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Individuelles oder soziales Chriftentum ?

Ein Wort zur Verständigung.
Von

Pfarrer Julius Werner.

Unlängst hörte ich in Berlin auf einer Versammlung interessierter Pastoren und Laien, welche sich mit kirchenpolitischen Dingen beschäftigte, im Laufe der Debatte einen hervorragenden Professor die Frage aufwerfen: „Ist Christus in die Welt gekommen, um die einzelnen Seelen zu erlösen oder die großen Massen?" Das war in der That von einer theologischen Autorität eine etwas seltsame Fragestellung. Natürlich ist Jesus erschienen, um die Seelen von Sünde und Tod zu befreien; aber da die großen Massen d. h. die Gesamtheit der Einzelpersonen doch nicht seelenlos" sind, so bedeutet auch für sie das Evangelium der Sündenvergebung die Erlösung von Schuld und Verderben. Aber mit dieser selbstverständlichen Behauptung findet die Sache, um die es sich handelt, keineswegs ihre Erledigung. Wir werden die vorstehend mitgeteilte professorale Frage -vielleicht auch die Eigentümlichkeit ihrer Form - verstehen, wenn wir darin den Widerklang jener, man möchte sagen, modischen Erörterungen über die ewige Natur und zeitliche Ausprägung des Christentums heraushören. Wie einst Kant und seine Schule in der Philosophie, um deren Ziele festzustellen, deren Fundamente, das Erkenntnisvermögen selber, einer kritischen Prüfung unterwarf, so meinen gegenwärtig sowohl radikale als auch christliche Sozialreformer, daß die Lösung der ernsten Zeitprobleme nicht cher mit Erfolg angebahnt werden könne, als bis die Grundgeseße des Erwerbs- und Gesellschaftslebens bezw. die Grundaufgaben des Christentums in kritischer Klarheit erkannt seien. Dieser bis an die Fundamente hinabdringende kritisch-theoretische Zug findet besonders in Deutschland viel Verbreitung. Die erneute Untersuchung nach dem Wesen des Evangeliums und namentlich seiner praktischen Bedeutung gegenüber der Misère des Volkslebens beeinflußt die Thätigkeit in den verschiedenartigen theologischen und kirchlichen Wissens- und Lebensgebieten. Dogmatik und Pastoraltheologie, Kirchenpolitik und Junere Missson müssen mehr oder minder bewußt der Kardinalfrage gegenüber Stellung nehmen, welche allen Detailfragen zur prinzipiellen Grundlage dient. Es ist die Frage, welche die neuzeitliche Entwickelung stellt: Dient das Christentum der individuellen Seelenseligkeit oder dem sozialen Volksglück? Diese Frage der Zeit, wie diejenige des Professors, ist mit ihrem ausschließenden oder" nicht richtig; aber gerade die in der Fragestellung sich aussprechende, scharf markierte Einseitigkeit bietet den Vorzug, uns an die einschlägigen Momente einer prinzipiell zu begründenden Auffassung zu erinnern.

Das Soziale bildet den ersten und wichtigsten Punkt auf der Tagesordnung im Parlament der Kulturwelt. Das Sozialpolitische bezeichnet vielfach den ausschlaggebenden Gesichtspunkt. Daß der Blick

