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indem sie einander bekämpfen, zugleich sich ergänzen. Wie die anthropologische Untersuchung dem Problem des Ursprungs, so ist demnach die historische vornehmlich dem der Entwicklung des sittlichen Lebens zugewandt. Stützt sich jene hauptsächlich auf Zeugnisse, die der Vor- und Urgeschichte der Kultur angehören, so entnimmt diese die ihrigen umgekehrt den reichsten Erzeugnissen des sittlichen Lebens. Denn als solche bieten die ethischen Systeme ein zusammengedrängtes und zugleich von verschiedenen Seiten her beleuchtetes Bild der sittlichen Entwicklung selbst, die, wenn sie in ihren konkreten Gestaltungen verfolgt werden sollte, in eine unabsehbare Fülle einzelner Probleme zerfallen würde. So übernimmt hier die Geschichte der ethischen Weltanschauungen eine analoge. stellvertretende Aufgabe, wie sie der Geschichte der Philosophie überhaupt gegenüber der allgemeinen Entwicklung des menschlichen Denkens zukommt.

Nach dieser zweifachen Vorbereitung, der Untersuchung des Ursprungs des sittlichen Bewußtseins und der Entwicklung der sittlichen Weltanschauungen, ist nun die systematische Aufgabe der Ethik wiederum eine doppelte. Sie hat zuerst auf der gegebenen Grundlage die Prinzipien, auf denen alle sittlichen Werturteile beruhen, ihre Enstehung und ihren Zusammenhang zu entwickeln; und daran schließt sich dann die Anwendung dieser Prinzipien auf die Hauptgebiete des sittlichen Lebens: auf Familie, Recht, Staat und Gesellschaft.

Erster Abschnitt.

Die Tatsachen des sittlichen Lebens.

Erstes Kapitel.

Die Sprache und die sittlichen Vorstellungen.

1. Der Allgemeinbegriff des Sittlichen.

a. Geschichte der Wörter: ethisch, moralisch, sittlich.

Die frühesten Zeugnisse für die Ausbildung menschlicher Vorstellungen bietet uns überall die Sprache dar. Ehe irgend eine andere Form der Überlieferung beginnt, hat sie bereits bestimmte Bezeichnungen für die das Völkerbewußtsein beherrschenden Anschauungen hervorgebracht; und das Wort ist es zugleich, das in dem Wechsel und in der Trennung einst zusammenfließender Bedeutungen ein Spiegelbild liefert für die allmähliche Entwicklung und den Wandel der Vorstellungen. Auch die Untersuchung des Ursprungs der sittlichen Vorstellungen wird daher zunächst an die Sprache ihre Fragen zu richten haben.

Aber freilich, jene Entwicklungsfähigkeit der Sprache, die vor allem in Bezug auf die Wortbedeutungen eine nie rastende ist, bringt es zugleich mit sich, daß ihre Zeugnisse nur mit Vorsicht benützt werden dürfen, wenn aus ihnen Rückschlüsse auf die ursprünglich in ihr ausgeprägten Anschauungen gemacht werden sollen. Nicht nur liegt die Gefahr nahe, daß man später entstandene Wortbedeutungen auf die frühesten Stufen der Sprache zurückverlegt, und daß man Begriffe, die einen individuellen oder in spezifisch wissenschaftlichen Bedürfnissen begründeten Ursprung haben, als primitive Schöpfungen des Volksgeistes betrachtet, sondern auch umgekehrt: ein Mangel bestimmt unterschiedener sprachlicher Zeichen darf nicht ohne weiteres als eine mangelnde Unterscheidung der Begriffe selber gedeutet werden. Ist es doch wahrscheinlich, daß eine ausgedehnte

Homonymie ursprünglich die Sprache beherrschte. Nur der in literarischen Denkmälern aufbewahrte Sprachgebrauch kann daher mit voller Sicherheit über die Existenz der Vorstellungen entscheiden; und erst wenn man im stande ist, auf diesem Wege die Geschichte eines Wortes durch alle Wandlungen seiner Bedeutung zu verfolgen, werden aus solchen Veränderungen mit einiger Sicherheit Rückschlüsse auf die Entwicklung des Bewußtseins gemacht werden können.

