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Zweites Kapitel.

Die christliche Weltanschauung und ihre Wandlungen.

1. Die Grundlagen der christlichen Weltanschauung.

a. Das Lebensideal des Urchristentums.

Die Geschichte der christlichen Weltanschauung kann die Fragen nach der Persönlichkeit Jesu, dem Ursprung, der Verfassung und dem Leben der urchristlichen Gemeinden, diese schwierigen Probleme der historischen Theologie, füglich auf sich beruhen lassen. Für sie kommt es nicht darauf an, wie die christliche Lebensanschauung entstanden, sondern wie sie gewesen ist, und wie sie sich auf dieser Grundlage weiter entwickelt hat. Aber so klar diese Anschauung in den Evangelien, vor allem in den Aussprüchen und Gleichnissen Jesu niedergelegt zu sein scheint, so sehr wird doch selbst hier eine unbefangene Beurteilung teils durch die an sich vieldeutige Natur namentlich der Gleichnisreden, teils aber dadurch erschwert, daß wir noch heute diesem Gegenstand nicht gleich unbefangen wie irgend einer andern geschichtlichen Überlieferung gegenüberstehen. Das Christentum ist unsere Religion. Wir fühlen uns noch immer mehr oder minder gleichen Glaubens mit seinen ersten Bekennern. Unwillkürlich sind wir daher geneigt, das Überlieferte irgendwie in unsere Anschauungen umzudeuten. Demgemäß besteht namentlich in der heutigen Theologie, von den Vertretern der äußersten Orthodoxie an bis in die Reihen der rationalistischen Aufklärungstheologen, und bei diesen vielleicht mehr als bei jenen, das Bestreben, unser eigenes sittliches Bewußtsein den Aussprüchen des erhabenen Stifters unserer Religion unterzuschieben. Und dazu gesellt sich dann, diesmal freilich mehr auf orthodoxer als liberaler Seite, die Tendenz, dem Christentum als Religion eine abseits von andern religiösen Entwicklungen liegende Stellung anzuweisen. Als „absolute" oder „offenbarte" Religion, wie selbst Hegel es nannte, soll das Christentum allen andern religiösen Entwicklungen als eine inkommensurable Größe gegenüberstehen. Dieser Standpunkt kann für unsere Betrachtung selbstverständlich nicht maßgebend sein. Daß die Lebensanschauungen des Urchristentums andere gewesen sind als unsere heutigen, ist nicht zu bezweifeln: das Gegenteil würde allen Gesetzen historischer Entwicklung widerstreiten; und daß bei der Entstehung des Christentums ähnliche religiöse Motive maßgebend waren, wie sie alle Religions

entwicklungen bestimmen, das ist nicht minder zweifellos. Nicht aus unserer Zeit und ihren Bedürfnissen, sondern aus seiner Zeit und deren Bedürfnissen müssen wir daher das Urchristentum zu verstehen suchen. Dabei werden wir aber gut tun, beide Seiten, die ethische und die religiöse, zunächst, soweit es angeht, voneinander zu scheiden.

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Nun besitzen wir für das sittliche Lebensideal der ersten Christen ein unverwerfliches Zeugnis in den Worten Jesu. Denn wo und wann auch diese Worte gesprochen und in welchem Umfang sie jemals zu praktischen Lebensregeln geworden sein mögen, daß in ihnen das sittliche Lebensideal des Christen enthalten war, ist offenkundig. Welches ist nun aber dieses Lebensideal? Man wird wohl Leo Tolstoj zustimmen können, wenn er jene wunderbaren Kapitel des Evangeliums Matthäi, in denen Jesus mit besonderem Nachdruck seine Lehre dem versammelten Volk verkündet, als den wesentlichen Inhalt dieses neuen Lebensideals ansieht; und man wird ihm mag seine Auffassung da und dort im einzelnen irre gehen oder nichtdoch auch darin recht geben, daß diese Worte so genommen werden müssen, wie sie geschrieben stehen, wörtlich, ohne willkürliche Umdeutung*). Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar." Ihr habt gehört, daß gesagt ist: du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen." „Gib dem, der dich bittet." ,Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." Wollte man die Moral, die in diesen Reden niedergelegt ist, auf eine abstrakte Formel bringen, sie würde kaum wesentlich anders lauten, als das Wort, das Plato dem Sokrates in den Mund legt: „Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun." Ebenso waren von den Stoikern die Nächstenliebe, das Wohltun ohne Rücksicht auf Gegenleistung, die Hilfsbereitschaft und Barmherzigkeit ohne Ansehen der Person längst als die höchsten Tugenden gepriesen worden. Nicht völlig neue sittliche Ideen also sind es, die das Christentum in die Welt gebracht hat. Gleichwohl, in zwei Beziehungen war diese urchristliche Ethik doch eine neue, einzigartige Erscheinung. Das eine war der unbedingte,

