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Vertraute der rat- und trostbedürftigen Gläubigen und als der Spender der Sakramente, dem die Freuden des Himmels ebenso wie die Schrecken der Hölle zu Gebote stehen, in allen Lebensverhältnissen das entscheidende Urteil, so umgibt den asketischen Mönch in den Augen der Gläubigen der Schimmer einer besonderen Heiligkeit. Indem aber die Kirche mehr und mehr die Gründung solcher Orden unterstützte, die sich selbst einem arbeitsamen Leben hingaben, sei es auf dem Felde der Bodenkultur und der Industrie, sei es auf dem der Wissenschaft und der Kunst, oder endlich auf dem der Krankenpflege und der Wohltätigkeit, gewann sie durch diese Organe einen wachsenden Einfluß auf das weltliche Leben. Bei allen sittlichen Mängeln, die dem Klosterleben von Anfang an anhafteten, auf dieser Seite lag das hohe Verdienst, das sich die Kirche durch diese ihre Werkzeuge um die Kultur der mittelalterlichen Welt erworben hat. Vielleicht war sogar dieses Werkzeug unter den gegebenen Bedingungen zunächst das einzig mögliche, um bis dahin kulturlose Völker der Kultur entgegenzuführen, und um die Schätze der antiken Bildung, notdürftig zwar, aber eben doch insoweit, als es die Verwilderung der Zeit zuließ, auf die Nachwelt zu bringen.

Indem aber hier die Pflege der geistigen Interessen nicht aus dem allgemeinen Leben der Nationen herauswächst, sondern von einzelnen, mit diesem Leben vielfach nur in äußerem Kontakt stehenden religiösen Körperschaften ausgeht, gewinnt namentlich die Wissenschaft des späteren Mittelalters ihr eigenartiges Gepräge. Zunächst ist sie international und universal wie die Kirche selbst. Der Mönch hat keine Heimat. Das Lateinische, die Universalsprache der gebildeten Welt, macht den Italiener im deutschen, den Deutschen im italienischen Kloster leicht heimisch. Doch das Leben in der Klostergemeinschaft und die Wirksamkeit in der Klosterschule entfremden vor allem den gelehrten Mönch den Interessen seiner weiteren Umgebung. Die Wissenschaft der Mönche oder, was damit identisch ist, die Wissenschaft des Mittelalters ist daher Büchergelehrsamkeit; sie ist es selbst da ganz und gar, wo der Gegenstand zur eigenen Beobachtung unmittelbar auffordert, wie in der Naturwissenschaft, und verstärkt wird diese Neigung, das Überlieferte gläubig hinzunehmen, durch die Pflicht der Unterordnung unter die Autorität der Kirche. Alles dies macht es schließlich verständlich, daß sich diese ganze Gelehrsamkeit im äußersten Maße durch eine einseitige Übung der Gedächtnis- und Verstandeskräfte auszeichnet, daß ihr aber die Welt des Gemüts und des energischen

Wollens fast gänzlich verschlossen ist. Wie sollte auch der gelehrte Mönch, dem zuerst in der Klosterschule das Überlieferte beigebracht wird, und der dann mit seinen Klosterbrüdern über Wichtiges und Unwichtiges disputiert und daran seinen Verstand schärft, die Leiden und Freuden dieser Welt aber nur aus der Ferne kennt, wie sollte er dazu kommen, für etwas anderes als für Gedächtnisleistungen und Verstandesübungen seine Fähigkeiten zu entwickeln? Oder wenn das geschehen sollte, so bedarf es dazu einer urgewaltigen Natur, die, wo sie je einmal vorkommt, an dem Fels der Kirche scheitert. Denn daß die Kirche in dieser verstandesmäßigen Theologie das ihren eigenen Zwecken am besten dienende Hilfsmittel der gelehrten Bildung sah, das war wiederum eine notwendige Folge jener Verweltlichung, der sie durch ihre weltgeschichtliche Mission verfiel. Darum ist die scholastische Theologie, die sich vom 11. Jahrhundert an in den zu einer strengeren Regel zurückgekehrten Klöstern entwickelte, gleichzeitig ein notwendiges Produkt und ein geistiges Spiegelbild ihrer Zeit, freilich nicht der in den Tiefen der Volksseele schlummernden Triebe: hier herrschten wohl zumeist noch altheidnische, durch die christliche Verkleidung nur wenig veränderte Anschauungen. Aber es ist die Macht der Kirche, die dieser Gelehrsamkeit den Stempel ihres Geistes aufdrückt, und die den Geist, von dem sie selber erfüllt ist, mit allen Mitteln der Überredung und der Gewalt der gesamten christlichen Welt mitzuteilen sucht.

