ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

Kirche, die neu erstehende weltliche Kultur sich zu assimilieren, schließlich notwendig scheitern mußten, weil das asketische Ideal, an das die Kirche durch ihre Tradition gebunden blieb, fortan der Welt innerlich feindselig gegenüberstand. Die Kirche konnte die Welt beherrschen, und sie konnte selbst verweltlicht werden, aber sie konnte weder die Welt sich noch sich der Welt assimilieren. Der Versuch des thomistischen Systems, dies zu leisten, mußte notwendig scheitern. Schon vom Ende des 13. Jahrhunderts an verrät sich innerhalb der scholastischen Theologie selbst eine Wendung der Dinge, die für die nächste Zukunft andere Anschauungen in den Vordergrund treten läßt, in denen zugleich der in dieser Zeit beginnende Niedergang der kirchlichen Macht sich verrät.

c. Der Niedergang des hierarchischen Systems und die Trennung von Glauben und Wissen.

Die Theorie des in der Kirche verkörperten Gottesstaates mit seiner Suprematie über den durch menschliche Satzung entstandenen Weltstaat konnte auf die Dauer gegenüber dem wachsenden Machtbewußtsein der nationalen Staaten nicht standhalten. Als mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts die Ansprüche des hierarchischen Systems an diesem von der neu erwachten weltlichen Kultur getragenen staatlichen Machtbewußtsein zu scheitern begannen, führte aber der Niedergang dieses Systems auch den der Theologie, in der er seinen klassischen Ausdruck gefunden hatte, mit sich. Und wiederum ging von dem Mönchtum die neue, der veränderten Zeitlage entsprechende geistige Bewegung aus. In dem Maße als die Philosophie der Dominikaner dem Streben der Kirche nach Weltherrschaft dienstbar geworden war, und neben der Theologie auch die weltliche Wissenschaft diesem Streben dienstbar gemacht hatte, war der Orden selbst allmählich einer Verweltlichung anheimgefallen, die ebensosehr in der wachsenden Anteilnahme an weltlichen Interessen wie in der äußerlichen Auffassung der Glaubensdogmen und des Offenbarungsprinzips sich aussprach. Einzelne, die, wie der deutsche Dominikaner Eckhart und seine Schüler, ihre eigenen, der älteren Gnosis sich wieder nähernden Wege gingen, konnten dieser dogmatischen Erstarrung keinen Einhalt tun. Die mystische Richtung, die hier sich anschließt, und die bis in das Zeitalter der Reformation und über dieses hinaus reicht, verliert daher auch bald den Zusammenhang mit der mönchischen Gelehrsamkeit der Zeit. Ein wirksamerer Kampf gegen den Thomismus ging dagegen in der

Scholastik selbst von dem älteren der beiden Bettelorden, von dem der Franziskaner aus, der im Sinne seines Stifters von frühe an in der Nachahmung des Lebens Jesu und in der in diesem Sinne geübten Predigt des Evangeliums seine Mission gesehen hatte*). Freilich war auch das Lebensideal des heiligen Franziskus seinen Jüngern längst abhanden gekommen. Der Betrieb weltlicher Wissenschaft und die Einmischung in politische Fragen hatten neben den gewöhnlichen Mißbräuchen des Klosterlebens um sich gegriffen. Immerhin hatte die ursprüngliche Tendenz, durch die eigene sittliche Tat sich der Nachfolge Jesu würdig zu zeigen, in der Stellung des Ordens zu den theologischen Streitfragen ihre nachwirkende Kraft bewahrt. Dieser Tendenz widerstrebte aber der Intellektualismus des thomistischen Systems vor allem in jener Lehre vom Gewissen, nach welcher der Wille von der natürlichen Einsicht und, soweit es sich um die religiösen Gebote handelt, von der durch die Offenbarung vermittelten übernatürlichen Erkenntnis geleitet werde. Diesem doppelten Determinismus setzte, gemäß der weniger auf die Kontemplation als auf die Tat gerichteten Gesinnung seines Ordens, der irische Franziskaner Johannes Duns Scotus einen absoluten Indeterminismus entgegen. Durch seinen eigenen Willen ist der Mensch der Sünde verfallen, folglich kann auch die Erlösung nicht ohne sein eigenes Zutun verdient werden. Die erlösende Tat Christi ist dazu nur eine mitwirkende Bedingung; sie ist übrigens, wie alle andern Glaubensdogmen, unbeweisbar und unbegreiflich. Nicht durch die menschliche Vernunft, sondern durch die Autorität der Kirche sind die Dogmen gewiß. Das ist die Rückkehr zu der einst von Augustin bekämpften und überwundenen pelagianischen Erlösungslehre. Zugleich aber ergreift dieser neue Pelagianismus alle andern Glaubensdogmen. Zwischen Glaube und Wissen ist die Brücke abgebrochen, die Thomas noch so kunstvoll mit Hilfe aristotelischer Kategorien geschlagen hatte. Aber sie ist nicht, wie es früher und später so manchmal geschah, beseitigt, um nun den mystischen Wert der Glaubenswahrheiten dem Gemüt um so näher zu bringen. Dazu ist auch diese Richtung der Scholastik schließlich doch allzu weltlich gesinnt, und dazu ist sie überdies allzu sehr in jenen hinter Klostermauern ausgeheckten dialektischen Formalismus verstrickt, der gerade in dieser Zeit des Niedergangs seine üppigsten Blüten treibt. Das

