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seits die den Rechtsnormen zufallenden Pflichtgebote als fremdartige von sich abweisen, sondern sie betrachtet den gesamten Inhalt sittlicher Normen, denen der Einzelne unterstellt ist, als einen Bestandteil der religiösen Pflichten. Jedes Sittengebot gilt so an und für sich dem religiösen Bewußtsein als ein religiöses, jedes Vergehen gegen die Sittengesetze und jeder schwerere Verstoß gegen die allgemeinen Rechtsnormen ist zugleich Sünde, ein Abfall von Gott und seinem Gebot.

Die letzte Stufe dieser Entwicklung hat endlich durch die einseitig moralische Ausgestaltung der religiösen Vorstellungen zu einer Auffassung zurückgeführt, die sich durch die völlige Verschmelzung des Inhalts der sittlichen und der religiösen Pflichtgebote wieder der ursprünglichen Einheit beider zu nähern strebt. Dabei ist nun freilich jener Inhalt selbst ein wesentlich anderer geworden. Die äußeren Vorschriften des religiösen Kultus, deren Verletzung auf einer primitiven Glaubensstufe meist zu den schwersten Vergehen zählt, werden jetzt als sittlich gleichgültig angesehen. Ebenso werden alle anderen, außerhalb der moralischen Sphäre liegenden religiösen Motive abgestreift. Die Religion fließt daher mit dem Sittlichen in eine von allen ethisch wertlosen Bestandteilen gereinigte Einheit zusammen. Religion und Sittlichkeit scheiden sich nun im wesentlichen nicht mehr nach ihrem Inhalt, sondern nach dem Standpunkt der Betrachtung, den sie gegenüber diesem Inhalte einnehmen. Die Religion selbst wird, wie Kant sagt, zu dem als göttliches Gebot betrachteten Sittengesetz, oder Gott wird, wie Fichte noch entschiedener es ausdrückt, selbst zur sittlichen Weltordnung.

Doch auf diese Entwicklung hat die Philosophie nicht bloß, wie auf die sonstigen Gestaltungen der Kulturreligionen, Einfluß ausgeübt, sondern diese letzte Verbindung ist selbst erst ein Erzeugnis der Philosophie. Sie mündet damit in jene Theorie der Religion, die sich als die ethische der autonomen und der metaphysischen gegenüberstellt (S. 43). In diesem Sinne bildet daher die Entstehung dieser philosophischen Anschauung ein gewichtiges Zeugniß für den zunehmenden ethischen Gehalt der religiösen Ideen. Sie ist jedoch kein Beweis dafür, daß die Religion selbst nur eine spezifische Form der Moral oder, was auf dasselbe hinauskommt, ein aus den Tatsachen der Sittlichkeit abzuleitendes Postulat sei. Dieser Beweis wäre nur dann erbracht, wenn in der wirklichen Entwicklung der Religion, nicht bloß in ihrer philosophischen Deu

tung, eine Stufe aufzufinden wäre, auf der tatsächlich Moral und Religion in dem ganzen Umfang ihrer Betätigungen zusammenfallen. Unter den vorhandenen Religionen gibt es aber eine solche Stufe nicht, und die Annahme, dass sie dereinst einmal erreicht werde, bleibt daher eine philosophische Hypothese, die, so bedeutsam in ihr der allmählich innerhalb der religiösen Ideen herangereifte Gedanke einer allgemeinen sittlichen Weltordnung zum Ausdruck kommt, doch für den Begriff der Religion selbst nicht maßgebend sein kann, da dieser Begriff, wie jeder andere, nur der Gesamtheit der Tatsachen, auf die er sich bezieht, entnommen werden kann, nicht bloß einer einzelnen Reihe von Erscheinungen.

