weiss. Mannus konnte unmöglich noch Gott und Göttin in einer Person vorstellen. Nach allgemeiner Anschauung sind die Gottheiten, die die himmlischen Erscheinungen leiten und Wetter, Regen und Donner, Licht und Wärme senden, männlichen Geschlechtes, die Gottheiten aber, die aus der Erde Fruchtbarkeit spenden, Göttinnen. So ward das früher gemeinsame Machtbereich des Tuisto-Mannus auf einen Gott des leuchtenden Himmels und auf eine Göttin der mütterlichen Erde verteilt. Tiwaz nannten die Germanen der Urzeit den hohen Herrscher des Himmels, und Nerthus,die Männin' oder Frija,die Gattin' die fruchtbare Erdgöttin. Die Genealogie des Tacitus macht aber offenbar einen Sprung. Als nächstes Glied sollte man erwarten, dass vom allgemein Menschlichen zum Germanischen übergegangen würde. Anstatt aber zu sagen: der Sohn des Mannus ist Tiwaz-Tius, dieser ist der Urahn und Begründer der Deutschen, seine Gattin ist die Erdgöttin, giebt Tacitus sogleich die drei verschiedenen westgermanischen Beinamen des Tiwaz an, nach denen sich die drei Kultverbände nannten. Denn Ingvaz, Ermnaz, Istvaz-Ingvio, Irmino, Istvio sind nicht Söhne des Mannus, sondern Beinamen des grossen Volksgottes, wie Nerthus Nehalennia, Tanfana nur andere Bezeichnungen der Erdgöttin sind. Mit Recht hat also Tacitus diesen theogonischen Mythus als einen Beweis für die Autochthonie der Germanen verwertet, denn dasselbe Volk, das sich im stolzen Gefühle seiner Würde und seines Adels vom obersten Gott ableitet, kann auch nur gemeint haben, die Erde, aus der der Zwitter und zwiefältige Gott entstand, sei die Erde der jetzigen Germanenheimat. Auch aus diesem Mythus geht hervor, dass die germ. Götter nicht die Schöpfer des Alls waren, sondern nur die Lenker und Leiter der Geschicke des germanischen Volkes. Als der Himmelsgott Tiwaz die Jungfrau Sonne zur Gemahlin nahm, führte sie ausschliesslich den Namen Frija. Eine neue folgenschwere Verschiebung trat ein, als der ehemalige Sturm- und Nachtgott Wodan den Tius entthronte und seine Herrschaft und seine Gattin an sich riss. Davon konnte Tacitus noch nichts berichten, weil sich diese Umwälzung erst zu seiner Zeit vollzog. Uralt ist die Vorstellung des Himmels als eines Schädels. Schädel und Himmel sind ein Wort; die Germanen nannten. den Schädel mit demselben Worte (an. heili Gehirn, fries. heila Kopf), mit dem die Griechen und Lateiner den Himmel benannten (gr. xolos, lat. caelum). Für beides erschien ihnen der Begriff der Wölbung charakteristisch, beide müssen ursprünglich gleich benannt gewesen sein. Nicht minder alt ist der Vergleich der See mit dem menschlichen Blute; denn Blut bedeutet eigentlich die ,sprudelnde, schwellende Flüssigkeit. Wie das volkstümliche mythische Denken sich die Bildung der Berge und Gewässer zurechtlegte, lehren die bayer. Sage vom Watzmann und ähnliche Riesengeschichten, wonach Hügel und Gewässer aus dem Körper und Blute eines erschlagenen Ungetüms entstanden sind (S. 197). Was jetzt nur noch die Lokalsage berichtet, ist einst allgemeiner Volksglaube gewesen, dass nämlich die einzelnen Teile der Welt ursprünglich Bestandteile eines riesigen chaotischen Urwesens waren, das in menschlicher Gestalt vorgestellt wurde. Die ritualen Erzählungen, die Bischof Daniel noch kannte, werden auch davon gehandelt haben. Die Kirche bildete diese Vorstellungen um und übertrug sie auf die Erschaffung des Menschen aus acht Teilen des Himmels und der