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Darum fließt aus jener Forderung unmittelbar der sokratische Satz, da Tugend und Wissen eins seien, daß also niemand wissentlich Böses tun könne. Außerdem kann aber das bleibend Wertvolle, wie es für das einzelne Bewußtsein ein feststehendes ist, so auch nicht von Subjekt zu Subjekt wandelbar sein, sondern es muß einen allgemeingültigen Wert besitzen. In diesem Sinne schließt sich an den Satz, daß Tugend Wissen, der andere, daß die Tugend lehrbar sei. Nur ein Wissen, das seinen festen Grund in den allgemeinen Gesetzen der Menschennatur hat, kann von dem einen mitgeteilt werden an andere. Das ist der volle Gegensatz zu jener Sentenz des Gorgias, nach der, selbst wenn es ein Wissen gäbe, dieses nicht mitteilbar sein würde.

Doch noch eine weitere Folgerung wird durch den Gedanken der Allgemeingültigkeit des Tugendbegriffs nahe gelegt. Wenn was für den einen auch für den andern gut und nützlich ist, so kann es nicht mehr geschehen, daß die Interessen der Einzelnen wirklich in Streit geraten, sondern wo ein solcher droht, da muß durch vernünftige Erwägung aller wahren Interessen eine Lösung gefunden werden. Zweifellos ist diese Folgerung von Sokrates am wenigsten in seiner Lehre zum Ausdruck gebracht worden. Seine Aufmerksamkeit war allzusehr der individuellen Lebensführung zugewandt, als daß die darüber hinausgehenden Forderungen zu ihrem gebührenden Rechte gelangt wären. Wenn er nach Xenophons Zeugnis gelegentlich äußerte, derjenige Mann scheine des größten Lobes wert, der seinen Feinden im Bösestun, seinen Freunden im Wohltun zuvorkomme*), so scheint hier sein individueller Nützlichkeitsstandpunkt wenig von der landläufigen Volksmoral abzuweichen. Freilich aber darf man nicht vergessen, daß solche einzelne Aussprüche von den Gelegenheiten abhängen, bei denen sie getan wurden, und daß sie daher nicht immer auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen. Bedeutsamer für Charakter und Tendenz der sokratischen Lehre ist der Hinweis auf die zwei Quellen der Sittengebote, auf die geschriebenen Gesetze des Staates und die ungeschriebenen der Götter** •**). Er ist hier der philosophische Interpret einer Scheidung, die in dem sittlichen Bewußtsein seiner Zeit sich vollzogen hatte, der Scheidung in das innere moralische Sittengebot und in die äußere Rechtsordnung. In dem Gehorsam gegen beide besteht ihm das

*) Xen., Mem. II 3, 14.

**) Xen., IX 4, 12-25.

Kennzeichen des gerechten Mannes. Hier aber ist zugleich der Punkt, wo sein eigenes Beispiel über den Inhalt seiner Lehren. hinausgeht. Seinen eigensten Lebensberuf fand Sokrates in der Belehrung seiner Mitbürger. Zu der ethischen Selbsbesinnung, die ihm Bedürfnis geworden, auch andern nach Kräften zu verhelfen, dies erkannte er als seine höchste sittliche Pflicht, von der er nicht lassen konnte, ohne seinem Leben seinen Inhalt zu nehmen. Doch nicht minder war er von der Überzeugung durchdrungen, und er hat ihr seinen Schülern gegenüber wiederholt Ausdruck gegeben, daß der Gehorsam gegen die Staatsgesetze die Pflicht eines jeden sei. Dem Konflikt zwischen dieser allgemeinen Pflicht des bürgerlichen Gehorsams und der individuellen Pflicht der inneren Berufstreue, die er als ein sittliches Gebot empfand, wußte er nicht anders zu begegnen, als indem er willig dem Todesurteil seiner Richter sich fügte, so leicht es ihm gewesen wäre, durch die Flucht aus dem Kerker oder durch das Versprechen des Verzichts auf seine Lehrweise dem Tod zu entgehen. Mit Recht hat man darum bemerkt, Sokrates sei in den Tod gegangen, weil ihm das Leben ohne jenen freiwillig gewählten Beruf nicht mehr lebenswert schien, und so sei dieser Tod nur eine Bestätigung des nämlichen Eudämonismus, den er in seiner Lehre verkünde. In der Tat, von einem kategorischen Imperativ der Pflicht, dessen Verdienst im kantischen Sinne in der Pflichterfüllung ohne Neigung bestünde, kann bei ihm keine Rede sein. Wohl aber handelt es sich hier um ein Glücksbedürfnis, das mit der Pflicht selber zusammenfällt, weil nur die Pflichterfüllung als erfreulich und erstrebenswert gilt. Dazu ist die sokratische Ethik zu sehr eine selbst erlebte gewesen, als daß ihm pflichtgemäßes Leben und befriedigendes Leben (δικαίως ζῆν und εὖ ζῆν) überhaupt als verschiedenes hätte erscheinen können. Doch ein anderes bleibt die Betätigung einer solchen Einheit im eigenen Leben, ein anderes das lehrhafte Aussprechen derselben. Wenn sonst jene meist hinter diesem zurückbleibt, so besteht umgekehrt die Größe dieses Mannes darin, daß seine Lehre nur eine unvollkommene Annäherung an die sittliche Tat seines Lebens ist. Wenn diese Tat hinwegfiele, was wäre uns heute die sokratische Ethik? Was sie uns ist, das verdankt sie in Wahrheit nicht seiner Lehre, sondern seinem Leben, und vor allem dem Einfluß, den dieses Leben auf den größten philosophischen Ethiker der Griechen, der sich seinen Schüler nannte, gehabt hat, auf Plato.

