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Verleiht die Unhaltbarkeit der Vertragstheorie der zweiten Ansicht ein gewisses Übergewicht, so wird dieses zunächst durch den Umstand verstärkt, daß sie keineswegs, wie die erste, als eine bloße Fiktion erscheint, sondern daß ihr die Existenz patriarchalischer Staatseinrichtungen eine gewisse Stütze in der Erfahrung gewährt. Diese Entstehung, die schon von Aristoteles der von Plato gelehrten Bildung des Staates aus einer Vereinigung der Einzelnen gegenübergestellt wurde, findet daher noch heute unter denen, die überhaupt den Staat in die natürliche Entwicklung der Gesellschaft einschließen, zahlreiche Anhänger. Doch bei näherer Prüfung verlieren jene Zeugnisse, die man aus patriarchalischen Urzuständen der Kulturvölker oder aus den Staatseinrichtungen heutiger Naturvölker für eine derartige Entstehung beibringen kann, zusehends an Gewicht. Teils erweist sich die patriarchalische Verfassung keineswegs als ein Anfang der Entwicklung, wie die Anhänger dieser Theorie voraussetzen; teils sind die patriarchalischen Einrichtungen selbst nicht so beschaffen, daß sie, wie jene Annahme fordert, aus der Einzelfamilie abgeleitet werden könnten. Gewinnt doch, wie wir oben sahen, die Einzelfamilie selbst erst auf einer späteren Stufe ihre festere Gestaltung. Der patriarchalische Familienverband ist aber sichtlich unter der Einwirkung jener friedlichen Entwicklungen, welche den Einfluß der Männerverbände zurückdrängten, aus der Einzelfamilie hervorgewachsen, ein Vorgang, der, begünstigt durch die Entstehung festerer Besitzverhältnisse, mit der Ausdehnung der väterlichen Gewalt auf die zusammenwohnenden Familiengenossen von selbst sich vollzog. Doch so natürlich diese Entwicklung ist, und so große Bedeutung sie unter den ihr günstigen Bedingungen besitzen mochte, so ist sie gleichwohl nur eine singuläre Erscheinung; und wo die Lebensverhältnisse dauernd in diesem Rahmen friedlicher Kultur verblieben sind, da hat die menschliche Gesellschaft die Stufe ursprünglicher Gentilverfassung wahrscheinlich nie überschritten. Vielmehr ist nicht die Gesellschaft, wie dereinst Hobbes annahm, wohl aber der Staat aus dem Kampf hervorgegangen, freilich nicht aus dem Kampf der Einzelnen, sondern aus dem Kampf der Stammesverbände um Herrschaft und Besitz. In diesem Kampf haben nun naturgemäß nicht die Familien die Führung, sondern die wehrfähigen Männer. Der Boden, auf dem die Staaten erwachsen, sind daher jene Männergesellschaften der primitiven Kultur. Sie können bald direkt in eine Art staatlicher Organisation hinüberführen, bald auch, wenn friedliche, der

Familienbildung und patriarchalischen Ordnung günstige Zustände durch Zwist und Kampf gestört werden, in den kriegerischen Verbänden der wehrfähigen Männer neu erstehen. So erklären sich jene eigentümlichen Zwischenzustände, wie sie bei den nordamerikanischen Indianern beobachtet wurden, wo beide Verfassungen der Gesellschaft ineinander greifen und gelegentlich sogar in der Doppelherrschaft eines Kriegs- und eines Friedenshäuptlings ihren Ausdruck finden *), oder aber auch Erscheinungen, wie sie die Geschichte der islamitischen Araber zeigt, wo die Überlieferungen auf patriarchalische Zustände einer entfernteren Zeit zurückweisen, die, in diesem Fall unter der starken Mitwirkung religiöser Motive, beinahe ganz und gar einer militärischen Organisation Platz gemacht haben **). Es gibt, abgesehen von allen sonstigen direkten Zeugnissen, vornehmlich eine Erscheinung, die auf diesen Ursprung des Staates aus dem Kampf der Stämme deutlich hinweist. An den verschiedensten Orten unabhängig entstanden und über die entlegensten Erdgebiete, von den Hochebenen Perus bis in die Wälder Germaniens verbreitet, beruht sie trotz der Gleichförmigkeit, mit der sie auftritt, allem Anscheine nach auf willkürlicher Satzung, in vollem Gegensatze zu jenen natürlichen Gliederungen, aus denen die ursprüngliche Gentilverfassung hervorwuchs. Diese Erscheinung besteht in der Gliederung der wehrfähigen Mannschaft in Gruppen von Hundert, oder, wenn diese wieder in größere Ordnungen zusammengefaßt werden, von Tausenden und Zehntausenden. Sicherlich ist es einerseits die taktische Zweckmäßigkeit, die für diese natürlich immer nur annähernd festgehaltenen Zahlen maßgebend war, teils aber hat hier wohl die gleiche Assoziation mit den zehn Gliedern von Hand und Fuß eine Rolle gespielt, die auch die Zählmethoden der Völker in merkwürdiger Übereinstimmung beherrscht. Wie die militärische Organisation den Zusammenhalt der Gentilgenossen zerstörte, um allmählich auch in friedlichen Zuständen die der Gemeinde-, der Berufs-, der Kultgenossen und, als Überlebnisse der alten Männerbünde, die der Altersgenossen an deren Stelle zu setzen, so hat sie auch die patriarchalische Familie, wo eine solche bestand, aufgelöst, um der Einzelfamilie ihre Selbständigkeit wiederzugeben. So ist die staatliche Gesellschaftsordnung, gemäß ihrem Ursprung aus der überall Plan und Vorbedacht fordernden