*) Zur Geschichte dieses Ordens und verwandter Richtungen vergleiche A. Hausrath, Die Arnoldi sten, 1895.

Prinzip der Willensfreiheit bleibt für den Nominalismus ohne sittlichen Wert, weil ihm die sittlichen Prinzipien selbst abhanden gekommen sind. Der freie Wille ist ihm, da er nun einmal aus dem scholastischen Zauberkreis verstandesmäßiger Dialektik nicht hinauskann, schließlich keine Tat, sondern ein Begriff, den es in alle seine Konsequenzen zu verfolgen gilt. Ist der Mensch frei, so ist Gott erst recht frei. Daß er die Welt geschaffen hat, ist ebenso sein Wille, wie die Erlösung sein an sich unbegreiflicher Wille ist. Mit der Schöpfung sind aber auch die Sittengesetze nach seinem Willen von Gott gegeben; er hätte, wenn er gewollt, auch andere geben können: sie sind nicht gegeben, weil sie gut sind, sondern sie sind gut, weil sie von Gott sind. Damit wird das Sittengesetz selbst nicht nur für zufällig erklärt, wie ja im Sinne des extremen Indeterminismus jede Willenshandlung ein Zufall ist, sondern auch für unbegreiflich, weil Gottes Wille ebenso wie sein Wesen die menschliche Erkenntnis überschreitet. Da somit das Sittengesetz eine Offenbarungswahrheit ist, so steht aber seine Auslegung vor allem der Vermittlerin aller Offenbarung, der Kirche, zu. So wendet schließlich auch diese Richtung ihre Doktrin in majorem ecclesiae gloriam. Der thomistische Realismus hatte die alte Lehre von der doppelten Moral nicht überwunden, aber das Gebiet weltlicher Sittlichkeit immerhin durch die Anlehnung an die aristotelische Ethik einigermaken zu Ehren gebracht. Der scotistische Nominalismus beseitigt prinzipiell die doppelte Moral, die sittlichen Pflichten sind ihm ganz und ausschließlich Pflichten religiösen Gehorsams. Dem Sittlichen selbst nimmt er damit jeden eigenen Wert. So wird die seit früher Zeit in der christlichen Welt schwebende Frage nach dem Verhältnis von Sittlichkeit und Religion von dieser letzten Richtung kirchlicher Wissenschaft dahin beantwortet, daß beide eins seien, und daß daher über Fragen des Tuns wie des Glaubens die Autorität der Kirche entscheide. Der Wille ist frei, aber er ist gleichzeitig an religiöse und sittliche Gebote gebunden, die nicht durch ihren eigenen Inhalt, sondern als äußere Zwangsgebote, von deren Erfüllung das Heil der Seele abhängt, unbedingten Gehorsam heischen. Damit ist auch dieser Versuch, nicht durch die Versöhnung von Glauben und Wissen, sondern durch die endgültige Trennung beider, das von der Kirche vertretene Christentum der Welt und die Welt diesem Christentum zu assimilieren, erst recht der Verweltlichung anheimgefallen. Die Religion des Nominalismus ist nicht innere Glaubensüberzeugung, sondern äußerer Autoritätsglaube; und an dem Schicksal der Religion