für die realen Mächte und psychologischen Anforderungen in der Gegenwart geschärfter ist denn früher, kann man nur als einen Fortschritt allenthalben begrüßen. Erinnert sei nur an die neuere Richtung in der Jurisprudenz. Der berechtigte Widerspruch, der sich gegen den Entwurf des bürgerlichen Geseßbuches in zunehmendem Maße bemerkbar macht, hat seinen Grund darin, daß man die abstrakte Begriffsbestimmung, die lebensfremde Konsequenzmacherei, den sterilen Doktrinarismus zu Gunsten sittlich-sozialer Erwägungen und praktischer Bedürfnisse beschränkt wissen will. Nicht das Recht des toten Buchstabens, sondern das Recht, das mit uns geboren ist," soll gelten. Wie Jurisprudenz und Pädagogik, Regierung und Verwaltung und viele andere Dinge, so soll auch Kirche und Theologie, überhaupt das Christentum in den sozialen Gesichtswinkel hineingerückt werden. Dies ist, wenn es in besonnener Weise geschieht, recht und notwendig. Das Christentum ist nicht nur über allen Zeiten, sondern auch für alle Zeiten. Die verschiedenen wissenschaftlichen und praktischen Ausgestaltungen des Christeniums: Orthodorie, Pietismus und Rationalismus hatten ihr zeitalterliches Recht und brachten auch immer eine Seite des Evangeliums zum Ausdruck. Orthodor, pietistisch, rational das sind alles vorzügliche christliche Präditate; nur mit einem „ismus“ versehen und zu dem allein berechtigten Subjekt erhoben, stellen die betreffenden Worte eine einseitige Richtung dar. Der Rationalismus hatte bespielsweise darin recht, daß er die Religion Christi einem philosophisch angehauchten Geschlecht als das sittlich Vernünftige darstellte und sich in seinen Argumenten gleich Luther auch auf die bellen Gründe der Vernunft" berief. Aber darin lag die gefährliche Einseitigkeit, daß die Häupter des Rationalismus dadurch glaubten das Christentum ihren aufge= klärten Zeitgenossen mundgerecht machen zu müssen, daß sie die Offenbarung Gottes dem Maßstab des menschlichen Erkennens unterwarfen und vergaßen, daß das Evangelium zwar nicht wider, aber doch höher ist denn alle Vernunft". Das Christentum ist auch sozial, und die soziale Weltbetrachtung hat ihr allgemeingültiges und ihr zeitgemäßes Recht. Aber in dem Sozialismus den beglückenden Zauber und die allmächtige Kraft einer neuen Welt- und Menschenschöpfung zu sehen, ist eine Übertreibung, nicht minder gefährlich als der vielleicht wohlgemeinte Versuch, das Christentum durch gezwungene Anbequemung an soziale Lieblingsvorstellungen bei dem modernen Geschlecht in Ansehen zu bringen.

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Die Wahrheit ist, daß das Christentum den Sozialismus wird vor dem Dumm- und Faulwerden zu behüten haben und nicht umgekehrt! Die Thatsache, daß Christi Geisteswirken nicht bloß eine ethisch bessernde, sondern auch naturgemäß eine sozial-beglückende Macht ist, bleibt gegen eine unwahre Zuspizung und verkehrte Konsequenzmacherei durch den Hinweis geschüßt, daß das Christentum auch das, was am Individualismus berechtigt ist, in seiner idealsten Blüte und größten Kraft darstellt. Das Christentum ist seinem Wesen nach zu

nächst individuell. Schon im Alten Testament offenbart das religiöse Bewußtsein seine erhabenste Größe, wo das persönliche Gefühl der Gottesgewißheit sein krafterhebendes „Dennoch“ einer ganzen Welt voll feindlicher und zweifelnder „Wenn“ und „Aber" entgegenhält. Die vorbereitenden Ahnungen bei Hiob, dem Psalmendichter und den Propheten gelangen zur vollbereiteten Klarheit in dem vorbildlichen Bewußtsein und den Aussprüchen Jesu. „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele" - pointierter und tiefsinniger kann der individuelle Charakter der christlichen Religiösität nicht ausgesprochen werden, als es in diesem Herrnwort geschieht, darin einer Seele Verlust schwerwiegender genannt wird, denn einer ganzen Welt Gewinn. Selbst Profanschriftsteller, welche psychologische Probleme tiefer zu erfassen gewöhnt sind, beweisen ihre glänzendsten Apperçus darin, daß sie gerade die individuelle Sicherheit im Kampf mit der ablockenden verführerischen Außenwelt für den Prüfstein religiöser Charaktere ansehen. Erinnert sei u. a. an Lessings Faust-Fragmente. Selbst der Satan muß hier zugestehen, daß ein wahrhaft Frommer, wenn er in unglückliche Verhältnisse gestoßen wird, nur um so fester mit seinem Herzen und Glauben an Gott festhält. Dies kann der moderne Zeitgeist nicht verstehen. Denn die Übertragung darwinistischer Entwickelungsgeseße aus der Zoologie und Botanik in die Biologie und Soziologie zerstört alle individuelle Charaker: struktur und führt mit seiner Nivellierungstendenz dazu, den Menschen gleich Tier und Pflanze zu dem bloßen Naturprodukt der äußeren Verhältnisse zu machen. Diese Konsequenz, welche Darwin zwar selber nicht gezogen hat, ermöglicht eine Sozial physik, welche bewußt und unbewußt den Tod für alle individuelle und auch soziale Religiösität und Moralität bedeutet. Daß ein wohlgemeinter, aber unklarer christlicher Sozialismus contre coeur dem Strom einer mechanischen und physikalischen Gesellschaftsauffassung, durch Überschäßung der Macht der äußeren Verhältnisse, Zuflüsse sendet, liegt auf der Hand und wird durch manche Thatsache namentlich des christlichen Sozialismus in England bestätigt.