*) Morgan, Die Urgesellschaft, S. 52 ff.

**) Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islam, 1868, S. 309 ff.

kriegerischen Tätigkeit, in ungleich höherem Grad eine Schöpfung der Willkür als der Stammesverband, aus dem sie hervorging, wenngleich auch diese Willkür unter der Wirkung von gleichen Bedingungen aller Orten wieder nach den gleichen Gesetzen handelt. Zugleich führt aber diese aus dem Kampf erwachsene staatliche Organisation neue Bedingungen mit sich, die zusammen mit der fortschreitenden Kultur, wie sie aus der Besitz- und Arbeitsteilung und aus dem zunehmenden Verkehr der Völker entspringt, mehr und mehr auch die friedliche Ordnung der Gesellschaft verändern.

f. Die Entwicklung der Staatsformen,

Nach allem leidet es keinen Zweifel, daß bei der Entwicklung des Staates aus dem ursprünglichen Stammesverband zwei Bedingungen sich gekreuzt haben. Die eine beruht auf der durch die Entwicklung von Sondereigentum und Arbeitsteilung allmählich erfolgenden Entstehung der Einzelfamilie und der gleichzeitigen Umwandlung der dauernden Männergemeinschaft in zeitweilige, der Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten dienende Versammlungen der Stammes- oder Familienhäupter. Dies ist der Weg der friedlichen Entwicklung. Sie bewahrt in vielem noch die Züge der ursprünglichen, vorstaatlichen Gentilverfassung. Aber durch das Ansehen, das sich einzelne Stammeshäupter durch Reichtum und persönliches Ansehen erringen, und durch die Stütze, die dieses Emporkommen herrschender Familien und ihrer Häupter in den von dem friedlichen Wachstum der Gesellschaft begünstigten patriarchalischen Einrichtungen findet, tragen vielfach schon diese inneren, der fortschreitenden Entwicklung der Sippengemeinschaft selbst angehörenden Bedingungen den Zug nach einer politischen Organisation in sich, und sie besitzen eben darum auch die Fähigkeit, in diese manche der Eigenschaften und Einrichtungen der älteren Stammesverbände hinüberzutragen. Die zweite, entscheidendere Bedingung zur Ausbildung staatlicher Gesellschaftsformen ist der Kampf der Stämme. Was der friedliche Zustand nur langsam und unvollkommen zu stande bringt, den vorherrschenden Einfluß einzelner, von sich aus die Leitung und Organisation der Gesamtheit planmäßig leitender Stammeshäupter, das bewirkt der Krieg, gleichzeitig unter dem Gebot der Not und durch die Gunst, die er der Betätigung persönlicher Tüchtigkeit und ihrer bewundernden Anerkennung gewährt. So durchbricht der Krieg die Schranken

