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So ist es wahr, dass die Blutrache auf frühen Kulturstufen die ursprüngliche Art der Strafverfolgung ist, und dass wir sie über den ganzen Erdball, bei den von einander entlegensten Völkern, die unter sich keine Verwandtschaft und keinen Verkehr haben, vorfinden. Wäre sie aber das letzte Wort der Menschheit bei der Ahndung von Verbrechen geblieben, so wären gesicherte ruhige Zustände unmöglich geworden, da die unablässigen Fehden der kleineren Hausgenossenschaften von innen her die kaum geeinten grösseren Verbände immer wieder erschüttert und zerrissen hätten. Hier setzt nun auf dem Wege zur staatlichen Rechtspflege universal wie die Blutrache selbst — die Einrichtung der Busse (compositio) ein. Die Sippe des Täters beschwichtigte in der Hauptsache wohl, wenn die kriegerischen Leidenschaften sich abstillten und die tägliche Bedrohung durch den Nachbar für die friedlicher gewordene Lebensführung unerträglich wurde durch Hingabe gewisser Vermögensstücke die Sippe des Erschlagenen oder Verletzten, und schloss sich daran häufig zur Bekräftigung eine Versöhnungsfeier an, wie wir sie vorhin bei den Kabylen festgestellt haben. Diese Busse wurde in der Regel nach der Bedeutung des Verlustes, den die Familie durch den Friedensbruch erlitten, in gewissen Abstufungen bemessen, sodass für einen Mann die Busse sich anders gestellt haben wird als für ein Weib, für einen Trefflichen höher als für ein dem Stamm weniger nützliches Mitglied u. s. w. Dann wurde in späteren Zeiten, als das Friedensbedürfnis immer weitere Fortschritte machte und die grösseren Verbände erstarkten, die früher in das Belieben der Verletzten gestellte Einigung durch die Sitte und noch später durch Satzung zu einem Muss gemacht, und wurden vielfach die Sätze in Tarife gebracht, nach denen im einzelnen Fall abzugelten war. Diese Schritte von einer Stufe zur andern fanden schwerlich gewaltsam in scharfen markierten Übergängen, sondern in langsamem Hinübergleiten von Zwischenstufe zu Zwischenstufe im Laufe grosser Zeit

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räume statt. Aber der gewaltige, schliesslich vollzogene Umschwung prägte sich doch der Erinnerung der Völker ein; sie hat sich vielfach in den alten Sagen erhalten, welche die Busse ins Märchenhafte trieben dem Zuge der ältesten Zeit entsprechend, die von der Blutrache als heiliger Pflicht nur gegen gewaltige Angebote abstand wie vielfach die alte Mär wiederkehrt, dass dem Sohne soviel als Blutgeld zu zahlen sei, als der Kopf seines erschlagenen Vaters wiege 1).

Die Busse teilt zunächst den Charakter der Blutrache; wie diese als Fehde von Sippe gegen Sippe geht, so entrichtet auch jene die Sippe der Sippe. Dies werden wir im Folgenden, wo wir uns den einzelnen Völkern zuwenden, in das Einzelne hinein feststellen können. Hier sei aber sogleich bemerkt, dass auch dies ganz universal ist und nicht nur bei den grossen Kulturvölkern, sondern ebenso gut in Afrika sich nachweisen lässt, wo z. B. bei den Amaxosa-Kaffern der Häuptling für die Bussen der Kraalgenossen aufkommt2), und die Haftung der Sippe des Täters ganz allgemeines Negerrrecht ist3).

Das erste Stadium der Busse, in welchem von einer Verpflichtung zu ihrer Annahme noch keine Rede ist, sondern sie von der Sippe des Verletzten nach freier Entschliessung genommen oder abgelehnt wird, finden wir in den homerischen Epen 4). So bieten die Freier dem zurückgekehrten Odysseus reiche Gaben als Busse an; er aber verschmäht alles und besteht auf der Blutrache. »Und wenn ihr mir euer ganzes

1) WESNITSCH in Zeitschrift, Bd. 8, S. 459. J. GRIMM in Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 1, S. 328 ff.; E. OSENBRÜGGEN, Studien zur deutschen und schweizerischen Rechtsgeschichte, S. 142. TOBIEN, die Blutrache nach altem russischen Recht, Dorpat 1840, Bd. 1, S. 79 ff. 2) POST in Zeitschrift, Bd. 11, S. 246, Rehme ebenda, Bd. 10, S. 47,

52, 56.