Wohl aber bestätigt die Entwicklung der Sittengebote aus einem ursprünglich zu einer Einheit verbundenen Zusammenhang religiöser und sittlicher Satzungen das schon in den vorangegangenen Betrachtungen dieses Kapitels gewonnene Ergebnis, daß das sittliche Gefühl um so vollständiger, auf einer je früheren Stufe wir es antreffen, mit dem religiösen in seinen Äusserungen zusammenfällt. Allmählich erst sondern sich innerhalb der religiösen Vorschriften solche, die einen spezifisch ethischen Wert haben, von anderen, die sittlich gleichgültig oder, besonders in den Anfängen der religiösen Entwicklung, für den Standpunkt eines gereifteren Urteils unsittlich sind. Auf einer letzten Stufe endlich, die wir im allgemeinen wohl als die von den heutigen Kulturvölkern erreichte betrachten dürfen, scheiden sich die sittlichen Anschauungen von den religiösen als ein völlig für sich bestehendes Gebiet. Die Sittengesetze erscheinen nun als Normen, die unabhängig von jeder religiösen Überzeugung Geltung besitzen, und die deshalb eine solche auch für den in Anspruch nehmen, der überhaupt jede religiöse Überzeugung ablehnt. Wenn die ethische Theorie die Religion aus sittlichen Forderungen entspringen läßt, so bestätigen daher die Tatsachen des religiösen und des sittlichen Lebens wiederum diese Annahme nicht. Vielmehr zeigen sie umgekehrt, daß die sittlichen aus den religiösen Ideen, die Sittengebote aus religiösen Kulten und Normen, wenn nicht ausschließlich, so doch jedenfalls zu einem sehr wesentlichen Teile hervorgegangen sind. Dabei ist diese Entwicklung wahrscheinlich überall von Urzuständen der Religion ausgegangen, die selbst jedes sittlichen Gehaltes bar waren, aber allerdings die Anlagen zur Entstehung, und weiterhin zu einer fortschreitenden Ausdehnung und Vertiefung sittlicher Gefühle und Vorstellungen in sich trugen.

Wie die Tatsachen der religiösen Entwicklung dem behaupteten Ursprung der Religion aus den Sittengesetzen widerstreiten, so sind sie nun auch mit einer anderen Anschauung unvereinbar, die im Hinblick auf die anfängliche Scheidung von Religion und Sittlichkeit wohl eine ziemlich weite Verbreitung gefunden hat. Danach sollen die sittlichen Normen ursprünglich ebenso außerhalb der religiösen Vorstellungen entstanden sein, wie diese selbst des sittlichen Inhaltes entbehrten. Beide Gebiete sollen also erst in den späteren Stadien ihrer Entwicklung aufeinander eingewirkt, die Religion insbesondere soll erst dadurch mehr mehr und mehr einen ethischen Inhalt gewonnen haben, daß die außerhalb ihres Gebietes entstandenen sittlichen Ideen allmählich in sie aufgenommen wurden. Daß in gewissem Umfang ein solcher Prozeß der Assimilation stattgefunden habe, wird sich wohl nicht bestreiten lassen. Doch muß man dabei immerhin der Tatsache eingedenk sein, daß auf einer primitiven Kulturstufe überhaupt die Gebiete des Kultus und der Sitte durchaus ineinander fließen. Schon in sehr früher Zeit kleiden sich daher Einrichtungen, die bestimmten sozialen Bedürfnissen entgegenkommen, welche an sich mit religiösen Motiven nichts zu tun haben, in die Form religiöser Gebote, oder sie verbinden sich mit religiösen Kulthandlungen, so daß die Frage, ob jene Einrichtungen irgend einmal ohne diese religiösen Begleiterscheinungen bestanden haben, mindestens zweifelhaft sein kann. Wichtiger noch sind aber die Zeugnisse der religiösen Entwicklung selbst, nach denen nicht in außerhalb liegenden Ursachen, sondern lediglich in den inneren, psychischen Momenten dieser Entwicklung die Bedingungen für den allmählichen Übergang vorsittlicher in sittliche Motive liegen, die nun noch durchaus an die religiösen Vorstellungen gebunden bleiben. Man erinnere sich nur an den Übergang der Furcht vor dem Dämon in die Ehrfurchtsgefühle des Ahnenkultus, an die Wirkungen der Vermenschlichung der Naturgötter, an die allmähliche Überleitung des Heroenkultus zu ethischen Idealvorstellungen, und an andere ähnliche psychologische Übergänge, deren oben gedacht wurde.

So zweifellos es aber auch nach allen diesen Zeugnissen sein dürfte, daß das sittliche Leben in seinen wesentlichen Bestandteilen nicht außerhalb, sondern innerhalb der religiösen Anschauungen entstanden ist, und daß insbesondere die Verinnerlichung und Vertiefung der sittlichen Ideen wesentlich in dieser ihrer Verbindung mit der Religion ihre Quelle hat, so ist doch anderseits unbestreit

bar, daß jene Loslösung der Sittlichkeit von ihrer ursprünglichen religiösen Grundlage, wie sie auf der höchsten Stufe sittlicher Kultur sich vollzieht, nur dadurch möglich ist, daß neben den religiösen noch andere Motive existieren, die an der Entwicklung der sittlichen Ideen teilnehmen. Es gibt nur ein Gebiet, das in dieser Beziehung mit den religiösen Beweggründen des sittlichen Lebens sich messen kann: dies sind diejenigen Erscheinungen der Sitte, die in den sozialen Bedingungen des menschlichen Daseins ihren Grund haben. Daß diese Bedingungen einen hervorragenden Einfluß auf die Entwicklung der sittlichen Vorstellungen besitzen, bleibt übrigens unzweifelhaft, ob die religiösen Einwirkungen als bleibende oder als bloß vorübergehende angesehen werden. So fordert die vorangegangene Betrachtung der religiösen Beziehungen des sittlichen Lebens die Untersuchung der in der Sitte zur Geltung gelangenden sozialen Faktoren desselben als ihre notwendige Ergänzung.

