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Unterschiede bietet, so sind auch auf moralischem Gebiet die Abweichungen nach oben und unten von einem mittleren Zustande unerheblichere. Könnte darum nicht, wenn man nur auf die Gesamtsumme der Güter und Übel blickt, der größere Wert des Guten, der auf der Höhe der Kultur erreichbar ist, durch die Steigerung des Schlechten überwogen werden? Und würde dann nicht jener ursprüngliche Zustand, wo der Mensch zwar das Gute noch nicht in seinen schönsten, aber auch das Schlechte nicht in seinen häßlichsten Formen kennt, an sich vorzuziehen sein? In der Tat, diese Frage ist aufzuwerfen. Aber es ist ebenso gewiß, daß sie niemals zu beantworten ist, wenigstens in dem Sinne nicht, in dem eine solche Antwort allein einen ethischen Wert hätte, unter der Voraussetzung nämlich, daß dem Menschen die Wahl zwischen verschiedenen Kulturstufen freistünde, ähnlich wie er zwischen verschiedenen möglichen Handlungen die bessere wählen kann. Niemand aber kann sich das Zeitalter wählen, in dem er zu leben wünscht. Wir können die Helden der homerischen Welt oder das Rittertum des Mittelalters bewundern; wir können sogar subjektiv der sittlichen Anschauungsweise der einen vor der einer anderen Zeit, ja vor der unserer eigenen den Vorzug geben. Aber es gibt keine Zeit und keine Kultur, die wir als ein allgemein gültiges Vorbild für alle Zeit hinstellen könnten. Denn dies würde das Verlangen in sich schließen, daß das geistige Leben rückwärts gehe oder stille stehe. Darin bestand das Ungesunde und bisweilen Lächerliche der Bestrebungen der Romantik, daß sie das Mittelalter nicht bloß bewunderte, sondern es in der modernen Kunst und sogar in dem modernen Leben wiederherstellen wollte, daß also z. B. Protestanten katholisch wurden, weil das Mittel

alter katholisch gewesen war. Jeder Mensch steht in seiner Zeit und innerhalb ihrer Kultur, und eine andere ist für ihn außer Frage. Wenn diese Kultur sittliche Gefahren in sich birgt, die eine andere nicht gekannt, so liegt also darin nur eine Aufforderung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft, diesen Gefahren entgegenzuwirken, und mitzuhelfen, daß die günstigen Elemente der Kultur über die ungünstigen den Sieg davontragen.

Selbst vom Standpunkte jener bloß subjektiven Wertschätzung aus, die gewisse Kulturstufen um ihrer sittlichen Eigenschaften willen bevorzugt, ohne sie darum wieder zurückrufen zu wollen, ist aber zu beachten, daß wir die sittlichen Tatsachen nicht, wie etwa die Gegenstände der Natur, als in allen ihren Eigenschaften gegeben ansehen dürfen, die so, wie sie sind, angenommen oder verworfen

werden müssen. Wie das sittliche Leben des Einzelnen in dem freien Willen seine ursprüngliche Quelle hat, so unterliegen auch seine äußeren Bedingungen wieder der freien Wahl dessen, der sie auf sich einwirken läßt. Wenn die höhere Kultur ebensowohl größere Gefahren wie reichere Hilfsmittel zur Vervollkommnung des sittlichen Lebens bietet, so sind dies nicht Naturkräfte, die unter allen Umständen einander ganz oder teilweise aufheben müssen, sondern entgegengesetzte Motive, zwischen denen zu wählen ist. Frägt man daher nicht, welche Folgen die Kultur überhaupt mit sich führen kann, sondern wie die Frage, da Kultur und Sittlichkeit einander durchkreuzende, nicht sich deckende Gebiete sind, von Rechts wegen allein gestellt werden darf welche Hilfsmittel sie dem Willen zur Verfügung stellt, der sich zum Guten entschieden hat, so kann nicht mehr bezweifelt werden, auf welcher Seite der Vorzug zu suchen sei.

3. Allgemeine Ergebnisse.

a. Die psychologischen Elemente der Sittlichkeit.

