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machten wir unserem Beichtvater die lebhaftesten Vorwürfe; allein dieser ehrwürdige Mann wußte uns bald mit den Gründen des Wundarztes zu überreden, daß unser Mitleid für den armen Kranken tödtlich sei; er handle nicht aus eigener Willkür, sondern auf Befehl des Bischofs und des hohen Rathes. Die Absicht war, alles öffentlithe Aergerniß zu vermeiden und den traurigen Fall mit dem Schleier einer geheimen Kirchenzucht zu verdecken. Sperata sollte geschont werden, sie sollte nicht erfahren, daß ihr Geliebter zugleich ihr Bruder sei. Sie ward einem Geistlichen anempfohlen, dem sie vorher schon ihren Zustand vertraut hatte. Man wußte ihre Schwangerschaft und Niederkunft zu verbergen. Sie war als Mutter in dem kleinen Geschöpfe ganz glücklich. So wie die meisten unserer Mädchen konnte sie weder schreiben noch Geschriebenes lesen; sie gab daher dem Pater Aufträge, was er ihrem Geliebten sagen sollte. Dieser glaubte den frommen Betrug einer säugenden Mutter schuldig zu sein; er brachte ihr Nachrichten von unserem Bruder, den er niemals sah, ermahnte sie in seinem Namen zur Ruhe, bat sie, für sich und das Kind zu sorgen und wegen der Zukunft Gott zu vertrauen.

„Sperata war von Natur zur Religiosität geneigt. Ihr Zustand, ihre Einsamkeit vermehrten diesen Zug; der Geistliche unterhielt ihn, um sie nach und nach auf eine ewige Trennung vorzubereiten. Kaum war das Kind entwöhnt, kaum glaubte er ihren Körper stark genug, die ängstlichsten Seelenleiden zu ertragen, so fing er an, das Vergehen mit schrecklichen Farben vorzumalen, das Vergehen, sich einem Geistlichen ergeben zu haben, das er als eine Art von Sünde gegen die Natur, als einen Incest behandelte. Denn er hatte den sonderbaren Gedanken, ihre Reue jener Reue gleich zu machen, die sie empfunden haben würde, wenn sie das wahre Verhältniß ihres Fehltritts erfahren hätte. Er brachte dadurch so viel Jammer und Kummer in ihr Gemüth, er erhöhte die Idee der Kirche und ihres Oberhauptes so sehr vor ihr, er zeigte ihr die schrecklichen Folgen für das Heil aller Seelen, wenn man in solchen Fällen nachgeben und die Straffälligen durch eine rechtmäßige Verbindung noch gar belohnen wolle, er zeigte ihr, wie heilsam es sei, einen solchen Fehler in der Zeit abzubüßen und dafür dereinst die Krone der Herrlichkeit zu erwerben, daß sie endlich wie eine arme

Sünderin ihren Nacken dem Beil willig darreichte und inständig bat, daß man sie auf ewig von unserem Bruder entfernen möchte. Als man so viel von ihr erlangt hatte, ließ man ihr, doch unter einer gewissen Aufsicht, die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald in dem Kloster zu sein, je nachdem sie es für gut hielte.

„Ihr Kind wuchs heran und zeigte bald eine sonderbare Natur. Es konnte sehr früh laufen und sich mit aller Geschicklichkeit bewegen, es sang bald sehr artig und lernte die Zither gleichsam von sich selbst. Nur mit Worten konnte es sich nicht ausdrücken, und es schien das Hinderniß mehr in seiner Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen zu liegen. Die arme Mutter fühlte indessen ein trauriges Verhältniß zu dem Kinde; die Behandlung des Geistlichen hatte ihre Vorstellungsart so verwirrt, daß sie, ohne wahnsinnig zu sein, sich in den seltsamsten Zuständen befand. Ihr Vergehen schien ihr immer schrecklicher und straffälliger zu werden; das oft wiederholte Gleichniß des Geistlichen vom Incest hatte sich so tief bei ihr eingeprägt, daß sie einen solchen Abscheu empfand, als wenn ihr das Verhältniß selbst bekannt gewesen wäre. Der Beichtvater dünkte sich nicht wenig über das Kunststück, wodurch er das Herz eines unglücklichen Geschöpfes zerriß. Jämmerlich war es anzusehen, wie die Mutterliebe, die über das Dasein des Kindes sich so herzlich zu erfreuen geneigt war, mit dem schrecklichen Gedanken stritt, daß dieses Kind nicht da sein sollte. Bald stritten diese beiden Gefühle zusammen, bald war der Abscheu über die Liebe gewaltig.

