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Zunächst tritt uns dieses Resultat in der Form eines unmittel baren Lebens entgegen, als das Bewußtsein einer einzelnen Persönlichkeit in Jesus von Nazareth. Denn das Schöpferische und Neue tritt überhaupt in der Weltgeschichte darin hervor, daß eine hervorragende Persönlichkeit die vorausgegangenen Vermittelungen aufhebt, d. h. in ihrem Selbstbewußtsein zu einem lebensvollen Brennpunkte zusammenfaßt, sodaß sie in ihrer Größe nun unmittelbar dasteht. Aber diese Unmittelbarkeit ist eben nur das Resultat eines vorausgegangenen vielverzweigten Vermittelungsprocesses, einer langen Reihe von Ursachen und Wirkungen, und die weltgeschichtliche Persönlichkeit bringt die bereits fertige Dichtung des Weltgeistes nur zum Abschluß, erhebt sie zur weltgeschichtlichen Thatsache. Der Mann aus Nazareth sprach nur für das Bewußtsein der Welt aus, was in ihrem Schooße gereift war. Er gab dem, was längst auf verschiedene Weise und in verschiedensten Formen als Resultat des vernünftigen Nachdenkens, als Bedürfniß des menschlichen Herzens, als Forderung des sittlichen Bewußtseins sich geltend gemacht hatte, mit urkräftigem Geiste in einer neuen Form den einfachsten, natürlichsten Ausdruck.

Indem wir nun diesen Kern aus den Umhüllungen der geschichtlichen Ueberlieferung ablösen, die Stiftung des Christenthums, d. h. das geschichtliche Hervortreten desselben im Zeitalter Jesu und der Apostel im Zusammenhang darzustellen den Versuch machen, legen wir dabei die Berichte des ersten, nach Matthäus benannten Evangeliums zum Grunde, gestüßt auf die neuesten kritischen Forschungen über die Evangelien, wonach das Mätthäusevangelium als die beziehungsweise ächteste und glaubwürdigste Quelle der evangelischen Geschichte gelten muß. Die einzelnen Daten aufzuführen, auf denen dieses Ergebniß historisch-kritischer Forschung beruht, würde eine Wiederholung dieser Untersuchungen selbst erfordern, die hier nicht am Plage ist, wo es unsere Anfgabe ist, auf diesem Grunde weiterzubauen. Wir müssen uns begnügen, den gegenwärtigen Stand der betreffenden Untersuchungen kurz zusammenzufassen 1).

') Sie sind geführt in den Werken: Baur, kritische Untersuchungen über die kanonischen Evangelien. 1847. Köstlin, der Ursprung und die Composition der synoptischen Evangelien. 1853. Vgl. Baur, das Christenthum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte, S. 21 ff. und in der erstgenannten Schrift S. 571 f. 620 f.

Als Quellen für eine beabsichtigte Darstellung der persönlichen Wirksamkeit Jesu und seiner evangelischen Verkündigung bieten sich zunächst die vier Evangelien dar. Aber die entscheidende Frage ist, in welches Verhältniß man das vierte, vermeintlich johanneische Evangelium zu den drei ersten Evangelien sezt; denn es steht unumstößlich fest, daß die ganze Auffassungsweise der Persönlichkeit Jesu und des Christenthums selbst eine grundverschiedene ist, je nachdem man entweder eine durchgängige Uebereinstimmung der vier Evangelien vorausseßt und eine Ausgleichung ihrer Verschiedenheiten für möglich hält, oder aber die zwischen dem vierten und den drei ersten Evangelien stattfindenden Differenzen als einen durch die ganze Auffassungsweise des geschichtlichen Stoffes sich hindurchziehenden Widerspruch anerkennt, der auf geschichtlichem Wege ohne die gewaltsamsten Mittel einer sophistischen Auslegung nicht gelöst werden kann.

Ist es also eine jedem unbefangenen und vorurtheilsfreien Blick sich aufdrängende und durch keine Sophistik abzuweisende Thatsache, daß die ganze Auffassung der Person Jesu und der evangelischen Ge- schichte im vierten Evangelium eine wesentlich andere ist, als in den drei ersten Evangelien, und hat man nur die Wahl, diese geschichtliche Differenz entweder anzuerkennen, oder zu läugnen, welches legtere freilich nur mit Hintanseßung aller Regeln einer unbefangenen und vorurtheilsfreien Geschichtsbetrachtung und Schrifterklärung geschehen kann, nimmt man an, daß alle vier Evangelien harmo= nisch zusammenstimmen, so ist die über das geschichtliche Maß des Menschlichen schlechthin hinausliegende hohe Bedeutung, welche das johanneische Evangelium der Person Jesu als dem menschgewordenen ewigen Worte Gottes gibt, für die ganze Auffassung der evangelischen Geschichte so entschieden maßgebend, daß man im Christenthum selbst nur ein Wunder im höchsten Sinne des Wortes, ein über den geschichtlichen Zusammenhang der Menschengeschichte hinausweisendes übernatürliches Ereigniß erblicken kann. Bei dem durchgängigen Widerspruch, in welchem die Geschichtsdarstellung des vierten Evangeliums zu der Darstellung der drei anderen Evangelien steht, kann alsdann die entscheidende Autorität nur auf die Seite des vierten Evangeliums fallen. Damit ist aber der Grundsaß, das geschichtlich Gegebene aus reingeschichtlichem Gesichtspunkt zu betrachten, aufgegeben und der Standpunkt des Uebernatürlichen und Wunderhaften

