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ERSTES HAUPTSTÜCK.

Die Gestalten des Volksaberglaubens
(die niedere Mythologie).

I. Der Geisterglaube und seine nächsten Ursachen.

Volksaberglaube und Volkssage verhalten sich ähnlich wie Götterglaube und Göttersage. Aus allgemeinen weitverbreiteten Grundtypen erwachsen örtlich und zeitlich sehr verschiedenartige Sagen, die natürlich bei aller Abweichung im einzelnen im Kerne doch übereinstimmen. Wo Geschichten mit verwickelter Handlung und merkwürdigen Einzelheiten an getrennten Orten auftauchen, ist Entlehnung und Wanderung mehr wahrscheinlich als selbständige unabhängige Entstehung. Der Volksglaube scheint unwillkürlich aus der Veranlagung des menschlichen Gemütes zu entstehen. Wol beruht auch er auf einer Anzahl überlieferter Thatsachen, er vererbt sich mündlich in den Geschlechtern und vermehrt sich somit allmälig ungeheuer. Aber er wird gewissermaassen mit jedem Menschen auch neu geboren, dieselbe Anlage, aus der die Urbilder entkeimten, schafft immer neue Vorstellungen ähnlicher Art. Der Volksglaube bleibt nicht unverändert bestehen, er formt sich immer neu. Die Volkssage der heidnischen Germanen ist nicht unmittelbar auf uns gelangt. Zwar die nordischen Quellen bieten auch hier sehr vieles, in Deutschland wird manches mittelbar durch gelegentliche Anspielungen und durch das Vorhandensein der entsprechenden sprachlichen Bezeichnungen bezeugt. Jedoch der Volksglaube der Heidenzeit lebt vielfach im Mittelalter und in der Neuzeit fort. Wie die einfachen Gebilde der neueren Volkssage waren nach Ausweis der nordischen Denkmäler auch die der altheidnischen beschaffen, so dass es wol erlaubt scheint, zur Aufhellung

Die Ursachen des Geisterglaubens.

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verschwundener Zeiten die Gegenwart heranzuziehen. Nur muss Vorsicht walten. Eine neue Volkssage kann nur als Vertreter einer altheidnischen gelten, wenn der typische Volksglaube, dem sie entstammt, auch fürs Heidentum wahrscheinlich ist. Damit ist nicht gesagt, dass sie genau so, wie sie jetzt uns vorliegt, auch damals lautete. Der heutige Volksglaube und noch weit mehr die Sage enthalten neben uralten Typen aber auch unzählige Neubildungen, die erst im Mittelalter und in der Neuzeit, häufig auch aus dem Verkehr mit andern Völkern aufkamen. Altheidnischer Glaube kann dem Christentum angepasst worden sein, viele Bräuche sind aber auch erst vom Christentum veranlasst. Die Hauptaufgabe, Altes und Neues aus einander los zu lösen, hat die Volkskunde noch kaum in Angriff genommen. Der Aberglaube und die daraus entwickelte Sage sind überaus einfach in Form und Gehalt, ohne besondere Wartung und Pflege entspringt der Glaube den Vorgängen im Leben des Menschen und in der Naturumgebung. Die einfachen Grundvorstellungen können sich mitunter verwickelter gestalten, jedoch kaum ohne Einwirkung bewusst schaffender Kunstdichtung. Wenn man eine wolgeordnete, vollständige Sagensammlung betrachtet, so treten besonders vier Gruppen von übermenschlichen Wesen hervor, Maren, Seelen, Elbe und Riesen, wovon die beiden ersten mit dem Menschen in unmittelbarem Verkehre stehen, während die letztgenannten in der Natur wirken. Weil Begriff und Benennung dieser Wesen gemeingermanisch ist, weil sie in den nordischen Sagen des Heidentums ebenso weben und leben wie in der deutschen und nordischen Überlieferung der Gegenwart, so ist ihre Zugehörigkeit zum Bestand des heidnischen Volksglaubens zweifellos. Die Anthropologie lehrt, dass sie überhaupt allgemein menschlich sind. Soweit ihr Ursprung zu erklären ist, werden wir auch auf allgemein menschliche Anlagen, die überall gleichmässig vorhanden sind und gleichartig wirken müssen, hingeführt.

