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kann, bis dem vergossenen Blut Sühne geschaffen ist1); daher man auch den Toten vielfach nicht begrub, ehe der Mord gerächt war2). Und es war der ärgste Schimpf, eines ungesühnten Todes zu sterben; so durfte man nach altnordischem Recht den Dieb erschlagen »unvergolten den Erben, der Kirche und dem Könige«3). So auch droht Telemach den Freiern als grösste Schande, die ihre Gewalttaten ihnen heimbringen könnten, an: »Busselos mögt ihr im Hause fallen« 4).

Das Ziel der Blutrache aber war, wie der Zweck jedes Prozesses die Erfüllung des materiellen Rechts ist, die Talion. Auge um Auge, Leben um Leben. Es war der Gegenschlag auf den Schlag, die Vergeltung für die Missetat. Von der Leiche des Erschlagenen folgte man der Spur des Täters, erhob das Rachegeschrei (Gerüfte, Zetergeschrei)5), mit dem man die Genossen der Sippe herbeirief, und der Rachezug der Freunde des Toten, »der grimmen Hunde« der Vergeltung) geht hinter

1) Die Beispiele folgen im Einzelnen; wegen der Australneger vergl. KOHLER in Zeitschrift, Bd. 7, S. 363.

2) FRAUENSTÄDT, Blutrache, S. 10 (uralte Gewohnheit der Friesen), 98 (Aufbewahren der Hand des Toten bis zur vollzogenen Rache).

3) GRIMM in Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 2, S. 43; Lex Fris. tit. 5 (furem, si in fossa, qua domum alterius effodere conatur, fuerit repertus); Lex Ribuaria C. 77; GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 743; WILDA a. a. O., S. 701 ff., 889 ff. Vergl. auch die Scheinbusse für den Tod des Lauschers oben S. 35, Anm. I.

4) νήποινοί κεν ἔπειτα δόμων ἔντοσθεν ὄλοισθε; Od. 1, 380; 2, 145.

5) Das mordio, hilfio u. s. w. der alten Deutschen; vergl. Grimm, Rechtsaltertümer, S. 876 ff. CH. PETERSEN in Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 6, S. 239 ff. Ein genaues Abbild des Rachezugs ist das Prozessverfahren der altdeutschen Mordklage: die Verwandten des Getöteten traten, streitgerüstet, den erschlagenen Leichnam mit sich führend, vor Gericht, erhoben dreimaliges Wehegeschrei und zogen dreimal die Schwerter aus, was man verschreien « nannte (GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 878 ff., vergl. S. 633 ff., PLANCK, S. 762 ff.). Wegen des alten Wales vergl. WALTEr, S. 450.

6) So nennt Orestes die ihn für den Muttermord bedrohenden Erinnyen bei AscHYLUS, Choëphoren V. 1054: σαφῶς γὰρ αἵδε μητρὸς ἔγκοτοι κύνες.

dem Täter her. So in aller Welt, in Hellas wie in Nordgermanien, wie heutigen Tags bei den Australnegern 1). Und nicht dem Täter allein gilt die Rache, sondern, wie überhaupt in alter Zeit der einzelne noch nicht als solcher, sondern nur als Glied seiner Sippe galt, so ging auch die Rache vom Geschlecht des Getöteten gegen die Sippe des Töters; und weit verbreitet ist, wie wir feststellen werden, die Übung, dass, wenn man des Mörders selbst nicht habhaft werden kann, ein anderes Mitglied seines Geschlechts getötet wird, wie auch in späteren Zeiten für die Geldbusse nicht der Täter allein, sondern seine ganze Sippe aufzukommen hat3).

Diese Haftung der Sippe für die Freveltat des einzelnen ist uralt und weithin bezeugt. So wissen wir von den Ägyptern, dass mitunter die Verbrecher mit ihrer ganzen Verwandtschaft3) zu harter Arbeit in den Goldbergwerken verurteilt wurden *). Daher wird in einem völkerrechtlichen Vertrag aus dem Jahre 1310 v. Chr., der zwischen dem ägyptischen König Ramses II. Sesostris und dem Fürsten der Hethiter geschlossen wurde, geflohenen Verbrechern mit den Worten Straflosigkeit zugesichert: »Es werde nicht geplündert sein Haus, noch sein Weib, noch seine Kinder; nicht werde getötet seine Mutter") <.

