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eigentlich immer noch auf einem vorsittlichen Gebiete. Denn Verdienst und Frevel werden bestenfalls nach dem Gehorsam gegen die Wünsche der Götter bemessen, die selbst keineswegs sittliche zu sein brauchen, und nicht selten sogar bloß nach der willkürlichen Neigung und Abneigung, welche die Götter einzelnen Sterblichen zu teil werden lassen.

Sobald aber solche Vorstellungen verallgemeinert, von einzelnen durch die Huld oder Mißgunst der Götter ausgezeichneten Sterblichen auf die Gesamtheit der Menschen übertragen werden, so tritt nun damit von selbst das Leben nach dem Tode mehr und mehr in den Dienst des Vergeltungsgedankens: es gestaltet sich zu einem System von Strafen und Belohnungen, das sich nicht mehr bloß aus dieser Welt in das Leben nach dem Tode fortsetzt, sondern in dem letzteren erst seinen eigentlichen Anfang nimmt. Damit ist jene Forderung göttlicher Gerechtigkeit, die im irdischen Dasein so oft unerfüllt bleibt, zu ihrer vollen, durch widerstreitende Erfahrungen nicht mehr zu trübenden Geltung gelangt. Die Götter der Unterwelt werden nun zu Richtern über die Taten der Gestorbenen. Tartarus und Elysium werden als die vollständig getrennten Wohnorte der Sünder und der Seligen einander gegenübergestellt. Dort führt Pluto, hier der blonde Rhadamanthys die Herrschaft. Indem so die Götter des Schattenreichs in das Amt strafender und lohnender Gottheiten einrücken, verblaßt jene Vorstellung, nach der noch im irdischen Leben dem Verbrechen die göttliche Strafe folge, und soweit sie erhalten bleibt, löst sie sich wenigstens von der unnahbaren Hoheit der olympischen Götter, um an besondere Schicksals- und Strafgottheiten untergeordneter Art, die überlebenden Nachkommen der Gestalten des alten Dämonenglaubens, die Mören, die Erinnyen, überzugehen. Bei diesem Wandel der Anschauungen erhöht sich zugleich die ethische Bedeutung der oberen Götter, indem nun nicht mehr jeder einzelne Akt göttlicher Gerechtigkeit, umso mehr aber die allgemeine Erhaltung derselben in ihre Hand gelegt ist.

Die Läuterung des sittlichen Gefühls, die mit der Ausbildung dieses Gedankens einer allgemeinen sittlichen Weltordnung verbunden ist, findet nun in zwei bemerkenswerten Veränderungen ihren Ausdruck. Die erste besteht darin, daß die Idee der Belohnung des Guten allmählich eine wachsende Bedeutung gewinnt. Die Götter erscheinen nicht mehr bloß als die Rächer begangenen Frevels, sondern, indem sie einem Jeden in einem künftigen Leben nach dem Maß seiner Handlungen im Diesseits sein Los zu

teilen, verkörpert sich in ihnen immer vollständiger der Gedanke einer allwaltenden Gerechtigkeit. Zugleich beschränkt sich diese nicht mehr bloß auf einzelne bevorzugte Sterbliche, sondern sie erstreckt sich in gleicher Weise über Hoch und Gering, so daß von selbst mit der Erwartung künftiger Vergeltung auch die Hoffnung auf die Ausgleichung jener unverschuldeten Unterschiede sich verbindet, die Geburt und zufällige Schicksale im Leben des Menschen herbeiführen. Die zweite Veränderung, die damit Hand in Hand geht, besteht in dem allmählichen Zurücktreten jener Vorstellungen göttlicher Strafe, die aus sittlich gleichgültigen Motiven den Menschen trifft, Vorstellungen, die zumeist in der nämlichen Vermenschlichung der Götter ihre Quelle haben, die dieselben auch der menschlichen Schwächen und Leidenschaften teilhaftig macht. Je menschlicher der Gott erscheint, umsomehr kann auch sein Zorn durch Handlungen gereizt werden, die nicht an sich tadelnswert sind, sondern nur seinen zufälligen Launen und Wünschen widerstreiten. Ja es kann sich ereignen, daß Glück und Ruhm eines Sterblichen, sogar wenn sie aus sittlicher Tüchtigkeit entsprungen sind, den Zorn des Gottes erregen, weil das über das gewöhnliche menschliche Maß hervorragende Verdienst ein Vorrecht ist, das der Gott allein für sich in Anspruch nimmt. Auf solchen Voraussetzungen beruht wohl die bei den Hellenen so verbreitete Vorstellung von dem Neid der Götter, eine Vorstellung, die, trotz ihrer unsittlichen Auffassung von den Beweggründen des göttlichen Willens, doch für die ethische Entwicklung nicht ohne Bedeutung ist. In der Tat birgt diese Idee, wenn auch in einer unvollkommenen religiösen Form, doch selbst einen sittlichen Kern. Auf der einen Seite liegt in ihr der Gedanke, daß allzuviel Glück leicht den Menschen übermütig mache und so das Gleichgewicht seiner sittlichen Kräfte störe. Auf der andern Seite ist es die Forderung der ausgleichenden Gerechtigkeit, die in jener Anschauung, daß ein gewisses Maß menschlicher Vorzüge nicht überschritten werden dürfe, ohne daß es durch ein entsprechendes Maß von Mißgeschick aufgewogen werde, zum ersten Mal ihre Stimme erhebt. Indem aber allmählich diese Forderung vom Diesseits in das Jenseits verlegt wird, weicht zugleich der niedrige Affekt des Neides der Idee einer vollkommenen Gerechtigkeit, die nicht nur das Gute belohnt und das Böse bestraft, sondern auch alle Verschiedenheit der Lebensschicksale so ausgleicht, daß jedem zukommt, was ihm gebührt. Doch in diesem Wandel der Anschauungen sind bereits Einflüsse zu spüren, die nicht mehr der