Diese Gesichtspunkte kommen schon bei der ersten Frage zur Geltung, die uns bei der Untersuchung der ethischen Vorstellungen auf sprachlichem Gebiete begegnet: bei der Frage nach der Entstehung und Bedeutung der Allgemeinbezeichnungen, die sich für das Gesamtgebiet des Sittlichen ausgebildet haben. Man pflegt einen tiefen und sinnigen Gedanken darin zu finden, daß die Sprache das Sittliche mit der Sitte in nächste Beziehung bringt. In der Tatsache, daß diese Anlehnung an die Sitte (mos, doc) mindestens dreimal, bei den Griechen, Römern und Germanen, sich wiederhole, glaubt man einen Beweis zu erblicken, daß es sich hier nicht um eine zufällige Verbindung, sondern um eine zwingende Vorstellung des menschlichen Bewußtseins handle. Ja es wird zuweilen als ein besonderes Verdienst der deutschen Sprache betrachtet, daß sie durch die selbständiger gewordene Bezeichnung den Begriff der Sittlichkeit deutlicher von Sitte und Recht gesondert habe, als dies bei den Griechen, Römern und altorientalischen Völkern der Fall gewesen*). Die wirkliche Geschichte des Wortes vermag diese Vermutungen nicht zu bestätigen. Weder auf deutschem noch auf römischem Boden hat sich die Anlehnung des Sittlichen an die Sitte unabhängig vollzogen, sondern sie ist nach dem Vorbild des griechischen Wortgebrauchs entstanden; und auch hier ist sie nicht eine ursprüngliche Handlung des Völkerbewußtseins, sondern eine persönliche Tat, die keinen geringeren als den großen realistischen Ethiker der Griechen, Aristoteles, zu ihrem Urheber hat. Indem er die ethischen Tugenden von denjenigen der vernünftigen Einsicht (den dianoëtischen) sonderte, wonach dann von seiner Schule die Erörterungen über das ganze Gebiet allgemein als „Ethisches" (ná) bezeichnet wurden, hatte er zunächst das os im Sinne von Charakter und Gemüt im Auge. Da er nun aber den Haupteinfluß auf die Entstehung und Befestigung der sittlichen

*) R. v. Jhering, Der Zweck im Recht, II, S. 50, 59.

Eigenschaften bei den Verstandestugenden der Belehrung, bei den Charaktertugenden der Übung einräumte, schien ihm diese Beziehung schon durch die nahe Verwandtschaft der Wörter os und dos nahe gelegt*). Auch die neuere Sprachwissenschaft betrachtet diese Wörter als ursprünglich identisch, und sie hat sich also hier für den etymologischen Versuch des alten Philosophen entschieden. Aber in dem Sprachgebrauch seiner Zeit wurde doch die Bedeutung beider als eine verschiedene empfunden. Während das dos, ähnlich dem stammverwandten lateinischen consuetudo, mehr die äußere Angewöhnung betonte, hat bei dem os der früh eingetretene und noch bei Homer erhaltene engere Gebrauch für die Wohnstätte von Menschen und Tieren eine Übertragung auf die durch die vertraute Umgebung bewirkte Gemütsstimmung hervorgerufen, ein Bedeutungswandel, wie er so häufig der Bildung von Bezeichnungen für Seelenzustände und geistige Eigenschaften zu Grunde liegt. Sicherlich hat Aristoteles, als er die auf Gemüt und Charakter beruhenden Tugenden die ethischen nannte, zunächst nur an jene übertragene Bedeutung gedacht, durch die für uns heute noch das Ethos" einen von der Sitte spezifisch verschiedenen Sinn besitzt, und die etymologische Beziehung auf das ähnlich klingende Wort, das ihm in der Bedeutung Gewohnheit“ geläufig war, ist ein Gedanke, der dem Philosophen erst durch seine ethische Theorie nahegelegt wurde; schwerlich aber verdankt umgekehrt diese Theorie jener dem allgemeinen Sprachbewußtsein längst entschwundenen etymologischen Beziehung ihre Entstehung.