„Man hatte das Kind schon lange von ihr weggenommen und zu guten Leuten unten am See gegeben, und in der mehrern Freiheit, die es hatte, zeigte sich bald seine besondere Lust zum Klettern. Die höchsten Gipfel zu ersteigen, auf den Rändern der Schiffe wegzulaufen und den Seiltänzern, die sich manchmal in dem Orte sehen ließen, die wunderlichsten Kunststücke nachzumachen, war ein natürlicher Trieb.

„Um das Alles leichter zu üben, liebte sie mit den Knaben die Kleider zu wechseln, und ob es gleich von ihren Pflegeeltern höchst unanständig und unzulässig gehalten wurde, so ließen wir ihr doch so viel als möglich nachsehen. Ihre wunderlichen Wege und Sprünge führten sie manchmal weit; sie verirrte sich, sie blieb aus und kam immer wieder. Meistentheils wenn sie zurückkehrte, sezte sie sich

unter die Säulen des Portals vor einem Landhause in der Nachbarschaft; man suchte sie nicht mehr, man erwartete sie. Dort schien sie auf den Stufen auszuruhen; dann lief sie in den großen Saal, besah die Statuen, und wenn man sie nicht besonders aufhielt, eilte sie nach Hause.

„Zulegt ward denn doch unser Hoffen getäuscht und unsere Nachsicht bestraft. Das Kind blieb aus; man fand seinen Hut auf dem Wasser schwimmen, nicht weit von dem Orte, wo ein Gießbach sich in den See stürzt. Man vermuthete, daß es bei seinem Klettern zwischen den Felsen verunglückt sei; bei allem Nachforschen konnte man den Körper nicht finden.

„Durch das unvorsichtige Geschwäß ihrer Gesellschafterinnen erfuhr Sperata bald den Tod ihres Kindes; sie schien ruhig und heiter und gab nicht undeutlich zu verstehen, sie freue sich, daß Gott das arme Geschöpf zu sich genommen und so bewahrt habe, ein größeres Unglück zu erdulden oder zu stiften.

„Bei dieser Gelegenheit kamen alle Märchen zur Sprache, die man von unsern Wassern zu erzählen pflegt. Es hieß, der See müsse alle Jahre ein unschuldiges Kind haben; er leide keinen todten Körper und werfe ihn früh oder spät ans Ufer, ja sogar das leßte Knöchelchen, wenn es zu Grunde gesunken sei, müsse wieder heraus. Man erzählte die Geschichte einer untröstlichen Mutter, deren Kind im See ertrunken sei, und die Gott und seine Heiligen angerufen habe, ihr nur wenigstens die Gebeine zum Begräbniß zu gönnen; der nächste Sturm habe den Schädel, der folgende den Rumpf ans Ufer gebracht, und nachdem Alles beisammen gewesen, habe sie sämmtliche Gebeine in einem Tuch zur Kirche getragen; aber, Wunder! als sie in den Tempel getreten, sei das Packet immer schwerer geworden, und endlich, als sie es auf die Stufen des Altars gelegt, habe das Kind zu schreien angefangen und sich zu Jedermanns Erstaunen aus dem Tuche losgemacht; nur ein Knöchelchen des kleinen Fingers an der rechten Hand habe gefehlt, welches denn die Mutter nachher noch sorgfältig aufgesucht und gefunden, das denn auch noch zum Gedächtniß unter andern Reliquien in der Kirche aufgehoben werde.

„Auf die arme Mutter machten diese Geschichten großen Eindruck; ihre Einbildungskraft fühlte einen neuen Schwung und Goethe. VI.

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begünstigte die Empfindung ihres Herzens. Sie nahm an, daß das
Kind nunmehr für sich und seine Eltern abgebüßt habe, daß Fluch
und Strafe, die bisher auf ihnen geruht, nunmehr gänzlich ge-
hoben sei, daß es nur darauf ankomme, die Gebeine des Kindes
wiederzufinden, um sie nach Rom zu bringen, so würde das Kind
auf den Stufen des großen Altars der Peterskirche wieder, mit
seiner schönen frischen Haut umgeben, vor dem Volke dastehen. Es
werde mit seinen eigenen Augen wieder Vater und Mutter schauen,
und der Papst, von der Einstimmung Gottes und seiner Heiligen
überzeugt, werde unter dem lauten Zuruf des Volks den Eltern
die Sünde vergeben, sie lossprechen und sie verbinden.

