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7.

Vincentius Lirinensis und sein Commonitorium 1).

I.

Hart an der Südküste Frankreichs, an der Küste der gesegneten Provence, zum heutigen Departement Var gehörig, liegt im Mittelmeere eine Gruppe kleiner Inseln, welche zusammen den Namen der Lirinischen führten und führen. Westlich von ihnen treffen wir Marseille und den berühmten Seehafen von Toulon, viel näher ist ihnen aber östlich die bekannte Stadt Nizza. Wie diese

Inseln jezt zu Frankreich gehören, so gehörten sie ehemals zum römischen Gallien. Zwei von ihnen sind verhältnißmäßig größer, und hießen ehemals die eine Lero, die andere Lerina, Lerinum oder Lirinum. Die erstere, Lero, heißt jezt St. Marguerite, ist nur durch einen 1800 Fuß breiten Meeresarm vom festen Lande getrennt, 114 Stunde lang, 2 Stunde breit und hat ein Fort und Staatsgefängniß, in welchem unter Ludwig XIV. der Mann mit der eisernen Maske gefangen saß. Beträchtlich kleiner ist Lirinum, - jezt St. Honorat, nur 1000 Schritte lang und 400 breit.

Mit Ausnahme dieser beiden sind die Lirinischen Inseln troz ihrer reizenden Lage nicht von Menschen bewohnt, weil sie fast nichts als Klippen und Felsen sind, in und auf welchen nur Kaninchen und Rebhühner hausen. Und auch die beiden größeren Lirinen, St. Marguerite und St. Honorat, beherbergen jezt nur mehr Fischer. Anders war es im fünften Jahrhundert, als das kleine Lirinum (St. Honorat) noch von Mönchszellen bedeckt war, und Männer, durch Heiligkeit und Wissenschaft zugleich ausgezeichnet, in nicht ge

1) Aus Jahrg. 1854 der Tübg. theol. Quartalschrift.
Hefele, Beiträge I.

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ringer Zahl daraus hervorgingen. Das kleine Lirin war ein großes Seminar von gelehrten Priestern und Bischöfen für Frankreich.

Gründer des Mönchthums auf dieser kleinen Insel war der Hl. Honoratus, von dem sie jetzt den Namen trägt, aus einer edlen Familie der nicht weit entfernten alten Hauptstadt Arles entsprossen. Als er aus seiner Klosterzelle zu Lerinum hinweg auf den erzbischöflichen Stuhl seiner Vaterstadt berufen wurde, folgte ihm i. J. 426 sein Freund Marimus als Abt von Lerin. Als darauf auch dieser auf ein benachbartes Bisthum befördert wurde, dem von Niez (episc. Regiensis), ward Faustus sein Nachfolger in der Abtei i. J. 434, und später nach dem Tode des Maximus (zwischen 462— 466) auch sein Nachfolger im Bisthum Riez, bekannt in der Geschichte als einer der ersten Vertreter der semipelagianischen Nichtung. Aus dem Kloster Lerin kam auch der hl. Erzbischof Hilarius von Arles, der Nachfolger und Biograph des hl. Honoratus, ferner die Bischöfe Cäsarius von Arles und Eucherius von Lyon, sowie die gelehrten Priester Salvianus von Marseille, Salonius von Vienne 2c., und als einer der berühmtesten unser Vincentiu3.

Zum Unterschiede von andern bekannten Männern dieses Namens gab ihm die Nachwelt den Beinamen Lirinensis. Er stammte, wie sein etwas jüngerer Zeitgenosse Gennadius berichtet (de viris illustr. c. 64), aus Gallien, und zwar nicht aus einer römischen, sondern national gallischen Familie. Im Proömium seines später zu besprechenden Commonitoriums sagt weiterhin Vincentius von sich selbst, daß er früher eine Zeit lang von den Stürmen des weltlichen Kriegsdiensts umhergeschleudert worden sei (cum aliquamdiu variis ac tristibus secularis militiae turbinibus volveremur). Baronius schloß hieraus (Annales eccl. ad ann. 434 n. 20), er werde wohl mit jenem Vincentius identisch sein, dessen der christliche Historiker Sulpitius Severus lobend gedenkt, und der zur Zeit des Hl. Martin von Tours (ums J. 400), mit dem er öfter in seinem Kloster speiste, Präfekt von Gallien gewesen war (Sulpit. Sever. Dialog. lib. 1. c. 17. §. 26). Es ist dieß jedoch sehr zweifelhaft, und von Tillemont, Papebroch und Andern bestritten (vgl. Galland. in Migne, cursus Patrol. complet. Tom. 50. p. 626). Ebenso ungewiß ist, ob er ein Bruder des hl. Bischofs Lupus von Troyes war, wie Einige aus einer Aeußerung des Eucherius erschließen wollten (Migne, 1. c. p. 625 u. p. 711), Gennadius berichtet weiter, daß