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Die Römer, wie sie in ihrer philosophischen Terminologie überhaupt auf Entlehnungen aus dem Griechischen angewiesen waren, haben auch auf ethischem Gebiet sich solcher bedient, und so vor allem den Ausdruck moralis", der dann der „philosophia moralis“ das Dasein gegeben, im direkten Anschlusse an Aristoteles geschaffen. Cicero bemerkt an der Stelle, wo er das Wort einführt, ausdrücklich, daß er es, um die lateinische Sprache zu bereichern", dem Griechischen xóc nachgebildet habe**). Daß das römische Wort „mos" keineswegs mit dem Ethos im aristotelischen Sinne sich deckt, blieb dabei freilich unbeachtet, da der Römer bei seinem mos, mores ursprünglich nur das Äußere der Sitte sowie die Eigenschaft, sein eigenes Betragen nach der herkömmlichen Ord

*) Ethic. Nicom. B, 1, und damit nahe übereinstimmend Magn. moral Α, 6: τὸ γὰρ ἦθος ἀπὸ τοῦ ἔθους ἔχει τὴν ἐπωνυμίαν.

**) Cicero, De fato, 1. (Opera ed. Orelli, IV, p. 567.)

nung einzurichten, im Auge hatte. Erst in spätlateinischer Zeit ist aus dem Adjektivum moralis die moralitas entstanden *). Aus dem Latein der Kleriker, in welchem dieses Wort eine rasch wachsende Verbreitung gewann, ist es dann in die neueren romanischen Sprachen und das Englische übergegangen. Unser deutsches Wort „sittlich" aber in seiner mit moralis zusammenfallenden Bedeutung ist höchst wahrscheinlich nichts anderes als eine Art Übersetzung des letzteren, der dann in ähnlichem Sinne die Übertragung der moralitas in das Substantivum Sittlichkeit nachgefolgt ist. Hierfür spricht der Umstand, daß noch im Mittelhochdeutschen das Wort sittlich (sitelich) ausschließlich im Sinne unseres sittig", für bescheiden, anständig, der Sitte gemäß gebraucht wird, während das Wort Sittlichkeit überhaupt fehlt**).

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Nehmen wir zu dem Resultat dieser auf den Sprachgebrauch der uns nächsten Kulturvölker gehenden Beobachtungen noch die Tatsache hinzu, daß überall, wo wir sonst das natürliche Sprachbewußtsein befragen, dieses immer nur einzelne Tugenden und sittliche Vorzüge zu benennen weiß, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß der Gesamtbegriff des Sittlichen überhaupt erst eine Tat des wissenschaftlichen Nachdenkens sei. Nicht als ob es dem ursprünglichen Bewußtsein ganz und gar an den Vorbereitungen hierzu gemangelt hätte. Lob und Tadel sind gegenüber den Handlungen unserer Mitmenschen so natürliche Äußerungen, daß sie schon auf der rohesten Stufe des sittlichen Unterscheidungsvermögens nicht gefehlt haben können; und sobald sie vorhanden waren, mußte auch das Lobenswerte, so verschieden es im einzelnen sein mochte, als ein Zusammengehöriges empfunden werden. Doch zwischen dieser instinktiven Vorausnahme und der bewußten Verbindung der besonderen Gestaltungen des Sittlichen in einen Begriff liegt eine Arbeit des abstrakten Denkens, die überall erst von der Wissenschaft geleistet wurde. Da die Begriffsbildungen der letzteren immerhin den

*) Die Lexika nennen Macrobius als den Schriftsteller, der zuerst das Substantivum moralitas gebrauchte. Die einzige Stelle, an der bei Macrobius das Wort vorkommt (Sat., Lib. V, c. 1, 16), enthält es aber nicht im Sinne von Sittlichkeit, sondern es ist von der „moralitas stili", vom Charakter des Stils, die Rede. Nach Ducanges Glossarium nov. ad script. med. aev. ist der ungefähr um dieselbe Zeit (Ende des vierten Jahrh.) lebende Kirchenvater Ambrosius der erste, der moralitas im Sinne von morum probitas anwendet.

**) M. Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 2. Aufl., 1881.

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