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dürfen wir getrost einen ähnlichen Bildungsgang bei einem Manne wie Jesus vorausseßen, der nicht blos die geistig - sittlichen Schäden seines Volkes so tief und gründlich empfunden hatte, sondern auch eine so vertraute Bekanntschaft mit der pharisäischen und sadducäischen Bildung und der jüdischen Schriftgelehrsamkeit seiner Zeit überhaupt verräth. Denn auch die anfängliche Betreibung des väterlichen Handwerks 15) schloß Jesum von der höchsten Bildung seines Volkes so wenig aus, wie den Zeltweber Saulus aus den pharisäischen Schulen. Und wenn die christliche Ueberlieferung keine Erwähnung davon thut, daß Jesus in den Schulen jüdischer Schriftgelehrten gesessen habe, so ist zu bedenken, daß es im Interesse der christlichen Sage liegen mußte, Jesum als reinen Gottgelehrten darzustellen, und es wird schon dadurch die Vermuthung nahe gelegt, daß er der gelehrten Bildung seines Volkes nicht fremd gewesen jei 16).

Hatte sich nun aber Jesu gereiftes geistig-sittliches Bewußtsein, der pharisäisch - sadducäischen Bildung gegenüber, entschieden gegensäglich gestaltet, so zeigt er auf der andern Seite bei seinem ersten öffentlichen Auftreten eine ebenso entschiedene Verwandtschaft der geistigen Lebensrichtung mit dem, was uns über die essenische Sekte berichtet wird, daß wir einen bestimmten Einfluß derselben auf die Bildung Jesu um so gewisser vorausseßen müssen, als gerade in der essenischen Geistesrichtung das Streben nach einer höhern Vollendung und beziehungsweise Umgestaltung des religiös-sittlichen Lebens im Schooße des Judenthums am entschiedensten sich regte und die Essener in Wahrheit die wahrhaft frommen Juden waren.

Die Anklänge an die essenische Lebensrichtung, welche uns in den der Zeit des ersten Auftretens Jesu angehörenden Reden, insbesondere der Bergpredigt begegnen, sind so unverkennbar, daß ein

15) Wenn anders die Notiz bei Marcus 6, 3: „Ist er nicht der Zimmermann?" den Worten der Parallelstelle bei Matthäus 13, 55: „ist er nicht des Zimmermanns Sohn" gegenüber auf geschichtliche Bedeutung Anspruch machen darf.

16) Nach dem bei Huldreich, Geschichte des Nazareners Jeschua (Leiden 1705) enthaltenen Tert der jüdisch-rabbinischen Schmähschrift „Toldoth Jeschu“ hat Jesus die Schule des Rabbi Josua, Sohnes Perachia, in Jerusalem besucht und darin große Fortschritte in der Schriftgelehrsamkeit gemacht.

bestimmter Einfluß des Essenismus auf die Bildung Jesu als ge= schichtliche Thatsache feststeht. Die Seligpreisung der Armen und die Verwerfung des Reichthums, die Verwerfung des Eides, die Aeußerungen Jesu über die Ehe und die eigne Ehelosigkeit desselben 17), endlich das Wirken Jesu als Arzt des Leibes und der Seele, Alles dies stellt ihn thatsächlich in geschichtlichen Zusammenhang mit den Essenern, wodurch keineswegs ausgeschlossen ist, daß er aus der Verbindung mit den Essenern heraustrat und selbstständig seinen Weg ging, sobald er mit geistiger Freiheit seinen eignen Beruf erfaßt hatte. Der Umstand, daß gerade die Essener im N. T. mit keiner Silbe erwähnt werden, kann die Vermuthung, daß Jesus selbst ihrer Lebensrichtung nahe stand, nur bekräftigen; und überdies weisen die gemeinsamen Mahle und die Gütergemeinschaft der ältesten christlichen Gemeinde in Jerusalem18) deutlich auf einen Zusammenhang mit essenischen Sitten, und die Weisungen, mit welchen die evangelische Ueberlieferung Jesum die Jünger aussenden läßt 19), erinnern auffallend an essenische Weise und Gebräuche.

Abgesehen nun von diesen Bildungseinflüssen, welche einem Juden damaliger Zeit zunächst lagen, weist der Inhalt der Lehrverkündigung Jesu ebenso deutlich auf eine eigne selbstständige und gründliche Bekanntschaft desselben mit den heiligen Schriften des Volkes und auf eine gediegene Schriftweisheit, die ihn befähigte, sich mit den Schriftgelehrten Jerusalems fiegreich zu messen und im Gegensaß gegen die herrschende sadducäische und pharisäische Form dieser Schriftgelehrsamkeit sein eignes geistig-sittliches Lebensprincip zu eindringlicher Anschauung zu bringen 20).

Namentlich sind es die Propheten des A. T., und unter diesen

17) Matth. 5, 3. 6, 19 ff. 19, 23 f. 5, 33. 19, 12.
18) A. G. 2, 42 ff. 4, 32.