3) KOHLER ebenda, Bd. 11, S. 459, Bd. 15, S. 66.

4) BERNHÖFT in Zeitschrift, Bd. 2, S. 287, PLATNER, Notiones juris

et justitiae ex HOMERI et HESIODI carminib., S. 115 ff.

Vatererbe gebt, wieviel euer ist, und mehr noch dazu legt, doch sollen meine Hände nicht ruhen vom Morde, bis aller Frevel gebüsst ist< 1). Und so hören wir bei HOMER viel von Flüchtlingen, die in die Fremde gehen, weil die Familie des Getöteten von der Blutrache nicht ablässt2). Bezeichnend genug ist das Wort für Busse, wie für das Lösegeld des Kriegsgefangenen3) ein und dasselbe. Beides stand sich also in der Volksvorstellung gleich, Krieg und Fehdegang waren noch eins, wie sie es dem alten Germanen waren, und von der Rache wie von der Gefangenschaft musste man sich in gleicher Weise lösen. Die Annahme der Busse war ein Friedensschluss, der den Kriegszustand der beiden Sippen beendete und wodurch das Verbleiben des Täters in der Heimat erkauft wurde 4). Tarifsätze für das Wergeld gab es bei den Hellenen HOMERS nicht 5); war man grundsätzlich einig und nur über die Höhe des Betrags ein Einverständnis nicht möglich, so mochte es zum Streit vor Schiedsrichtern kommen, wie solcher in der Gerichtsscene auf dem Schild des Achilles so anschaulich dargestellt ist 6). Sogar der Göttervater Zeus wie die Götter immer

1) Odyss. 22, 61 ff.

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2) Vergl. Ilias. 2, 662 ff. 13, 696; 15, 432; 16, 573; 23, 85 ff. 3) Die άπova in Il. 1, 13. 111; 2, 230; 6, 49, vergl. hierzu das Wort nova für Busse z. B. II. 9, 120.

4) Vergl. Il. 9, 632 ff. Wie sehr sich in der Vorstellung der epischen Zeit Krieg und Blutrache vermischen, geht am besten aus der Stelle der Il. 3, 285 ff. hervor, wo als Ziel des trojanischen Kriegs geradezu die Busse für den Raub der Helena angegeben wird.

5) Auch im späteren attischen Recht haben sich bestimmte Wergeldsätze nicht ausgebildet (BERNHÖFT in Zeitschrift, Bd. 6, S. 282). Doch ist die Entwickelung wohl keine einheitliche gewesen, wenigstens finden sich im Stadtrecht von Gortyn auf Kreta (II, 2 ff.) Bestimmungen, die als Normierung der Busse gedeutet werden können.

6) Il. 18, 497 ff. Nach anderer Meinung geht der Rechtsstreit darum, ob die Busse bezahlt ist, wie der eine Teil behauptet und der andere bestreitet (SCHÖMANN, griechische Altertümer 4. Aufl., Bd. 1, S. 29, 49).

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die Schicksalswege der Menschen beschreiten müssen als Busse für den Raub des Ganymed Rosse, von denen das herrlichste Gestüt entstammt1).

Von den Römern wissen wir, dass nach einem angeblichen Gesetz des Numa, also bereits zur Königszeit, bestimmt war, bei fahrlässiger Tötung solle die Busse in einem Widder bestehen, welcher der Sippe des Toten vor versammeltem Volk übergeben würde"). Die 12 Tafeln überlassen bei schweren Verletzungen die Busse noch dem freien Belieben des Verletzten und seiner Angehörigen, die sonst den Weg der Blutrache beschreiten können3). Für leichtere Körperverletzungen war eine Busse) von 25 as vorgesehen, die bei der Geldarmut dieser alten Zeit als ausreichend angesehen wurde 5).

