberster der Götter verehrt wurde. Die nordische Kunstdichtung folgt auch in der Göttersage wie in der Heldensage ihrem Hange, fremden, aus Deutschland zugewanderten Stoff dem altheimischen, also Wodan-Odin dem Thor vorzuziehen. Odin ist von der Skaldendichtung des 9./10. Jahrhunderts nicht zu trennen, dort ist sein Reich. Im Volke leben Thor und Freyr, die nur selten und wol immer unter höfischem, skaldischem Einfluss Odin neben sich dulden. Die nordische Litteraturgeschichte hatte allmählig zur Erkenntniss geführt, dass die sogen. Eddalieder den Erzeugnissen der Skaldenpoesie zuzurechnen seien, nicht als uralte schlichte Volksballaden gelten dürfen. Die Skaldenkunst trägt aber in Form und Gehalt ein durchaus eigenartiges, subjektives Gepräge. Wol schöpft sie aus dem Horte altheimischer Sagenüberlieferung, doch manches steht und fällt mit den Skaldengedichten und reicht nicht über sie zurück. In der Skaldenkunst kommt keineswegs der norwegische Volksglaube unmittelbar zu Tage, eine Mythologie, die hier ihr Dasein fristet, ist nicht der echte, eigentümlich nordische Götterglaube. Die Eddamythologie ist in wesentlichen Stücken als Erdichtung der Skalden zu erachten, sie ist in ihrer Gesamtheit kein getreues unverfälschtes Abbild der mit dem Kulte des nordischen Volkes verwachsenen Mythologie, noch weniger natürlich ein Abbild urgermanischer Mythologie. Im Thors- und Freyskult mag man vereinzelte urzeitliche Spuren antreffen, in der Odindichtung gelangt man zunächst auf die unmittelbare Quelle, den deutschen Wodanglauben, der jedoch nicht unverändert, sondern im Gegenteil mit selbständigen

Der Götterglaube des nordischen Volkes u. die Mythologie der Skalden. 43

Zusätzen der nordischen Skalden reichlich ausgeschmückt erscheint. Thor und Freyr entwickelten sich wol selbständig bei Norwegern und Schweden aus urgermanischen Göttergestalten, aus Donar und Tiuz. Wodan aber wanderte als Fremdling aus Deutschland in den Norden, worauf die Überlieferung selber hinweist. Die Skalden des 9./10. Jahrhunderts haben zwar nicht selber Odins Gestalt sich aus Niederdeutschland und Dänemark geholt, sondern bereits in Skandinavien vorgefunden; aber sie haben sich seiner bemächtigt und in ihren Liedern ihn zu höchstem Rang und Ansehen erhoben, dem Gotte, dem das Volk widerstand, zu unumschränkter Vorherrschaft das Reich der Dichtung erschlossen.

Ist einmal erwiesen, dass die wichtigsten Denkmäler der nordischen Mythologie frühestens dem 9. Jahrhundert, meistens sogar erst dem 10. angehören, so darf die von den geschichtlichen Verhältnissen notwendig verlangte Folgerung nicht ausser Acht bleiben. Die vorhergehenden Jahrhunderte sind die der Wikingerzeit, da die Drachenschiffe der Nordländer anfangs zu Heerung und Beute, später zu dauernder Niederlassung die umliegenden Lande aufsuchten'). Nach Russland, an die pommersche, friesische, fränkische Küste, nach England, Irland, den Färöern, Island (von 874) liefen die Schiffe aus. Schon im Anfang des 7. Jahrhunderts ist von einem Seezug der Dänen nach Frankreich, von einer Landung nordischer Schiffe auf Tory Island in Irland die Rede. Aber es währte lange, bis die Fahrten regelmässiger und zahlreicher wurden. Um 800 hatten die Wikinger-Einfälle in England und Irland bereits bedrohlich zugenommen, 852 wurde eine förmliche Herrschaft in Dublin aufgerichtet. Die Berührung mit fremden, christlichen, an Kultur hochentwickelten Völkern musste zu wechselseitigen Einwirkungen führen. Wol erschienen die Nordleute zuerst sengend und brennend und verschwanden schnell wieder mit der gewonnenen Beute, aber es wurde mitunter auch mit dem fremden Volke verhandelt. Entführte Frauen, Kinder, die solchen Raubehen entsprangen, trugen zur Vermischung der verschiedenartigsten Elemente bei. Nach erfolgter dauernder Niederlassung ergaben sich engste Beziehungen zwischen den Einwohnern und den Nordleuten. Mit den Stammlanden wurde der Verkehr