Vincentius apud monasterium in Liriniensi insula Presbyter ge= wesen, und damit stimmt wieder überein, was dieser ebenfalls im prooemium des Commonitoriums von sich selbst sagt, daß er sich aus der Welt in den Hafen des Mönchthums geflüchtet und die frequentiam et turbas urbium gemieden habe. Er bewohne jezt, fügt er bei, eine entlegene Villula und darin ein verborgenes Klösterlein. Der gelehrte Cardinal Noris wollte hieraus schließen, daß Vincentius zur Zeit der Abfassung des Commonitoriums nicht in Lirinum gewohnt haben müsse, indem diese Insel nur Mönchszellen aber keine Villen gehabt habe. Wahrscheinlich, meint er, sei er damals in einem Kloster zu Marseille gewesen und habe sich wohl erst später nach Lirin zurückgezogen (Noris, histor. Pelagiana, lib. II. c. 11. p. 161. ed. Patav. 1677. u. Migne, 1. c. p. 625 sq.). Allein wenn die Mönchszelle, welche Vincentius zu Lirinum bewohnte, ein kleines Gärtchen oder Aehnliches um sich hatte, konnte er sie leichtlich eine villula sammt Klösterlein nennen, und viele Gelehrte haben darum sicher mit Recht jene Stelle im Widerspruch mit Noris auf Lirinum bezogen.

Von Gennadius erfahren wir weiter, daß Vincentius unter dem Namen Peregrinus eine validissima disputatio gegen die Kezer geschrieben habe und damit ist gerade das Commonitorium gemeint, in dessen Prošmium das Pseudonoma Peregrinus ausdrücklich vorkommt. Der Verfasser nennt es aber Commonitorium, d. h. Erinnerungsschrift deßhalb, weil er dieß Buch seiner eigenen Erklärung gemäß zur Unterstüßung seines Gedächtnisses abfaßte, um die Hauptpunkte der kirchlichen Ueberlieferung (der Häresie gegenüber) stets zur Hand zu haben und durch wiederholtes Lesen fich fester einprägen zu können. Das Princip, wovon er dabei ausgeht, und das er auch im Contexte nicht häufig genug wiederholen kann, lautet: „jede Neuerung in der Lehre ist verdächtig, und nur die alten und im Alterthum allgemein anerkannten Dogmen sind festzuhalten."

Damit ist zugleich der Zweck und Grundgedanke dieses Werkes angegeben, welches von jeher in der Kirche und selbst von Akatholiken die größten Lobsprüche erfahren und fast unzählige Auflagen erlebt hat. Die besten darunter sind die drei von Baluzius in den Jahren 1663, 1669 und 1684 zu Paris besorgten Editionen, deren Text und Noten auch in die Bibliotheca Patrum von Gallandius T. X. und in die neue große Sammlung der lateinischen

Kirchenväter von Abbé Migne, T. 50. übergegangen ist. Eine mit ausführlichen Prolegomenen und zahlreichen, freilich auch oft überflüssigen Noten (während nöthige mangeln) versehene Ausgabe lieferte der allbekannte frühere Freiburger Theologe Engelbert Klüpfel (Viennae 1809); eine wohlfeilere und compendiösere ließ Dr. Herzog i. J. 1839 zu Breslau erscheinen. Neberdieß ist das Com= monitorium in viele lebende Sprachen überscht worden, so ins Deutsche schon i. . 1563 zu Ingolstadt durch Seb. Faber, und i. J. 1785 zu Bamberg durch Mich. Feder, Prof. der Theologie zu Würzburg.