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Drittes Kapitel.

Die Sitte und das sittliche Leben.

1. Die allgemeinen Eigenschaften der Sitte.

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a. Instinkt und Sitte.

In den Rechtstheorien früherer Tage spielt bekanntlich die Streitfrage, wie man sich die Anfänge der menschlichen Gesellschaft zu denken habe, eine nicht geringe Rolle. Sogar in die heutige Philosophie und Anthropologie wirft dieser Streit noch immer seine Schatten. Ob der Kampf ums Dasein", der Wahlspruch des Homo homini lupus", mit dem dereinst Hobbes diesen Kampf anschaulich bezeichnete, die Rechtsordnung als ein zwingendes Gebot der Not habe entstehen lassen; oder ob umgekehrt der Mensch den Konflikt selbstsüchtiger Interessen erst durch die Trübung einer ursprünglich reinen Sitte kennen gelernt: zwischen diesen beiden Extremen stellt die alte Gesellschaftstheorie die Wahl, als wenn es ein Mittleres zwischen ihnen nicht geben könne. Und doch ist die einzige unbestreitbare Tatsache auf diesem ungewissen Gebiete eben die, daß, so weit wir den Menschen in der Geschichte zurück

verfolgen oder auf niederen Kulturstufen beobachten, wir ihn überall mit den nämlichen guten und schlimmen Trieben behaftet finden, die heute wie immer die Quellen seines Glücks und seiner Leiden sind. In der Tat, die Frage, ob es ursprünglich einen einsam lebenden Menschen gegeben, ist womöglich noch undiskutierbarer als die, ob der Mensch ohne Sprache existiert habe. Denn während eine Sprache in unserem Sinne den Tieren fehlt, reichen die Formen sozialer Vereinigung und die an sie gebundenen Betätigungen von Liebe und Haß beinahe so weit zurück, als Empfindung und Wille in der lebenden Natur anzutreffen sind.

Die Betrachtung der Tatsachen des sittlichen Lebens kann daher von der Verwandtschaft, die gerade hier den Menschen mit den Tieren verbindet, nicht unberührt bleiben. Da wir rückhaltlos anerkennen müssen, daß die einfachsten Gefühle und Triebe bei Tier und Mensch von wesentlich übereinstimmender Beschaffenheit sind, werden wir auch nicht anstehen dürfen, in gewissen Erscheinungen des sozialen Lebens der Tiere die Vorstufen jener Seiten des sittlichen Lebens anzuerkennen, die wir an die Formen des Zusammenlebens geknüpft sehen. So wird die alte Frage von dem Ursprung der sittlichen Rechtsordnung in einem gewissen Sinne aus der Anthropologie in die Zoologie zurückverwiesen. So weit sie überhaupt zu erörtern ist, wird es sich nur darum handeln können, die natürlichen Bedingungen aufzuzeigen, die, allen Einflüssen geistiger Kultur vorangehend, auf der Grundlage der allgemeingültigen Triebe Verbände gleichartiger Wesen entstehen lassen.

Wenn eine solche biologische Voruntersuchung selbst jedes anderen Wertes entbehrte, so würde sie doch schon aus einem methodologischen Gesichtspunkte nützlich sein. Denn darin wenigstens befinden sich alle Vereinigungen der Tiere, so tief sie auch sonst unter den primitivsten Formen menschlicher Gesellschaft stehen mögen, mit dieser in Übereinstimmung, daß durch sie gewisse Zwecke erreicht werden, die für das Leben der Individuen oder mindestens der Mehrheit derselben förderlich sind. In allen derartigen Fällen liegt nun der Irrtum nahe, und er wird daher gewöhnlich zunächst begangen, anzunehmen, der erreichte Zweck sei zugleich die wirkende Ursache, hier speziell also das Motiv, welches den mit Bewußtsein geschehenden Handlungen zu Grunde liege. Auf die Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft angewandt empfängt dieser Irrtum in manchen unzweifelhaft aus einer Überlegung der Zwecke hervorgegangenen Tatsachen eine so augen

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