Für diesen Geist, wie er in der Zeit, in der das Machtbewußtsein der Kirche seinen Höhepunkt erreichte, die Vorherrschaft gewann, ist die scholastische Theologie des 11. Jahrhunderts, dieser ersten Blüteperiode einer auf dem eigensten Boden der Klostergelehrsamkeit erwachsenen Wissenschaft, ein sprechendes Zeugnis*). Eine eminente geistige Kraft läßt sich dieser Theologie nicht absprechen. Dafür zeugt schon die ungeheure Wirkung, welche die Begriffsdialektik eines Anselmus von Canterbury, wie sie besonders in seinem ontologischen Gottesbeweis auf die Nachwelt überging, bis tief in die neuere Philosophie hinein ausgeübt hat.

*) Eine in der Darstellung der Lehren treffliche Geschichte der Scholastik vom katholischen Standpunkte aus gibt O. Willmann im 2. Bande seiner Geschichte des Idealismus, 1896, S. 321 ff. Speziell mit Rücksicht auf die Ethik behandeln den Gegenstand W. Gass, Geschichte der christlichen Ethik, Bd. 1, 1881, und Theob. Ziegler, Geschichte der christlichen Ethik, 1886, der erstere vom protestantischen, der letztere vom philosophischen Standpunkte aus. Für die einschlagenden theologischen Fragen ist Harnacks Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 3, 3. Aufl., 1894, zu vergleichen.

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In dieser Dialektik lebt die Kraft platonischer Dialektik wieder auf, gesteigert durch die übersinnliche Natur der Objekte und den mystischen Charakter der Dogmen, in deren Dienst sie geübt wird. Doch es ist auch nur die Dialektik, kein anderer Zug des reichen platonischen Geistes, der hier wiederkehrt; und damit verfällt diese Dialektik unrettbar einer äußerlichen, verstandesmäßigen Begriffstechnik, die ihren höchsten Triumph darin sieht, das Dogma seines mystischen Zaubers zu entkleiden, um es als eine nüchterne Verstandeswahrheit erscheinen zu lassen. Indem sie dabei nach ihrem Wahlspruch des credo ut intelligam" von vornherein ihren Weg mit gebundenen Händen wandelt, wird sie aber notwendig zu einer gekünstelten Sophistik. Daß neben dem religiösen vor allem auch der sittliche Wert der Glaubensvorstellungen dieser verstandesmäßigen Behandlung zum Opfer fällt, dafür bildet der anselmische Beweis des Satisfaktionsdogmas ein augenfälliges Zeugnis. Der Mensch ist gefallen und seine Schuld muß gesühnt werden. Doch der Mensch selbst als ein endliches Wesen ist nicht fähig, eine unendliche Schuld zu sühnen; darum ist Gott in seinem Sohne selbst Mensch geworden, um die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, auf daß der von Gott gewollte Zweck der Schöpfung nicht verloren gehe. Nun erst hält der unendlichen Schuld eine Handlung von unendlichem Werte das Gleichgewicht. Daß diese Handlung ein Vorgang ist, der sich ganz außerhalb des religiösen und des sittlichen Bewußtseins ereignet, und der zu einem Wandel der Gesinnung des Schuldigen nicht die mindeste Beziehung hat, bleibt unbeachtet. Die Erlösung ist zu einem Exempel des Jus talionis, oder, wie man vielleicht noch zutreffender sagen könnte, zu einem Handelsgeschäft geworden, bei dem Leistung und Gegenleistung peinlich gegeneinander abgewogen werden. Wie weit steht doch diese äußerliche, verstandesmäßige Theorie hinter der freilich gleichfalls sittlich bedenklichen, aber immerhin von einem tiefen religiösen Gefühl getragenen Erlösungslehre Augustins zurück, aus der sie hervorgegangen ist! Um so mehr läßt es diese äußerliche Auffassung nunmehr begreiflich erscheinen, daß auch die Wohltat, die der Menschheit durch die Erlösung zu teil wird, auf den Gläubigen beschränkt bleibt. Wohl muß zu dem gnadevermittelnden Verdienst Christi, dessen der Einzelne ohne eigenes Zutun teilhaftig wird', noch ein subjektives Verdienst hinzutreten. Dies besteht aber nicht sowohl in der sittlichen Gesinnung und Handlung, als in dem Glauben an die Gnade und an die Gnadenmittel der Kirche. Von hier aus war der Weg

nicht mehr weit zu der allmählich um sich greifenden Lehre, daß in dem Werk Christi und der Heiligen ein Überschuß rechtfertigender Taten angesammelt sei, über den nun die Kirche zu Gunsten des einzelnen Sünders nach dem Maß seiner Reue und Buße oder auch nach dem Maß seiner kirchlichen Leistungen verfügen könne.

