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tötet1). Auch dies Ordal hat auf Madagaskar bis in die neuere Zeit in ganz besonders erschreckender Form Anwendung gefunden. Man benutzt hierzu eines der schärfsten Pflanzengifte, das des Tanghinbaums, das VINSON in seinem Werk über Madagaskar2) »le roi des poisons de la Flore malgache< nennt. Es wurde als einseitiges Ordal angewandt und galt als beliebtes Mittel, um den Verdächtigen auf die Beschuldigung der Zauberei oder des Verrats zu erproben; so kam es, dass ganze Ortschaften sich durch dieses fürchterliche Ordal rechtfertigen mussten und dadurch entvölkert wurden 3).

Als zweiseitiges Ordal finden wir die Giftprobe in eigentümlicher Anwendung bei den Ganguellas (landeinwärts von Benguela); der nächste Verwandte des Verstorbenen und der Mann, der diesen durch Zauberei um das Leben gebracht haben soll, müssen hier einen sinnverwirrenden Trank nehmen,

1) BEECHAM, Ashantee and the Gold Coast, London 1841, S. 219. Ähnlich wird es an der Goldküste mit der Abkochung einer Kinde gehalten, die auf manche Konstitution als Brechmittel wirkt; übt sie diese Wirkung aus, so gilt der Bezichtigte als unschuldig, andernfalls als überführt (CRUJCKSHANK, 18 years on the Gold Coast of Africa, London 1853, Bd. 1, S. 287). Die leidenschaftlichen Volksscenen, zu welchen es in Westafrika beim Ordal des Gifttrunks kommt, schildert DU CHAILLU ((Journey to Ashango-Land, S. 175, 176): »Die armen Burschen wurden mitten in einen Kreis erregter Zuschauer gebracht, und es war schrecklich, die Wildheit, die sich in den Gesichtern der Leute ausdrückte, zu sehen: ihre Natur schien sich gänzlich verändert zu haben. Messer, Äxte und Speere hielt man bereit, um damit den Leib der Opfer zu bearbeiten, wenn sie beim Ordal unterliegen sollten; falls der Beschuldigte unter dem Einfluss des Gifttranks straucheln sollte, würde die jetzt ruhige Menge plötzlich wie wahnsinnig werden und sich nicht zügeln lassen. Alles schien eifrig zu erwarten, dass ihrer abergläubischen Furcht Opfer fielen«. 2) Voyage à Madagascar, S. 292 ff.

3) VINSON a. a. O.; SIBREE, Madagascar, S. 281 ff.

und wer am meisten darunter leidet, gilt als überführt und wird getötet1).

Dies führt zu dem Ordal des geweihten Trunkes oder Bissens hinüber, das weniger mörderisch als das Giftordal, doch innerlich mit ihm verwandt ist. Es wird uns bereits im 4. Buch Mosis) genau beschrieben, wo der eifersüchtige Mann verlangen kann, dass seine Ehefrau sich von dem Verdacht des Ehebruchs durch den Genuss »bitteren verfluchten Wassers << reinigt, das ihr der Priester vor dem Altar nach feierlichem Opfer zu trinken gibt. Bei den alten Indern kam dies Ordal in der Form des Reisessens vor3). Wir finden es bei den Germanen als Gottesurteil des geweihten Bissens und unter christlichem Einfluss als Abendmahlsprobe (judicium offae), wobei die Hostie dem Schuldigen im Halse stecken blieb *). Die Kost, die der Beschuldigte zu sich nehmen muss, kann ihm auch Qualen verursachen, die er zu überstehen hat, um sich schuldlos zu erweisen. So gab man der wegen Untreue verdächtigten Ehefrau bei den Chibihas im jetzigen Neu-Granada (Südamerika) wütenden Durst erregenden Piment-Pfeffer zu essen; konnte sie sich einige Stunden bezwingen, ohne zu trinken, so war ihre Unschuld dargetan").