autonomen Entwicklung der Naturreligion angehören, sondern von dem allmählich herangereiften philosophischen Nachdenken auf sie ausgeübt werden.

c. Der Einfluß der Philosophie auf die Vergeltungsvorstellungen.

Innerhalb der Entwicklung der Naturreligionen war die Ausbildung ethischer Gegensätze da vor allem nahe gelegt, wo der Mythus selbst von frühe an den Widerstreit glück- und unheilbringender Wesen ausgebildet hatte, wie dies bei den indogermanischen Völkern namentlich in der iranischen, und zum Teil in der altgermanischen Mythologie geschehen war. Doch zeigt gerade die Entwicklung der iranischen Religionsvorstellungen, daß sich diese vollständige Versittlichung des Unsterblichkeitsgedankens nicht ohne den Einfluß philosophischer Spekulation vollzog. Schon in den ältesten Hymnen des Zendavesta tritt uns eine Verbindung religiösen Gefühls und philosophischen Nachdenkens entgegen, wie sie überall auf die Einwirkung machtvoller Persönlichkeiten zurückweist, die den Inhalt der ursprünglichen Naturreligion in ethischem Interesse umgestalten.

Anderseits bieten nun aber auch die in dem Mythus überlieferten Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, da in ihnen immerhin bereits sittliche Keime enthalten sind, der Philosophie willkommene Anknüpfungen bei ihren Versuchen, die letzten Motive des sittlichen Bewußtseins nachzuweisen. So kommt es, daß vor allem das Ethische ein Gebiet ist, auf dem sich Philosophie und Mythologie in der mannigfaltigsten Weise begegnen, sei es, daß der Mythus von philosophischen Gedanken durchdrungen ist, sei es, daß die Philosophie ihre Begriffe in mythologischen Bildern zu verkörpern strebt, oder sei es endlich, daß beide, Religion und Philosophie, dergestalt verschmelzen, daß es kaum möglich ist, zu entscheiden, ob die religiösen Elemente oder die philosophischen die überwiegenden sind. Als ein Beispiel der ersten Form, der von philosophischen Gedanken beeinflußten Religion, können wir wohl das zoroastrische System, als ein Beispiel der zweiten, der von religiösen Ideen getragenen Philosophie, den Platonismus, und endlich als das unvergleichliche und nirgends wieder erreichte Vorbild einer völligen Durchdringung religiöser und philosophischer Elemente die Weltanschauung des Brahmanismus betrachten.

Ihre intensivste Steigerung hat die sittliche Verwertung der Vorstellungen vom Leben nach dem Tode namentlich in zwei philo