1) Vgl. Sars, udsigt over den norske historie, I deel, Kristiania 1877; Steenstrup, Normannerne, 4 Bände, Kopenhagen 1876-82.

lebhaft unterhalten. So kam es, dass einzelne Nordleute lange vor der Bekehrung der Heimatlande auswärts Christen wurden. Sie lernten christlichen Brauch kennen, sie hörten und saben viel Neues, ihr geistiges Leben empfing mannigfache Anregung. Wie die Deutschen nach den Berührungen mit den Römern, nach der Wanderungszeit anders geworden waren als zuvor, so ist auch die nordische Kultur nach der Wikingerzeit eine neue, und aus der neuen Zeit heraus empfängt die nordische Mythologie ihre Erklärung. Längst war die Ähnlichkeit antiker und christlicher Sagen und Vorstellungen mit einzelnen Zügen nordischer Mythologie erkannt, aber nicht erklärt worden. Der norwegische Altertumsforscher Sofus Bugge begründete in seinen Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen 1889 eine neue sachlich und geschichtlich durchaus gerechtfertigte Auffassung dieser Thatsachen, fand aber mehr Widerspruch als Anerkennung. In Deutschland that sich Müllenhoff mit groben, polternden Ausfällen gegen die historische Erklärung hervor. Die Gegner warfen sich auf zweifelhafte Einzelheiten, auf die freilich arg willkürlichen und anfechtbaren Etymologien, um dadurch die ganze Lehre zu stürzen. Die Aufmerksamkeit wurde von der Hauptsache abgelenkt. Nachdem der Streit ruhiger geworden, erheben sich immer mehr schüchterne und kühnere Zustimmungen. Die einleuchtende Wahrheit von Bugges Grundgedanken ist einmal nicht wegzuleugnen. Die Frage dreht sich eigentlich gar nimmer ernstlich darum, ob die nordische Mythologie überhaupt fremde Bestandteile aufnahm, sondern nur, wie viele und auf welche Art. Die Baldrsage, Odin am Galgen, den Weltbaum, diese Mythenkreise erklärt Bugge entstanden unter Einwirkung antiker und christlicher Vorstellungen, welche die nordischen Wikinger in England und Irland kennen lernten. Die Mythologie der nordischen Skalden ist ein Erzeugniss der Wikingerzeit; es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die vielen fremden Strömungen, denen damals die Nordleute unterworfen waren, auch in ihren Sagen sich abspiegeln. Einen kräftigen Stoss gegen Bugge gedachte der Isländer Finnur Jónsson im arkiv for nordisk filologi 6, 121 ff.; 9, 1ff. zu thun. In seiner oldnorske og oldislandske litteraturs historie führt er den Gedanken weiter aus. Jiriczek berichtete in der Beilage zur allgemeinen Zeitung 1894 Nr. 79 in gedrängter Kürze darüber. Solange man den Götterliedern der Edda ein unmöglich hohes Alter zuschrieb, solange die kulturgeschichtliche Bedeutung

Fremde Bestandteile der Skaldenmythologie.