Oder die Kost wird in erschreckender und in feierliche Stimmung versetzender Weise eingenommen, wie das bittere Wasser der Hebräer oder die Hostie der Abendmahlsprobe; so wird bei den afrikanischen Wakamba aus einem Menschen

1) SERPA PINTO's Wanderung quer durch Afrika (übersetzt von WoBESER), Bd. 1, S. 121.

2) 5, 18 ff.

3) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 935, 936.

4) GRIMM ebenda, S. 931; BRUNNER, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 412, DAHN, Bausteine, Bd. 2, S. 46, 47, 125; KÄGI, Alter und Herkunft des germanischen Gottesurteils in der Festschrift zur Begrüssung der 39. Versammlung deutscher Philologen in Zürich, 1887, S. 54 ff.

5) ANDREE im Globus, Bd. 29, S. 40.

schädel getrunken 1). Oder in den Trank werden unheilkundende Dinge gemischt2), wie Rost, der von Schwertern geschabt ist, zum Zeichen des dem Schuldigen nahen Todes durch das Schwert3).

Es gibt aber auch Gottesurteile, welche den Schuldigen aus seiner inneren Erregung überführen wollen und die man Ordale der festen Nerven nennen könnte. So muss bei den Kunamas und Bareas in Ostafrika der des Mordes Bezichtigte sich mit seinen Dorfgenossen vier Tage hintereinander in das Dorf des Erschlagenen begeben und dort einen Augenblick verweilen. Bleibt er beim Anblick der Verwandten des Getöteten ruhig sitzen und verrät er keine Furcht, so ist er unschuldig; flieht er, so gilt er als schuldbewusst'). Ja man geht davon aus, dass der, auf dem eine Missetat lastet, in beständiger Unruhe und Verwirrung lebt, und auch das Unverfängliche ihm Angst verursacht. So besteht ein Ordal auf dem an den verschiedensten Formen des Gottesurteils reichen Madagaskar darin, dass neben dem Beschuldigten dreimal ein Strick auf die Erde geschlagen, ihm dreimal Haare abgeschnitten und unter Gebeten in die Luft geworfen werden; zittert und erbricht er sich, so ist er schuldig 5).

Dem Lose gleich und ganz in das Wirken der Gottheit gestellt ist das indirekte Ordal, bei dem der Beschuldigte überhaupt gar nicht tätig ist, sondern von einem Zufall, dem Verhalten von Tieren oder gar leblosen Gegenständen die Entscheidung abhängig gemacht wird. Es ist dies das gerade Gegenstück zu dem eben besprochenen Gottesurteil, bei dem

1) HILDEBRANDT in Zeitschrift f. Ethnologie 1878, S. 388, 389, vergl. auch HARTMANN, Abyssinien, S. 233.

2) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 5, S. 462.

3) KOHLER ebenda, Bd. 6, S. 349.

4) MUNZINGER, Ostafrikanische Studien, S. 499 ff.

5) SIBREE, Madagaskar, S. 284.

