feindliche Stämme, zugleich die Quelle seiner allmählichen Auflösung und damit der in eminentem Maße friedlichen Gesellschaftsform, der Familie, geworden ist. Denn die Grundlage jener sozialen Unterschiede, die zur Selbständigkeit des einzelnen Herdes führten, ist aller Wahrscheinlichkeit nach das Ansehen im Kampf und der als Kriegsbeute erworbene Reichtum an Waffen, an Viehherden und Sklaven gewesen. Doch die gleiche Macht, die den Männerbund löste, der Kampf, der nun zugleich der Verteidigung des eigenen Herdes und Besitzes oder der Vermehrung des letzteren diente, er ließ in der Vereinigung zu Krieg und Spiel und in der fortdauernden Fürsorge für gemeinsame Angelegenheiten nun auch die Männervereinigung neben der Einzelfamilie fortbestehen. So ergab sich ein gewisses Gleichgewicht zwischen jenen einander widerstrebenden Kräften, die den beiden sozialen Grundtrieben des Menschen entstammen. Aus der Vereinigung der Männer erwuchs der Staat, aus der dauernd gewordenen Ehegemeinschaft die Familie, und beide fügten sich organisch ineinander, indes je nach dem Übergewicht, das die äußeren Lebensbedingungen einem jener beiden Grundbestandteile verliehen, die Formen der gesellschaftlichen Organisation im einzelnen mannigfach wechseln konnten. In diesem Konflikt und Ausgleich der sozialen Kräfte verdankt nun aber die Familie die hervorragende Bedeutung, die ihr in der entwickelten Gesellschaft als dem engsten Lebensverbande zukommt, wiederum in erster Linie einer äußeren Bedingung: dem Wohnen in einer Hütte, an das sich dann auch jene religiösen Ideen knüpften, die der Mensch überall mit seinen höchsten Interessen verbindet. Nun erst wurde es natürliches Bedürfnis, bei der Einführung der Frau in die fortan gemeinsame Wohnstätte die Schutzgötter des Hauses, die von jetzt an auch ihre Schutzgötter waren, anzurufen. Die Eheschließung wird zu einem Feste, an das ein gemeinsames Mahl mit gemeinsamem Opfer sich anschließt. Indem der Frau die in Abwesenheit des Mannes in der Hütte waltet, die Unterhaltung des Herdfeuers obliegt, ist sie es, die das tägliche Opfer besorgt, und die darüber wacht, daß der Kultus der häuslichen Götter nicht verabsäumt werde. So erhebt sich das Weib zur Priesterin des Hauses, ein Wandel ihrer Stellung, der ihren eigenen Wert hebt und die Ehe veredelt. Nun ist es die Frau, deren Stimme in allen häuslichen Angelegenheiten gehört wird, die Mutter, die der Tochter das feierliche Geleit in die Wohnung des für sie gewählten Gatten gibt, oder die Neuvermählte des Sohnes an der Schwelle des Wohn hauses in Empfang nimmt. Bei Germanen, Griechen und Römern werden darum als Schutzgötter des häuslichen Herdes weibliche Gottheiten verehrt. So hat, wenn auch die Ehe an sich nicht religiösen Ursprungs ist, doch die Erhebung der Eheschließung zu einem Akt von religiöser Bedeutung anscheinend diesem Lebensverhältnis einen sittlichen Inhalt gegeben, oder, wie wir es vielleicht zutreffender ausdrücken, in dem Augenblicke, wo sich unter dem Zwang äußerer Lebensbedingungen die Ehe versittlichte, sind zugleich religiöse Gefühle und Vorstellungen in sie eingedrungen, um nun ihrerseits, gemäß der überall sich betätigenden Wechselwirkung, den sittlichen Gehalt dieses Lebensverhältnisses selbst zu vertiefen. b. Mutter- und Vaterrecht. Die Erhebung der Ehe in den Gesichtskreis der religiösen Vorstellungen übt neben dieser direkten noch eine indirekte, in ethischer Beziehung nicht minder wertvolle Wirkung aus. Sie besteht darin, daß durch die neue Auffassung die primitiven Vorstellungen zurückgedrängt werden, die zwar für eine frühe Zeit des sittlichen Momentes nicht entbehren, auf die Dauer aber der Versittlichung des Lebensverhältnisses hindernd im Wege stehen. Solch primitiver Vorstellungen begegnen uns zwei, die eine an ursprüngliche mythologische Ideen, die andere an natürliche Rechtsanschauungen anknüpfend. Die erste nimmt das Weib, die zweite den Mann zum Mittelpunkt der Familie. Beide scheinen sich demnach auszuschließen; trotzdem können sie vermöge jener Fähigkeit Widersprechendes zu verbinden, die dem