über den ganzen geschichtlichen Stoff so überwiegend und übergrei fend, daß man in ihr nirgends auf einen festen menschlich-geschichtlichen Boden steht.

Aus solchen Verwickelungen ist nur dadurch herauszukommen, daß man das Johannesevangelium als das auffaßt, was es seinem ganzen Geist und Charakter nach ist, als ein jüngeres Erzeugniß des nachapostolischen Zeitalters und zwar als den reifsten und vollendetsten Abschluß der paulinischen Geistesentwickelung innerhalb der kleinasiatischen Kirche, als ein schriftstellerisches Erzeugniß, dessen Entstehung sich aus der Verbreitung der alexandrinisch-jüdischen Religionsphilosophie in Kleinasien und aus der Berührung des Christenthums mit den gnostischen Religionssystemen des Orients seit dem Anfang des zweiten christlichen Jahrhunderts erklärt. Der Verfasser dieses Evangeliums, das mit dem 20. Capitel schließt, während sich das 21. Capitel als ein Zusaß von späterer Hand zu erkennen gibt, hat den alexandrinisch-jüdischen Gedanken des göttlichen Logos, d. H. des persönlich vorgestellten göttlichen Wortes als zweiten Gottes oder göttlichen Sohnes, auf den Messias Jesus übertragen und den Sat durchzuführen versucht, daß dieser in Jesu Fleisch gewordene göttliche Logos nach siegreichem Kampf mit dem Unglauben der Juden durch seinen Tod und seine Auferstehung in seiner göttlichen Herrlichkeit sich offenbart habe. Von diesem dogmatischen Gesichtspunkt aus, welcher der Geschichtserzählung der drei ersten Evangelien durchaus fremd ist, wird vom Verfasser des vierten der ihm vorliegende geschichtliche Stoff mit Absicht und Bewußtsein frei umgebildet und die evangelische Geschichte zu einer Offenbarungsgeschichte des menschgewordenen göttlichen Logos umgewandelt. Sonach muß sich aus einer unbefangenen Betrachtung des vierten Evangeliums die Ueberzeugung aufdringen, daß dasselbe keinen Anspruch machen kann, für eine eigentliche Geschichtsdarstellung gehalten zu werden, und daß man sich Angesichts der zwischen dem vierten und den drei andern Evangelien bestehenden unauflöslichen Differenzen und Widersprüchen nur auf die Seite der letztern stellen kann.

Erst hiermit gewinnt man für den geschichtlichen Verlauf der persönlichen Wirksamkeit Jesu einen festeren geschichtlichen Boden; nur muß auch auf dem Boden der drei ersten Evangelien der Kreis der kritischen Geschichtsbetrachtung noch enger gezogen werden. Denn obgleich sich dieselben durch ihre auffallende, z. Th. bis auf

wörtliche Uebereinstimmung erstreckende gegenseitige 2) Verwandtschaft als Zweige eines und desselben Evangelienstammes darstellen, denen eine und dieselbe evangelische Urschrift zum Grunde liegt; so können fie gleichwohl nicht schlechthin einander gleichgestellt werden.

Das Marcusevangelium steht in einem solchen Abhängigkeitsverhältniß zu den beiden andern, daß in ihm keine selbstständige evangelische Quelle angenommen werden kann. Es ist, mit Ausnahme weniger ihm eigenthümlichen Stellen ohne selbstständigen geschichtlichen Werth und Lehrgehalt3), ganz in den beiden andern Evangelien nach Matthäus und Lucas enthalten und mit geringfügigen Abänderungen in's Kürzere zusammengezogen *).