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19) Matth. 10, 10 ff. Josephus sagt in der Schrift vom jüdischen Krieg 2, 8, 3 über die Essener: Sie haben nicht blos eine einzige Stadt inne, sondern in allen jüdischen Städten wohnen sie in größerer Anzahl, und wenn nun von außen Mitglieder des Bundes kommen, so treten sie in gleiche Rechte ein und gehen zu denen, die sie vordem nie gesehen haben, als wären fie auf das Innigste befreundet. Deshalb reisen sie auch, ohne irgend etwas Anderes mitzunehmen als Waffen gegen die Räuber; aber der in jeder Stadt für die Fremden eigens bestellte Verwalter versieht sie mit Kleidern oder sonstigen Bedürfnissen.

20) Matth. 21 u. 22.

insbesondere die im Buche Jesaia zusammengestellten prophetischen Reden, mit welchen Jesus die vertrauteste Bekanntschaft zeigt und welche auf seine Anschauungs- und Ausdrucksweise einen so großen Einfluß ausübten, daß sich nicht blos zahlreiche Anklänge an das Buch Jesaias in den Reden Jesu finden 21), sondern daß sich Jesus selbst wiederholt auf jesaianische Weissagungen bezieht, welche entweder durch ihn erfüllt seien oder ihre Anwendung auf die Zeit seines Auftretens fänden 22). Hat nun Jesus seine messianische Anschauung aus der jesaianischen und pseudojesaianischen Weissagung, als der großartigsten und fruchtbarsten unter allen Propheten, gebildet und sich berufen gehalten, dieselbe zu erfüllen; so konnte er auch innerhalb der durch die Gestaltung seiner Wirksamkeit und seines Schicksals bedingten innern Fortbewegung seines messianischen Planes die durch den Conflict mit der jüdischen Hierarchie in ihm geweckte Einsicht in die Nothwendigkeit seines Leidens und Sterbens ebenfalls durch die jesaianische Weissagung bestätigt finden. Und es wäre im höchsten Grade zu verwundern, wenn der mit der jesaianischen Weissagung so vertraute Mann, nachdem er die Nothwendigkeit seines Leidens erkannt hatte, nicht auch die berühmte Stelle vom Knechte Jehovah's, dem Gerechten, der unschuldig für die Sünden

21) Wir führen nur einige dieser Anklänge an, die sich leicht noch vermehren ließen: Der Vatername Gottes Jes. 63, 16. 64, 8. Das Gleichniß vom Weinberg, worunter Jesaias das Volk Israel versteht, Jes. 5, 1 ff. (vgl. 1, 8. 3, 14. 27, 2. 65, 21). Vom jüdischen Fasten Jes. 58, 3—6. Erquickung der Müden und Zerschlagenen Jes. 57, 15 ff. Erniedrigtwerden und Gedemüthigtwerden Jes. 2, 11. 17. 5, 15. 26, 5. Elende und Arme Jes. 29, 19. 32, 7. 41, 17. Hungern und Dursten (geistig) Jes. 32, 6. 44, 3. 55, 1. 65, 13. Motten und Würmer Jes. 51, 8. Die Bilder vom Ackermann und der Saat Jes. 28, 24. 61, 11.; vom Nez Jes. 19, 8 f.; vom Hirten und der Heerde 15, 30. 40, 11. 5, 17. Die Pflanzung des Herrn Jes. 60, 21. 6, 3. (Jesus nennt die Pharisäer Pflanzen, die der himmlische Vater nicht gepflanzt habe.) Vom Bräutigam 62, 5. Schicksal Sodom's und Gomorrha's Jes. 13, 19. Joch und Last Jef. 9, 4. Stein des Anstoßes Jes. 8, 14. Lilien Jes. 35, 1. Kelch 51, 17. 22. Fels (geistig) Jes. 53, 1. 17, 10. Erbe Israels Jes. 17, 14. 34, 17. 64, 17. Nackende kleiden Jes. 58, 7. Feigenbaum Jes. 34, 4.

Most Jes. 65, 8. 24, 7. 62, 8. 22) Nämlich: Jes. 61, 1 f.

(Lucas 4, 18 f.); Jef. 6, 9 f. (Matth. 13, 14 f.); Jes. 56, 7 (Matth. 21, 13); Jes. 8, 14. 28, 16 (Matth. 21, 42); Jes. 29, 13 (Matth. 15, 8); Jes. 49, 24 (Matth. 12, 29); Jes. 35, 5. 29, 18 (Matth. 11, 5).

des Volks leidet (Jesaias Cap. 53) auf sich bezogen und daran festgehalten hätte, daß auch diese durch ihn erfüllt werden müsse. Doch wir werden später nochmals hierauf zurückkommen müssen. Vorerst haben wir bei der Frage, wie Jesus zu seiner Ausrüstung für den Beruf eines Messias seines Volkes gelangt war, noch eines legten Punktes Erwähnung zu thun, der vielleicht geeignet ist, auf dies geschichtliche Dunkel dieser Verhältnisse ein neues Licht zu verbreiten.