Die Begriffe gut und böse, sittlich und unsittlich sind in den vorangegangenen Betrachtungen vorläufig überall in ihrem einem ziemlich unbestimmten Sprachgebrauch entnommenen Sinne verwendet worden, wobei dahingestellt bleiben mußte, ob diese Begriffe wirklich in dem allgemeinen Bewußtsein hinreichende Klarheit besitzen, und ob sie überhaupt bestimmt zu begrenzen seien. Da nun die sittlichen Vorstellungen, wie wir sahen, mit den veränderlichen Bedingungen der Naturumgebung wie des Kultureinflusses selbst sich verändern, so kann der Zweifel entstehen, ob das sittliche Leben. wirklich ein zusammenhängender Tatbestand sei, und nicht vielmehr in verschiedene, zum Teil gar nicht sich deckende Erscheinungen zerfalle. Wechseln nicht gut und böse, Tugend und Laster so ungeheuer in der Auffassung der Menschen, daß diese Begriffe immer nur innerhalb beschränkterer Zeitperioden und Lebenskreise einen annähernd ähnlichen Inhalt besitzen, während sie darüber hinaus gänzlich voneinander abweichen, ja möglicherweise in Gegensätze sich umwandeln? Ein Achill oder Odysseus, in denen die Zeit, die zuerst den homerischen Gedichten lauschte, Vorbilder männlicher Tugend sah, wie anders erscheinen sie dem stoischen Philosophen oder gar dem brahmanischen Weisen und frommen Christen, denen

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Zorn und Rache, List und Betrug, selbst wenn diese in dem Dienste rühmlicher Zwecke zu stehen scheinen, als verabscheuenswerte Verbrechen gelten! Gegenüber dieser so schwankenden Natur der sittlichen Vorstellungen im allgemeinen Bewußtsein erhebt sich dringend die Frage, ob es überhaupt allgemeingültige Elemente des Sittlichen gibt, oder ob nicht vielleicht das Einzige, was als ein gemeinsames Merkmal anzuerkennen ist, sich darauf beschränkt, daß überall gewisse Handlungen gebilligt und andere mißbilligt werden, wobei aber der Inhalt dieser einem verschiedenen Werturteil unterworfenen Tatsachen der allerverschiedenste sein könnte. Diese Frage ist umso wichtiger, als offenbar die allgemeinen Elemente der sittlichen Vorstellungen, sofern solche überhaupt existieren, diejenigen sein müssen, von denen die wissenschaftliche Untersuchung der sittlichen Erscheinungen auszugehen hat.

Die Bemerkung liegt nahe, jene Veränderlichkeit der sittlichen Vorstellungen möge ihren Grund darin haben, daß alle geistigen Vorgänge der Entwicklung unterworfen sind, und daß daher eine, zwar nicht allgemeingültige, so doch alleingültige Bedeutung denjenigen Elementen des Sittlichen zukomme, die sich bei der letzten und höchsten Entwicklungsstufe desselben als die maßgebenden erkennen lassen. Doch auch diesem Gesichtspunkte gegenüber kann wieder die Frage erhoben werden, ob denn schon mit Sicherheit irgendwo diese letzte und höchste Stufe erreicht, und ob nicht hier, wie bei andern Entwicklungen, mindestens die Keime zu den späteren Zuständen bereits in den früheren enthalten seien. Keine geistige Entwicklung ist denkbar ohne eine bestimmte Kontinuität der Gefühle und Vorstellungen. Wie das Denken des Mannes mit dem des Kindes trotz aller Verschiedenheit durch zahlreiche Fäden verbunden ist, so werden daher auch auf sittlichem Gebiet Elemente nicht fehlen können, die hier einen ähnlichen Zusammenhang bewirken, und denen in diesem Sinne Allgemeingültigkeit zukommt.

Als solche allen Entwicklungsstufen des sittlichen Lebens gemeinsame Elemente werden vor allen Dingen gewisse formale Eigenschaften der sittlichen Vorstellungen anzuerkennen sein. Eine formale Bedeutung besitzt aber zunächst die Tatsache, daß das Sittliche in Gegensätzen sich ausprägt, an die überall die Urteile der Billigung und Mißbilligung geknüpft sind. Hiezu kommt als zweite formale Eigenschaft die, daß als sittlich erstrebenswert gewisse Güter gelten, deren Genuß eine dauernde Befriedigung ver

spricht. Dieser Gedanke der Dauer prägt sich namentlich in den religiösen Vorstellungen aus, die unter Zuhilfenahme der Vergeltungsund der Unsterblichkeitsidee die sittliche Befriedigung zu einer zeitlich unbegrenzten, also absolut dauernden zu erheben suchen.