sophischen Systemen gefunden, von denen das eine dem Orient, das andere dem Abendland angehört: in der Vendantaphilosophie der Inder und in dem Platonismus. Beide haben auf die zwei weltbeherrschenden Religionen, auf den Buddhismus und das Christentum, einen tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. In konsequenter Fortbildung des Gedankens, daß dem Tode ein unbegrenztes Dasein folge, dessen Wert nach dem Inhalt des gegenwärtigen Lebens sich richte, gestehen sie diesem Leben überhaupt nur die Bedeutung einer Vorbereitung auf das Jenseits zu. Zwar hatte, von ähnlichen Voraussetzungen aus, schon die altägyptische Theologie in die Gedanken an Tod und Unsterblichkeit den Schwerpunkt des religiösen Kultus verlegt. Aber um dieser Anschauung ihre volle Macht über die Geister zu geben, dazu bedurfte es gleichzeitig jenes spekulativen Idealismus, den die Vedantaphilosophie und das platonische System unabhängig voneinander entwickelt haben. Der Ägypter sucht die ganze Körperlichkeit des diesseitigen Lebens in das jenseitige zu retten, das ihm daher nur eine Fortsetzung des sinnlichen Daseins ist. Das brahmanische und das platonische System erst erheben sich zum Glauben an die Unsterblichkeit des Geistes, während ihnen die Sinnenwelt als eine vergängliche gilt, die nur in dem Maße einen Wert besitzt, als das unvergängliche geistige Sein an ihr teilnimmt. So entwickelt sich hier jener Trieb, der Welt zu entfliehen und sich ganz in das eigene Innere zu vertiefen, der in der Vedantaphilosophie den vollen Gegensatz zu der werktätigen, den Zwecken des sinnlichen Daseins und der bürgerlichen Gesellschaft zugewandten Ethik des Hellenentums bildet. Der Platonismus, selbst aus dem Hellenentum hervorgegangen, steht zunächst noch vermittelnd zwischen beiden Gegensätzen. Aber in den mystischen Richtungen, in die er ausmündet, und in der mönchischen Askese, die aus der platonischen Verachtung der Sinnenwelt die praktische Folgerung zieht, treten auch hier die sittlichen Pflichten in den Hintergrund. Der Mystiker wie der Asketiker meinen, jener, indem er sich ganz in den Gedanken einer übersinnlichen Welt versenkt, dieser, indem er so viel als möglich die Schranken der Sinnlichkeit durch ihre Abtötung zu vernichten glaubt, schon hier die ewigen Güter eines von der Last der Erde befreiten Daseins genießen zu können. So wird nach einer sittlichen Belohnung gestrebt ohne sittliche Handlungen, und indem das sittliche Leben von allen Beziehungen zur Außenwelt gelöst wird, verschwindet jede wirkliche sittliche Tätigkeit. An diesem Widerspruch ist der Brahmanismus gescheitert. Das Christentum

Wundt, Ethik. 3. Aufl. I.

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aber hat, von mannigfachen Verirrungen abgesehen, den Standpunkt des Platonismus zu dem seinigen gemacht. Die sinnliche Welt ist ihm die Welt der sittlichen Handlungen. Auf sie bezieht sich die gesamte praktische Ethik des Christentums. Die übersinnliche ist ihm die Welt der sittlichen Belohnungen und Strafen. Nach der Lebensanschauung des Christentums soll daher der Mensch sich leiten lassen von der Idee einer übersinnlichen Welt, auf die ihm das irdische Leben als eine Vorbereitung gilt. Mit Rücksicht auf diese Beziehung der äußeren Handlungen zu einem ihrer eigenen Wirkungssphäre entrückten, aber von dem gläubigen Gemüt innerlich vorausgeschauten Dasein gilt der christlichen Ethik die Gesinnung als Wertmesser des sittlichen Lebens. In keiner Religionsanschauung ist so energisch wie in der christlichen die Idee zum Ausdruck gekommen, daß Gott die Gewissen prüft, und daß nicht in der Werkheiligkeit der Handlungen, sondern in der Reinheit der Gesinnung das Verdienst des sittlichen Lebens besteht.

Auf diese Weise sehen wir die Vorstellung, daß an die Handlungen der Menschen je nach ihrem sittlichen Wert Belohnungen und Strafen geknüpft seien, wesentlich unter dem Einflusse der philosophischen Vertiefung des religiösen Denkens eine Entwicklung einschlagen, die den ethischen Gehalt der Religion und damit zugleich ihre Wirkungen auf das sittliche Leben verstärkt. Aus der primitiven Ansicht, daß das Verbrechen, das menschlicher Strafe entgeht, noch in diesem Leben früher oder später der göttlichen Strafe anheimfalle, hat sich allmählich der Glaube an ein System von Belohnungen und Strafen entwickelt, durch das in einem künftigen, von den Mängeln der Wirklichkeit befreiten Dasein einem jeden genau nach dem Wert seiner Handlungen vergolten werde. In der Schätzung dieses Wertes hat aber schließlich der in der Gesinnung liegende innere Wert des Menschen über den äußeren seiner Handlungen den Sieg davongetragen.

Je mehr nun die Vorstellung von der Macht der Götter die Furcht vor der Rache der Menschen oder vor der strafenden Staatsgewalt überragt, umsomehr werden naturgemäß die in den natürlichen Lebensbedingungen liegenden Motive des sittlichen Handelns auch in den religiösen Motiven zum Ausdruck kommen; und der Wert dieser muß wiederum wachsen mit der Erhabenheit der Göttervorstellungen. Nichts aber ist wohl dieser Werterhöhung so förderlich gewesen, wie die an den Vergeltungsgedanken geknüpfte moralische Vertiefung der Gottesidee. Indem daher die letzte Stufe dieser

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