mythologischen Denken überall eigen ist, auf gewisse Zeit nebeneinander hergehen, namentlich aber in den Nachwirkungen, die sie in Sitte und sittlichen Anschauungen hinterlassen, ineinander eingreifen. Es bleibe dahingestellt, ob diejenige Vorstellung, die in der Mutter die lebendige Trägerin der Familieneinheit erblickt, stets die ältere sei, der die andere, die den Vater an diese Stelle setzt, erst nachfolgte, wie dies viele Kulturhistoriker annehmen*). Für unsere Zwecke genügt es, die Motive, aus denen diese beiden Anschauungen entsprungen sind, als ursprünglich nebeneinander hergehende Faktoren anzuerkennen, die aber später teilweise verschmelzen und ihre Gegensätze ausgleichen, ein Vorgang, *) Vgl. Jul. Lippert, Geschichte der Familie, 1884. Morgan a. a. O. S. 323 ff. ! der wahrscheinlich durch die hinzutretende religiöse Heiligung der Ehe gefördert wird. Der erste und, wenigstens da, wo beide sich ausgebildet haben, älteste jener die Gestaltung der Ehe und der Familie ursprünglich bestimmenden Gedankenkreise wurzelt in der Vorstellung der Blutsverwandtschaft. Die Mutter ist es, von der nach einer überall verbreiteten primitiven Anschauung, die noch in das heroische Zeitalter der Kulturvölker hineinragt, das Kind abstammt; von dem Vater ist es abhängig, sobald dieser als das gebietende Haupt der Familie angesehen wird, aber es ist ihm nicht blutsverwandt. Diese durch die Vorgänge der Geburt und ersten Ernährung von selbst sich aufdrängenden Vorstellungen haben besonders da Gelegenheit sich auszubilden, wo der Mann ein unstetes, in Jagd und Kampf ihn an die eigenen Geschlechts- und Altersgenossen fesselndes Leben führt, während der Frau die Sorge für die heranwachsende Generation überlassen bleibt. Je mehr auf diese Weise das Band zwischen Vater und Sohn sich lockert, umsomehr muß jene natürliche Vorstellung von der Gemeinschaft zwischen Mutter und Kind Raum gewinnen, um in alle Lebensverhältnisse einzudringen. Je freier die Stellung des Mannes, und je weniger ihn eine dauernde Pflicht an seine Hütte bindet, umso eher kann es nun aber auch kommen, namentlich wenn Weibermangel hinzutritt, daß sich mehrere Stammesgenossen in das nämliche Weib teilen, so daß jene Erscheinungen einer Polyandrie entstehen, die von älteren Anthropologen zuweilen für a priori unmöglich erklärt wurden. Wenn sie auch dies gewiß nicht sind, und in den Vorstellungen des Mutterrechts ihre natürliche Quelle haben, so bildet doch die größere physische Kraft des Mannes einen naheliegenden Grund für die verhältnismäßig größere Seltenheit jener dem Vorherrschen des Weibes in der Familie entsprechenden Form der Ehe. Diese Beschränkung beruht daher auf der nämlichen Ursache, die überhaupt die Entwicklung des Mutterrechts frühe gehemmt und in die Bahnen des Vaterrechts eingelenkt hat. Eine bleibendere Bedeutung haben sich andere Sitten errungen, die, gleichfalls aus dem Mutterrecht entstanden, nicht das Verhältnis der Gatten, sondern das der Eltern und Kinder angehen. Da nach strengem Mutterrecht nur die Mutter ihren Kindern blutsverwandt ist, so entspringt hieraus mit der Ausbildung geregelter Besitzverhältnisse das Prinzip der weiblichen Erbfolge. Die Tochter ist die Erhalterin der Stammesgemeinschaft; von dem Oheim, nicht von dem Vater erbt das Kind. Der letzte Rest dieser Anschauungen, der noch tief in Zeiten hineinreicht, in denen ein anderes Recht die Herrschaft erlangt hatte, besteht in der Rolle, die bei Germanen, Griechen und Römern die Mutter als Schützerin des häuslichen Herdes und bei der Übergabe der Tochter oder des Sohnes zur Eheschließung spielt. Die Pietätspflicht, die noch späterhin besonders den Sohn mit der Mutter verbindet, erscheint als eine Nachwirkung dieser ursprünglichen Sitten. Wie hoch das vor allem durch die Mutter hergestellte Band der Blutsverwandtschaft lange Zeit auch in der religiösen Vorstellung über der Heiligkeit des Ehebündnisses selbst steht, dafür ist die Orestessage ein sprechendes Zeugnis. Den Muttermörder Orest verfolgen die Erinnyen, während sie die Gattenmörderin Klytämnestra verschonen, da