Doch diese formalen Bestimmungen reichen sichtlich durchaus nicht zu, um das sittliche Lebensgebiet von andern abzugrenzen, und sie selbst weisen über sich hinaus. Unsere Billigung und Mißbilligung ist stets bedingt durch einen bestimmten Inhalt wertvoller Handlungen, und jene Eigenschaft der Dauer, die der sittlichen Befriedigung vor andern Affekten zukommt, kann gleichfalls nur aus der eigentümlichen Natur des Sittlichen entspringen. Nun ist es von vornherein unzulässig, den allgemeingültigen Inhalt des Sittlichen Bedingungen zu unterwerfen, die nicht selbst schon allgemein menschlicher Art sind, also z. B. solchen, die einer bestimmten, wenn auch noch so frühen Kulturstufe angehören. In so ferner Vorzeit auch Familie, Staat und äußere Rechtsordnung sich gebildet haben, ihre Ursprünglichkeit ist allzu fragwürdig, als daß wir sie mit der Entstehung der sittlichen Vorstellungen selbst auf gleiche Linie stellen oder gar die letzteren aus ihnen ableiten dürften. Vielmehr müssen wir umgekehrt annehmen, daß alle jene gesellschaftlichen Formen, in denen sich die sittlichen Anschauungen betätigen, erst aus diesen oder mindestens unter ihrer Mitwirkung entsprungen sind. Was bleibt uns aber dann als spezifischer Inhalt des Sittlichen anderes übrig, als gewisse psychologische Elemente, die keine spezifischen äußeren Bedingungen, sondern nur die überall gleiche Natur des Menschen selber voraussetzen? In der Tat sind uns nun solche Elemente in gewissen Trieben entgegengetreten, die zwar in sehr verschiedener Weise entwickelt sein können und darum sehr vielgestaltig in der Erfahrung sich äußern, die aber doch an sich immer und überall die nämlichen bleiben. Sie sind es, die jene beiden großen Erscheinungsgebiete hervorbringen, die wir als die hauptsächlichsten Grundlagen des sittlichen Lebens kennen lernten die religiösen Anschauungen und das gesellschaftliche Leben, Gebiete, die dann freilich wieder in der mannigfaltigsten Weise sich gestalten und in die vielseitigsten Wechselwirkungen miteinander treten.

Diesen zwei großen Gruppen allgemeiner Tatsachen entsprechen nun zwei psychologische Grundmotive, deren allgemeingültige Natur auf der Konstanz beruht, mit der sie im menschlichen Bewußtsein wirksam werden: die Ehrfurchts- und die Neigungs

gefühle. Beide beziehen sich ursprünglich auf gänzlich verschiedene Objekte: die Ehrfurchtsgefühle auf übermenschliche Wesen und Kräfte, die Neigungsgefühle auf die Mitmenschen. Auf jenen beruht zunächst das religiöse, auf diesen das soziale Leben des Menschen. Beide Grundtriebe treten dann aber in die mannigfaltigsten Verbindungen und gewinnen so einen sich wechselseitig verstärkenden Einfluß auf die von ihnen abhängigen Lebensgestaltungen. Insbesondere erwächst jene erweiterte Humanität, welche die höchsten Blüten des gesellschaftlichen Lebens hervorbringt, ursprünglich auf religiösem Boden. Die ganze Entwicklung der Sittlichkeit, so ungeheuer weit ihre Stufen infolge der angedeuteten Wechselwirkungen und des Einflusses nebenhergehender intellektueller Momente voneinander abliegen, beruht so auf der Betätigung jener beiden Grundtriebe der menschlichen Natur. Die Entwicklung dieser Triebe führt aber nicht bloß auf übereinstimmende psychologische Elemente zurück, sondern sie ist auch bestimmten psychologischen Gesetzen unterworfen, die trotz aller Verschiedenheit der Einzelgestaltungen des Lebens einen nicht minder allgemeingültigen Charakter besitzen.

b. Die psychologischen Gesetze der sittlichen Entwicklung.

Die Entwicklung der sittlichen Anschauungen zerfällt, wo immer sie uns in zureichender Vollständigkeit gegeben ist, in vier Stadien, deren charakteristische Merkmale hauptsächlich durch das wechselseitige Verhältnis der verschiedenen nebeneinander herlaufenden Einzelentwicklungen bestimmt werden. Das erste dieser Stadien können wir das vorsittliche nennen. Es ist freilich selbst bei den primitivsten Naturvölkern nicht mehr ganz unberührt von Motiven, die schon in die folgende Stufe hinüberreichen. Immerhin können wir mit größter Wahrscheinlichkeit aus der ganzen weiteren Entwicklung auf seine Existenz zurückschließen. In diesem vorsittlichen Stadium fühlt sich zwar der Mensch an den Genossen der gleichen Horde enger gebunden als an den Stammesfremden. Er lebt daher in Gemeinschaft. Die Horde gewährt ihm Schutz und Befriedigung der Lebensbedürfnisse. Aber die Spuren des Sympathiegefühls, das ihn an den Genossen bindet, werden überwuchert von ungebändigter Selbstsucht. Der Dämonenglaube zeitigt zwar die Affekte der Furcht und des Schreckens; doch von religiösen Ehrfurchtsgefühlen ist schwerlich schon eine Spur zu finden. Mythologische Anfänge ohne religiöse Bestandteile, soziale Verbindungen ohne die Wirksamkeit

Wundt, Ethik. 3. Aufl. I.

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