Ueber den Werth des Commonitoriums sagt Baronius: Vincentius aureo plane opusculo fidem catholicam egregie testatam reliquit, quo cum omnes haereses, tum maxime haeresin Pelagianam cum auctoribus suis impugnat. Claruit temporibus Honorii imperatoris, magnamque sui nominis in ecclesia catholica famam reliquit (Baron. notae ad Martyrolog. rom. ad d. 24. Mai); und an einer andern Stelle: Quam mira fuerit Vincentii eruditio libellus ipse ostendit, ut vix sit reperire, qui paucioribus chartis majora et feliciori tractatu concluserit (Baron. Annales eccl. ad ann. 434. n. 20). Wieder an einer andern Stelle (1. c. ad ann. 431. n. 188) nennt Baronius das Commonitorium cin opus certe aureum. Aehnlich bezeichnet es Bellarmin (de scriptor. eccles.) als parvum mole et virtute maximum, und die Magdeburger Centurien sagen darüber: si quis diligentius pensitabit, dicet scriptum esse eruditum et acutum, quodque haereticorum fraudes clare in apertum producat, detegat atque egregie impugnet (Centuria V. c. 10).

Die Abfassungszeit des Commonitoriums erfahren wir aus dem 42. Kapitel desselben, wo von der dritten allgemeinen Synode zu Ephesus (v. J. 431) gesagt ist, sie sei ungefähr vor drei Jahren. gehalten worden. Dies weist uns auf das Jahr 434 als Entstchungszeit des Commonitoriums hin.

Nach der ausdrücklichen Erklärung des Gennadius und nach den unverkennbaren Spuren, die sich im Commonitorium selbst noch finden, hatte dieses Anfangs zwei Bücher, aber das zweite davon ist verloren gegangen, und zwar weil, wie Gennadius versichert, dem Verfasser selbst schon das Manuscript dieses Theiles gestohlen wurde. Er fügt bei: Vincentius habe nun den Sinn dieses zweiten Buches ganz ins Kurze gezogen und dem ersten Buche angehängt.

In der That sind die leßten drei Kapitel des Ganzen in seiner gegen= wärtigen Gestalt nur eine Recapitulation, und zwar c. 41 eine Recapitulation des ersten, c. 42 und 43 eine solche des zweiten Buchs oder wie Vincentius selbst sagt, des zweiten Commonitoriums. Aber der Anfang des drittlezten Kapitels (c. 41): ,,quae cum ita sint, jam tempus est, ut ea, quae duobus his commonitoriis dicta sunt, in hujus secundi fine recapitulemus" zeigt, daß dieser Anhang nicht ein Ersatz für das verloren gegangene zweite Buch, sondern eine Recapitulation beider Bücher zugleich sein sollte, 'und daß damals, als Vincentius diesen Anhang schrieb, das zweite Buch oder Commonitorium noch eristirt habe. Daß dem so sei, sah und be= merkte schon Georg Calixtus in seiner Dissertation über das Commonitorium, zum Bremer Abdruck der Baluz'schen Edition vom Jahre 1688.

Ob dieser Vincentius auch der Verfasser der Vincentianae objectiones, welche gegen die Augustinische Prädestinationslehre gerichtet waren und von dem berühmten Schüler Augustins, St. Prosper von Aquitanien bekämpft wurden, ist zweifelhaft; Baronius (ad ann. 431. n. 188) verneint es ganz entschieden, Andere, namentlich Cardinal Noris (1. c. p. 160) und Natalis Alexander (hist. eccl. Sec. V. T. V. 47. ed. Venet. 1778) halten es dage= gen für wahrscheinlich, und es hängt die ganze Entscheidung dieses Punktes von der weiteren Frage ab, ob der Verfasser des Commonitoriums den Semipelagianern angehört habe, oder nicht. Gerhard Johann Vossius und Noris wollten im Commonitorium selbst einige Stellen entdeckt haben, in denen Vincentiuß sichtlich gegen die Schüler Augustins polemisire, und ihre Beweisführung schien_alsbald so schlagend, daß Natalis Alexander, Thomaffin, die Mauriner, die Ballerini, Lorenz Berti und andere große Auktoritäten, auch Engelbert Klüpfel dieser Ansicht beitraten. Es macht uns dieß eine neue vorurtheilsfreie Prüfung dieser Frage zur Pflicht; und wir suchen ihr in Kürze folgenderweise zu entsprechen. 1) Daß nirgends im Commonitorium, auch nicht in den incriminirten Hauptstellen (c. 37 und 43) der Semipelagianismus ganz unverkennbar zu Tage trete, erhellet schon daraus, daß Theologen ersten Ranges wie Baronius und Bellarmin davon auch bei wiederholter Durchlesung des Buchs nichts bemerkten und der Orthodoxie des Verfassers die rühmlichsten Zeugnisse ausstellten (f. oben S. 148 und besonders Baron. ad ann. 431. n. 188). Sodann ́darf 2) nicht außer Acht gelassen werden,

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