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*) Graf Leo Tolstoj, Worin besteht mein Glaube? Deutsch von Sophie Behr, 1885, S. 9 ff.

absolut jede äußere Beschränkung zurückweisende Charakter dieser Sittengebote. Die Moral der Philosophen, soweit sie auch über die Alltagsmoral emporragen mochte, war immer noch bemüht, den Bedingungen des vielgestaltigen wirklichen Lebens sich anzupassen. Diese hört man überall durchklingen, wo etwa die Reden eines Seneca sonst noch so sehr an christliche Anschauungen erinnern. Dies aber gibt eben der urchristlichen Moral jene schlichte Erhabenheit, mit der es weder der dialektische Tiefsinn des platonischen Sokrates noch der rhetorische Pomp der Stoiker aufnehmen kann. Doch es gibt freilich dieser Moral zugleich das Gepräge eines Lebensideals, das nur in einer engen Gemeinschaft Gleichgesinnter entstehen und annähernd durchgeführt werden kann, und das in dem Augenblick, wo der Versuch gemacht wird, es im Verkehr mit der weiteren Außenwelt in die Wirklichkeit überzuführen, gegenüber der zwingenden Macht dieser Wirklichkeit seine praktische Geltung verlieren muß. Das zweite, was dieses Lebensideal auszeichnet, ist dies, daß es der unmittelbare Ausdruck eines den ganzen Menschen erfüllenden religiösen Gefühls ist. Jenes Wort Jesu zu dem Schriftgelehrten: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen deinen Kräften, das ist das vornehmste Gebot; und das andere ist ihm gleich: du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst" (Markus, 12, 30), dieses Wort wirft ein helles Licht auf die überströmende religiöse Begeisterung, in der Gottesliebe und Nächstenliebe in ein einziges Gefühl religiöser Hingabe zusammenschmelzen. Aber nur aus einem religiösen Gefühl, welches den, der von ihm erfüllt ist, über die Schranken des Daseins hinweghebt, konnte auch dieses das eigene Selbst völlig vergessende sittliche Lebensideal entspringen. Was sind gegenüber den unermeßlichen Gütern des himmlischen Reichs, die der kommende Messias bringen wird, alle Güter dieser Welt! Darum: „Ärgert dich dein Auge, so wirf es von dir. Es ist dir besser, daß du einäugig in das Reich Gottes gehest, denn daß du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen“ (Markus 9, 47). Wer so gesinnt ist, der mag immerhin dem, der ihm den Rock nehmen will, auch noch den Mantel hingeben, und nicht sorgen, was er essen oder trinken, oder womit er sich kleiden soll. Sein Blick ist der kommenden Herrlichkeit zugewandt, die ihn für alles belohnen wird, was er hier in der Hingabe an den Willen Gottes erduldet hat. Daß solche Gesinnungen unter der Wirkung einer unbegrenzten religiösen Begeisterung und Zuversicht entstehen

