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Es ist schon hieraus ersichtlich, wie sehr das Religiöse und das Weltliche im Koran, und demgemäß auch in dem Lehrsystem, in der Braris und in der gesammten Anschauung des Islam, sich mengen. Und zwar geschieht dies nicht in jener gefunden, durch die Natur der Sache geforderten Weise, daß das Religiöse die Grundlage und das innerlich Bestimmende ist auch für die Gestaltung des bürgerlich socialen Zustandes, jondern in der verkehrten Weise, daß das Bürgerliche selbst zum Religiösen wird und umgekehrt. Bürgerliche Ordnungen erhalten die religiöse Sanction und werden dadurch unverbrüchlich, verlieren mithin die Fähigkeit, sich den Anforderungen veränderter Zeit- und Weltverhältnisse gemäß zu modificiren oder neuzugestalten; damit ist denn natürlich jede eigentliche Entwicklung auf diesem Gebiete ausgeschlossen, und hierin zum großen Theil mit hat man den Grund für die im Laufe der Jahrhunderte eingetretene Erstarrung und Verknöcherung aller Zustände, das Stehenbleiben oder vielmehr das unaufhaltsame Zurückgehen aller moslemischen Staaten, Völker und Culturen zu erblicken. Andrerseits wird auch wiederum das Religiöse zum Bürgerlich - Gesetzlichen; das was dem Gebiete der Religion, des Glaubens, des Gewissens angehört, wird durch äußerlich gesetzliche Vorschriften geregelt, festgestellt, zu einer ein für alle Mal bleibenden Ordnung gemacht; daher in der mohammedanischen Welt der Religionszwang, der Schuß und die Ausbreitung des Glaubens durch Mittel äußerer Gewalt, und überdieß auch hier die Unmöglichkeit einer Entwicklung: keine Ausgestaltung, Reinigung, Vertiefung der religiösen Erkenntniß, der theologischen Wissenschaft oder, der sittlichen Anschauung.

Dieselbe Vermengung des Religiösen und Weltlichen findet sich in nothwendiger Consequenz weiter auch in der Gesammtorganisation der mohammedanischen Welt: Staatsverfassung und kirchliche Verfassung sind hier Eins. Das oberste geistliche Haupt ist zugleich der oberste weltliche Herrscher aller Gläubigen und umgekehrt.

Mohammed selbst freilich vermochte noch nicht, mit seiner Prophetenwürde auch die des politischen Oberhauptes aller für seine Lehre gewonnenen oder derselben unterworfenen Gebiete (d. h. damals erst: aller Stämme Arabiens) zu verbinden; die Khalifen aber, seine Nachfolger, vereinigten unbestritten diese doppelte Würde in ihrer Person. Aus dieser Anschauung ging die namentlich unter den Anhängern Alis, den Schiiten, ausgebildete Lehre von dem Imamat hervor, durch welche sie zugleich wiederum auch gestützt wurde. Der Imâm galt als ein besonders von Gott erleuchteter Mensch, als die Verkörperung des Geistes Mohammeds,

ja als Verkörperung der Gottheit selber, und die Schiiten legten diese Würde dem Ali als dem von ihnen anerkannten Khalifen und legitimen Nachfol ger des Propheten bei, betrachteten sie auch sogar als erblich, so daß sic auf seine Söhne, Enkel und überhaupt Nachfolger überging, welche mithin die weltliche Macht zugleich mit der höchstmöglichen religiösen Würde repräsentirten.1) Später hat sich diese Lehre von der göttlichen Natur des Imam abgeschwächt, ebenso wie die Verbindung zwischen Imamat und weltlicher Oberhoheit über die Gläubigen aufgegeben wurde, so daß die Imame nur noch als besonders gottbegnadigte Lehrer galten), und heute hat das Wort Imam nur noch die Bedeutung eines Koranvorlesers oder Vorbeters beim öffentlichen Gottesdienst. Abgesehen aber von dieser speci fischen Ausprägung der Lehre von der Einheit religiöser und weltlicher Gewalt, die als offenkundige Uebertreibung wieder gefallen ist, steht der Grundsatz als solcher auch heute noch in Geltung. Der Sultan von Stambul als der Nachfolger der Khalifen wird fast von der gesammten moslemischen Welt immer noch als das politische wie religiöse Haupt der Gläubigen betrachtet. Wir haben hier in gewisser Weise ein Seitenstück zur Lehre von der Kirche im römisch-katholischen Sinn.3) Sowie der Papst sich als Nachfolger der Apostel, als Stellvertreter Christi, ja, wie die Dinge jezt nach Proclamirung der persönlichen Unfehlbarkeit stehen, sogar als Incarnation Gottes oder des heil. Geistes ansieht, in dieser Eigenschaft aber auch sich für den obersten Herrscher der Erde hält, für den Quell, aus welchem die weltlichen Herrscher erst ihre Gewalt ableiten, so vereinigt der Sultan innerhalb der moslemischen Welt und für die Vorstellung derselben eine ähnliche Doppelwürde in seiner Person, wenn er gleich nach der religiösen Seite sich der Ausübung derselben jezt enthält, indem diese durch den Schech-ul-Islam in Stambul und durch den Scherif von Mekka wahrgenommen wird.