Das Lucasevangelium gibt sich als eine vom vorwaltend paulinischen Parteistandpunkt aus, jedoch mit vermittelnder und versöhnlicher Tendenz unternommene Ueberarbeitung derselben evangelischen Grundschrift zu erkennen, welche auch in das Matthäusevangelium hineingearbeitet ist. So bleibt uns nur dieses leztere als die relativ ächteste und glaubwürdigste Quelle der evangelischen Geschichte übrig. Nach einer alten kirchlichen Ueberlieferung, die auf mehrere Zeugnisse sich stüßt, hat Matthäus in hebräischer Sprache, d. h. im damaligen aramäischen Volksdialekt der Juden, eine Schrift unter dem Titel „Reden des Herrn", das sogenannte Hebräerevangelium, geschrieben, welches bis im Anfang des zweiten christlichen Jahrhunderts verbreitet war und erst seit der Verbreitung jüngerer Evangelienschriften im hellenistischen Dialekt außer Gebrauch kam. Eine Ueberarbeitung und Erweiterung dieser hebräischen Grundschrift durch andere evangelische Aufzeichnungen ist das jezige Matthäusevangelium, welches seine gegenwärtige Gestalt nicht vor dem Ende des ersten

2) Vgl. die Zusammenstellungen bei De Wette, Einleitung in das N. T. (5. Aufl.) S. 131 ff.

3) Nämlich: Marc. 4, 26–29. 13, 33–36. (zwei Gleichnisse) 7, 31-37, 8, 22-26 (zwei Heilungswunder) 3, 20 f. 14, 51 f. 15, 44 f. (einige historische Anekdoten).

4) In seinem „Rückblick auf die neuesten Untersuchungen über das Marcusevangelium" hat Baur als Resultat dies ausgesprochen, daß sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit des secundären Verhältnisses ergibt, worin Marcus sowohl zu Lucas, als zu Matthäus steht; nur unter dieser Voraussegung lasse sich alles Uebrige, was den Marcus charakterisirt, zur innern Anschauung einer Totalanschauung vereinigen. Theologische Jahrbücher, 1853, 6. 92 f.

Jahrhunderts erhalten haben kann. Die mit dem ursprünglichen evangelischen Grundstock lose und äußerlich verbundenen Bestandtheile stehen zum Theil mit diesem, zum Theil unter einander selbst in Widerspruch und erklären sich nur als Erzeugnisse der spätern evangelischen Sage, die der Verfasser oder Ueberarbeiter des jeßigen Matthäusevangeliums aufnahm.

Eine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit dieses Evangeliums ist, daß der Verfasser desselben Verwandtes gruppenweise zusammenstellt, so namentlich die Aussprüche Jesu in der Bergrede (Cp. 5—7), Strafreden Jesu gegen die Pharisäer (Cp. 11 u. 12), Gleichnißreden über das Himmelreich (Cp. 14-17), Gleichnißreden über die Zukunft des Menschensohnes (Cp. 24 u. 25), eine Reihe von Wunderthaten (Cp. 8 u. 9) und selbst noch im Schlußabschnitte des Evangeliums, worin die Vollendung der Wirksamkeit Jesu und die Erfüllung seines Schicksals in Jerusalem erzählt wird (Cp. 19-28), herrscht diese Tendenz, Verwandtes summarisch zusammenzufassen. Aus dem durch die ganze Darstellung sich hinziehenden schwachen chronologischen Faden läßt sich jedoch soviel erkennen, daß die zum Grunde liegende evangelische Ueberlieferung, der auch Lucas und Marcus folgen, den Schauplah der Wirksamkeit Jesu zunächst auf Galiläa beschränkt und ihn erst in der lezten Zeit seines Wirkens zur Katastrophe seines Lebens nach Jerusalem übergehen läßt. In Bezug auf die Wirksamkeit in Galiläa aber ist aus der Gesammtdarstellung bei Matthäus ersichtlich, daß weder Jesus selbst gleich von Anfang ausdrücklich als Messias auftrat, noch auch von seinen. Jüngern von vornherein dafür gehalten wurde, daß vielmehr erst im Verlauf seines Auftretens als galiläischer Wanderarzt und Bußprediger zum Himmelreich den Jüngern die Ueberzeugung von der messianischen Bedeutung seiner Wirksamkeit aufging und Jesus selbst seine ausdrückliche Selbstverkündigung als Messias (Menschensohn) mit einsichtsvollem Takt dem Erfolg seiner Wirksamkeit anheimstellte. Hierdurch sind im Evangelium selbst die natürlichen, durch die geschichtlichen Verhältnisse vorgezeichneten Gesichtspunkte für die chronologische Gliederung der Wirksamkeit Jesu dargeboten, nach welchen die aus der erwähnten Tendenz des Evangelisten zur Gruppirung und übersichtlichen Zusammenfassung sachlich verwandter Parthieen entspringenden Nachtheile sich aus dem Evangelium selbst wieder ausgleichen lassen. Und wenn also durch jenes summarische und grup

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