„Nun waren ihre Augen und ihre Sorgfalt immer nach dem
See und dem Ufer gerichtet. Wenn Nachts im Mondglanz sich die
Wellen umschlugen, glaubte sie, jeder blinkende Saum treibe ihr
Kind hervor; es mußte zum Scheine Jemand hinablaufen, um es
am Ufer aufzufangen. So war sie auch des Tages unermüdet an
den Stellen, wo das kiesige Ufer flach in den See ging; sie sammelte
in ein Körbchen alle Knochen, die sie fand. Niemand durfte ihr
fagen, daß es Thierknochen seien; die großen begrub sie, die kleinen
hob sie auf. In dieser Beschäftigung lebte sie unablässig fort. Der
Geistliche, der durch die unerläßliche Ausübung seiner Pflicht ihren
Zustand verursacht hatte, nahm sich auch ihrer nun aus allen Kräften
an. Durch seinen Einfluß ward sie in der Gegend für eine Ent-
zückte, nicht für eine Verrückte gehalten; man stand mit gefalteten
Händen, wenn sie vorbeiging, und die Kinder küßten ihr die Hand.

„Ihrer alten Freundin und Begleiterin war von dem Beicht-
vater die Schuld, die sie bei der unglücklichen Verbindung beider
Personen gehabt haben mochte, nur unter der Bedingung erlassen,
daß sie unablässig treu ihr ganzes künftiges Leben die Unglückliche
begleiten solle, und sie hat mit einer bewundernswürdigen Geduld
und Gewissenhaftigkeit ihre Pflichten bis zuleßt ausgeübt.

„Wir hatten unterdessen unsern Bruder nicht aus den Augen
verloren; weder die Aerzte noch die Geistlichkeit seines Klosters
wollten uns erlauben, vor ihm zu erscheinen; allein um uns zu
überzeugen, daß es ihm nach seiner Art wohl gehe, konnten wir
ihn, so oft wir wollten, in dem Garten, in den Kreuzgängen, ja
durch ein Fenster an der Decke seines Zimmers belauschen.

„Nach vielen schrecklichen und sonderbaren Epochen, die ich über-
gehe, war er in einen seltsamen Zustand der Ruhe des Geistes und
der Unruhe des Körpers gerathen. Er saß fast niemals, als wenn
er seine Harfe nahm und darauf spielte, da er sie denn meistens
mit Gesang begleitete. Uebrigens war er immer in Bewegung und
in Allem äußerst lenksam und folgsam; denn alle seine Leidenschaften
schienen sich in der einzigen Furcht des Todes aufgelöst zu haben.
Man konnte ihn zu Allem in der Welt bewegen, wenn man ihm
mit einer gefährlichen Krankheit oder mit dem Tode drohte.

„Außer dieser Sonderbarkeit, daß er unermüdet im Kloster hin
und her ging und nicht undeutlich zu verstehen gab, daß es noch
besser sein würde, über Berg und Thäler so zu wandeln, sprach er auch
von einer Erscheinung, die ihn gewöhnlich ängstigte. Er behauptete
nämlich, daß bei seinem Erwachen, zu jeder Stunde der Nacht, ein
schöner Knabe unten an seinem Bette stehe und ihm mit einem
blanken Messer drohe. Man versegte ihn in ein anderes Zimmer;
allein er behauptete, auch da, und zuleßt sogar an andern Stellen
des Klosters stehe der Knabe im Hinterhalt. Sein Auf- und Ab-
wandeln ward unruhiger, ja, man erinnerte sich nachher, daß er in
der Zeit öfter als sonst an dem Fenster gestanden und über den
See hinüber gesehen habe.

„Unsere arme Schwester indessen schien von dem einzigen Ge-
danken, von der beschränkten Beschäftigung nach und nach auf-
gerieben zu werden, und unser Arzt schlug vor, man sollte ihr nach
und nach unter ihre übrigen Gebeine die Knochen eines Kinderskelets
mischen, um dadurch ihre Hoffnung zu vermehren. Der Versuch war
zweifelhaft, doch schien wenigstens so viel dabei gewonnen, daß man
sie, wenn alle Theile beisammen wären, von dem ewigen Suchen
abbringen und ihr zu einer Reise nach Rom Hoffnung machen könnte.
‚Es geschah, und ihre Begleiterin vertauschte unmerklich die ihr
anvertrauten kleinen Reste mit den gefundenen, und eine unglaub-
liche Wonne verbreitete sich über die arme Kranke, als die Theile sich
nach und nach zusammenfanden, und man diejenigen bezeichnen konnte,
die noch fehlten. Sie hatte mit großer Sorgfalt jeden Theil, wo
er hingehörte, mit Fäden und Bändern befestigt; sie hatte, wie man
die Körper der Heiligen zu ehren pflegt, mit Seide und Stickerei
die Zwischenräume ausgefüllt.

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