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doch auf keine Spur kommen. In jenen Tagen waren verschiedene lebhafte Bewegungen und unvorgesehene Durchmärsche in diesen Gegenden vorgefallen; niemand hatte auf die reisende Gesellschaft besonders acht gegeben, so daß der ausgesendete Bote, um nicht für einen jüdischen Spion angesehen zu werden, wieder zurückgehen und ohne Delblatt vor seinem Herrn und Freund erscheinen mußte. Er legte strenge Rechenschaft ab, wie er den Auftrag auszurichten gesucht, und war bemüht, allen Verdacht einer Nachlässigkeit von sich zu entfernen. Er suchte auf alle Weise Wilhelms Betrübnis zu lindern, besann sich auf alles, was er von dem Jäger erfahren hatte, und brachte mancherlei Mutmaßungen vor, wobei denn endlich ein Umstand vorkam, woraus Wilhelm einige rätselhafte Worte der schönen Verschwundnen deuten konnte.

Die räuberische Bande nämlich hatte nicht der wandernden Truppe, sondern jener Herrschaft aufgepaßt, bei der sie mit Recht vieles Geld und Kostbarkeiten vermutete und von deren Zug sie genaue Nachricht mußte gehabt haben. Man wußte nicht, ob man die That einem Freikorps, ob man sie Marodeurs oder Räubern zuschreiben sollte. Genug, zum Glücke der vornehmen und reichen Karawane waren die Geringen und Armen zuerst auf den Platz gekommen und hatten. das Schicksal erduldet, das jenen zubereitet war. Darauf bezogen sich die Worte der jungen Dame, deren sich Wilhelm noch gar wohl erinnerte. Wenn er nun vergnügt und glücklich sein konnte, daß ein vorsichtiger Genius ihn zum Opfer bestimmt hatte, eine vollkommene Sterbliche zu retten, so war er dagegen nahe an der Verzweiflung, da ihm, sie wiederzufinden, sie wiederzusehen, wenigstens für den Augenblick alle Hoffnung verschwunden war.

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Was diese sonderbare Bewegung in ihm vermehrte, war die Aehnlichkeit, die er zwischen der Gräfin und der schönen Unbekannten entdeckt zu haben glaubte. Sie glichen sich, wie

sich Schwestern gleichen mögen, deren keine die jüngere noch die ältere genannt werden darf, denn sie scheinen Zwillinge zu sein.

Die Erinnerung an die liebenswürdige Gräfin war ihm unendlich füß. Er rief sich ihr Bild nur allzu gern wieder ins Gedächtnis. Aber nun trat die Gestalt der edlen Amazone gleich dazwischen, eine Erscheinung verwandelte sich in die andere, ohne daß er imstande gewesen wäre, diese oder jene festzuhalten.

Wie wunderbar mußte ihm daher die Aehnlichkeit ihrer Handschriften sein! denn er verwahrte ein reizendes Lied von der Hand der Gräfin in seiner Schreibtafel, und in dem Ueberrocke hatte er ein Zettelchen gefunden, worin man sich mit viel zärtlicher Sorgfalt nach dem Befinden eines Oheims erkundigte.

Wilhelm war überzeugt, daß seine Retterin dieses Billet geschrieben, daß es auf der Reise in einem Wirtshause aus einem Zimmer in das andere geschickt und von dem Oheim. in die Tasche gesteckt worden sei. Er hielt beide Handschriften. gegen einander, und wenn die zierlich gestellten Buchstaben der Gräfin ihm sonst so sehr gefallen hatten, so fand er in den ähnlichen, aber freieren Zügen der Unbekannten eine unaussprechlich fließende Harmonie. Das Billet enthielt nichts, und schon die Züge schienen ihn, so wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu erheben.

Er verfiel in eine träumende Sehnsucht, und wie einstimmend mit seinen Empfindungen war das Lied, das eben in dieser Stunde Mignon und der Harfner als ein unregelmäßiges Duett mit dem herzlichsten Ausdrucke sangen:

Nur wer die Sehnsucht kennt,

Weiß, was ich leide!

Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh' ich ans Firmament
Nach jener Seite.

Ach! der mich liebt und kennt,
Ift in der Weite.

Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

Zwölftes Kapitel.

Die sanften Lockungen des lieben Schußgeistes, anstatt unsern Freund auf irgend einen Weg zu führen, nährten und vermehrten die Unruhe, die er vorher empfunden hatte. Eine heimliche Glut schlich in seinen Adern; bestimmte und unbestimmte Gegenstände wechselten in seiner Seele und erregten ein endloses Verlangen. Bald wünschte er sich ein Roß, bald Flügel, und indem es ihm unmöglich schien, bleiben zu können, sah er sich erst um, wohin er denn eigentlich begehre.