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der Wikingerzeit noch nicht erkannt und gewürdigt war, lag die Annahme fremder Bestandteile in der nordischen Mythologie völlig fern. Jetzt aber fallen diese Lieder nach dem einstimmigen Urteil der Kenner in eine Zeit, in welcher Einwirkungen aus England und Irland sehr wahrscheinlich sind. Aber neben den Eddaliedern besitzen wir die eigentlichen Skaldenlieder. Bragi, der älteste norwegische Skald, dichtete vor 840, die Skalden König Haralds zum Teil vor 875. Die unter ihrem Namen überlieferten Preislieder auf Könige und Fürsten setzen dieselbe Mythologie voraus, der wir in der Edda begegnen. Die Skaldengedichte sind teils unmittelbar mythischen Inhalts. Die Skalden beschreiben Schilde, die sie zum Geschenk erhielten, auf denen Mythen abgebildet waren, oder sie bedienen sich der höchst künstlichen Bildersprache, deren ewige schwierige Anspielungen genauste Kenntniss der Mythen beim Hörerkreise, also wenn auch nicht beim Volke, so doch bei den Königsleuten, bei der höfischen Gesellschaft voraussetzen. Nun sagt Finnur Jónsson, die Wikingerzüge seien in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts nur Sommerstreifzüge gewesen, überwintert wurde in Irland erst 835, in England 851. Gegenseitige Einwirkungen der Nordleute, Iren und Angelsachsen seien doch erst infolge längeren freundlichen Verkehres möglich. Da nun in Bragis Gedichten in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts die nordische Mythologie vorliegt, so kann sie nicht unter westlichen Einflüssen stehen, sondern sie muss sich in Norwegen selber unberührt von der Wikingerzeit entwickelt haben. Der Hypothese Bugges ist der Boden entzogen, die Übereinstimmungen nordischer Mythen mit antiken und christlichen Vorstellungen dürfen nicht in seinem Sinne als Entlehnungen erklärt werden. Finnur Jónsson hat mit Recht die geschichtliche Vorfrage beleuchtet, die vor allem beleuchtet werden muss. Das Vergleichen der Überlieferung selber führt zu keiner sicheren Entscheidung, wenn nicht zuvor erwiesen ist, ob fremde Einflüsse überhaupt möglich waren oder nicht. War die nordische Mythologie, die wir aus den Eddaliedern des 10. Jahrhunderts kennen, bereits im 9. Jahrhundert, ja schon um 800 vorhanden, geht sie ursprünglich allein aus Norwegen hervor, dann ist allerdings englisch-irischer Einfluss weniger wahrscheinlich, immerhin aber nicht ganz ausgeschlossen. Schon im 7./8. Jahrhundert holten sich die Nordleute die Nibelungensage und den Wodanglauben aus Deutschland. Beginnen auch erst am Ende des 8. Jahrhunderts Westfahrten in grösserem Maassstabe, so

sind doch einzelne Züge weit älter. In seinem bidrag til den ældste skaldedigtnings historie 1894 widmete Bugge der Sache eingehende Untersuchung. Unter Hinweis auf mehrere Abhandlungen Zimmers, welcher nordische Einflüsse im Irischen aufdeckte, erklärt Bugge die Behauptung, vor 840 sei keine Einwirkung aus dem Westen auf Norwegen möglich, für hinfällig. Schon die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts kann sehr wol die nordische Mythologie der Skalden gezeitigt haben. Aber weit schwerer wiegt der Umstand, dass die dem Skald Bragi zugeschriebenen und daher ins 9. Jahrhundert verlegten Strophen erst in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts und vermutlich auf den westlichen Inseln gedichtet wurden. Also wird die nordische Mythologie durch überlieferte Denkmäler gar nicht für den Anfang des 9. Jahrhunderts, sondern frühestens fürs Ende erwiesen. Die Skaldendichtung entstand unter Einwirkung einer reichen Kulturströmung aus England und Irland. Sie ist in Wirklichkeit nicht älter als die Eddadichtung, mithin kann sie so wenig wie diese ohne Rücksicht auf die Zustände der Wikingerzeit beurteilt werden. Finnur Jónsson sucht die Entstehung der Eddalieder und älteren Skaldengedichte möglichst nach Norwegen zu verlegen, weil die norwegische Urheimat weniger den Verdacht fremder Einflüsse aufkommen lässt. Gudbrand Vigfusson hatte den Gedanken hingeworfen, viele dieser Gedichte seien in den nordischen Neusiedelungen auf den Inseln des Westmeeres verfasst worden. Diese Behauptung wurde freilich stark angefochten. Jedoch dürfte sich immerhin westlicher Ursprung und damit höchste Wahrscheinlichkeit der Entlehnung fremder Züge für dieses oder jenes Gedicht noch nachweisen lassen. Bugges Gründe sind sehr zahlreich, sachlich und formal. Alle halten zwar nicht Stand, aber doch genug, um die blosse Behauptung und den unbedingten Glauben der Gegner, dass die unter dem Namen der ältesten Skalden laufenden Gedichte wirklich von ihnen herstammen, stark zu erschüttern. Die Frage nach der Ächtheit der Asalehre ist somit in ein neues Stadium gerückt, indem die Berechtigung ihrer Aufstellung überhaupt bestritten wird. Aber auch hier wird der Bescheid schliesslich günstig ausfallen, obschon sich noch manche neue Anfechtung erheben wird. Der poetische Wert, die erhabene Grösse der nordischen Mythologie erleidet nicht die geringste Einbusse mit dem Nachweis, dass sie weder urnordisch noch urgermanisch, vielmehr norwegisch ist, ein Erzeugniss der Wikingerzeit, erwachsen unter

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