plaß zugestanden. Selbst auf Kosten der Consequenz ihrer Grundsäge wollten sie die Tugend auf's wärmste anempfehlen 1). Indeß, jedes System heidnischer Moralphilosophie beleuchtet den Werth der Tugend von einer anderen Seite. Die Philosophen der einen Schule glaubten, man müßte Tugend üben, weil sie das größte Vergnügen gewähre. Dabei hatten sie die Pein eines unruhigen Gewissens im Auge. In diesem Sinne lehrten Eudoxus, Aristippus und Epikur. Demokrit suchte und fand die Palme der Tugend in der Ev9vuía, oder einer von aller Furcht freien Seelenruhe. Wieder Andere gelangten im Kampfe gegen die Eiferer der Sinneslust zur Ansicht, daß die Uebung der Tugend allein den Menschen vor der unvernünftigen Kreatur auszeichne und daß deßhalb die Tugend an und für sich schon das Höchste und Beste wäre 2). So Aristoteles, Teophraft und die ganze Schule der Peripatetiker. Der Habitus der Tugend schüßt nach ihrer Ansicht den Menschen vor jedem Unglück. Die Tugend konnte einen Aristoteles, diesen strengen Denker, zur Begeisterung hinreißen, so daß er zum Preise derselben den Hymnus anstimmt: Tugend, der Sterblichen mühevolles Ziel, Dir nur diente Herakles, des Zeus Göttlicher Sproß, und die Söhne der Leda, 1) Cicero 2. de leg. cf. Cicero I. de leg. cf. Cicero pro Sest. cf. Aretini introductis in Ethic. Aristot. 2) Chaldianus. Schweres erduldend; in Thaten bewährten Sehnend nach dir einst stieg der Pelid' und Laut ihn zugleich mit dem gastlichen Zeus und [Elliffen.] Ein nicht weniger begeisterter Lobredner der Tugend als Aristoteles war Zeno und mit ihm die ganze Stoa. Hat die ethische Disciplin der Stoiker von ihren zahlreichen Schülern auch manche Aenderung und Umbildung erfahren, so stimmten sie doch von ihrem Meister Zeno angefangen bis herab auf den gekrönten Jünger dieser Schule, Mark. Aurel. Antoninus Alle hierin überein, daß die Tugend daß höchste Gut sei 1). Die Tugend ist daher auch in Cicero's Buche von den Pflichten Gegenstand begeisterten Lobes. Die Tugend genügt sich selbst 2), sagt Cicero, sie allein ist ein wahrhaftes Gut und neben und außer ihr gibt es nur Scheingüter; fie kann nicht entrissen, nicht verloren werden; sie allein. macht glücklich 3); sie macht erhaben über menschliche Zufälle1). Ob die Tugend mit der Glückseligkeit zu identificiren 5) oder ob sie blos als Führerin zur Seligkeit zu denken sei, darin, sagt Cicero, sind die Philosophen nicht einig 6); wohl aber darüber, daß Tugend und Glückseligkeit auf's Engste mit einander zusammenhängen 7) und daß nie der 1) Diog. Laert. VII, 98. cf. Seneca ep. 71. cf. Cicero de off. III, 3. 2) Cicero de off. II, 12. 3) Cicero de off. III,, 8. 4) Cicero de off. III, 7. cf. I, 4 5. - - 5) Diog. Laert. VII, 88. cf. Anton. VII, 17. cf. Diog. Laert. VI, 1. 12. 6) Cicero de off. III, 3. 7) Cicero de fin. III, 8. cf. Epict. Arr. III, 29. Vortheil in Collision mit der Tugend 1) kommen könne, weil, was tugendhaft auch stets nüßlich ist. Wenn schon die stoische Tugendlehre viele Anklänge an das Christenthum hat, so mußte Ambrosius 2) doch polemisch gegen sie auftreten, weil er in Cicero's 3) Schriften Lobeserhebungen gegen eine Tugend fand, die mit dem sittlichen Leben des Stoikers keineswegs im Einklange standen. Er hob den Werth der Tugend wie auch Cicero, über den Werth der irdischen Dinge 4); gleichwohl aber sah er in der Tugend nur ein Mittel zum Endziele zu Gott zu gelangen, während Cicero die Tugend selbst als Zweck auffaßte, die um ihrer selbst willen 5) angestrebt werden müßte, weßhalb er sie auch absolut hinstellte. Daß man der Tugend wegen zeitliche Rücksichten bei Seite treten lassen, und Reichthum und Ehrenstellen ihr zum Opfer bringen sollte; daß überhaupt Frdisches der Tugend nicht das Gleichgewicht halten könnte, dieß hat wohl klarer als die Stoa das Christenthum 6) zum Bewußtsein gebracht. Die christliche Tugend ist eine thatkräftige, die stoische eine schlafende Tugend. Erstere schafft Seelenruhe ), Friede und Seligkeit, legere Apathie. Die Seelenruhe des Christen besteht nicht im Freisein von Sorgen und Gleichmuth in allen Lebensverhältnissen im stoischen Sinne, sondern in einem guten Gewissen, wie es in dem tugendhaften Herzen wohnt ) und im gläubigen Vertrauen gründet, daß die Sorgen 9) dieses Lebens sich dereinst in ewige Freuden umwandeln werden. Wenn Cicero die Tugend definirt als die richtige Vernunft 10) und dann hin cf. 1 Jacob. III, 19. Matth. XI, 29. Hebr. IV, 11. Hebr. XIII, 18. 