können, verstehen wir; freilich aber auch das andere, daß sie stets nur ein Lebensideal gewesen sind, dem man zustrebte, keine für die Wirklichkeit unbeschränkt geltende Norm, nach der man sein Leben ordnen konnte. Als ein solches Lebensideal haben sie noch in späten Zeiten, die von den Lebensbedingungen des Urchristentums weit entfernt waren, ihre Wirkungen getan, und als ein solches können sie diese wohl heute noch tun. Aber auch Ideale können nur als Vorstellungen entstehen, an deren Wirklichkeit, oder an deren Verwirklichung geglaubt wird. Und ein solcher Glaube konnte nimmermehr auf dem Boden bloßer sittlicher Forderungen oder auch eines allgemeinen Vorsehungsglaubens, wie ihn die Stoiker hegten, erwachsen, sondern nur auf dem jener zuversichtlichen Hoffnungen, wie sie die ersten Christen erfüllten. Je näher die Wiederkunft des Messias und des Reiches Gottes gedacht wurde, um so freudiger konnte der Arme auf die Güter dieser Welt verzichten, und der Reiche sie hingeben. War ihm doch der baldige Lohn gewiß. Darum bedurfte die erhabene Ethik des Urchristentums der Religion zu ihrer Entstehung, und die Religion konnte hinwiederum dieses Gefühl unbegrenzter Hingabe nicht hervorbringen ohne den Mythus, der von frühe an die Person des Stifters dieser Religion verklärt hatte. So leistete jene Messiasidee, die, in der Zeit der Unterdrückung des jüdischen Volkes entstanden, bei diesem selbst mehr und mehr in eine unbestimmte, übersinnliche Ferne gerückt war, der neuen Religion und dem neuen sittlichen Lebensideal ihre Dienste, indem sie sich hier wieder in der Frische unmittelbarer, lebensvoller Zukunftserwartungen erneuerte, in der sie den Menschen zur höchsten Anspannung seiner sittlichen Kräfte zu treiben vermochte. Wenn die Gewißheit, daß seine letzte Stunde gekommen ist, selbst das Gemüt des verstockten Verbrechers milde stimmt, wie sollte da nicht der Christ, der das neue Reich und mit ihm ein ewiges Leben voll Freude und Herrlichkeit kommen sieht, der vergänglichen Güter dieser Erde vergessen und seinen Feinden vergeben? Ohne diesen festen Glauben an den kommenden Messias würde die Ethik des Urchristentums nicht das geworden sein, was sie ist das Lebensideal eines in der Hingabe an die Menschheit vollkommen seiner selbst vergessenden Menschen. Aber freilich, ein Ideal, das den trügerischen Wahngebilden eines hoch gesteigerten Glücksbedürfnisses seinen Ursprung verdankt, kann selber unmöglich von den Trübungen frei bleiben, die diesen Ursprung umgeben. Der auf das höchste gespannten sittlichen Kraft, die hier zur Tat wird,

steht eine auf das äußerste gesteigerte Selbstsucht, ein unersättliches Glücksbedürfnis, das den Lebensgenuß ins unendliche steigern möchte, gegenüber. Doch eben dies ist das psychologische Geheimnis der Menschennatur, das dennoch gar kein Geheimnis, sondern mit deren alltäglichsten Schwächen und Vorzügen verbunden ist, daß das Gute das Schlechte zu seiner Voraussetzung hat. Diese Geburt des Höchsten aus dem Niedersten, der erhabensten Ideale aus den gemeinsten Motiven, aus Wahn und Selbstsucht, sie ist kein geheimnisvoller Kampf übermenschlicher Wesen oder kosmischer Kräfte, wie ihn Mythologie und Mystik sich ausmalen, sondern sie ist das Werk einer psychologischen Gesetzmäßigkeit, die dem menschlichen Bewußtsein von seinen einfachsten bis zu seinen vollkommensten Betätigungen eigen ist. Wie der Kontrast der Gefühle unser alltägliches Leben erträglich und, wo das Glück es fügt, genußvoll macht, so leiht er in den großen Wendepunkten der Geschichte den Erneuerungen des sittlichen Bewußtseins seine Hilfe. Es ist das gleiche Prinzip der Heterogonie der Zwecke, das uns, eben weil es mit der eigensten Natur des seelischen Lebens zusammenhängt, auf allen Stufen religiöser und sittlicher Entwicklung bereits begegnet ist, das uns hier, bei diesem tief eingreifenden Wendepunkt der Geistesgeschichte, eben wegen der ungeheuren Stärke der Kontraste, die es verbindet, mit überwältigender Macht entgegentritt. Und wahrlich, wenn man nach einem „Beweis des Geistes und der Kraft“ sucht, der dieses urchristliche Lebensideal, so wenig es ein absolut neues ist, doch in dieser Macht und Stärke zu einer einzigartigen Schöpfung macht, wie könnte dieser Beweis treffender erbracht werden, als indem sich zeigt, daß dieses Ideal kein dem Menschen durch ein Wunder oder durch eine übernatürliche Inspiration übermitteltes Geschenk, sondern daß es ein Erzeugnis seines eigenen Geistes und seiner eigenen Kraft ist, das mit dem tiefsten Wesen der Menschennatur zusammenhängt, und das, indem in ihm die äußersten sittlichen Gegensätze als ethische Triebe wirksam werden, das Böse selbst als eine notwendige Triebkraft des Guten erscheinen läßt.

Doch die Hoffnung auf den kommenden Messias, wie sie schon dem Judentum mehr und mehr zu einem transzendenten Ideal geworden war, sie mußte, als Tag um Tag und Jahr um Jahr vergingen, ohne daß sich die Wiederkunft Christi und die Aufrichtung des Reiches Gottes erfüllten, in ihrer ursprünglichen Form erblassen und endlich untergehen, um nun in der neuen, dauernderen Gestalt

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