Erde. Am reinsten sind sie im fries. Emsigerrecht erhalten: ,Adam wurde aus acht Stoffen geschaffen, das Gebein aus dem Steine, das Fleisch aus der Erde, das Blut aus dem Wasser, das Herz (die Seele) aus dem Winde, der Gedanke (das Gehirn) aus den Wolken, der Schweiss aus dem Tau, die Haare aus dem Grase, die Augen aus der Sonne. Dann blies Gott ihm. den heiligen Geist ein und schuf Eva aus seiner Rippe, Adams Freundin. Die Vorstellung, dass das Gehirn aus den Wolken (caelum-heila), die Seele aus dem Winde (animus aveμos), das Blut aus dem Wasser geschaffen sei, kann unmöglich biblischen Ursprungs sein. Kehren wir sie um, so haben wir die gemeingermanische Lehre von der Entstehung der Dinge. Wiederum ist die Übereinstimmung mit der nordischen Kosmogonie schlagend: „Aus des Urriesen Fleisch ward die Erde geschaffen, Aus dem Blute das brausende Meer, Die Berge aus dem Gebein, die Bäume aus den Haaren, Aus dem Hirne endlich sind all die hartgesinnten 2. Die Einrichtung der Welt. Die von den Menschen bewohnte Erde ist nach urgerm. Auffassung in der Mitte der Welt gelegen. Da im got. Midjungards, ahd. Mittilgart, as. Middilgard, ags. Middangeard, an. Midgardr den mittleren, eingehegten Raum bedeutet, herrschte bei allen Germanen dieselbe Vorstellung. Wald war ihnen die natürliche Grenze und Umgebung ihrer Niederlassungen und Gebiete; so war auch das Mittelgart überall von dichten Wäldern umgeben. Der gewölbte Himmel (ahd. ufhimil), wo die Götter herrschen, wo Wodan sein goldenes Haus hat, war die zweite Welt; die dritte war unterhalb der Erde gedacht. Dunstige schlammige Seen, Höhlengewässer und Brunnen galten als Eingang in die Unterwelt. Von gewissen Brunnen glaubt das Volk, dass sie der Eingang zur Hölle seien oder dass sie bis zur Hölle hinabgehen. Manche Brunnen heissen die Hölle. In dem Gedichte Heinrichs des Gleichsners Reinhart Fuchs (865 ff.) wird bei einer Äffung des Wolfes durch den Fuchs die Tiefe des Brunnens als das Himmelreich der Verstorbenen vorgespiegelt. In dem Märchen von Frau Holle ist der Brunnen der Einfahrtsschacht zur geheimnisvollen Unterwelt (K. H. M. Nr. 24). Ein See bildet den Eingang zu dem unterirdischen Reiche der Nerthus. Das dem Wasser entsteigende Nebelgewühl schuf die Vorstellung einer nebligen Unterwelt. In dieser Wasser- und Nebelhölle hausen die Nebelsöhne, die Nibelungen; oder gehört Nibelung nicht zu Nebel, sondern zu griech. vézug der Verstorbene'? Im Innern der Erde ist der Aufenthaltsort der geschiedenen Seelen. Für die guten Seelen war die Unterwelt kein Strafort, sondern ein Freudenaufenthalt. Aber den Seelen der bösen Menschen wurde in der Unterwelt die verdiente Strafe zu teil. Es entspricht dem ausgebildeten Rechtssinn unserer Vorfahren, dass Verbrecher, die der irdischen Gerechtigkeit entgangen waren, nach dem Tode bestraft wurden. Nach deutscher Anschauung musste der Übelthäter über eine ungeheuere, mit Dornen wie eine Hechel dicht besetzte Heide wandern und einen Fluss von unendlicher Länge und solcher Breite durchwandern, dass keines Hornes Schall hinüberreicht; eiserne Spitzen oder Schwerter ragen aus seinen Wellen hervor und zerfleischen den Leib. Die Germanen kannten also eine Wasserhölle, keine Feuerhölle. In heissen Ländern, wo alles nach Kühlung lechzt, ist glühende Hitze das Hauptmittel der Bestrafung; das Durchwaten grimmig kalter Ströme aber war in dem wasserreichen Germanien, wo es keine Brücken