Dass dies die ursprüngliche Auffassung auch der Hebräer war, geht aus ihren ältesten Überlieferungen hervor. So heisst es im Dekalog, wie wir gelernt haben: Denn ich der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsuchet der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied<< 6). Und so geschah es auch in jener ältesten Zeit; denn die gesamte

1) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 7, S. 367.

2) KOHLER, Shakespeare, S. 133, 134, 136, 139, 141 ff.; derselbe, Zur Lehre von der Blutrache, S. 9.

3) μετὰ πάσης συγγενείας.

4) DIODORUS SICULUS 3, 11.

5) BERNHÖFT, in Zeitschrift, Bd. 2, S. 259.

6) 2. MOSE 20, 5; auch ebenda 34, 7; 4. MOSE 14, 18.

Rotte Korah mit Weibern und Kindern, »mit allen Menschen, die bei Korah waren«, wurde von der Erde verschlungen 1). Aber eine mildere Anschauung hat schon früh Eingang gefunden, wie es bereits im mosaischen Gesetz heisst) »die Väter sollen nicht für die Kinder, noch die Kinder für die Väter sterben; sondern ein jeglicher soll für seine Sünde sterben.<< Und dies ist die Auffassung, die wir durchweg in den anderen Büchern des alten Testaments vertreten finden, in seiner Königsgeschichte 3), wie in den Strafreden der Propheten1).

Ähnlich ist es in der Antike. Der Grundsatz, dass jeder für seine Schuld und nur er allein einzustehen habe, ist anerkannt; aber die alten Erinnerungen reichen noch in späte Zeiten hinein und beweisen hier sogar grössere Lebenskraft, als bei den alten Hebräern. Denn, während die Könige Judas die Kinder der Aufrührer nicht töteten, war im alten Hellas die Bestrafung schuldloser Verwandter von Staatsverbrechern, insbesondere von Tyrannen nichts Ungewöhnliches. Und im alten Rom hat sich dies bis zuletzt erhalten. Denn sowohl die sullanischen Gesetze wie die kaiserlichen Verordnungen richteten gewisse Strafbestimmungen auch gegen die Kinder der politischen Verbrecher").

Bei den Germanen hat sich mit den alten Hausgenossenschaften diese Haftung der gesammten Sippe lange erhalten. TACITUS) berichtet im Zusammenhang mit der Schilderung

1) 4. MUSE 16, 32. Wegen ähnlicher Anschauungen der Babylonier vergl. Gesetzbuch des HAMMURABI, §§ 116, 210, 230. Auch dort ist eine Haftung der ganzen Ortschaft ausgesprochen, wenn der Täter nicht ergriffen wird (ebenda §§ 23, 24).

2) 5. MOSE 24, 16. Der Vers ist übrigens wörtlich im Schwabenspiegel wiederholt (S. 168, WACKernagel).

3) 2 Könige 14, 6; 2 Chronika 25, 4.

4) JEREM. 31, 30; HESEKIEL 18, 19. 20.

5) DIONYSIUS 8, 80.

6) Germania C. 21: Suscipere tam inimicitias seu patris seu propinqui quam amicitias necesse est.