Die neuere Pastoraltheologie, welche dem sozialen Moment in Predigt und Kasualrede mit Recht einen weiteren Raum gewährt, wird doch auch mit dem gleichen Nachdruck an Jesu Wirken erinnern müssen, welches das Heil der Einzelseele suchte und förderte. In einer Zeit lebend, wo die öffentliche Meinung von politischen Streitfragen erfüllt und das Volksgemüt von nationalen Erwartungen leidenschaftlich bewegt war, betont unser Herr doch immer, unter Ablehnung aller Versuchungen zu einer politischen, juristischen oder rein weltlichen Aktion, den spezifisch göttlichen und foteriologischen Charakter seiner religiösen Sendung. Es ist wohl nicht zufällig, daß die Evangelisten mit besonderer Innigkeit und Anschaulichkeit die Begebenheiten schildern, welche als ein Nacheifrung weckendes Muster von Jesu suchender Hirtentreue, von seiner Arbeit an der Einzelseele gelten. Die

Heilungswunder waren meist Begleiterscheinungen der Sündenvergebung; da, wo der Herr von körperlichen Gebrechen befreite, zeigte er sich stets als der Seelenarzt; an die Speisung der 5000 knüpft er die Betrachtung über das Brot des Geistes; diese gewaltige Rede erscheint als eine Auslegung des Textes: „Ist nicht das Leben mehr denn die Speise? Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes!" Zweifelsohne wird die pastorale Seelsorge aller Zeiten gerade in der Führung der Einzelseelen durch Nacht zum Licht, aus der Sünde zu Jesu ihre schönsten und gesegnetsten Erfolge erringen. Eine Menschenseele finden ist Gewinn." Dies Dichterwort kann auch als pastoraltheologisches Motto verwandt werden.

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Thatsächlich ist es auch viel schwerer, mit dauerndem Erfolg die Willensrichtung eines Menschen zu ändern, als die Stimmung großer Volksversammlungen momentan zu beherrschen. Zu dem Letteren gehört nur ein gewisses Talent, Routine und Menschenkenntnis, zu dem Ersteren aber Menschen liebe, Fleiß und wahre Kunst. Mit Recht sagt Gregor d. Gr.: Ars artium est regimen animae". Diese Andeutungen erinnern an den individuellen Charakter des Christentums und enthalten. zugleich einige Winke für die praktische Bethätigung der allgemeinen. Christenpflicht und des besonderen Pastorenberufes. Aber nur den Individualismus betonen, wie es ein weltflüchtiger, falscher Pietismus gethan hat und noch thut, heißt, um ein astronomisches Gleichnis zu gebrauchen, vom Mond nur eine Hälfte erleuchtet sehen, während er doch rund und schön" ist. Die ganze Wahrheit strahlt uns erst dann entgegen, wenn auch der soziale Charakter des Christentums aus dem Dunkel der Halbkenntnis zur lichten Erscheinung kommt.

Wenn das Christentum zuerst das Verhalten der Seele zu Gott in's Auge faßt, so folgt aus diesem religiösen Grundcharakter noch lange nicht die Neutralität oder gar Passivität gegenüber nicht spezifisch religiösen, also z. B. sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Das Christentum ist niemals passiv, sondern immer aktiv, ist wie der Glaube nicht eine beschauliche, gefühlige Seelenstimmung, sondern ein „lebendig, geschäftig Ding", auch nach außen wirkend. Das Christentum richtet das Lebensschiff nach der Küste des Jenseits, nach dem Hafen des ewigen Seelenheils; aber diese Kompaßrichtung enthebt nicht der Sorge, den Leck zu verstopfen, den das Schiff schon auf der Meeresfahrt im Diesseits erleidet. Eine Sorglosigkeit in diesem Punkt würde, um das Gleichnis fortzuführen, das Lebensschiff zum Sinken bringen und an der Erreichung des guten Endzieles hindern. Der Herr heilt die leiblichen Gebrechen, doch auch um ihrer selbstwillen; die Krankenheilungen kann man doch nicht nur als eine besondere Form der Sündenvergebung ansehen. Von wieviel geheilten Kranken lesen wir, daß sie wirklich Buße gethan und Jesu Jünger geworden find! Wird die Zahl der Bußfertigen größer gewesen sein als die Zahl (10%) der Dankbaren (Luk. 17, 17)? Wenn der Herr den Lahmen, Blinden und Krüppeln wieder den Gebrauch ihrer Glieder giebt, liegt