Der Gespensterglauben drängt sich dem Menschen durch Wahrnehmungen auf, die er an sich selber und an seinen Mitmenschen macht. Die subjektiven Vorgänge des Traumschlafes, die objektiven des Todes wirken zusammen zur Vorstellung eines geisterhaften Wesens, das plötzlich aus der Unsichtbarkeit hervortritt und auf geheimnissvolle Weise sich fühlbar macht. Im Schlafe erscheinen die Gestalten Lebender und Toter, sie verkehren wie im wirklichen Dasein, nur häufig freier und ungebundener. Besonders die Erscheinung längst Verstorbener erregt und beunruhigt das

Gemüt. Im Alptraum wird dem Schlafenden aber unmittelbar die beängstigende Macht solcher Traumgestalten fühlbar. Das Traumbild an sich hätte schwerlich den Glauben an die Wirklichkeit des Erschauten hervorgerufen, wol aber der Alptraum, der die geheimnissvolle Einwirkung übermenschlicher Wesen immer von Neuem dem Bewusstsein aufdrängte.1) Der Alpdruck ruft die verschiedenartigsten Vorstellungen hervor, je nachdem der Schlafende von einem Tier oder Menschen, der mitunter bekannte Züge anzunehmen pflegt, sich gequält wähnt. Die bange Furcht steht an der Schwelle urmenschlichen Glaubens, Kultes und Mythus. Die Druckgeister mit ihrer merkwürdigen Vielgestalt schienen verwandlungsfähige schädigende Wesen, die jeder verspürt hatte, von denen jeder zu erzählen wusste, deren objektive Wirklichkeit der kindlichen Einbildungskraft zweifellos sein musste. Die Furcht vor dem Alp legte den Gedanken an Maassregeln zu seiner Abwehr nahe, aus dem Glauben an seine Macht entsprangen Bräuche, die ihn schadlos machen sollten, also ein wesentlich auf Abwehr gerichteter Kult. Die Alpsage aber erging sich in Schilderungen besonderer Traumerlebnisse, wie dieser oder jener den Unhold gesehen, wie er sich seiner erwehrt hatte. Auch musste die Sage seine Herkunft zu ergründen trachten. Denn der Traum zeigte das Gespenst ja nur, wie es plötzlich über den Schlafenden herfiel, ohne zu erklären, woher es kam und wohin es wieder entschwand. Zur Erklärung boten sich von selber andere Wahrnehmungen. Der Alp trug häufig bekannte Züge lebender oder toter Mitmenschen. Diese selber in ihrer gewöhnlichen Gestalt konnten aber nicht den Träumenden heimsuchen, und doch war auch die Erscheinung nicht von ihnen völlig zu trennen. Der Traum ist nicht nur leidend, indem der Schlafende die Besuche Andrer empfängt, sondern auch thätig, indem der Schlafende auf wunderbare Weise im Augenblick

1) Die Bedeutung, die dem Alptraum bei der Mythenbildung zukommt, hebt Laistner, Rätsel der Sphinx, Berlin 1889, hervor. Höchst geistvoll ist die Entwicklung der Sage, der Mythologie auf der stetigen Grundlage des Alptraumes nachgewiesen. Jedoch mit seinen Namendeutungen geht Laistner entschieden zu weit. Die Namen müssten in Urzeiten mit durchsichtiger, auf den Alptraum unmittelbar bezüglicher Bedeutung entstanden und fest gehalten sein. Die Einkleidung, in welcher die heutige Volkssage sich darbietet, ist aber meistens sehr jung und ohne unmittelbaren, bewussten Zusammenhang mit dem ursprünglichen abergläubischen Kerne. Statt auf diesen abergläubischen Kern sich zu beschränken, legt Laistner ohne Bedenken die ganze darum gewachsene Sagendichtung aus.

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die weitesten Entfernungen zurücklegt. War einmal durch den Alptraum die Einbildung aufgeregt, so mochte auch der gewöhnliche Traum zum Nachdenken Anlass geben. In sich selber trug der Mensch ein Rätsel, die Fähigkeit, zeitweilig im Schlafe die leiblichen Fesseln abzustreifen und los und ledig frei umher zu schweifen. Endlich schien der Tod eine gewisse Deutung zu gewähren. Aus dem toten Leib ist der belebende Hauch, der Atem, die Seele entwichen. Der Leib zerfällt in Staub und Asche. Kehrt ein Verstorbener, wie er leibte und lebte, wieder, so muss es sein Geist sein, jene entwichene Seele, die beim Tode nicht zu Grunde ging, die fort besteht und leiblich umgehen, erscheinen kann. Der Tod belehrt den Menschen über den Unterschied zwischen Leib und Seele. Dem Schlummernden mag die Seele für kurze Frist entschweben, dem Toten entfloh sie für immer. Aber ihre wunderbaren Eigenschaften sind dieselben, sobald sie einmal den Leib verlässt. Aus ähnlichem Gedankengang haben die Naturvölker den Begriff der Seele als eines geisterhaften Wesens entwickelt. Überall findet sich Seelen- und Marenglaube. Eine strenge Scheidung zwischen Seelen und Maren lässt sich nirgends durchführen. Aus demselben Vorstellungskreise erwachsen sind beide Erscheinungen einander sehr ähnlich, häufig unzertrennlich. Maren sind ja eigentlich Seelen als Druckgeister, und andererseits ist der Begriff des Seelengeistes namentlich auf den Alptraum begründet. Der Marenglaube mag ursprünglicher und älter sein als der Seelenglaube, bei den heidnischen Germanen sind jedenfalls beide gleichzeitig nebeneinander reich entfaltet gewesen.