oder Fähren gab, ausser der kurzen Sommerzeit wirklich eine Höllenqual. Nach den eiskalten, schneidenden Wogen, die wie Gift und Schwerter stachen, hiessen Flüsse und Bäche in Deutschland Eitrâ, Eitraha, Eitarbach. Es ist weitverbreiteter Volksglaube, dass sich vor diesem Flusse eine Wiese ausbreitet, ein schönes lachendes Gefilde, worin Blumen und Früchte wachsen, die zum Pflücken einladen (K. H. M. Nr. 24, Nr. 121). Eine überaus breite und anmutige Linde erhebt sich in ihr, die über und über mit Schuhen behangen ist; mit den schützenden, ihm ins Grab mitgegebenen Schuhen überschreitet der Tote den Fluss und die Moorumgebung (Visio Godescalci). Im Heliand wird der Aufenthaltsort der Seligen, das Himmelreich, auf schöne, aber ganz heidnische Weise, als, Waldwiese' (wang) bezeichnet: das Himmelreich die grüne Gottesaue, die Himmelsaue. Ebenso heisst im ags. das Paradies die grünen Wohnsitze. Die Paradiesauen und die himmlischen Gefilde' haben wir bis auf diesen Tag beibehalten, freilich oft nur als poetischen Schmuck. Das Reich der Riesen war im hohen Norden gelegen (S. 182). In die idg. Urzeit reicht die Vorstelluug des Weltalls als eines ewig grünen Baumes zurück, mit einer Quelle am Fusse. Dieser mythische Baum hatte seine Abbilder im Kultus. Auf Bergen und Höhen, wo heilige Bäume standen, flossen heilige Brunnen. Der Missionar Pommerns, Bischof Otto von Bamberg, fand 1124 in Stettin eine grosse, vom Volke verehrte Eiche und unter ihr eine heilige Quelle, als Wohnung eines göttlichen Wesens. Im Schatten altverehrter Bäume fanden noch in später Zeit die Volksgerichte statt. Von der Irmensûl, die Karl der Grosse 772 zerstörte, heisst es ausdrücklich, dass sie eine allgemeine Säule war, die gleichsam das All trägt, und sie bestand aus einem unter freiem Himmel in die Höhe gerichteten, in die Erde eingegrabenen Baumstamme von bedeutender Grösse (S. 511). Als die Indogermanen noch unter Bäumen wohnten und der einzelne Baum zur einfachen Hütte hergerichtet wurde, musste sich ihnen der Gedanke aufdrängen, dass die ganze grosse Welt über ihnen auch eine grosse Hütte, ein grosses Gebäude sei; d. i. ein wunderbar grosser und sich mächtig ausbreitender Baum. Die heiligen Bäume dachte man sich als Wohnsitz übernatürlicher Wesen, denen man schützenden oder vorausbestimmenden Einfluss auf das menschliche Leben zuschrieb. So ist wohl die Bedeutung des Baumes erklärt, seine Höhe und sein grünes Laub, aber nicht sein Standort über dem Wasser. Das Sonnenlicht, wie es sich mit der Morgenröte in den Wolken zu verzweigen beginnt, erweckte die Vorstellung eines wunderbar lichten Baumes. Das aufsteigende Licht erschien als Stamm, die Sonne selbst in ihrer kugelartigen Gestalt als goldene Früchte und Blätter, die Quelle ist die Leben und Nahrung spendende Wolke, das Wasser des Lebens. Ein von einem dicken Stamme sich weitverzweigendes Wolkengebilde heisst noch heute der Wetter- oder Regenbaum, der gutes Wetter oder Wind und Regen ankündet; sturmdrohendes Wettergewölk nennt man, Windwurzel'. Darum kann die Vorstellung des Weltalls als eines mächtigen Baumes auch von einem Wolkengebilde ausgegangen sein, dessen Zweige den ganzen Himmel überdecken. Für die Entstehung des ersten Menschen aus Bäumen fehlt jedes alte Zeugnis. Völlig abzuweisen ist die Meinung, dass die Worte des Tacitus, der,Ursprung der Erminonen ist vom Semnonenhaine ausgegangen' (Germ. 39) die Herkunft der |