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darin nicht an sich schon eine soziale Wirkung? Die Geheilten werden ja wieder befähigt, durch Erwerbsthätigkeit sich eine selbständige Eristenz zu schaffen. Wohl geht der Herr den Seelen der Einzelnen nach und wirbt um sie mit Langmut und großer Güte. Er nimmt die Jünger beiseite, er liest dem Nikodemus in der Nacht und der Samariterin am Jakobsbrunnen ein Privatissimum; aber er wirkt auch auf die Massen ein. Die Wüste wird zum auditorium maximum für Tausende. Der Herr vergießt Thränen über das jüdische Nationallaster der Unempfänglichkeit (Matth. 23); ihn jammert des Volkes, nicht bloß weil es birtenlos" d. h. ohne geistige Führung, sondern auch, weil die Menge brotlos war. Der Meister der Barmherzigkeit fordert auch von den Seinigen Barmherzigkeit d. h. Bethätigung der Liebe an körperlich und wirtschaftlich Notleidenden. Was die Barmherzigkeitsübung von Gnadenerweisung - die ein Monopol Gottes ist unterscheidet, ist ja der brüderliche Beistand in äußerer Not (cfr. der „barmherzige Samariter"). Die Werke der Barmherzigkeit werden dereinst über unser ewiges Los mitentscheiden. (Math. 25, 21-30; Offenb. Joh. 14, 13.) Jesus erscheint dem Volke als der große Prophet". Was den Propheten ausmachte, war nicht nur die gewaltige Verkündigung religiöser Wahrheiten, sondern auch eine rührende Fürsorge für leiblich Notleidende (1. Könige 17, 14-24). Elisa der Mann Gottes" befreit eine Arbeiterwitwe aus der Schuldknechtschaft. Ein Moses eifert gegen ausbeuterische Kapitalisten (5. Mos. 24, 14), Jesaias straft die Latifundieninhaber, welche den Klein- und Mittelbesig aufsaugen (Jes. 5, 8). Johannes der Täufer fordert neben der innerlichen Gesinnungsänderung die Bethätigung der sittlich-wirtschaftlichen Tugenden der Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Genügsamkeit. Jesu Aussprüche enthalten nicht selten Urteile, welche auch in ökonomischen und sozialen Dingen als geistiges Regulativ und Korrektiv zu gelten haben. Über Arbeitspflicht und Arbeitslohn enthalten Evangelien und Episteln ewig geltende Fundamentalwahrheiten, deren Verkennung und Mißachtung an den gegenwärtigen Wirtschaftskalamitäten nicht wenig schuld trägt. Das Gleiche gilt von den Aussagen Jesu und der Apostel über Bedeutung und Verwendung des Eigentums. Der Eigentumserwerb ist so wenig sündlich, wie der bloße Eigentumsverzicht verdienstlich ist. Worauf es ankommt, ist die gottgewollte pflichtgemäße Eigentumsverwendung zum Nuß und Segen der Gesamtheit.

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Diese fittlich-soziale Anschauung gipfelt in dem Begriff der Haushaltertreue, welche die Erkenntnis der neueren soziologisch gerichteten Nationalökonomie in bezug auf sittliche Begründung weit überragt. Wenn z. B. ein hervorragender Volkswirtschaftslehrer sagt: „Der Befiger von angesammeltem Vermögen ist in keiner Weise berechtigt, sich als absoluten Eigentümer zu betrachten" und dann hinzufügt: Geseßlich soll der Besizer nicht in der beliebigen Verwendung seines Vermögens gehindert werden. Aber darum ist er in keiner Weise berechtigt, dasselbe als ihm zum beliebigen Gebrauch gegeben zu

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