d. Die Entstehung des Idealismus und der Religionsphilosophie.

Eine geistige Umwälzung von unermesslicher Tragweite, die auf die spätere Weltanschauung der Griechen und auf die ganze Folgezeit bis in unsere Tage herab ihre Wirkungen ausgeübt hat, vollzog sich im unmittelbaren Anschlusse an die sokratische Lehre. Der Mann, dessen Werk diese Umwälzung war, hat aber, so groß sein persönlicher Anteil an ihr sein mochte, sichtlich zugleich unter dem Antrieb der allgemeinen Stimmung gehandelt, die sich gegen die sophistische Aufklärung und gegen die öffentlichen Zustände richtete, für die man, wie so oft, Symptom und Ursache verwechselnd, jene verantwortlich machte. Der Wunsch nach einer geordneten, von sittlichem Geist getragenen Staatsleitung, die Sehnsucht nach einer Religion, die den längst erschütterten Götterglauben ersetzen könne, hatte sich weiter Kreise bemächtigt. Dies sind, so viel sich sehen lässt, die Antriebe, die den größten der sokratischen Schüler in der Arbeit eines langen Lebens jenes wunderbare Lehrgebäude vollenden ließen, in dem sich das Beste, was bis dahin der hellenische Geist hervorgebracht, mit Gedanken verband, die, der Zeit vorauseilend, die Bedürfnisse kommender Geschlechter prophetisch vorauszusehen schienen. Wohl mochte dem Sprößling einer alten Adelsfamilie der spartanische Staat als leuchtendes Vorbild besserer Zustände vorschweben, wohl mochte ihm auch in der mystischen Theologie der orphischen und anderer Geheimkulte manches als tiefsinniges Symbol einer reineren Gotteserkenntnis erscheinen. Aber das Einzigartige dieses platonischen Idealismus bleibt dies, dass er selbst aus jener Aufklärung hervorging, deren Vertreter er in erbitterter Fehde sein Leben lang bekämpfte, und zu der die platonische Ideenwelt einen Gegensatz bildet, wie selten ein größerer in der Geschichte des menschlichen Denkens bestanden hat. Denn aus dem reifsten Erzeugnis des Aufklärungszeitalters, aus der sokratischen Ethik, der sokratischen Induktion und Begriffsdialektik hat sich in allmählichem Fortschritt, weiter zurückliegende Gedanken in sich aufnehmend und neu gestaltend, die platonische Ideenwelt entwickelt.

So schlug der siegreiche Gegner der sophistischen Aufklärung diese zum Teil mit den Waffen, die sie selber geschmiedet hatte. Als Sokratiker, ganz sich selbst in den Geist des Meisters, dem er seine Worte in den Mund legt, hineindenkend, bewegen sich Platos