ihres Strafrechts, dass, wie die Freundschaften, so auch die Fehden auf Kinder und Verwandte überkommen wurden. Auf beide Sippen ging Blutrache und Blutbusse über1), und wurde friedlos, wer nicht büssen konnte. Bei den salischen Franken musste der Täter, für den seine Gesippen zahlten, ihnen sein Heim überlassen und im Hemd, gürtellos, unbeschuht, mit dem Stab in der Hand, als Landflüchtiger von dannen gehen wie überhaupt landflüchtig wurde, wer nicht büssen konnte2). Später beschränkte man vielfach die Verfolgung auf bestimmte Grade, so dass die entfernteren Familienglieder des Täters von der Rache nicht betroffen werden durften 3). So trat auch hier durchweg die Familie als untrennbares Ganzes, wie sie in der Hausgenossenschaft tatsächlich geeint war, auch in Schutz und Abwehr auf*). Als einen letzten Nachklang solcher uralter Auffassung darf man wohl das noch zuweilen sich ereignende Vorkommnis betrachten, dass der ledige Bruder für den verheirateten, der seiner Familie unentbehrlicher ist, die Strafe abzusitzen sucht wie Fälle dieser Art mitunter die Gerichte beschäftigt haben; in naiv ursprünglicher Weise wird die Strafverbüssung als Familiensache angesehen, so dass der Bruder für den Bruder eintreten könnte. Freilich taugt dies in unsern modernen Zeiten nicht mehr und bekommt den Beteiligten übel.

1) Ebenso bei den Nordgermanen; vergl. WILDA, Strafrecht der Germanen, S. 174. Bei den Angelsachsen galt eine Tötung nur dann für gesühnt, wenn soviel Glieder der Familie des Totschlägers getötet waren, dass der Betrag ihres Wergelds dem des Getöteten gleichkam (WAITZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1. S. 71, Anm 2).

2) lex Salica tit. 58 de chrenecruda; über die Haftung der Sippe nach altsächsischem Recht lex Saxonum C. 18, 19. Vergl. VON AMIRA, Erbfolge und Verwandschaftsgliederung, S. 22 ff., 84 ff., 116 ff., 142 ff.

3) So schon das altsächsische Recht;

S. 71, Anm. 2.

4) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 663.

vergl. WAITZ a. a. O., Bd. I,

Bei den Slaven haben sich solche Überzeugungen lange lebendig erhalten. Verwandte des Täters wurden mitbestraft1), und die ganze Ansiedelung war für Verbrechen, welche in ihrer Gemarkung verübt wurden, verantwortlich 2).

In Indien, dieser seltsamen Sammelstätte der Vergangenheit, finden wir Spuren noch bis auf den heutigen Tag. So wird uns wenigstens von den Khasia, einem indischen Volk am Brahmaputra berichtet, dass mit den Übeltätern auch ihre Familien bis in die neueste Zeit haftbar gemacht wurden3).

Und ebenso wie in Hellas und Rom, fand auch in China die Bestrafung von Verwandten des Täters bei Hochverrat in weitem Umfang statt 4). Dagegen macht der Islam die Kinder nicht für die Missetaten der Eltern verantwortlich 5). Die Strafe fällt nur auf den Täter, die Verwandten gehen frei aus. Und wieder können wir nicht erstaunen, bei den noch wenig von der Kultur berührten Negern Afrikas die Haftung der Sippe noch vorzufinden. So kommt sie bei den Ephenegern in Togo noch heute vor: gelingt es bei Menschenraub nicht, den Räuber zu fangen, so bemächtigt man sich jemandes aus seiner Sippe und behält diesen als lebendes Pfand bis zur

1) MACIEJOWSKI, slavische Rechtsgeschichte (übersetzt von Buss und NAWROCKI), Bd. 2, S. 149, 225 ff.

2) RUNDSTEIN in Zeitschrift, Bd. 15, S. 217. So sagt ein altes slavisches Rechtssprichwort: »der Dieb stiehlt, die Gemeinde trauert« (ebenda, S. 235).

3) HELLWALD in TREWENDT's Handwörterbuch der Zoologie, Anthropologie und Ethnologie, Bd. 4, S. 474. Auch in Siam werden die Nachkommen von Priestern, die sich gegen die Klostergelübde vergangen haben, Sklaven der Regierung (HESSE-WARTEGG, Siam, S. 91) auch hier hat sich anscheinend ein uralter Brauch zuletzt in einem religiösen Herkommen erhalten.

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4) TA TSING LEU LEE, mis en français par F. RENOUARD DE SAINTE CROIX, Paris 1812, sec. 254, Bd. 2, S. 3.

5) TORNAUW in Zeitschrift, Bd. 5, S. 149.

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