es kein Blutsverwandter war, den sie gemordet hatte. Indem die Sage den von dem Sohn gerächten Mord des Vaters zum Motiv der Handlung nimmt, bewegt sie sich schon in dem Gedankenkreis einer neuen Zeit; aber zum religiösen Hintergrund hat sie die ältere Anschauung: so ist der tragische Konflikt zugleich ein Kampf zweier Zeitalter. Treffend hat diesen Kampf in seinen mythologischen Repräsentanten, den Erinnyen auf der einen, dem Apollon und der Athene auf der anderen Seite, Äschylos in dem dritten Stück seiner Orestie zum Ausdruck gebracht; und sinnig hat dabei zugleich der Dichter die Einsetzung des ersten menschlichen Gerichtshofes, des Areopags, als eine Tat der Versöhnung der alten Rachegöttinnen mit den neuen Göttern geschildert. In wesentlich andern Anschauungen wurzelt der zweite für die Entwicklung der Familie bestimmend gewordene Gedankenkreis, der des Vaterrechts. Nicht der Begriff der Blutsverwandtschaft ist es, mit dem er, wenigstens ursprünglich, zusammenhängt, sondern der des Besitzes. Nachdem ein persönliches Eigentum entstanden ist, und nachdem mehr und mehr die ursprüngliche Männergenossenschaft sich aufgelöst hat, kann es nicht ausbleiben, daß der Mann vermöge seiner überwiegenden Kraft und seiner hervorragenderen Beteiligung am Erwerb die Herrschaft im Hause an sich reißt. Die Vorstellung der Machtbefugnis über das bewegliche und unbewegliche Gut der Familie überträgt sich dann aber in einer rohen, den Wert der Persönlichkeit nicht achtenden Zeit unvermeidlich auf die Familienglieder selbst. Vor allem die Kinder gelten nun als ein Eigentum des Mannes, über das er nach Willkür verfügen kann. Dem Neugeborenen schenkt er erst das Leben, indem er es auf nimmt und für sein Eigentum erklärt. Wie er die Erstlinge des Feldes und der Herden den Göttern als Opfer bringt, so bildet auch das Kindesopfer, namentlich das des Erstgeborenen, einen Bestandteil des Opferkultus. Weiter noch als die Spuren des Mutterrechtes finden sich Sitten verbreitet, in denen dieses väterliche Besitzrecht zum Ausdruck gelangt ist. Namentlich ist es bei Indogermanen und Semiten von frühe an herrschend. Unter den Beschäftigungen einstiger Kulturstufen ist die des Nomaden wie der Ausbildung der Besitzverhältnisse überhaupt, so insbesondere auch der Befestigung der väterlichen Gewalt vorzugsweise günstig. Es bindet den Mann fester an sein Zelt, und die häufigeren Kämpfe mit feindlichen Horden machen es seiner physischen Kraft leichter sich Geltung zu verschaffen. Indem aber das Nomadentum einen engeren Zusammenhalt der Familien gleicher Abstammung begünstigt, besitzt in ihm zugleich der Stammesverband die Vorherrschaft über die Einzelfamilie. Über der unmittelbaren väterlichen Gewalt steht darum hier nicht selten die eines weiteren Familienhauptes, die eine patriarchalische Familienordnung begründet. Wo unter dem Einfluß des seßhaften Lebens die Einzelfamilie strenger sich absondert, da gelangt hinwiederum das väterliche Besitzrecht zu unumschränkterer Geltung. Die schärfere Sonderung des individuellen Eigentums erhöht zugleich das Selbstgefühl des Einzelnen, und der Sklavenbesitz gewöhnt ihn an den Gedanken, daß auch Leib und Leben der Seinen ihm als Eigentum angehören. Damit ist die Sitte der Polygamie von selbst gegeben. Durch den Gesichtspunkt des Besitzes gerechtfertigt und durch die Sklaverei begünstigt, hat sie dereinst, wie es scheint, bei allen Völkern, bei denen das Vaterrecht zur Geltung gelangt war, zwar nicht ausschließlich, aber doch überall da geherrscht, wo sie durch den Besitzstand ermöglicht wurde. c. Die Familie als sittliche Lebensgemeinschaft. Langsam hat sich die Frau aus der niedrigen Stellung emporgerungen, in die sie das Besitzrecht des Mannes gezwungen hatte. Mehrere Einflüsse haben, so viel sich sehen läßt, zu diesem Ergebnis zusammengewirkt. Der erste Schritt, am frühesten wohl von semitischen Völkern zurückgelegt, bestand in der Ausdehnung des Begriffs der Verwandtschaft von der Mutter auf den Vater. Wurden damit die Eltern beide in ihrem Verhältnis zu den Kindern einander gleich |