alles auf die Gemütsverfassung und die Widerstandskraft der Nerven des Beschuldigten ankam. Man kann wirklich sagen, dass die Menschheit sinnreich alle Kombinationen erschöpft hat, um in zweifelhaften Fällen eine Entscheidung, auf die Schuldfrage eine Antwort zu erhalten. Wie eine Nachahmung und Übertragung oben beschriebener Ordale auf die Tierwelt erscheint es, wenn man bei den Niam-Niam am oberen Nil einem Huhn einen Trunk gibt; stirbt es, so ist der Täter schuldig, überlebt es, so wird er gerechtfertigt. Oder man macht die Wasserprobe nicht mit dem Beschuldigten selbst, sondern mit einem Hahn; dieser wird bis zum Ersticken ins Wasser gehalten und die Entscheidung davon abhängig gemacht, ob er wieder zu sich kommt oder nicht1). Die Probe mit dem Huhn findet in ganz ähnlicher Weise bei den Wanyamwesi statt; aber hier verlangt das Volk zuweilen, dass der Beschuldigte selbst den giftigen Trank nimmt 2). Ein Abbild des gerichtlichen Zweikampfes ist das Hahnenordal der Topantunuasu (eines Malaienstammes), wobei man zwei Hähne gegen einander kämpfen lässt 3). Andere Malaienstämme bestimmen Schuld oder Unschuld aus dem letzten Zappeln eines verendenden Huhns, aber auch aus dem frühern oder spätern Abbrennen zweier Kerzen, dem schnellern oder langsamern Auflösen zweier Salzstücke 4). Die Hand Gottes ist es, die der um die Wahrheit besorgte Mensch hier überall in den Erscheinungen der Aussenwelt sucht.

Auf einer wesentlich andern Grundlage steht die Bahrprobe oder das Bahrgericht. Hier soll nicht die Gottheit, sondern der Tote selbst oder die Seele, die den erkalteten Leichnam noch nicht verlassen hat, den Täter weisen. Dies beruht auf

1) HARTMANN, die Nilländer, S. 170 ff.
2) ANDREE, Forschungsreisen, Bd. 2, S. 370.
3) KOHLER, in Zeitschrift, Bd. 6, S. 349.
4) KOHLER nach WILKEN ebenda, Bd 5, S. 460.

dem uralten Glauben, den wir schon so oft erwähnt haben, dass die Seele in der ersten Zeit nach dem Tod ihr früheres Heim nicht verlässt, die alte Stätte umschwebt und noch den irdischen Dingen gehört. Es ist dies das Gottesurteil, das uns aus den Nibelungen 1) geläufig ist; denn wir alle wissen, wie Siegfrieds Wunden bluten, als der grimme Hagen zur Bahre tritt. Und ebenso blutet in SHAKESPEARE'S Richard III. die Leiche König Heinrichs bei Gloster's Nahen3):

>> Ihr Herrn! seht! seht! des toten Heinrichs Wunden
Öffnen den starren Mund und bluten frisch. <<

Dieses Gottesurteil hat sich in Deutschland als Gerichtsgebrauch lange, bis in das 16. Jahrhundert hinein, erhalten; es war Sitte, dass der Beschuldigte nackt vor der Bahre niederknieen, einen Unschuldseid leisten und den Toten berühren, wohl auch klissen musste 3). Der Gedanke dieses Ordals ist weit verbreitet, die Form seiner Ausübung verschieden. So wird bei den Bagirmistämmen der Sahara der Leichnam von Zauberern auf die Köpfe genommen, und diese fühlen sich durch geheimnisvolle Eingebung getrieben, bis sie an die Hütte des Schuldigen gelangen; es kommt auch vor, dass der Zauberer statt des Leichnams sich ein Bündel Gras auf den Kopf legt). Ähnlich ist die Bahrprobe bei den Australnegern gestaltet: mehrere Männer tragen die Bahre, und werden die

1) V. 984 ff.

2) Richard III. Akt I Scene 2.

3) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 930, 931; BRUNNER, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 411, 412, OSENBRÜGGEN, Studien, S. 327 ff.

4) NACHTIGAL, Sahara und Sudan, Bd. 2, S. 686. Ähnlich ist die Ausübung der Bahrprobe an der Goldküste; CRUICKSHANK, 18 years on the Gold Coast of Afrika, Bd. 2, S. 177 ff.: zunächst wird auf diese Weise aus der Versammlung des Volks die Sippe ausgemittelt, zu welcher der Mörder gehört, dann aus der Sippe das Haus des Mörders und aus dem Hause dieser selbst. CRUICKSHANK macht hierbei mit Recht auf die eigentümliche Parallele im Buch JOSUA 7, 16 ff. aufmerksam.

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