2. Maren.

Die Gespenster, welche den Menschen im Alptraum heimsuchen, spielen in der niederen Mythologie eine grosse Rolle, sie sind wahrscheinlich wegen ihrer handgreiflichen Fühlbarkeit überhaupt die ersten übermenschlichen Wesen, deren Dasein der Mensch glaubte und fürchtete. Der Seelenglauben beruht zum grossen Teil auf der Vorstellung von quälenden Druckgeistern. Erst allmälig entstand weiterhin der Glaube an Geister, die nicht nur den Menschen quälten und drückten. Zunächst aber ging der Gespensterglaube aus dem Alptraum hervor. Die älteste gemeingermanische Bezeichnung des Druckgeistes ist an. mara, dän. mare, nattemare,

holl. nagtmerrie, engl. nightmare. Im frz. ist cauche-mar, die tretende mare, aus fränk. mara gebildet. Mhd. begegnet mar und mare männlich und weiblich. In Norddeutschland ist noch heute das Wort mar, mart, mahrte, nachtmare u. a. üblich. Bei den Oberdeutschen ist das Wort ausgestorben; dafür werden andere Benennungen im selben Sinn und mit denselben Sagen wie bei der nds. mare verwendet. So wird das quälende Traumgespenst als Alp bezeichnet. Der allgemeine Begriff Alp wurde verengert und auf eine besondere Erscheinung eingeschränkt. Oder man spricht von der drückenden trut, trude. Truden sind eigentlich Hexen, zu deren Beschäftigung das Alpdrücken aber vornehmlich gehört. Bei den Alemannen wird der Nachtgeist auch als schrettele, schrat, schretzlein u. s. f. bezeichnet, aus dem altgermanischen Wort für Geist, Gespenst, das im an. skrati, skratti, ahd. scrato, scraz vorliegt. Endlich heisst der Druckgeist im Elsass und in einem Teil der Schweiz doggele, ein Deminutivum zu *dogo, das zum Verbum *diuhan, drücken gehört (Laistner, Nebelsagen 341). Ohne Weiteres erklären sich die Namen druckerle, nachtmännle. So zahlreich und wechsel voll die Namen sind, die Erscheinung und Wirkung des Gespenstes bleibt immer dieselbe. Im Heidentum hiess es aber allgemein die mare, offenbar mit besonderer Hervorhebung des weiblichen Geschlechts des Gespenstes. Altere Marensagen sind nur wenige vorhanden, aber sie waren von den späteren in sehr grosser Zahl bekannten kaum verschieden, denn die stets gleichmässig wiederkehrende Ursache musste auch immer die gleichen Wirkungen erzielen. Besonders deutlich ist hier das Verhältniss zwischen Aberglauben und Sage, wie Laistner schön und treffend hervorhob. Die Traumbegebenheit drängte sich dem Menschen mit voller Leibhaftigkeit immer wieder auf, des Alps und der Mare war er sicher, denn er spürte sie. Der Bericht vom Alptraum ruft die Alpsage ins Leben. Da mischt sich alsbald poetische Erfindung und Ausschmückung ein, wie um jeden religiösen Kern ein mehr oder weniger freier Mythus anwächst. Schwierig ist auch hier, zu bestimmen, wo dem Bewusstsein der Zusammenhang der Sage mit der zu Grunde liegenden Alptraumsituation entschwindet.

Nach der Ynglingasaga Kap. 13 wird der König Wanlandi von Schweden von der Mare getötet. Sie tritt dem Schlafenden dermaassen auf die Beine, dass sie fast zerbrachen, und drückt ihm darauf den Schädel ein. Die Thätigkeit der Mara wird als

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