9) 2 Corinth. IV, 17. Hebr. X, 35.10) Cicero Tuscul. IV, 15. cf. Cicero de off. I, 5. Leitmeir. 5 wieder mit Plato ausruft: Sie allein ist begehrenswerth, und würde, wenn sie geschaut werden könnte, die feurigste Liebe in uns entzünden, so hat er damit seiner Vernunft eine Lobrede gehalten. Obschon Ambrosius der Vergötterung der Tugend Cicero's nicht beistimmen zu dürfen glaubt, so weiß er doch zwingendere Gründe zur Tugendübung anzuführen als dieser. Cicero wiederholt nur immer die Schönheit und den Glanz der Tugend und glaubt seiner Zeit durch Gründe der Aesthetik Liebe zur Tugend einzuflößen; anders Ambrosius. Er sieht in der Tugend ein Mittel, Gott ähnlich zu werden und eine Bürgschaft, in das ewige Leben eintreten zu dürfen 1). Selbst im Schmerze bekundet sich die Tugend, sagt Ambrosius 2), in dem. Troste eines guten Gewissens. Die christliche Tugend erfährt, wie unser Kirchenlehrer es ausspricht, keinen Eintrag durch Schmerz 3) und keinen Zuwachs durch sinnliche Vergnügen. Die irdischen Freuden erhalten erst durch die Tugend sittlichen Werth. Im Mißgeschicke aber zeugt sich die Tugend gerade in ihrer vollen Schönheit. Um wieviel höher die christliche Tugend des Ambrosius als die Cicero's stehe, erhellt am klarsten aus der Dauer ihrer Wirkung. Cicero's Tugend hörte auf, sobald der Mensch von dieser Schaubühne des Lebens trat, während die Tugend, wie sie Ambrosius auffaßt, erst dann in ihrer Herrlichkeit hervorzutreten anfängt, wenn die Seele von den Schlacken der Erde befreit, diesen sterblichen Leib verläßt 4). Daß bei einer solchen Auffassung der Bedeutung der Tugend zeitlichen Nebenrücksichten nur mehr eine untergeordnete Stelle zugestanden werden kann, leuchtet wohl ein und ist damit eigentlich auch schon die Frage über die Collision zwischen Vortheil und Tugend im Allgemeinen beurtheilt. §. 10. Collisionsfälle. Wenn wir zur Tugendübung geboren find, sagt Cicero 1) und diese entweder nach Zeno's Ansicht der allein würdige Gegenstand unserer Begierden, oder nach Ariftoteles, der alle anderen Gegenstände überwiegende ist, so folgt, daß Alles was Recht und Pflicht ist, auch nüßlich sein muß, da die Tugend das einzige oder höchste Gut und das Gute auch nüglich ist. Ohne Tugend einen Nußen gewinnen wollen, ist ein Irrthum des schon verderbten Herzens. Cicero hat, wenn er von Collisionsfällen redet, vorzugsweise Tugend und Vortheil, wie sich diese in verschiedenen Verhältnissen gegenüberstehen können, im Auge. In diesem Falle muß die Tugend bestimmend in die Wagschale fallen. Denn wer erträgt nicht leichter, wie der heilige Ambrosius 2) fagt, ein Uebel am Körper als an der Seele! Schwieriger zu entscheiden sind die Collisionsfälle, wo es sich um Handlungen ein und derselben sittlichen Sphäre frägt. Dem Christen ist der Wille Gottes Norm seiner sittlichen Thätigkeit. Der göttliche Wille ist unwandelbar und in allen Verhältnissen ein und derselbe. Da dieser Eine göttliche Wille die Richtschnur für die einzelnen Pflichten des Menschen ist, so erklärt es sich, daß diese Pflichten nie unter sich in wirklichen Widerstreit kommen können. Man kann höchstens darüber in Zweifel fein, ob die eine oder andere scheinbar. gleich naheliegende Pflicht ihre Erledigung zunächst und vor der anderen erheische. Cicero schon negirt, obwohl er feinen Saß nicht auf ein Princip stüßen kann, die Thatfächlichkeit der Collisionsfälle. Indem er aber Faktoren von ganz verschiedenem Genus das moralisch Gute mit dem natürlich Guten oder Vortheilhaften“ zusammenhält, anstatt Tugend und Tugend, Pflicht und Pflicht gegen 1) Cicero de off. III, 8. 2) Ambros. de off. III, 4. |