An den Widerständen gegen diese entsittlichende Richtung der kirchlichen Ethik hat es freilich von frühe an nicht gefehlt. Im allgemeinen lehnen sich solche Bestrebungen an die heterodoxen Lehren der patristischen Zeit an. Insbesondere berühren sie sich mit dem Versuch des Pelagius und seiner Anhänger, dem freien Willen und der von ihm getragenen sittlichen Selbstbestimmung ihren ethischen Wert zu wahren. In diesem Sinne hebt besonders Abälard schon im 12. Jahrhundert die Bedeutung der Gesinnung und des Gewissens hervor. Indem er nicht in der äußeren Beschaffenheit der Handlung, sondern in den ihr zu Grunde liegenden inneren Motiven den wesentlichen Unterschied des Guten und Bösen erblickt, läßt er den mystischen Erlöserbegriff zurücktreten hinter dem sittlichen Vorbilde Jesu, und betont er, hierin wie in seiner Begeisterung für das klassische Altertum dem späteren Humanismus verwandt, energisch den Wert der einzelnen sittlichen Persönlichkeit. Anselmus hatte in seiner Theologie die Ethik überhaupt nicht berührt; Abälard machte sie zu einem Hauptteil der seinen. Aber die Kirche verwarf die Lehren des letzteren, während sie die dialektischen Beweise des Anselmus sanktionierte*). Dies war im Sinne des auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangten hierarchischen Systems folgerichtig gedacht. Für das Volk war die Kirche durch ihre Organe die Richterin über gut und böse. Für die in der Kirche selbst vertretene geistige Bildung war aber eine verstandesmäßige Philosophie, die sich streng an das Dogma gebunden hielt, der adäquate Ausdruck der herrschenden Anschauungen. Auf diese Weise entsprach die Rationalisierung des Glaubens, wie sie diese erste Blüteperiode der scholastischen Theologie hervorgebracht hat, durchaus der ihr parallel gehenden Verweltlichung der Kirche; und wie in dieser der Gegensatz zu den urchristlichen Anschauungen seinen Höhepunkt erreichte, so war auch diese dialektische Theologie selbst aus Kontrasten zusammengesetzt. Was von keinem Verstand begriffen werden kann, das machte sie zu einer verstandesmäßigen,

*) Über Abälards Leben und Kämpfe vergleiche A. Hausrath, Peter Abälard, 1893.

demonstrierbaren Wahrheit. Sie bediente sich zu ihren Beweisen der unbeschränkten logischen Kraft des Denkens; aber diese Beweise selbst waren an Sätze gebunden, die vor jedem Beweis feststanden. So war sie Verstandesaufklärung im Dienste der Mystik, ebenso wie die Kirche im Dienste der Religion der Weltentsagung den Anspruch erhob, über die Welt zu herrschen.

b. Der neue Aufschwung des weltlichen Lebens und die klassische Scholastik.

Der Höhepunkt der Macht, den die Kirche erreicht hatte, bezeichnete jedoch zugleich den Beginn ihres allmählichen Niedergangs. Unter den Unternehmungen, in denen jene Machtentfaltung zum Ausdruck kam, standen die Kämpfe um den Besitz des heiligen Grabes allen andern voran. Sie bekundeten ebensosehr die Stärke der religiösen Ideen wie die geistige Herrschaft der die Völker Europas zum Kreuzzug rufenden Kirche. Aus religiöser Ekstase war die Idee dieser Unternehmungen entsprungen. Aber wie in sie selbst bald genug weltliche Interessen in steigendem Maße sich einmengten, so dienten sie in ihren weiteren Folgen der Verbreitung weltlicher Anschauungen auf allen Gebieten. Auf die ritterlichen Streiter um den Besitz des heiligen Grabes warf der ideale Zweck einen verklärenden Schimmer. So ging aus diesen Kämpfen jene Blüte des Rittertums hervor, die den Glanz des höfischen Lebens erhöhte und bald auch die Anfänge weltlicher Kunst und Wissenschaft anregte. Mit der gelehrten Bildung der Kleriker trat die höfische Dichtkunst in einen umso erfolgreicheren Wettkampf, als sie zum ersten Mal seit dem Untergang der antiken Kultur wieder aus den Quellen des nationalen Lebens und der Volkssprache schöpfte. Der Verkehr mit dem Orient, dem ein gesteigerter Verkehr auch der europäischen Nationen untereinander sich anschloß, ließ einen Welthandel erblühen, wie ihn noch keine vorangegangene Zeit gesehen. Der durch Handel und Industrie über den Mittelstand sich verbreitende Reichtum erweckte auch in diesem höhere Lebensbedürfnisse und geistige Interessen. Die mohammedanische Geistesbildung, damals in vieler Beziehung der abendländischen überlegen, begann trotz des religiösen Gegensatzes ihre Wirkungen zu äußern. Seit dem 8. Jahrhundert waren die Schätze der alexandrinischen Wissenschaft auf die Araber übergegangen. Mathematik und Astronomie, Arzneikunde und Philosophie gelangten hier zur Blüte, und in der Wundt, Ethik. 3. Aufl. I.

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