früheste Dialoge durchaus um jenen Grundbegriff der Ethik, der zumeist unausgesprochen das letzte und höchste Problem des sokratischen Denkens gewesen war, um den Begriff des Guten; und noch bewegen sich hier die Versuche, diesen Begriff zu bestimmen, innerhalb der nationalen Anschauungen. Die Tapferkeit, die Gerechtigkeit, die Frömmigkeit und vor allen die maßhaltende Besonnenheit, die Plato als die vorzüglichsten Tugenden hervorhebt, galten ja allgemein dem Griechen als solche. Auch in der Auffassung der Motive dieser Tugenden entfernt er sich zunächst kaum von seinem Vorbilde, indem er im einzelnen nachzuweisen sucht, daß das tugendhafte Handeln glückbringend und nützlich sei*). Nur darin verrät sich von frühe an das Einheitsbedürfnis des künftigen Metaphysikers, daß er eine innere Verschiedenheit der einzelnen Tugenden nicht anerkennt, sondern der Einheit des Wissens entsprechend auch die Einheit der Tugenden behauptet **). Keine von ihnen könne ohne die andern bestehen, da sie alle beherrscht werden von der Weisheit, als deren einzelne Teile oder Anwendungen die andern betrachtet werden. Schon in den letzten Dialogen dieser sokratischen Periode, wie im „Kriton“ und „Gorgias", treten nun aber auch bereits die ethischen Motive des ganzen späteren Systems des Philosophen deutlich zu Tage. Indem Plato, vielleicht mehr unter dem Eindruck des sokratischen Todes als der sokratischen Lehre, den Satz: Unrecht leiden sei besser als Unrecht tun, zu einem ethischen Postulat erhebt, dem er in allen seinen Folgen nachzugehen sucht, wird er zu der Überzeugung gedrängt, daß das Gute seinen ihm allein zukommenden, für sich bestehenden Wert hat, der als solcher nicht mit dem Begriff des Nützlichen oder Angenehmen zusammenfalle. Dennoch würde der Gedanke unerträglich sein, zwischen der Lust und dem Guten bestehe ein dauernder Widerstreit. So bleibt kein anderer Ausweg, als der vorübergehenden Lust die unbegrenzt dauernde gegenüberzustellen. Diese, im sinnlichen Leben unerreichbar, kann aber nur in einem übersinnlichen Dasein gesucht werden ***). Diese ethische Forderung verbindet sich nun weiterhin mit dem sokratischen Satz, daß Tugend und Wissen eins seien. Auch das Gute, das Objekt aller Tugenden, ist an sich nur Eines: es ist die weltbeherrschende Macht, die sich ebenso betätigt in

*) Protag. 36, 354-359.

**) Ebend. 18, 329 ff.

***) Rep. I 3, 329, V 20, 476 ff., und bes. IX und X.

den Gestaltungen der Natur wie in dem Denken und Handeln des Menschen. Damit wird das Gute zugleich zum Inhalt des Gottesbegriffs. Doch der Versuch, unter dieser Voraussetzung ein Weltbild zu gestalten, findet an der Tatsache des Unvollkommenen und Bösen eine Schranke. Die sinnliche Welt kann darum nur ein unvollkommenes Abbild einer idealen übersinnlichen Welt sein, ein Verhältnis, das dem zwischen den Begriffen und den sinnlichen Vorstellungen entspricht. In unsern Begriffen tragen wir die Erinnerungen an eine übersinnliche, rein geistige Welt in uns; die Sinneseindrücke sind nur die äußeren Anlässe zur Erweckung solcher Erinnerungen. Jedem Objekt des Denkens entspricht so eine Idee, und das Gute ist die höchste der Ideen, der alle andern untergeordnet sind. In der Welt der Ideen herrscht vollständige Harmonie: jede einzelne steht mit der Idee des Guten in Übereinstimmung. In der räumlichen, sinnlichen Welt dagegen wird die Reinheit der Ideen getrübt: hier können die einzelnen untereinander wie mit der Idee des Guten in Widerstreit treten. So entsteht das Böse und Unvollkommene, das in einem künftigen, übersinnlichen Dasein wird überwunden werden, ebenso wie es in einem dieser Gebundenheit an die Sinnlichkeit vorausgegangenen noch nicht vorhanden war.

Daß das ethische Motiv dieser Weltanschauung durchaus mit dem der religiösen Vergeltungsvorstellungen übereinstimmt, ist augenfällig. Die Verwandtschaft mit der mystischen Theologie der Kulte, in denen diese Vorstellungen gepflegt wurden, ist darum wohl in der Neigung Platos zu erkennen, gerade hier seine philosophischen Gedanken in mythologische Bilder zu verhüllen. In dem Rahmen dieser mythologischen Bilder treten dann auch solche Bestandteile der alten Vergeltungsvorstellungen wieder auf, die in der philosophischen Gestaltung der Ideenlehre keinen Platz finden konnten, wie der Gedanke einer Bestrafung der Sünder und eines Läuterungsprozesses der Schuldigen *). Bedeutsamer noch ist ein anderer, ebenfalls in die mythische Form gekleideter, aber in seinem Kern echt philosophischer Gedanke, der die Frage der Entwicklung der sittlichen Ideen in dem empirischen Bewußtsein berührt. Mit dem Satze, daß dieses die Ideen in der Form der sinnlichen Vorstellungen schaut, ist eine innere Beziehung dieser Vorstellungen zu den Ideen, vor allem auch zur Idee des Guten vorausgesetzt. Aber es ist

*) Phädrus 248 ff. Phädon 109-115. Rep. X. 614 ff.

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