der alten Familienverbände, und indem er den persönlichen und rein menschlichen Eigenschaften gegenüber den äußeren des Reichtums und der Geburt Geltung verschafft, liegen in ihm, so manche sittliche Gefahren auch von Anfang an die Leidenschaften des Kampfes und die in ihrem Gefolge sich einstellenden Triebe nach Raub und Rache mit sich führen mögen, doch zugleich die frühesten Motive für die Ausbildung des sittlichen Charakters der Einzelnen und des Wetteifers in der Bewährung einer persönlichen Tüchtigkeit, die der Gesamtheit so gut wie ihren Trägern zu gute kommt. Gleichzeitig wirken die Erfordernisse der kriegerischen Organisation auflösend auf die alten Familienverbände. Vor der Verbindung durch gemeinsame Abstammung gewinnt, durch die Aushebung für den Krieg nahe gelegt, die Verbindung der Zusammenwohnenden den Vorzug, und indem das im Krieg erworbene Ansehen noch im Frieden nachwirkt, wird mehr und mehr auch hier neben Besitz und Sippengemeinschaft die persönliche Tüchtigkeit von maßgebendem Wert für die Stellung und den Einfluß des Einzelnen. So entspringt aus dem Krieg der Stämme jenes persönliche Herrschertum, das, wie schon Aristoteles erkannt hat, der Anfang aller Staatenbildung ist. Doch hat es die Grundlagen der alten Stammesverfassung kaum jemals ganz vernichtet, und da hinwiederum die letztere nirgends ungestört von äußeren Gefährdungen sich entwickeln kann, so greifen beide Momente meist so ineinander, daß in der Regel nur von einer überwiegenden Beteiligung des einen oder des andern die Rede sein kann. Vielleicht zum vollkommensten Gleichgewicht sind dieselben bei den indogermanischen Stämmen gelangt. Selbst so früh getrennte Völker wie die Inder und Germanen zeigen hier wesentlich übereinstimmende Einrichtungen: eine Gauverfassung, die in Dorfgemeinde, Gau und Stamm sich abstuft; eine patriarchalische Gestaltung der unteren Glieder dieser Reihe; sodann die Zusammenfassung des Stammes unter einem im Kriege emporgekommenen, aber durch die Häuptlinge beschränkten Wahlkönigtums. Daran schloß sich erst im Gefolge größerer Völkerbewegungen die Verbindung mehrerer Stämme unter einer die Oberherrschaft an sich reißenden einzelnen Persönlichkeit*). Auch das Königtum der griechischen Heroenzeit zeigt diese beiden Einflüsse vereinigt, mit einem Übergewicht des patriarchalischen Elementes. Bemerkens

*) Vgl. Zimmer, Altindisches Leben, S. 158 ff. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, S. 229 ff.

wert ist es, daß das letztere in sprachlichen Ausdrücken nachwirkt, selbst wo seine reale Bedeutung verblaßt ist. Homer nennt die Könige die Hirten der Völker und vergleicht den milden Herrscher Odysseus mit einem Vater. Noch heute führt der russische Czar diesen Titel, wie denn bei den Slawen auch in der Verfassung der Gemeinden zahlreiche Reste patriarchalischer Zustände erhalten sind.

Diese Vermischung der Bedingungen trägt nun weiterhin die Keime zu den mannigfaltigsten, durch die besonderen historischen Verhältnisse bestimmten Entwicklungen in sich. Bald gewinnt, wie in Indien, der Gegensatz zu einer unterworfenen Bevölkerung den entscheidenden Einfluß: die Stammestrennung überträgt sich auf die Stände des erobernden Volkes selbst, und die Macht des Königtums wird so durch seine eigene Unterordnung unter das Gesetz der Ständescheidung ermäßigt. Bald gelingt es, wie in Griechenland und Rom, den eifersüchtigen Stammeshäuptern das Königtum zu stürzen und ein aristokratisches Gemeinwesen zu gründen, das, nachdem das öffentliche Leben in einem städtischen Bürgertum größere Ausdehnung gewonnen, dem Streben der Massen nach Einfluß allmählich weichen muß, worauf der unvermeidliche Rückschlag der Demokratie in den Despotismus nicht ausbleibt. Bald kommen endlich, wie bei den germanischen und slawischen Völkern, umfassendere Völkerbewegungen der frühen Konsolidation größerer Reiche zu statten. Indem diese die republikanische Organisation städtischer Gemeinwesen, wie derer des Altertums, von vornherein unmöglich machen, führen sie zur Bildung absoluter Monarchien, in denen zuerst einzelne Verbände, Städte und Stände, dann die Massen der Bevölkerungen durch ein System von Einrichtungen der Selbstverwaltung und von Vertretungen einen Einfluß zu erringen suchen. Nur zwei Züge sind diesen im übrigen so vielgestaltigen Entwicklungen gemein. Der eine besteht in dem Expansionsbestreben der Staaten. Hat dasselbe, wie im römischen Weltreich oder in der Monarchie Karls des Großen, zu weit geführt, so folgt als Rückschlag die Zertrümmerung des den Staatszwecken nicht mehr genügenden Ganzen. Der zweite Zug besteht in dem fortwährend wachsenden Streben nach Beseitigung aller von individueller Willkür eingegebenen egoistischen Einflüsse, und in einer demgemäß immer bestimmter hervortretenden Verlegung der Staatszwecke in das Gemeinwohl. Auch diese Tendenz kommt nicht widerstandslos und nicht ohne mannigfache Rückfälle zum Durch

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