Der Faden seines Schicksals hatte sich so sonderbar verworren; er wünschte die seltsamen Knoten aufgelöst oder zerschnitten zu sehen. Oft, wenn er ein Pferd traben oder einen. Wagen rollen hörte, schaute er eilig zum Fenster hinaus, in der Hoffnung, es würde jemand sein, der ihn aufsuchte und, wäre es auch nur durch Zufall, ihm Nachricht, Gewißheit und Freude brächte. Er erzählte sich Geschichten vor, wie sein Freund Werner in diese Gegend kommen und ihn überraschen könnte, daß Mariane vielleicht erscheinen dürfte. Der Ton eines jeden Posthorns sehte ihn in Bewegung. Melina sollte von seinem Schicksale Nachricht geben, vorzüglich aber sollte der Jäger wiederkommen und ihn zu jener angebeteten Schönheit einladen.

Von allem diesem geschah leider nichts, und er mußte zuleht wieder mit sich allein bleiben, und indem er das Vergangene wieder durchnahm, ward ihm ein Umstand, je mehr

er ihn betrachtete und beleuchtete, immer widriger und unerträglicher. Es war seine verunglückte Heerführerschaft, an die er ohne Verdruß nicht denken konnte. Denn ob er gleich am Abend jenes bösen Tages sich vor der Gesellschaft so ziemlich herausgeredet hatte, so konnte er sich doch selbst seine Schuld nicht verleugnen. Er schrieb sich vielmehr in hypochondrischen Augenblicken den ganzen Vorfall allein zu.

Die Eigenliebe läßt uns sowohl unsre Tugenden als unsre Fehler viel bedeutender, als sie sind, erscheinen. Er hatte das Vertrauen auf sich rege gemacht, den Willen der übrigen gelenkt und war, von Unerfahrenheit und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es ergriff sie eine Gefahr, der sie nicht gewachsen waren. Laute und stille Vorwürfe verfolgten ihn, und wenn er der irregeführten Gesellschaft nach dem empfindlichen Verluste zugesagt hatte, sie nicht zu verlassen, bis er ihnen das Verlorne mit Wucher erseht hätte, so hatte er sich über eine neue Verwegenheit zu schelten, womit er ein allgemein ausgeteiltes Uebel auf seine Schultern zu nehmen sich vermaß. Bald verwies er sich, daß er durch Aufspan= nung und Drang des Augenblicks ein solches Versprechen gethan hatte; bald fühlte er wieder, daß jenes gutmütige Hinreichen seiner Hand, die niemand anzunehmen würdigte, nur eine leichte Förmlichkeit sei gegen das Gelübde, das sein Herz gethan hatte. Er sann auf Mittel, ihnen wohlthätig und nüßlich zu sein, und fand alle Ursache, seine Reise zu Serlo zu beschleunigen. Er packte nunmehr seine Sachen zusammen und eilte, ohne seine völlige Genesung abzuwarten, ohne auf den Rat des Pastors und Wundarztes zu hören, in der wunderbaren Gesellschaft Mignons und des Alten, der Unthätigkeit zu entfliehen, in der ihn sein Schicksal abermals nur zu lange gehalten hatte.

Dreizehntes Kapitel.

Eerlo empfing ihn mit offnen Armen und rief ihm ent gegen: Seh' ich Sie? Erkenn' ich Sie wieder? Sie haben sich wenig oder nicht geändert. Ist Ihre Liebe zur edelsten Kunst noch immer so stark und lebendig? So sehr erfreu' ich mich über Ihre Ankunft, daß ich selbst das Mißtrauen nicht mehr fühle, das Ihre leßten Briefe bei mir erregt haben.

Wilhelm bat betroffen um eine nähere Erklärung.

Sie haben sich, versezte Serlo, gegen mich nicht wie ein alter Freund betragen; Sie haben mich wie einen großen Herrn behandelt, dem man mit gutem Gewissen unbrauchbare Leute empfehlen darf. Unser Schicksal hängt von der Meinung des Publikums ab, und ich fürchte, daß Ihr Herr Melina mit den Seinigen schwerlich bei uns wohl aufgenommen werden dürfte.

Wilhelm wollte etwas zu ihren Gunsten sprechen, aber Serlo fing an, eine so unbarmherzige Schilderung von ihnen zu machen, daß unser Freund sehr zufrieden war, als ein Frauenzimmer in das Zimmer trat, das Gespräch unterbrach und ihm sogleich als Schwester Aurelia von seinem Freunde vorgestellt ward. Sie empfing ihn auf das freundschaftlichste, und ihre Unterhaltung war so angenehm, daß er nicht einmal einen entschiedenen Zug des Kummers gewahr wurde, der ihrem geistreichen Gesicht noch ein besonderes Interesse gab.

Zum erstenmal seit langer Zeit fand sich Wilhelm wieder in seinem Elemente. Bei seinen Gesprächen hatte er sonst nur notdürftig gefällige Zuhörer gefunden, da er gegenwärtig mit Künstlern und Kennern zu sprechen das Glück hatte, die ihn nicht allein vollkommen verstanden, sondern die auch sein Gespräch belehrend erwiderten. Mit welcher Geschwindigkeit ging man die neuesten Stücke durch! Mit welcher Sicherheit beurteilte man sie! Wie wußte man das Urteil des Publi

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