So finden wir die Busse in der Antike. Aber auch unsere Vorfahren kannten sie schon in sehr alter Zeit, wie TACITUS berichtet, dass sie in dem Zahlungsmittel der Urzeit, in Rindern, an die ganze Sippe des Getöteten als Wergeld entrichtet wurde). Und ganz ähnlich begegnet uns in altisländischen Gesetzen das Kuhgeld, die Berechnung der Busse nach Kühen, wobei

1) II. 5, 265 ft.

2) SERVIUS in Virgilii egl. 4, 43. Dies soll auch Brauch in Athen gewesen sein, wie überhaupt der Widder das Hauptsündopfer der Hellenen und der verwandten Stämme Italiens war (K. O. MÜLLER, Äschylos' Eumeniden, Göttingen 1833, S. 144). Auch auf den Sündenbock der Hebräer sei hingewiesen.

3) Si membrum rup[s]it, ni cum eo pacit, talio esto. BRUNS, Fontes 5. Aufl., S. 28; vergl. auch das oben, S. 66 angezogene Fragment aus CATO's Schriften.

4) pöna; also dasselbe Wort, das die alten Hellenen für Busse gebrauchten (ποινή vergl. z. B. II. 3, 290; 5, 266; 18, 498).

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5) GAJUS 3, 223, 224; BRUNS a. a. O.

6) Germania C. 21: Nec implacabiles (inimicitiae) durant; luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecorum numero, recipitque satisfactionem universa domus.

eine Kuh von ganz bestimmter gesetzlicher Beschaffenheit vorausgesetzt wird, »sie soll nicht älter als 8 Jahre sein und unbeschädigt an Hörnern, Schwanz, Euter und Klauen«1). Während bei der Tötung das Wergeld an die Sippe fällt, erhält bereits bei als Anfang des staatlichen Strafrechts kleineren Friedensbrüchen die Sippe nur einen Teil, einen andern Teil der König oder die Gemeinde als Friedensgeld"). Wergeldsätze und Bussentarife begegnen uns schon in den altskandinavischen Rechten und werden mit fortschreitender Kultur immer detaillierter ausgebildet3). Empfangsberechtigt war die Sippe, wie auch die Sippe die Busse entrichtete; ja, diese Verhaftung ist noch darüber hinaus auf weitere Verbände gegangen. So scheint es verbreitetes altgermanisches Recht zu sein da es uns in fränkischen Verordnungen aus der Zeit der Merowinger (Chlodwig I.) und andererseits in altskandinavischen Rechten aufbewahrt ist1) - dass die Gemeinde das Wergeld für den Toten, der in ihrem Bezirk aufgefunden wird, leisten muss, wenn sie nicht den Täter stellen kann oder (wie ihr im Frankenreich nachgelassen wurde) Mann für Mann den Unschuldseid leistet.

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Gerade wie bei den Hellenen HOMERS und den Römern der 12 Tafeln stand es aber in freiem Belieben der Sippe, ob sie die Busse (bei Totschlag Manngeld oder Wergeld genannt, d. h. den Preis des erschlagenen Mannes, wobei wer

1) WILDA, Strafrecht der Germanen, S. 331.

2) TACITUS, Germania, C. 12.

3) WILDA a. a. O., S. 323 ff.; vergl. auch die altfriesischen Busstaxen bei VON RICHTHOFEN, Untersuchungen I, 52-60; derselbe, Friesische Rechtsquellen 82-97.

4) WILDA a. a. O., S. 216 ff. GIERKE, Genossenschaftsrecht, Bd. 1, S. 73, A. 43. Einen Nachzügler dieser Idee haben wir noch im modernen Recht in der Haftbarkeit der Gemeinden für den Schaden, der in ihrem Bezirk bei Aufläufen entsteht,

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