nimmt nun auch die Sittlichkeit teil: das Sittengebot ist heteronom, zufällig, und beruht im letzten Grunde auf dem äußeren Zwang, den der Staat ausübt, indem er der Kirche zur Sühne des Frevels wider Gottes Gebot das weltliche Schwert leiht. Daneben äußert sich die fortschreitende Verweltlichung nun bald auch darin, daß die religiösen und sittlichen Probleme mehr und mehr überhaupt in den Hintergrund treten, um jenen dialektischen Streitfragen nach der Natur der allgemeinen Begriffe, der „Universalien", Platz zu machen, denen der Nominalismus seinen Namen verdankt, und in deren Behandlung vornehmlich der größte der Nominalisten des 14. Jahrhunderts, Wilhelm von Occam, Meister ist. Die aristotelische Scholastik geht zu Ende, indem innerhalb dieses gelehrten Mönchtums bereits der Ruf nach empirischer, auf das Einzelne gerichteter Forschung ertönt. Aber auch die Autorität der Kirche, in deren Dienst sich der beginnende Nominalismus gestellt, wird wankend, indem Einzelne aus jener Trennung des Glaubens und Wissens bereits auf das Verhältnis von Kirche und Staat die Folgerung ziehen. Inmitten dieser Wirren regen sich schon mächtig die Ideen der Renaissance in Kunst und Wissenschaft. Die Antike erschließt eine Fülle neuer, weltlicher Ideale, die von den Idealen des ursprünglichen wie des mittelalterlichen Christentums weit abliegen. Den Päpsten und Bischöfen liegen die weltliche Herrschaft und der Ruhm, Beschützer der Künste zu sein, mehr am Herzen als das Heil der Kirche oder gar der Christenheit. So droht hier der Kirche eine neue Form der Verweltlichung, nicht eine solche, bei der sie die Welt ihren eigenen Zwecken dienstbar macht, sondern eine andere, bei der sie selbst diesen Zwecken untreu wird. Da erhob sich noch einmal das alte asketische Ideal des Urchristentums. Abermals ging der Ruf nach religiöser Reform von dem Mönchtum aus, und, wie früher, so war er auch diesmal zunächst ein Kampfruf für die Kirche. Aber wieder ging die Bewegung weit, und diesmal weiter als je zuvor, über das zunächst erstrebte Ziel hinaus. Sie zerstörte nicht nur das Mönchtum, aus dem sie entsprungen, sondern sie zerstörte mit diesem die mittelalterliche Kirche, deren Träger das Mönchtum war, und sie zerstörte nicht zuletzt das asketische Ideal, dessen Widerspruch mit den Bedingungen der Wirklichkeit bis dahin ein Hauptferment für die Entwicklung der christlichen Lebensanschauungen gewesen war.

3. Die Reformation.

a. Die religiöse Reform.

Indem sich die reformatorische Bewegung gegen die Verweltlichung der Kirche richtete, wurde sie mehr und mehr über die Ziele hinausgetrieben, die sie sich ursprünglich gesetzt hatte. Zu der Einsicht gelangt, daß die in der alten Kirche eingerissenen Übel und Mißbräuche unausrottbar geworden seien, schreitet sie zu einer neuen Kirchenbildung, die den Geist des Christentums in seiner ursprünglichen Reinheit wiederherstellen soll. Die so angebahnte religiöse Reform hat wesentlich zwei Ziele. Sie will erstens die ursprüngliche Verfassung der christlichen Gemeinde wiederherstellen. Die Kirche, von Christus als die Gemeinschaft der Gläubigen gegründet, soll wieder werden, was sie im Anfang gewesen, sie soll der äußeren Macht, der Einmischung in die Welthändel entsagen. Das hierarchische System soll daher beseitigt, statt seiner die freie, allen Mitgliedern gleiche Rechte gebende Ordnung des apostolischen Zeitalters wieder eingeführt werden. Der Geistliche soll Lehrer und Seelsorger der Gemeinde sein, Priestertum und Mönchtum als Träger einer höheren, angeblich besonders gottgefälligen Form des Lebens, sollen verschwinden. Wie in der äußeren Verfassung, so will aber die Reformation auch in dem, was als der Glaubensinhalt des Christentums anerkannt ist, wieder zu der ursprünglichen Überlieferung, wie sie in den Evangelien und den andern kanonischen Büchern des Neuen und Alten Testaments enthalten ist, zurückkehren. Sie will alles, was die spätere Tradition hinzugefügt hat, und was seitdem von der Kirche sanktioniert worden ist, als nicht zum Inhalt der christlichen Glaubensnorm gehörig beseitigen.

[ocr errors]

Daß dieses Ziel der Wiederherstellung des ursprünglichen christlichen Lebens und Glaubens nicht erreicht wurde, daß es nicht erreicht werden konnte, das lag nun in mannigfachen äußeren und inneren Bedingungen, es lag aber vor allem darin begründet, daß sich die Lebensanschauungen einer längst vergangenen Zeit niemals unverändert erneuern lassen. Das urchristliche Gemeindeprinzip, entstanden in einer gänzlich außerhalb der Welthändel stehenden religiösen Gemeinschaft, war unmöglich geworden in der vom Kampf politischer Mächte erfüllten christlichen Welt. Indem sich die Kirche Luthers, durch den Zwang der Verhältnisse gedrängt, in den Schutz des Staates begab, wurde sie selbst von dem Willen der Landesherren und von allen den weltlichen Motiven, von denen sich diese

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »