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tische Tüchtigkeit mit Rücksicht auf den Nutzen, den die Leistungen des Einzelnen seinen Genossen oder der Gesellschaft gewähren, ursprünglich den vorwiegenden Maßstab der Wertschätzung abgeben, worauf allmählich erst individuelle Eigenschaften, von denen der Andere einen unmittelbaren Vorteil nicht erwarten kann, neben jenen sich Geltung erringen. Auf beiden Wegen vertiefen sich die sittlichen Anschauungen, auf dem zweiten befreien sie sich zugleich von selbstsüchtigen Motiven.

c. Die Allgemeingültigkeit der sittlichen Vorstellungen.

Durch die obigen Folgerungen wird schließlich noch eine Frage nahegelegt, auf die uns die Geschichte des ethischen Wortschatzes eine unmittelbare Antwort nicht geben kann. Es ist die Frage, ob die rohen Ursprünge dieser Entwicklung überhaupt mit dem entwickelten sittlichen Bewußtsein vergleichbar sind, ob sie die Anfänge dieses letzteren schon in sich schließen, oder ob sich nicht vielleicht aus ihnen ganz andere, ja entgegengesetzte Vorstellungen über Recht und Unrecht entwickelt haben könnten. So unzweifelhaft es ist, daß der Mensch überall irgend welche Eigenschaften und Handlungen billigt und andere mißbilligt, so macht doch die Existenz solcher Gegensätze des Urteils noch keinerlei Übereinstimmung in dessen Motiven erforderlich; und auch der Umstand, daß gewisse sinnliche Eigenschaften, wie Gesundheit und körperliche Stärke, geschätzt und ihre Gegensätze mißachtet werden, beweist für unseren Fall nichts, da diese Eigenschaften selbst sittlich gleichgültig sind. Wenn auf den ursprünglichen Stufen das Sittliche vollständig in dem Sinnlichen aufgeht, so scheint es also an sich nicht undenkbar, daß sich das erstere nach entgegengesetzten Richtungen entwickeln könnte.

Hier kommen nun zwei Erscheinungen zur Geltung, die zwar nicht für eine ursprüngliche Gleichheit sittlicher Vorstellungen, wohl aber für übereinstimmende sittliche Anlagen in die Schranken treten. Die erste besteht darin, daß die sinnlichen Eigenschaften, die der Naturmensch rühmlich findet, den geistigen, die der Kulturmensch bevorzugt, in ihrem Gefühlscharakter wie in ihren kausalen Beziehungen verwandt sind. Körperliche Gesundheit und physische Kraft sind stets die normalen sinnlichen Grundlagen des Mutes, der Tapferkeit, der Festigkeit gewesen; sie sind es selbstverständlich auf roheren Stufen weit mehr als bei entwickelter sittlicher Kultur, aber bis zu einem gewissen Grade werden sie es ver

möge der sinnlichen Natur des Menschen wohl immer bleiben. Eben deshalb werden wir aber auch annehmen dürfen, daß ursprünglich schon mit der Wertschätzung der physischen Kraft eine Schätzung der von ihr getragenen ethischen Eigenschaften verbunden gewesen sei. Die zweite Erscheinung besteht darin, daß aus den übereinstimmenden sinnlichen Anlagen des menschlichen Bewußtseins schließlich übereinstimmende sittliche Anschauungen sich wirklich entwickelt haben. Gegenteilige Behauptungen beruhen entweder auf übertreibenden Schilderungen der sinnlichen Vorstufen des sittlichen Bewußtseins oder auf einer übermäßigen Betonung jener spezifischen Färbungen des sittlichen Lebens, welche die wechselnden Bedingungen der Kultur und des nationalen Charakters mit sich führen. Kein Unbefangener kann sich der Überzeugung verschließen, daß die Unterschiede hier schließlich nicht größer sind als auf intellektuellem Gebiete, wo trotz aller Mannigfaltigkeit der Anschauungen und Denkrichtungen doch die Allgemeingültigkeit der Denkgesetze feststeht.

Hiernach wird eine objektive Interpretation der sprachlichen Zeugnisse der Ansicht gewisser Anthropologen, welche die sittlichen Ideen für eine späte, auf einige Kulturvölker beschränkte Erfindung halten, ebenso ihre Zustimmung versagen, wie der Meinung derjenigen Philosophen, die jene Ideen für ein ursprüngliches Besitztum des menschlichen Bewußtseins erklären. Wie alle unsere Anschauungen und Begriffe, so sind auch die sittlichen einer Entwicklung unterworfen; aber die Keime dieser Entwicklung sind von Anfang an gleichartig, und die Entwicklung selbst erfolgt, bei großer Mannigfaltigkeit im einzelnen, nach übereinstimmenden Gesetzen.

Doch die Sprache verrät uns in dem Wortschatz der sittlichen Begriffe und in dessen Wandlungen nur die äußeren Spuren der gewaltigen Entwicklung, die das sittliche Bewußtsein selbst zurückgelegt hat. Der große Wert dieser Spuren besteht vor allem in der vollkommenen Objektivität der sprachlichen Zeugnisse, in der keine andere Art der Überlieferung es mit ihnen aufnehmen kann. Wollen wir jedoch die Bedingungen dieser in der Sprache sich verratenden Entwicklung ermitteln, so müssen wir uns nach anderen Zeugnissen umsehen, die sich nicht bloß auf die äußeren Zeichen der sittlichen Vorstellungen, sondern auf diese selbst beziehen. Für solche Zeugnisse bieten sich hauptsächlich zwei Quellen dar. Die eine besteht in den religiösen Anschauungen, die andere in den durch Sitte und rechtliche Normen geregelten sozialen Erschei

nungen. In den Religionsanschauungen verraten sich vorzugsweise die inneren Motive, in den sozialen Erscheinungen die äußeren Zwecke des sittlichen Strebens. Beide aber sind wieder beeinflußt durch Naturumgebung und Kulturbedingungen.

Zweites Kapitel.

Die Religion und die Sittlichkeit.

1. Mythus und Religion.

a. Die autonome, metaphysische und ethische Auffassung der Religion.

In der Frage nach dem Zusammenhang der religiösen und der sittlichen Anschauungen herrscht bekanntlich seit alter Zeit ein ungeschlichteter Streit der Meinungen. Eine Untersuchung der tatsächlichen Beziehungen, die zwischen beiden Gebieten im Bewußtsein und Leben der Völker bestehen, wird zunächst gut daran tun, ihren Weg soviel als möglich abseits von diesem Streite zu nehmen. Handelt es sich doch bei ihm zumeist nicht um eine objektive Prüfung der Erscheinungen, sondern um Gegensätze philosophischer und theologischer Richtungen. Dabei werden aber die Tatsachen meist nur insoweit in Betracht gezogen, als man sie von dem jeweils eingenommenen Standpunkte aus zu beleuchten bemüht ist, wo sie dann freilich manchmal kaum mehr als die nämlichen wiederzuerkennen sind.

Nur in einer Beziehung wird keine Untersuchung umhin können, das Terrain, auf dem jener Meinungsaustausch stattfindet, zu berühren in der für die weitere Erörterung unerläßlichen Beantwortung der Frage nämlich, was man überhaupt unter Religion zu verstehen habe. Diese bedarf hier umso mehr einer vorläufigen Erwägung, als gerade über die Beziehungen zwischen Mythus und Religion sehr abweichende und zum Teil unbestimmte Anschauungen verbreitet sind. Sind doch viele Mythologen und Ethnologen geneigt, beide überhaupt zu identifizieren, während andere nur den unseren heutigen religiösen Ideen entnommenen Begriff als maßgebend ansehen. Beide Standpunkte sind offenbar nicht geeignet, zu einer für die praktische Betrachtung brauchbaren Auffassung zu führen. Nur in einer

Hinsicht wird man dem zweiten dieser Standpunkte eine gewisse Berechtigung zuerkennen müssen: darin nämlich, daß unser Begriff der Religion nur nach dem, was wir noch jetzt unter ihr verstehen, orientiert sein kann. Freilich wird dann wiederum nicht bloß das in der Gegenwart erst vorhandene religiöse Bewußtsein dem Begriff der Religion zuzurechnen sein, sondern wir werden, um diesen Begriff zu finden, von der heute gewonnenen Stellung aus die Richtlinien zu ziehen haben, die bis zu bestimmten Ausgangspunkten zurückführen, um dann, was in einer dieser Richtlinien liegt, der Religion in ihrer Entwicklung zuzuordnen. Dieses Verfahren. begegnet freilich wiederum der Schwierigkeit, daß wir auch heute noch nicht über einen eindeutigen Religionsbegriff verfügen, sondern daß die Anschauungen über diesen im allgemeinen nach drei Richtungen auseinandergehen. Wir können sie als die autonome, die metaphysische und die ethische Theorie bezeichnen.

Die autonome Auffassung, die, in den Anschauungen eines Hamann und Jacobi bereits vorgebildet, hauptsächlich von Schleiermacher vertreten wird, nimmt die Religion als ein Gebiet für sich in Anspruch, außerhalb des Metaphysischen und des Ethischen. Während die Metaphysik die theoretische Erkenntnis der endlichen Dinge, die Ethik die Verhältnisse des empirischen Handelns zum Gegenstand habe, sei jene unmittelbares Bewußtsein von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen, alles Zeitlichen im Ewigen", oder, wie Schleiermacher später es ausdrückte, „Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit" *). Der metaphysischen Theorie dagegen fällt die Religion mit der spekulativen Erkenntnis des Universums zusammen, mag diese Erkenntnis als ein dem menschlichen Denken auf begrifflichem Wege vermitteltes Wissen angesehen werden, wie im älteren Rationalismus, oder mag man in ihm eine immanente Entwicklung des absoluten Geistes selbst erblicken, wie im neueren spekulativen Idealismus. Auf alle diese Schattierungen paßt Hegels Definition der Religion, sie sei „Wissen des endlichen Geistes von seinem Wesen als absoluter Geist ***), ein Begriff, der darauf ausgeht, den Unterschied von Religion und Philosophie schließlich aufzuheben oder als einen bloß äußerlichen erscheinen zu lassen. Merkwürdigerweise trifft in dieser Gleichsetzung die extremste unter den antimetaphysischen Richtungen mit der meta

*) Schleiermacher, Reden über die Religion, 4. Aufl., S. 42.
**) Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, I, S. 37 ff.

physischen Theorie zusammen. Auch Auguste Comte lehrt in der Einleitung zu seiner „positiven Philosophie" die Einerleiheit von Religion und Metaphysik, und er läßt das theologische oder religiöse dem metaphysischen Stadium menschlicher Entwicklung ähnlich vorausgehen, wie Hegel in seiner Enzyklopädie die Religion als Vorstufe der Philosophie betrachtet. Nur die Wertschätzung ist eine andere geworden. Für Comte sind Religion und Mythus, Mythus und Aberglaube identisch, und Metaphysik gilt ihm als eine Mythologie in Begriffen. Das „positive Studium" der rein tatsächlichen, aller Hypothesen und Spekulationen entäußerten Auffassung der Dinge aber, das bei ihm die Entwicklung abschließt, würde für Hegel nicht einmal als unterste Stufe Geltung haben. Die neuere Anthropologie endlich, die sich meist der Auffassung Comtes zuneigt, pflegt nur den Begriff der Religion auf ein noch engeres Gebiet einzuschränken. Sie definiert sie als „Glaube an geistige Wesen überhaupt", oder macht die unter dem Eindruck des Todes und des Traumes gebildeten Vorstellungen von einer selbständigen Seele sowie die damit in Zusammenhang stehende Ahnenverehrung zur einzigen Quelle religiöser Vorstellungen. Da alle diese Ansichten das Wesen der Religion in einer Art primitiver Metaphysik erblicken, so werden sie umso mehr der metaphysischen Auffassung zugezählt werden können, als auch bei ihnen die entscheidenden religiösen Motive schließlich in das Erkenntnisbedürfnis des Menschen verlegt werden. Wenn man, von diesem Standpunkt aus, wie Herbert Spencer, der Religion gleichwohl eine bleibende Bedeutung beimißt, da wird daher diese, nachdem jene primitive Metaphysik der positiven Wissenschaft dienstbar geworden sei, lediglich darin gesehen, daß ein „Unerkennbares auch für die Wissenschaft fortan bestehen bleibe*). Die ethische Theorie endlich sieht in der Religion die Verwirklichung sittlicher Postulate. Ihre Wurzeln hat diese Denkweise in dem aufgeklärten Deismus der vorangegangenen Jahrhunderte, ihre einflußreichste Gestaltung hat sie durch Kant gewonnen, dessen Lehren noch heute in weit verbreiteten philosophischen und theologischen Richtungen fortwirken. Indem Kant die Religion eine „Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote" nennt, wird sie ihm zu dem Inbegriff der Voraussetzungen, die wir zur Erklärung der Existenz des Sittengesetzes und zur Sicherstellung seiner Ver*) Comte, Philosophie positive, I, Introduct. Herbert Spencer, Soziologie, I, S. 344 ff. (deutsche Ausg.). Grundlagen der Philosophie (first) principles), S. 3 ff.

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