Die höhere Form des Bewußtseins, zu welcher im Geiste Jesu sich das Judenthum läuterte, steht zu der eigenthümlichen vergeistigten Form, in welcher das Judenthum sich längst in Alexandrien ausgebildet hatte, in so engen Zusammenhang, daß auch ohne ausdrückliche Zeugnisse die Bekanntschaft Jesu mit alexandrinisch-jüdischer Bildung um so weniger unwahrscheinlich ist 23), als in seinem Zeitalter die jüdische Bildung Alexandriens sich bereits über Palästina verbreitet hatte. In der evangelischen Ueberlieferung selbst findet sich zwar, außer der Sage über die Reise seiner Eltern dorthin mit dem Kinde, keine Andeutung darüber, daß Jesus nach Egypten selbst gekommen wäre und dort in ähnlicher Weise, wie der Enkel des Siraciden, mit der alexandrinisch-jüdischen Geistesbildung nähere Bekanntschaft gemacht hätte. Die evangelische Ueberlieferung gibt vielmehr über den Aufenthalt Jesu zwischen seiner Taufe durch Johannes und seinem Auftreten als galiläischer Wanderarzt und Bußprediger zum Himmelreich nur die flüchtige Notiz 24), daß er nach der Versuchung in der Wüste, bei der Nachricht von der Gefangenseßung des Johannes, nach Galiläa gegangen und von Nazareth nach Kapernaum übergesiedelt sei. Diese Unbestimmtheit über die Zeit, wie lange nach seiner Taufe durch Johannes Jesus aufgetreten sei, wird durch zwei außerhalb der evangelischen Ueberlieferung sich findende Spuren, welche eines Aufenthaltes Jesu in Egypten gedenken, aufgeklärt.

Bei Origenes 25) läßt der Epikuräer Celsus seinen Juden gegen Jesus vorbringen, daß derselbe aus Dürftigkeit sich in Egypten um Lohn verdungen und sich dort in gewissen Kräften versucht habe, womit sich die Egyptier rühmten, und nach seiner Rückkehr in den Kräften

23) Vgl. Strauß, christliche Glaubenslehre I, S. 33.

24) Matth. 4, 12 f. Vgl. Marc. 1, 9.

25) Drigenes, gegen Celsus 1, 28.

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sich groß dünkend, um ihretwillen sich für einen Gott ausgegeben habe. Und der Talmud läßt ihn mit dem Rabbi Josua, dem Sohne des Perachia, nach Alexandrien reisen und seit dieser Zeit die Magie üben.

Der Umstand, daß die jüdischen Gegner den Zweck oder den Erfolg der Reise Jesu nach Egypten in den Erwerb magischer Kenntnisse seßen, kann für die kritische Geschichtsforschung keinen Grund abgeben, mit der Einsicht in die Nichtigkeit eines solchen Zweckes auch die Notiz der Reise selbst als ungeschichtlich zu verwerfen. Im Gegentheil ist es aus der evangelischen Ueberlieferung bekannt 26), daß das, was Jesu Gegner als Magie verdächtigten, Jesu Erfolge als Arzt waren, durch welche er sich seine Popularität im Volke erwarb. Die Virtuosität als Arzt aber, die auch in den Augen des schriftgelehrten (Pharisäers) Jesus Sirach so hoch steht, daß derselbe die Erfolge der ärztlichen Kunst geradezu als Wunderthaten bezeichnet, um deren willen Gott als Geber gepriesen werde 27), diese Kunst kommt Niemanden vom Himmel, sondern will durch Studium und Sammeln von Erfahrungen erworben sein. Wir erfahren also aus jenem doppelten jüdischen Zeugniß, daß Jesus seine ärztlichen Kenntnisse und Erfahrungen, um deren willen ihn seine pharisäischen Gegner als Zauberer bezeichneten, in Egypten sich erworben habe; und wir haben in jener Notiz ein geschichtliches Zeugniß, das aus dem Munde der Gegner Jesu stammend mindestens ebensoviel Glaubwürdigkeit für sich hat, als irgend ein Zeugniß der für Jesu Partei nehmenden evangelischen Ueberlieferung selbst.

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Verhält es sich richtig, was Lucas 28) berichtet, daß Jesus bei seiner Taufe durch Johannes, wobei ihm allen Anzeichen nach der Gedanke des messianischen Berufs zuerst aufging, um 30 Jahre alt gewesen sei, und ist ferner die Nachricht begründet, welche der Kirchenvater Irenäus als bestimmte Aussage der mit dem Apostel Johannes befreundet gewesenen kleinasiatischen Presbyter mittheilt 29), daß die Zeit der berühmtesten Thaten Jesu zwischen sein 40. und 50.

26) Matth. 9, 34. 12, 24.

27) Sirach 38, 6 f.

28) Lucas 3, 23.

29) Frenäus, gegen die Härefieen 2, 22.

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