1) Die Zahl dieser Imâme wird verschieden angegeben, meist auf zwölf; der letzte derselben, der Mehdi, soll nicht gestorben sein, sondern sich nur verborgen halten bis zum Tage des Weltgerichts, an welchem er wieder erscheinen wird.

2) Ihrer vier sind die Stifter der vier großen Schulen oder Parteien innerhalb des orthodoxen (sunnitischen) Islam, welche nach ihnen die Namen der Hanefiten, Schafeiten, Malikiten und Hambaliten führen.

8) Uebrigens werden sich auch im Bisherigen dem Leser schon mehrfach Parallelen zwischen dem Islam und dem römisch-katholischen Kirchenwesen von selbst ergeben haben. Es wiederholen sich eben die gleichen Erscheinungen in jeder Religion, wo man der äußerlichen, sei es cultischen, sei es ceremoniellen, sei es werkdienstlichen Bethätigung ein Uebergewicht über das Innerliche und eigentlich Religiöse oder wahrhaft Ethische einräumt, wo man Weltliches und Religiöses, Politik und Glauben vermengt x.

In dieser Vermengung des Weltlichen und des Religiösen liegt auch zum Theil die Veranlassung für die Spaltungen und Secten, welche die Geschichte des Islam wie auch noch seine Gegenwart aufweist. Namentlich gilt dies von den zwei großen Hauptparteien der Sunniten und Schitten, die sich allezeit aufs bitterste befehdet haben und immer noch sich unversöhnlich gegenüberstehen. Der zunächst in die Augen springende Grund dieser Spaltung ist allerdings ein Unterschied in der Lehre: die Sunniten nehmen die Sunna oder Tradition (in den vorhin angegebenen Grenzen) an, die Schiiten (von Schia, Secte, Keßerei, also Kezer) verabscheuen sie.1) Aber für die Entstehung dieses Gegensatzes sind das eigentlich Wesentliche die politischen Scheidungsgründe gewesen und aus ihnen hat auch der Lehrunterschied selbst erst seinen Anlaß genommen. Die Schiiten sind nämlich, wie schon erwähnt, die Anhänger Alis, des vierten Khalifen; ihn betrachten sie als den rechtmäßigen Nachfolger des Propheten, dem durch die Schändlichkeit der drei ersten Khalifen diese Würde vorenthalten und der später auf Veranstaltung von jener Seite ermordet worden sei. Wohl nur um dieses politischen, aber zum äußersten Fanatismus gesteigerten Gegensages willen geschah es, daß die Schiiten die ersten Khalifen sammt Allem, was sie gethan und eingerichtet, vorzugsweise aber sammt der von ihnen gesammelten und sanctionirten Sunna verwarfen und ver fluchten, und daß sie andrerseits ihren Ali nebst seinen Söhnen Hassan und Hosseïn geradezu als Gottheiten betrachteten, sie selbst über Mohammed erhoben und ihnen noch jetzt einen förmlichen Cultus widmen, dessen Hauptheiligthümer sich zur Kerbela, Meschhed-Ali und Meschhed-Hossein am Euphrat befinden.

Spezielle Secten noch innerhalb des Schiismus, wie die der AliIlahi in Persien, Arabien und Hindostan, der Garabi, der Halbani, der Dhemmi, knüpfen sich ebenfalls an die Person Alis, also an die politische Frage des Khalifates an.

Außerdem giebt es nun freilich auch eine große Zahl von Secten, die nicht politischen sondern dogmatischen Ursprung haben. Merkwürdig genug ist es, daß selbst in einer Religion, deren Glaubensbekenntniß so einfach ist wie das des Islam, die aller Mysterien entbehrt außer dem einen selbstverständlichen, welches in der Uner

1) Die Sunniten bilden den orthodoxen und der Zahl nach den bei weitem größten Theil der Moslem; die Schiiten haben ihr hauptsächlichstes Gebiet an Persien, erblicken auch in dem persischen Schah und nicht in dem Sultan von Stambul das rechtmäßige Haupt der Gläubigen.

forschlichkeit und Unbegreiflichkeit Gottes besteht, daß selbst in einer solcher Religion die Einheit des Glaubens nicht konnte gewahrt werden. Abe darum ist es nicht weniger eine Thatsache, daß Glaubensstreit und Secten bildung schon während der ersten Jahrhunderte begonnen und seitden nicht aufgehört haben.

Einen Grund für das Auseinandergehen der Meinungen bildete unte Anderem die Lehre von den Eigenschaften Gottes, und zwar haupt sächlich seitdem man mit griechisch - christlicher Philosophie bekannt wurde was zur Zeit des Khalifen Mamûn geschah, der zuerst Werke dieser Ar ins Arabische übersetzen ließ. Secten wie die Moschabiten, Keramiten Beyamiten, Mogariten schrieben Gott ausgeprägt menschliche Eigenschäfter zu und fielen in groben Anthropomorphismus; andere wieder, um dies Irrthümer zu vermeiden und zugleich die christliche Lehre von unterschiedenen Personen in der Gottheit zu bekämpfen, wie die Dschami und die mächtigen Motazaliten, die sich ihrerseits wieder in etwa zwanzig streitende Parteien theilten, nahmen von allen bestimmten Eigenschaften in Gott Abstand, indem sie der Meinung waren, der Gottheit ewige Eigenschaften beimessen heiße ebensoviele Gottheiten behaupten. Mit dem koranischen Dogma von der Einheit Gottes ist also die Leugnung aller göttlichen Eigenschaften verträglich, und man sieht daraus abermals, wie abstract, falt und leer dieser Gottesbegriff ist.

Ebenso wurde der Streit über die göttliche Vorherbestimmung oder Nichtvorher bestimmung der Dinge, auch der menschlichen Handlungen (im Anschluß an die fatalistischen Lehren des Korân, der u. A. fagt: „Allâh leitet in Irrthum, wen immer er will") Anlaß zu Sectenbildungen. So waren die Motazaliten und die Kadri Antifatalisten, die Dschabari, Rayati, Dschami, Kalfi Fatalisten, während wieder andere, wie die Maimuniten und Beschariten jegliche Beziehung Gottes zu menschlichen Handlungen leugneten.

Als eine Secte, die im Grunde von jeder bestimmten Religion abstrahirte und nur ganz im Allgemeinen auf dem Boden des Islâm stand, ist der Orden der Schadili-Derwische zu nennen, gestiftet im siebten Jahrhundert der Hedschra. Ihre Lehre ist ein ebenso ausgesprochener Pantheismus wie verschwimmender Mysticismus, ähnlich dem sogleich noch zu berührenden Sufismus. Doch sind sie mild gesinnt und ziemlich frei von dem sonst gewöhnlichen moslemischen Fanatismus. So sind z. B. bei den blutigen Metzeleien des Jahres 1860 zu Damaskus durch ihren Einfluß und das ehrenwerthe Auftreten Abd-el-Kaders, der ihnen angehört, eine große

Menge von Christen dem ihnen zugedachten schrecklichen Tode entrissen

worden.

Auch von den übrigen Derwisch-Orden haben mehrere offenbar pantheistische Momente zu ihren Grundlagen, und eben um der Besonderheiten der Lehre willen hat man sie zugleich als Secten, nicht bloß als ordensmäßige Vereinigungen zu religiösem Leben zu betrachten. So namentlich die Mewlana - Derwische, bekannter unter dem Namen der drehenden" Derwische, nebst den ihnen verwandten „heulenden“ Derwischen. Die Gottheit erscheint aufgelöst in das All oder Nichts, und die Auflösung des Menschengeistes gleichfalls in das All oder Nichts ist hienieden die höchste Stufe der Verehrung Gottes und dereinst das Ziel und Ende der menschlichen Existenz. Ihre Andachtsübungen, eben das „Drehen“ und das „Heulen“, wodurch sie sich in eine Art von Betäubung und religiöjem Taumel versetzen, haben ohne Zweifel die Bestimmung, diese Ideen zum Ausdruck zu bringen und gewissermaßen ein Vorgefühl dieser , einstigen Auflösung zu erzeugen.

Die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Arabien entstandene und auch auf dieses Land beschränkt gebliebene Secte der Wachabiten sind eine Art von moslemischen Puritanern. Sie schärften aufs Neue die Vorschriften des Koran ein, verwarfen die übermäßige Verehrung Mohammeds und der Heiligen, zerstörten deren Grabmoscheen und Capellen (die sogenannten Wehli's, welches Wort sowohl einen Heiligen als ein Heiligengrab bezeichnet) und übten behufs Ausbreitung ihrer Lehren die gleiche Praxis wie Mohammed selbst, denn Feuer und Schwert, Krieg und Blutvergießen waren ihre Mittel. Von ihrer Hauptstadt Derijeh aus hatten sie sich nach und nach in den Besitz von fast ganz Arabien gesetzt, und endlich gewannen sie auch Mekka und Medina, wo fie selbst die Gräber des Propheten und der zwei ersten Khalifen nicht ver sonten. In den Jahren 1811-1819 hat Mohammed Ali von Aegypten durch mehrere blutige und für ihn selbst äußerst verlustreiche, endlich aber zum Siege führende Feldzüge ihrem Reiche und ihrer politischen Macht ein Ende bereitet, die Secte als solche jedoch besteht auch heute noch fort und ist immer noch sehr zahlreich.

Eine hervorragende Bedeutung unter den Secten des Islam hat der Sufismus, der hauptsächtich unter den Schiiten seine Verbreitung gefunden hat und in Persien Hunderttausende von Anhängern zählt. Er ist ein mystischer Pantheismus oder pantheistischer Mysticismus und sicht es als die Bestimmung der Welt und Menschheit an, sich in die Gott

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